Großmachtstreben vs. Freiheit/Frieden - ein Widerspruch?

Im Zuge des Ukraine-Konfliktes wird auch immer wieder das Großmachtstreben Russlands erwähnt.
Heute gab es dazu eine interessante Serie auf ZDF Info zur russischen Geschichte seit dem Zarenreich.

Nehmen wir mal die aktuellen Großmächte:

  1. Russland.
    Russland war schon seit Peter dem Großen und Katarina der Großen sehr expansiv ausgerichtet. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Zarenfamilie war Russland eher mit internen Problemen befasst, erst nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Sowjetunion wieder zur Weltmacht - bis Ende der 90er, wo die ehemalige Weltmacht zur russischen Föderation schrumpfte.
    Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges (den die USA als Sieg für sich verbuchen) lässt Russland, trotz angeblich vorheriger mündlicher (!) Zusagen, das es keine NATO-Osterweiterung gäbe, unter Jelzin die Erweiterung der NATO zu.
    Nun nimmt Putin diese „Zusage“ wörtlich und sieht die NATO-Osterweiterung als Bedrohung, und fühlt sich nach Obamas Bemerkung als Weltmacht nicht mehr ernst genommen.
    Ziel Putins ist damit offenbar wieder die Expansion Russlands zu einer „Sowjetunion“, eher als zentrale Ordnungsmacht auf dem europäischen Kontinent. Somit sieht sich Russland in eigenem Verständnis als Gegenmacht zu den USA. Das in einer Art Diktatur.
    Zu Putins Motivation: Wer Putin genau zuhört, versteht den Kern seiner düsteren Ideologie - FOCUS online

  2. USA
    Auch die USA verfolgen natürlich, wie Russland, primär eigene Interessen, und sind auch bereit, dafür über Leichen zu gehen. Als Demokratie natürlich nach außen hin im Einklang mit Völkerrecht und ethischen Grundsätzen, auch immer im Namen der Demokratie unterwegs. Allerdings haben wir unter Trump gesehen, das es auch sehr nationalistische Tendenzen in des USA gibt, ein America First klingt in der Welt nicht vertrauenserweckend. Aber aktuell beharren die USA weiter auf Ihre Einflusszonen in Europa, Afrika, Asien und Südamerika.

  3. China

China wurde bis weit ins letzte Jahrhundert belächelt und nicht ernst genommen, hat sich nun aber als wirtschaftliche und bald auch militärische Weltmacht etabliert. Und fordert nun auch seinen Platz an der Spitze der Nahrungskette, vor allem Einfluss im asiatischen Raum. Als Diktatur/Autokratie ähnlich motiviert wie Russland, ähnlich unbelastet vom Völkerrecht, aber eher noch durch wirtschaftliche Abhängigkeiten gebremst.

Die Frage wäre, hat die Welt überhaupt eine Chance auf ein friedliches Miteinander, solange diese drei Weltmächte um primär eigene Interessen kämpfen, dabei auch vor Gewalt nicht zurückschrecken?

Interessant dazu: Die Strategien der Großmächte, Geopolitik - Gesellschaft - Planet Wissen (planet-wissen.de)

2 „Gefällt mir“

Was meinst du mit „nach außen hin“? Der Irak-Krieg war klar außerhalb des Völkerrechts, Guantanamo ebenso, die vielen Mordanschläge auf Castro damals und die Invasion der Schweinebuch ebenso wie die zahlreichen Regime-Changes (z.B. Allende) ohnehin. Die ethischen Grundsätze des Einsatzes von Agent Orange in Vietnam sind wohl auch klar…

Der Unterschied ist eher, dass Russland hier einen Zivilisationsbruch vollzieht, weil Russland einen Krieg mit dem Ziel von Gebietsgewinnen führt, was seit dem Ende des zweiten Weltkrieges eigentlich ein Tabu ist, weil wir aus der Geschichte gelernt haben, wozu es führt, wenn wir das zulassen.

Aber wir müssen in der Tat die USA wesentlich stärker kritisieren und eigentlich auch sanktionieren, wenn sie das Völkerrecht brechen. Das Problem ist aber, dass wir als Europäer von den USA weiterhin militärisch abhängig sind, sodass wir immer nur „Du du du!“ sagen können, aber keine Konsequenzen folgen können. Das muss sich ändern.

Auch gegenüber China halten wir uns mit Sanktionen stark zurück, weil wir die Konsequenzen befürchten. Wir als Europa sind leider zu oft in der Situation, dass Sanktionen uns selbst mehr schaden als demjenigen, den wir sanktionieren wollen.

Das ist das Problem, das wir schon häufiger angesprochen haben. Die einzige wirksame Abschreckung vor einem Angriffskrieg scheinen Atomwaffen zu sein, was dazu führt, dass sich Einflusssphären bilden. Daher: Die Nicht-Atommächte müssen entweder unter den Schutzschirm einer Atommacht schlüpfen oder selbst Atomwaffen bauen (siehe Nordkorea, Iran, Israel usw.).

Opfer von Angriffskriegen werden nur Länder, die nicht wirksam von einer Atommacht verteidigt werden, siehe Ukraine, einige Fälle in Afrika, Irak und co… aber selbst wenn irgendwann alle Länder unter einem atomaren Schutzschirm stehen werden Länder wie Russland, China und die USA versuchen, ihren Einfluss in der Einflusssphäre der anderen Länder auszubauen und dort „Volksaufstände“ zu erzeugen, von denen sie dann wieder profitieren können.

Man kann nur hoffen, dass die Vernunft irgendwann siegen wird, aber so lange Länder wie Russland und China ihre Bevölkerung wirksam medial abschotten und propagandistisch prägen können ist schwer zu sehen, wie sich diese Vernunft entwickeln soll. Das ist halt das Problem mit Pazifismus: Er entwickelt sich nur in einer halbwegs freien Gesellschaft…

2 „Gefällt mir“

Wenn man bei Russland die historische Perspektive bemüht, kann man das bei China auch tun. Ganz im Gegensatz zum muskowitischen Russland hat China keine lange Tradition des Expansionismus. Stattdessen gibt es eine starke Tradition von einer Art Selbstgenügsamkeit und Isolation. Aus dieser Richtung steht einem friedlichen Miteinander eigentlich nicht viel im Wege - wenn man die „chinesische Frage“ rund um Taiwan mal außen vor lässt.

Auf der anderen Seite würde ich Russland nicht in einer Reihe mit aktuellen oder künftigen Großmächten wie USA/China nennen. Das Land ist sehr groß und setzt die eingebildeten Interessen seiner Eliten mit Gewalt durch, ist aber wirtschaftlich wie militärisch eine Mittelmacht. Die Europäische Union ist deutlich mehr Großmacht als Russland es ist, auch wenn sie weniger konsistent wirkt.

Alles in allem sehe ich einem chinesisch-amerikanischen Dualismus mehr Chancen als in jeder anderen Weltmachtkonstellation. Beide weisen keinen drängenden territorialen Expansionismus auf, wie es Imperien des 19. Jahrhunderts oder Russland heute tun. Sie sind auch stark miteinander verwoben und haben wirtschaftlich kein großes Interesse an einer direkten Konfrontation. So haben beide von einem eskalierenden Konflikt eigentlich nichts zu gewinnen (außer die Taiwan-Kiste) und gleichzeitig sehr viel zu verlieren. Aus solchem Stoff ist Frieden gemacht.

2 „Gefällt mir“

Ich finde die Fragestellung viel zu simplizistisch. So wie sie gestellt ist, scheint sie fast eine rhetorische Frage zu sein, impliziert aber gleichzeitig, dass der „unnatürliche“ Zustand der Existenz dreier Hegemonialmächte den „natürlichen“ Zustand einer friedlichen Koexistenz stört.

Zunächst Mal, die Weltgeschichte ist voll von Konflikten, ob mit oder ohne Hegemonialmächte. Und selbst wenn die Konflikte zwischen diesen drei Mächten komplett zum Erliegen kämen, wäre die Welt noch unendlich weit von Bullerbü entfernt. Die Zahl der innerstaatlichen Konflikte (Waffengewalt und Rassismus in den USA, Unterdrückung der Uiguren in China, Repressionen gegen Homosexuelle in Russland, Drogenkriege in Mexiko, um nur eine sehr kleine Auswahl zu nennen) wie zwischenstaatlichen Konflikte (Russland/Ukraine, Russland/Georgien, Israel/Iran, China/China, Indien/Pakistan, Griechenland/Türkei usw.) ist ohne Zahl. Die wenigsten davon haben etwas mit Interessenkonflikten der Großmächte zu tun außer, dass sie ggf. von diesen instrumentalisiert werden.

Die Existenz von Interessenkonflikte und die daraus folgenden Auseinandersetzung als Funktion der Existenz von Großmächten darzustellen, wird der Komplexität der Konflikte in kaum jemals gerecht, wird also auch zu keinem Erkenntnisgewinn beitragen.

Auf der anderen Seite, wenn Du versuchst, die Konflikte der Welt durch diese Brille zu analysieren, dann läufst Du sehr schnell Gefahr, den Putins dieser Welt auf den Leim zu gehen. Die Ukraine zB als Zankapfel zwischen den USA und Russland zu sehen, ist eine Art false balance. Es ist eben nicht so, dass hier zwei Seiten an einer Möhre ziehen und dabei letztlich das gleiche Recht auf diese haben. Russland hat in revisionistischen Geschichtsverständnis und im Glauben, militärisch haushoch überlegen zu sein, einen „kleinen“ Nachbarstaat überfallen. Die USA unterstützen nun dieses unabhängige Land, das sehr klar in Wort und Tat seinen Willen zum Ausdruck bringt, unabhängig zu bleiben.

Man kann zwar darüber spekulieren, welche Interessen die USA dabei verfolgen --vermutlich nicht ausschließlich humanitäre-- aber das muss immer zweitranging bleiben hinter der Feststellung, dass hier ein von Russland verschuldeter, völkerrechtswidriger Angriffskrieg vorliegt. Der Versuch, diesen Krieg als Kollision der Interessen USA/Russlands zu interpretieren, wird kaum neue Erkenntnisse bringen, ist zur Relativierung der Rolle Russlands ausgesprochen nützlich. Ähnliches würde für einen Überfall der VR auf die Republik China gelten.

Die ganze Fragestellung führt also in die vollkommen falsche Richtung.

1 „Gefällt mir“

Anders ausgedrückt:

Hängt Wohl und Wehe bei Grossmächten vor allem von den handelnden Personen an der Spitze der jeweiligen Regierung ab?

Russland unter Gorbatschow trat anders auf als jetzt unter Putin.
China wurde erst unter der jetzigen Führung extrovertierter.
Die USA unter Trump war eine andere wie unter Biden oder Obama.

Die grundsätzlichen Ziele waren und sind sucher immer ähnlich nur das Auftreten und die Ausprägung der personenzentriert.
Auch spooky

1 „Gefällt mir“

Das scheint mir bei allen politischen Entitäten der Fall zu sein. In weniger bewegten Zeiten und in Demokratien können die Unterschiede geringer sein. Aber auch ein Brandt war merklich anders als ein Kiesinger oder ein Schmidt.

Gorbatschow war nie russischer Präsident. Er war Generalsekretär/Staatspräsident der KPdSU und damit genauso gut Staatsoberhaupt der Ukraine und Kasachstans wie Russlands. Der Vergleich mit Putin hinkt daher.

Wenn man es möchte, könnte man Jelzin zum Vergleich heranziehen. Bei einer Grundgesamtheit von nur zwei Präsidenten der russischen Föderation ist es aber eher schwierig, irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Wenn man sich die russische Vorgehensweise im ersten Tschetschenienkrieg ansieht, kann man aber durchaus auf die Idee kommen, dass der Hang zu oder die Indifferenz gegenüber militärischer Gewalt auch bei Jelzin nicht gering war.

4 „Gefällt mir“