Ich bin seit rund 15 Jahren im Gesundheitswesen in verschiedenen Funktionen tätig gewesen mit einem besonderen Schwerpunkt auf Krankenhausorganisation.
Im Status quo können wir drei wichtige Punkte festhalten:
- Es gibt bereits heute einen massiven Pflegefachkräftemangel
- Bereits in den vergangenen 1,5 Jahren haben Tausende diesen Job aufgegeben
- Das Ausscheiden setzt massive Beschleunigungsspirale in Gang.
Schauen wir uns also die Zahlen an:
- Rund 30% der Pflegenden sind ungeimpft (Daten aus LdN)
- Es arbeiten rund 2 Mio. Pflegende in DE (= 600 Tsd. Ungeimpfte)
- Es gibt Anteil in Gesamtbevölkerung von rund 10% der sich niemals impfen lässt.
Daraus ergibt sich ein potenzieller Exit von Pflegenden von rund 200 Tsd. Personen, die dann voraussichtlich mittel- bis langfristig nicht mehr in diesem Beruf arbeiten werden (wie schon Zehntausende in den Jahren davor). Welche Folgen würde das nach sich ziehen:
- Extreme Unterversorgung bis hin zur Rationierung von Leistungen (Kliniken)
- Vorübergehend gar keine verfügbaren Altenpflege-Kapazitäten
- Prekäre Versorgungssituation für viele Pflegebedürftige
- Ausbau der Schwarzarbeit ungeimpfter Pflegender außerhalb des (staatlich kontrollierbaren) Regulierungsrahmens.
Kurz gesagt wird die Situation für alle Beteiligten deutlich schlechter. Bei Rationierung und Fehlversorgung werden ebenfalls sehr viele Menschen sterben. Besonders in der Altenpflege wird der informelle Sektor stark vergrößert. Die Pflegekräfte sind ja noch da und auch der Bedarf für Pflege ist da. Es wird jetzt aber im Schwarzmarkt stattfinden, zu deutlich schlechteren Bedingungen für alle. Es bedeutet auch:
- verfügbares Einkommen entscheidet, wer sich Pflege leisten kann (auch im formellen Bereich wird alles viel teurer wegen Knappheit)
- arme Menschen werden überhaupt keine Pflege mehr erhalten (Angehörige müssen dies mit übernehmen, was Menschen in prekären Situationen, Alleinerziehende etc. noch mehr unter Druck setzt)
- durch die leidende Qualität (außerhalb staatlicher Kontrolle) werden (besonders Ärmere) früher sterben.
Das soweit als Zusammenfassung der Folgen eines großen Exits bei Pflegenden aus dem regulären System, infolge einer möglichen Impfpflicht.
Was wären Alternativen zur Impfpflicht?
- umfangreiche Kontrollen und Testungen (auch Geimpfter) analog Ende 2020 in Gesundheitseinrichtungen
- zusätzliche aufklärende Maßnahmen für die spezielle Zielgruppe (Impfmythen)
- Auffrischungsimpfungen besonders gefährdeter Personen und potenzieller Überträger
- kurzfristig sollte auch die Bundeswehr Zusatzkapazitäten zur Versorgung von Patienten aufbauen (gab es nicht in Berlin auch extra ein Zentrum?).
Die Frage wäre ohnehin bei einer möglichen Knappheit an Impfdosen bei der Auffrischung, ob es überhaupt sinnvoll ist nun Energie in die Ausdehnung der allgemeinen Impfquote zu stecken, wo doch die Personen für die Auffrischung Schlange stehen und umgehend durchgeimpft werden könnten.
Wo setzt man also die Prioritäten? Die Auffrischung bei den Vulnerablen ist die sichere Variante, um über den Herbst/Winter zu kommen. Eine Impfpflicht in Gesundheitseinrichtungen würde ohnehin bedeuten, dass die (heute ungeimpften) Personen erst in frühestens 6 Wochen den vollen Impfschutz hätten. Wo erzielt man also den größeren und schnelleren Effekt?
Zum Vorschlag höherer Vergütung in der Pflege gibt es noch folgende Anmerkungen:
- mittelfristig auf jeden Fall sehr wirksam und dringend notwendig
- kurzfristig können nur hohe Prämien helfen (letztes Jahr nur Versprechungen)
- aktuell kaum Bereitschaft der Arbeitgeber (siehe aktuelle Streiks insbesondere in Berlin; SPD, Linke und Grüne haben kein Herz für Pflegende in der Berliner Landesregierung)
- zurzeit sind die Arbeitsbedingungen das größere Problem (als Löhne).
Mit der Vergütung kann man jedoch niemanden locken, der zu den 10% gehört, die sich niemals impfen lassen wollen. Es wird hier immer in den Raum gestellt, dass die Ungeimpften dann kündigen würden. Es gibt aber aus Sicht der Arbeitnehmenden in DE ein viel besseres Instrument: Krankmeldung (siehe auch Bsp. der Feuerwehrleute aus NY). Wenn die Impfpflicht kommt, meldet man sich krank (6 Wochen volles Gehalt bei Lohnfortzahlung, 1,5 Jahre Krankengeld). Sollte dies ein Großteil der Ungeimpften tun, würde man nicht nur die Fachkräfte verlieren, sondern auch noch dafür bezahlen, dass sie Zuhause sitzen (obwohl sie eigentlich gesund sind).