Initiative für faire Übergabe von Kassensitzen

Liebes Lage-Team, liebe Lage Fans,

wir sind die Verfasserinnen einer Petition, die sich für eine verbesserte Übergaberegelung von Kassensitzen einsetzt, da die Preise für diese, wie schon in der aktuellen LdN-Folge beschrieben, in Ballungsräumen explodieren. Wir freuen uns sehr darüber, dass hier über das Thema so ausführlich Berichtet wird- und das auch noch in der Jubiläumsfolge ;).
Eine Angemessene Bedarfsplanung, orientiert am faktischen Bedarf ist natürlich für uns ein wichtiges Thema und würde unser Anliegen deutlich erleichtern und dabei helfen, die Therapeut
innenlandschaft diverser zu machen.
Bei dem Ansatz, allen Therapeutinnen die Möglichkeit zu geben mit den Kassen abzurechnen, muss man natürlich bedenken, dass dies vor allem dann Zielführend ist, wenn dies auch langfristig geplant ist, da es sich für die wenigsten lohnen wird, eine Praxis aufzumachen, nur um diese dann wieder nach einem Jahr zu schließen.
Die scheinbar auch gerne von ärztlichen Koleg
innen getroffenen Äußerungen hier im Chat darüber, dass Ambulant vor allem Patient*innen mit vernachlässigbaren “Wehwechen” behandelt werden, sind im Anbetracht des vorhandenen Leidensdruck zynisch. Eine psychotherapeutische Behandlung verlangt den Behandelten viel ab: neben langen Wartezeiten, dem aufsuchen wöchentlicher Behandlungseinheiten müssen Patienten sich zudem mit Ihren Problemen auseinandersetzen was eine zusätzliche Belastung darstellt. Woher Außenstehende überhaupt wissen, ob eine behandlungswürdige Erkrankung in solchen Fällen vorliegt ist unklar. Kaum ein heilender Beruf in Deutschland untersteht so strengen Auflagen (siehe Gutachterverfahren) wie die Psychotherapie, obwohl diese bei der Mehrheit der psychischen Erkrankungen langfristig bessere Wirksamkeiten vorweisen kann als beispielsweise die Psychophamakologie. Gleichzeitig wird die Frage, wie viele Patienten im durchschnittlichen deutschen Wartezimmer eines Arztes wirklich eine Behandlung brauchen im gegensatz zu der Debatte hier nicht gestellt. Das Menschen in einem Leistungen bekommen, die vielleicht nicht zwingend zielführend sind ist ein Nebeneffekt jedes funktionierenden Sozialsystems.
Der Keil, der hierbei zwischen Therapeuten und Ärzteschaft getrieben wird, im Kampf um die Verteilung des “Topfs” ist zudem aus unserer Sicht eher ein Symptom des Problems, als das es zu einer Verbesserung der Lage beiträgt: Bei einer Verminderung des Bruttoinlandsprodukts der BRD durch psychische Störungen um 1.8% (oder 45 Mrd. Euro; Nübling et al, 2014) wäre es sicherlich sinnvoll, den Topf zu vergrößern. Nübling rechnet hier mit einem Return of Investment von zwischen 2 und 5 Euro: D.h.: für jeden Euro der für Psychotherapie ausgegeben wird werden 2 bis 5 Euro gespart. Warum es also hier von manchen als negativ angesehen wird, dass es in Deutschland eine im Vergleich eher gute Versorgung gibt (an der noch viel verbessert werden kann) ist nicht schlüssig.

Viele Grüße in die Runde

Elena Rudolph, Felix Klein, Michelle Walsh und Niklas Lottes

Nochmal, es gibt keinen gemeinsamen Topf mehr. Psychotherapie wird außerhalb des Budgets bezahlt und geht nicht mehr zulasten anderer Arztgruppen.

Ich weiß nicht genau, welche Äußerungen ihr meint. Ich habe nirgendwo gelesen, dass die vergleichsweise gute Versorgung negativ ist. Ich selbst habe lediglich dafür plädiert, bei aller berechtigten Kritik am Status quo nicht zu vergessen, dass wir international hier auf sehr hohem Niveau jammern, auch gegenüber anderen wohlhabenden Ländern.

… ich bin als Controller oft mit diversen Investitionsrechnungen konfrontiert und es ist ein leichtes am ROI (Return on Investment) zu drehen. Man muss eben nur die richtigen Annahmen treffen. Ich habe mir Ihre Studie angeschaut. Sie behaupten als dass Sie im Durchschnitt mit 45 Behandlungsstunden pro Jahr (45 Stunden x 85 Euro = 3.825 Euro) dafür sorgen können, dass die Patienten im Durchschnitt 20.000 Euro weniger Einkommensverlust erleiden. Gewinn also 16.175 Euro bei Kosten von 3.825 Euro - eine stattliche Rendite. Wenn Sie so davon überzeugt sind, dann Gründen Sie doch einfach ein Unternehmen und bieten diese Leistung an. Nehmen Sie als Kunden zum Beispiel Volkswagen, dort haben die Mitarbeiter auch eine eigene Krankenkasse. Einerseits hätte Volkswagen mehr Mitarbeiterkapazität und andererseits hätte die Krankenkassen weniger Fehltagekosten. Nehmen wir an Sie haben vier Psychotherapeuten (wie in Ihrem Post - Elena + Felix + Michelle + Niklas) in ihrem neuen Unternehmen, dann hat VW Behandlungskosten von -544.000 Euro (200 Tage x 4 Mitarbeiter x 8 Stunden x 85 Euro) und Sie generieren für Volkswagen und dessen Betriebskrankenkasse einen Nutzen von 2.844.444 Euro. Das macht einen Gewinn von 2.300.444 Euro - nehmen wir an Sie teilen sich den Gewinn mit Volkswagen 50:50 dann bekommen Sie immer noch 1.150.222 Euro neben den 544.000 Euro die Sie ohnehin schon als Behandlungsstunden abgerechnet haben. Das macht eine Gewinnausschüttung pro Mitarbeiter von 287.556 Euro pro Jahr - in nur vier Jahren ist jeder Ihrer Mitarbeiter Millionär !!! Wenn Sie überzeugt sind davon dann nehmen Sie Ihr Glück selbst in die Hand als nach dem Geld anderer Leute zu fragen. Selbst wenn Ihre Annahmen nur zu 80% der Realität entsprechen würden, ist jeder von Ihnen nicht in vier Jahren sondern in fünf Jahren Millionär. Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich auch Psychotherapeut geworden - insofern meine Intelligenz und Einfühlungsvermögen dazu geeignet gewesen wären.

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Witzig, dass Sie das vorschlagen, es gibt bereits einige etablierte Unternehmen, die Versorgungsmanagement betreiben und dabei deutliche Einsparungen für die Kassen durch Verbesserung der Versorgungsqualität erzielen. Leider sind solche Versorgungsverträge bisher eher das Stiefkind des deutschen Gesundheitswesens und müssen mühsam mit allen Beteiligten verhandelt und separat umgesetzt werden. Dabei ist dann u.U. viel Überzeugungsarbeit zu leisten, weil die Kassen erstmal fürchten, dass es mehr kostet und die Leistungserbringer, dass sie mehr Bürokratie haben oder die Kassen nur Daten haben wollen, um sie zu kontrollieren etc.
Aber grundsätzlich ein sehr guter Vorschlag! Unabhängig von dieser konkreten Kalkulation ist da in der Tat ein Markt.

Vielen Dank noch einmal für die Klarstellung.

Mit unserer Außerung wollen wir eigentlich nur betohnen, dass es sich auch(finanziell) lohnen kann ein gutes System weiter zu verbessern. Nur weil in DE das System besser ist als in anderen Ländern, wäre es ja zudem ein Trugschluss zu sagen, dass das System gut ist. Das Niveau ist sozusagen im vergleich hoch, was jedoch nicht heißen muss, dass das Realniveau hoch ist. Die Wartezeiten vor allem auf dem Land sind für Menschen in Not inakzeptabel.

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und den damit verbundenen Aufwand.
Nur um Missverständnisse vorzubeugen. Dies ist nicht unsere Studie sondern die von Herrn Dr. Nübling von der Landespsychotherapeutenkammer BW. Wir beziehen uns in unseren Aussagen also nur darauf.
Unser Ziel ist es zudem überhaupt nicht, Millionen mit Psychotherapie zu verdienen, sondern die Übergabereglung für alle fairer zu gestalten damit Gleichqualifizierte ähnliche/gleiche Verdienstmöglichkeiten haben. Ihr Rechenbeispiel ist sicherlich sehr erhellend, jedoch ändert es ja nicht wirklich etwas an der eigentlichen Versorgungssituation in DE sondern bei einem einzelnen Betrieb. Uns wäre es wichtig, dass die gesetzlich versicherte Allgemeinbevölkerung nicht nur von denen behandelt wird, die es sich leisten können, einen Versorgungsauftrag für fünfstellige Beträge zu kaufen.

Ich lese immer besonders aufmerksam, wenn jemand mit Fairness argumentiert (Ihre Worte: die Übergabe für alle fairer zu gestalten …). In Wirklichkeit wollen Sie einfach nur Geld sparen, genügend Menschen von Ihrer Petition überzeugen, um die Zulassung für „lau“ zu bekommen. Andre Menschen bezahlen und arbeiten dafür. Der Preis der Zulassung regelt sich nach Angebot und Nachfrage, offenbar gibt es noch genügend Ihre Kollegen die bereit sind dieses Geld zu zahlen. Offenbar wirft die Tätigkeit als Psychotherapeut genügend Gewinn ab, um für die Zulassung hohe Preise zu zahlen. Ich würde auch nicht unterstellen, dass hier Mama und Papa zahlen, sondern es gibt auch Menschen die selbst Gas geben.

Anbei die aktuellen Angebote:

https://www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/informationen/praxisboerse/praxisangebote/

Sie schreiben in Ihrer Petition „… oft gar nicht nachvollziehbar, wodurch sich dieser Betrag rechtfertigt … In der Regel werden weder Gerätschaften, noch Praxisräume oder ein Patientenstamm übernommen. “ Das ist ganz einfach, Sie zahlen den Ertragswert, also die Gewinne die Sie mit dieser Zulassung voraussichtlich in den nächsten Jahren erzielen werden. Sie verlieren also auf lange Sicht kein Geld, sondern Sie machen erstmal keinen Gewinn. Darüber hinaus können Sie die Anschaffungskosten noch von der Steuer absetzen.

Sie kritisieren die „Medizinischen Versorgungszentren“ mit den Worten „Patienten werden oft als reine Finanzobjekte gesehen …“. Das ist eine ziemliche Unterstellung die aber von der Annahme lebt, dass selbständige Psychotherapeuten weniger die Finanzen im Fokus haben. Woher wissen Sie das?

Die Art und Weise wie Sie die Studie von Dr. Nübling zitieren ist bewusst oder unbewusst irreführend. Ihre Worte „… bei einer Verminderung des Bruttoinlandsprodukts der BRD durch psychische Störungen um 1,8% (45 Mrd. Euro) wäre es sicherlich sinnvoll den Topf zu vergrößern…"
Die 1,8% oder 45 Mrd. beziehen sich auf alle Menschen, auch diejenigen die schon in Behandlung sind. D.h. wahrscheinlich verursachen psychische Erkrankungen 45 Mrd. Euro obwohl ein großer Teil dieser Menschen bereits in Behandlung ist und wir viele Milliarden für deren Behandlung ausgeben. Woher wissen Sie denn eigentlich ob zusätzliche Mittel überhaupt die finanziellen Folgen der psychischen Störungen verhindern würden?

Ihr zweiter Joker scheint der Return on Investment in der Studie von Dr. Nübling zu sein. Aus Ihrer Sicht rechnet sich die Investition in Psychotherapie in jedem Fall mit einem ROI von mindestens 1:2. Sie haben leider vergessen zu erwähnen, dass es sich bei der Kalkulation der gesamtgesellschaftlichen Kosten um eine wenig präzise Modell-Rechnung handelt, die bisher nicht durch Daten aus der „Wirklichkeit“ belegt werden konnte. Dr. Nübling räumt das in seiner Studie auch ein: … für eine präzisere Ermittlung volkswirtschaftlicher Kosten in Versorgungsstudien wäre eine anspruchsvollere Datenbasis nötig …“

Ich finde es gut wenn Menschen politisch aktiv werden um für ihre oder die Rechte anderer kämpfen. Die Art und Weise wie Sie es tun, finde ich nicht gut. Sie tun so, als würde es Ihnen um Fairness und Gemeinwohl gehen, dennoch beschleicht mich in jedem Satz das Gefühl dass ausschließlich Ihr eigenes Weiterkommen im Mittelpunkt steht. Ich habe nichts entdecken können, welche Nachteile Sie in Kauf nehmen möchten, um dem Gemeinwohl zu dienen.

  1. Wir engagieren uns unentgeltlich für die Petition und stecken somit unsere Freizeit hinein. Selbst wenn wir mit der Petition erreichen würden, dass wir Sitze für „lau“ bekommen würden, was nicht mal das Ziel der Petition ist (Siehe Stichwort „Deckelung“), hätten wir somit dafür gearbeitet. Sie können genausogut auch der Fridays for Future Bewegung vorwerfen, sie würde beim erreichen ihrer Ziele nur die saubere Luft atmen wollen, auf kosten anderer.
    Die Petition weist aus unserer Sicht auf einen Missstand hin, es scheint 55000 Menschen zu geben, darunter viele Psychotherapeut*innen mit Kassensitz, die diesen auch sehen. Dass Sie diesen Missstand aus einem Neo-Liberalen Blickwinkel nicht sehen, ist ihr gutes Recht. Als heilender Beruf sehen wir die Psychotherapie jedoch an ethische Verpflichtungen und das Gemeinwohl gebunden. Das heißt verkaufende Psychotherapeuten sollten ihre Entscheidung, einen Nachfolger zu empfehlen, nicht an Gewinnmaximierung orientieren.
  2. Wir erkennen keinen Sinn hinter den von Ihnen geposteten Link. Wir wissen, dass in deutschland Kassensitze zu Verkauf stehen.
  3. Bezüglich MVZs: Investor geführte Zahnärztliche MVZs rechnen 30 Prozent mehr ab PRO PATIENT, als andere Zahnärzte (Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV)). Die KV Baden-Württemberg gibt an, dass die Zahl der Operationen am Grauen Star in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent gestiegen sei, parallel zum Wachstum bei MVZ. Wir wüssten keinen Grund, wieso dies bei psychotherapeutisch geführten MVZs anders sein sollte.
  4. Die Angabe der Nübling Studie bezieht sich auf die Inhalte der LDN ,in der immer wieder angeführt wird, dass durch eine bessere Versorgung auch Kosten eingespart werden können. Diese These wollten wir mit Zahlen untermauern. Es handelt sich hierbei um eine mehrfach zitierte und peer-reviewte Studie. Natürlich ist sie, wie jede wissenschaftliche Studie kritisierbar, was Nübling jedoch auch transparent macht. Sie stellen über die Studie jedoch Behauptungen auf, ohne alternative Zahlen liefern zu können, was den Eindruck erweckt, das durch Psychotherapie keine Kosten gespart werden könnten. Dies ist jedoch eine subjektive Wahrnehmung ihrerseits die Sie nicht mit Daten untermauern. Zudem ist die Nübel Studie nicht die einzige, die auf Einsparungen durch Psychotherapie hinweist. “Margraf (2009) fasst zusammen, dass „in 95% der einschlägigen Studien (54 Studien mit über 13.000 Patienten zwischen 1998 und 2008) (…) eine be­deutsame Kostenreduktion durch Psycho­therapie (Cost Offset Effekt) gefunden wurde“.
  • Inwiefern wir irreführend zitiert haben erschließt sich uns anhand ihrer Ausführung nicht. Sie werfen uns vor, nicht erwogen zu haben, dass alle (auch behandelte Patient*innen) in die 1.8% miteinfließen. Dabei ist doch die Rede vom Bruttoinlandsprodukt. Wir kämen niemals auf die Idee, das jemand annehmen könnte, dass aus einem BIP die behandelten Patienten rausgerechnet werden könnten.
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