Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Urteil BAG Erfurt

Hallo zusammen, sicher wird es in der nächsten LdN behandelt, aber mich interessiert trotzdem eure Meinung zur Entscheidung des BAG Erfurt zu ungleichen Löhnen zwischen Mann und Frau. Demnach ist die Begründung des Verhandlungsgeschicks kein zulässiges Argument für eine unterschiedliche Bezahlung.
Paukenschlag für Equal Pay – Bundesarbeitsgericht fällt Grundsatzurteil nach GFF-Verfahren: Gleiche Bezahlung ist keine Verhandlungssache - GFF – Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V..

Mir leuchtet das absolut ein und ich halte es auch für einen Meilenstein, aber nach dem, was ich aus Tagesschau und Zeit-Online dazu gelesen habe, sehe ich auch deutliche Kritikpunkte. Da die Klage von der GFF unterstützt wurde, vermute ich, kann @vieuxrenard dazu sicher etwas sagen.

Zur Kritik: Wir laufen gerade in vielen Branchen in einen Fachkräftemangel hinein und die Arbeitgeber überbieten sich in diesen Branchen teils mit Abwerbeangeboten. Mir (IT für die Energiewirtschaft) ging es letztes Jahr so. Ich bewarb mich bei der Konkurrenz (mehr zur Übung als aus tatsächlichem Interesse). Das Konkurrenzunternehmen bot mir für exakt die gleiche Arbeit wie bisher etwa 1/5 mehr Gehalt. Darauf hingewiesen zog mein Arbeitgeber diskussionslos mit. Am Ende standen für mich 20 % mehr Gehalt und wesentlich mehr Homeoffice auf der Habenseite, wo vorher angeblich kein signifikanter Spielraum bestand. Die Verantwortung oder Aufgabenbereiche änderten sich für mich nicht.

Ist das in Zukunft noch realistisch möglich? Ich befürchte hohe Abwerbeangebote dürften seltener werden, da Unternehmen überprüfen müssen, wie sich, dass auf ihre bisherige Gehaltsstruktur auswirken würde. Auch im eigenen Unternehmen dürften solche Verhandlungen wie oben beschrieben unwahrscheinlich werden, zumindest wenn es Frauen in vergleichbarer Position gibt.

Stattdessen könnte es mehr Trittbrettfahrertum geben, im Sinne von „Verhandel du Mann mal für uns mit. Dann bekommen wir alle mehr Gehalt, aber nur du machst dich unbeliebt.“. Tatsächlich habe ich so etwas sogar schon in der Forschung erlebt.

Wenn es so kommt, müsste ich (und vielleicht auch viele andere) mich wohl perspektivisch als IT Berater für meine aktuelle Abteilung selbständig machen, damit ich wieder frei mit dem Arbeitgeber über Gehalt verhandeln kann. Wäre das wirklich besser? Wäre das gesamtgesellschaftlich wirklich wünschenswert?

Das ist ja dann kein Abwerbeangebot, da die Firma nicht auf Dich zugekommen ist. Du hast Dich beworben, um ggf. ein höheres Angebot zu bekommen und Deinem Arbeitgeber die Pistole auf die Brust zu setzen. Dann muss man nicht über Leistung und Qualifiktion diskutieren, das ist natürlich sehr komfortabel.

Genau da macht das Urteil ja einen Punkt. Er verbietet ja nicht die ungleiche Bezahlung, sofern es objektive Kriterien gibt, die das rechtfertigen und ein besseres Verhandlungsgeschick ist eben keine. Mehr Verantwortung, besondere Aufgaben, mehr Berufserfahrung schon. Ich muss mir als Arbeitgeber eben jetzt mehr Gedanken bzgl. Aufgaben, Qualifikation und Tätigkeiten machen.

Ich hoffe einmal, dass auch Männer klagen können, wenn ein männlicher Kollege für gleiche Arbeit und Qualifikation ein höheres Gehalt bezieht. Das wäre ja sonst eine Ungleichbehandlung :nerd_face:.

3 „Gefällt mir“

Es ist nicht der Untergang des Abendlandes, dass endlich was gegen Ungleichbehandlung passiert. Es ist nach Jahren des Arbeitgebermarktes wohltuend, dass dich endlich das Bewusstsein für einen Arbeitnehmermarkt durchsetzt. So könnten endlich die gedrückten Reallöhne wieder das passende Niveau erreichen. Ich bin übrigens dafür, dass jedes Unternehmen jeder Größe die Gehälter offen legen muss für jeden, und zwar nicht auf Anfrage. Damit entfallen auch Unmengen dieser würdelosem Gehaltsverhandlungen in denen leider oft auch manipulativere Charaktere gewinnen.

2 „Gefällt mir“

Das Wort, das du suchst, lautet „Gewerkschaft“. :wink:

6 „Gefällt mir“

Die Firma ist auf mich über ein Karriere-Netzwerk zugekommen. Eine Bewerbung musste ich natürlich trotzdem einreichen und 2 angenehme Gespräche führen. Die Initiative ging von der Konkurrenzfirma aus. Daher spreche ich von Abwerbung.

Und genau damit schwächt es mich in der oben beschriebenen Situation. Ich muss nun mehr Erfahrung vorweisen oder mehr Verantwortung übernehmen um eine bessere Bezahlung durchzusetzen.

Das habe ich doch auch nicht behauptet. Ich habe das ja bewusst als Meilenstein bezeichnet und begrüßt.

Dafür bin ich auch. Mir scheint, aber dass du mit keinem Wort auf meinen Beitrag eingegangen bist.

Das trifft es nicht ganz. Ich bin Gewerkschaftsmitglied, daher kenne ich das Prinzip etwas. Die Macht der Gewerkschaften resultiert daraus, dass sie viele Mitglieder koordiniert in den Arbeitskampf treten lässt, nicht nur den einen.

Der Trittbrettfahrer-Gedanke schadet aktuell aber den Gewerkschaften. War es früher noch üblich Mitglied zu sein, hinterfragen heute viele, ob sie die Gebühren nicht sparen können. Die Erhöhung bekommen schließlich auch nicht-Gewerkschafter.

Wir müssen beispielsweise alle 2 Jahre händeringend um Neumitglieder kämpfen. Die Verdi schreibt uns zum Beispiel einen Mindestanteil von 25% Mitgliedern an der Belegschaft vor, ansonsten vertritt sie uns nicht.

Trotzdem sind Gewerkschaften zweifelsohne ein wichtiger Ansatz für mehr Lohngerechtigkeit.

Im Kern sagt das Urteil eher aus, dass bei gleicher Arbeitsleistung gleicher Lohn zu zahlen ist.
Dies geht jedoch an der Realität der Beschäftigung vorbei. Es ergibt Sinn, Menschen auch trotz oder gerade wegen ihrer gleichen Arbeitsleistung im Verhältnis zu anderen Faktoren anders zu entlohnen. Teilweise liegt der Anreiz sogar auf ArbeitnehmerInnenSeite. Für diese Menschen wäre der Zwang der gleichen Bruttoentlohnung einer Nettobelastung gleichkommend.
Wenn - wie in diesen Fällen- ArbeitnehmerIn und ArbeitgeberIn auf eine von der von Referenz-ArbeitnehmerInnen abweichenden Lohn ansetzen könnten, wäre dies im Sinne der Vertragsfreiheit wünschenswert. Diese Freiheit scheint hier bedroht.

Beispiel:
Eine Person arbeitet von 5-11 Uhr und eine Person von 11-17 Uhr. Beide Personen verrichten dieselbe Arbeit. Da die Arbeit extrem Energieintensiv ist, wird versucht möglichst viele ArbeitnehmerInnen in den Zeiten billiger Energie zu beschäftigen- also von 11-17 Uhr.
Hier sollte - trotz der identen Arbeitsleistung- für den/die ArbeitgeberIn eine solche Inzentivierung dieser Schicht möglich sein.

Personalkosten sind ein Faktor- aber es muss möglich sein, andere Faktoren in die Lohnbepreisung einfließen zu lassen. Dies scheint durch dieses Urteil fragwürdig, da es nur auf die Leistung des Arbeitnehmenden abhebt und Preisfaktoren des Arbeitgebenden zum Zeitpunkt des Arbeitsleistenden ignoriert.

Ich glaube, das macht in Deinem Beispiel keinen großen Unterschied. Du bekommst jetzt „diskussionslos“ 20% mehr. Bisher ist die Geschichte damit erledigt.

Zukünftig müsste der Arbeitgeber vorher überlegen, ob er Dir die 20% mehr zahlen kann, wenn Deine zwei Kollegen und drei Kolleginnen, die das gleiche machen wie Du auch automatisch, ungefragt 20% mehr bekommen müssen.

Andererseits wird die Konkurrenzfirma, nachdem sie Dich nicht bekommen hat, natürlich weiterhin Leute suchen, und demnach auch allen Deinen Kollegen und Kolleginnen ein Abwerbeangebot machen. Dann gehen die auch alle nacheinander zum Chef und verlangen 20% mehr. Dein Chef kennt das nun ja schon und macht das ebenso „diskussionslos“.

Vielleicht hast Du die 20% auch nur deshalb diskussionslos bekommen, weil Du der letzte warst, den die Konkurrenzfirma abwerben wollte, und Deine Kollegen alle schon vor Dir beim Chef waren und ihre 20% abgeholt haben. :wink:

„Hier sollte - trotz der identen Arbeitsleistung- für den/die ArbeitgeberIn eine solche Inzentivierung dieser Schicht möglich sein.“
Das kannst Du als AG auch machen. Die Tarifverträge sind voll von solchen „Zeitzuschlägen“.

Gleiche Arbeit zu unterschiedlicher Tageszeit darf anders entlohnt werden? Dann ist das doch der Weg raus für alle Arbeitgeber. Alle Arbeitnehmer werden je nach Lohn ein paar Minuten zeitversetzt anfangen gelassen- schon ist die gleiche Arbeit nicht mehr gleich zu entlohnen.

Ein Steuersparmodell erwächst hieraus auch:
Eine Person wird wissentlich geringer entlohnt als eine andere. Dadurch spart sich das Unternehmen über Jahre die Abgaben und Steuern, ebenso der geringer entlohnte Arbeitnehmer. Dieser kann über die Zeit gegebenenfalls einen Kredit von dem Unternehmen bekommen. Nach ein paar Jahren klagt dann der geringer entlohnte Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber und bekommt die ausgleichende Lohnforderungen nachgezahlt. Der Zinseszinseffekt sowie die Zeitkomponente der Steueraufschiebung sollte das für alle (bis auf den Staat) lukrativ ausgestaltbar werden lassen.