Gleichberechtigung in (Sport)vereinen, Wettkeschern in Memmingen

Hallo Ulf, Philip und Team!

Ich bin seit einiger Zeit treue Lage-Hörerin und fühle mich so immer gut aktualisiert.

Selbst studiere ich im Master u.a. Sportwissenschaft und bin als Feministin politisch aktiv. Auch wissenschaftlich beschäftige ich mich intensiv mit Feminismus-Themen, besonders im Kontext Sport.

Deshalb hat mich euer Beitrag zum Wettkeschern sehr positiv überrascht. Mehr jedoch noch, dass ihr die Frage aufgeworfen habt, wie das denn jetzt mit Sportvereinen aussieht. Diese Frage stelle ich mir auch seit geraumer Zeit und freue mich, dass auch Personen, die nicht vom Fach sind, auf dieses Thema kommen. Denn im Studium sprechen wir darüber so gut wie nicht, Literatur, die Antworten liefert, habe ich bisher nicht gefunden.

Wie ihr schon angedeutet habt, ist es schwierig einen Wettkampf, der auf körperlichen Voraussetzungen beruht, zu führen, wenn diese nicht in irgendeiner Art und Weise genormt sind. In kaum einem anderen Gebiet wie dem Sport ist die Zweiteilung auf Basis der Kategorisierung nach Geschlecht deshalb so dermaßen üblich.
Das führt schon zu einigen Problemen:

  • Sind alle Männer und Frauen denn dann genau gleich? Machen Größe, Muskeln, taktisches Können etc. keine Unterschiede? Und wollen wir das denn alles normen?
  • Was ist mit den Personen, die nicht cisgeschlechtlich als Männer oder Frauen einzuteilen sind? Damit meine ich intergeschlechtlichen Personen (Stichwort: dritte Option), aber auch trans* Personen, also Personen, die von der Gesellschaft in die falsche Kategorie gepackt wurde, aufgrund ihres Körpers.

Ein Beispiel:
Ich habe Interviews mit trans* Männern (Personen, die bei Geburt als „Mädchen“ kategorisiert werden, es aber nicht sind) über ihre Zeit im Schulsport und ihre Wünsche an den Sport geführt. (Anmerkung: Das war ein sehr kleines Projekt, bisher nur 2 Interviews und nicht auf Güte geprüft). Eine Person hat leidenschaftlich gerne Fußball gespielt. Vor dem Outing (also wenn diese Personen der Umwelt mitteilen, dass sie eigentlich ein anderes Geschlecht haben), hat diese Person in einer Mädchenmannschaft gespielt. Nach der Einnahme von Hormonen, Umschreiben des Geschlechtseintrags, Namensänderung etc. dann natürlich nicht mehr. Es ist ja auch kein Mädchen, warum also in dieser Mannschaft spielen? Außerdem darf die Person als Mann auch gar nicht in einer „Damen“-Mannschaft spielen. Nur in einer „Herren“-Mannschaft spielen, funktioniert leider auch nicht. Die Person ist viel kleiner als die Mitspieler und hat weniger Muskelmasse, da sie in ihrem Leben nicht so viel Testosteron bekommen hat, wie die anderen (durch die Produktion ihres Körpers selbst). Eine Teilnahme am Wettkampfsport, oder auch ein gemeinsames Training, fällt schwer, denn es liegen nicht die geeigneten Vorausetzungen vor.
Das Beispiel natürlich wirklich nur als kleines, anschauliches Fragment eines größeren Problems.

Die Strukturen des Wettkampfsports, die binär-geschlechtlich (Mann-Frau) gedacht sind, sind meiner Überlegungen nach zutiefst diskriminierend und exklusiv. An erster Stelle für Personen mit nicht binärer-cis-Geschlechtlichkeit (cis-geschlechtlich = wenn Personen sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei Geburts zugewiesen wurde). Aber auch für Personen, die einfach in Mannschaften mitmachen wollen, die auf nur ein Geschlecht gerichtet sind und es keine Alternativen gibt (wie in eurem Beispiel).
Zudem führt ein Reduzieren des ganzen Betriebes auf die einfache Kategorisierung nach Geschlechtern zum Auslassen anderer Unterschiedlichkeiten, die Körper auch aufweisen. Geschlecht wird hier als ein überstrahlendes Merkmal erhoben und andere Unterschiede verschwinden scheinbar. Das führt zur Reproduktion dieser Ordnung und zur Exklusion aller, die nicht in die Kategorien passen. Da gibt es z.B. viele Frauen (cisgeschlechtlich) im Profisport, die nicht „klassisch“ weiblich wirken und sehr gute Leistungen bringen. Ihnen wird dann häufig Doping, etwa mit Testosteron, oder gar ganz unterstellt, dass sie vielleicht doch Männer oder intergeschlechtlich seien. Manchmal führt auch eine kritische Menge an Testosteron zum Ausschluss vom Wettkampfsport. Ein prominentes Beispiel aus diesem Kontext ist etwa das von Caster Semenya (Caster Semenya – Wikipedia).

Um einmal zum Schluss zu kommen:

Ich freue mich sehr, dass euch das Thema aufgefallen ist. Vielleicht habt ihr und v.a. andere Personen in diesem Forum, Interesse dieses Thema zu diskutieren. Es ist für mich ein wichtiges, aber auch sehr emotionales Thema. Deshalb bitte ich um eine angemessene Gesprächskultur und konstruktiv formuliertes Feedback jeder Art.

Noch befinde ich mich im Studium und auf der Suche nach Antworten, die ich aber intensiv in den verschiedensten Kursen, Diskussionen, Lektüre uvm. zu finden versuche. Vielleicht kann mir ja auch der Austausch hier ein paar Ideen liefern, wie der Sport offener für Gender-Diversität werden kann?
Hier ein paar Ideen, die allerdings auch an ihre Grenzen stoßen.

  • Mehr Mixed-Mannschaften, wie z.B. im Volleyball → die Teamstruktur müsste sich ändern, weniger Fokus auf homogene Personengruppen, als auf die Nutzung der körperlichen Diversität im Team
  • Extra-Ligen für trans*, inter*, nicht-binäre Personen (ähnlich den Paralympics) → leider eher eine exkludierende Praxis, eine Option gemeinsam zu wettkämpfen wäre doch schöner

Mir ist bewusst, dass mein kleiner Kommentar hier nicht besonders gut belegt ist. Ich habe mehr meine Gedanken und Ergebnisse von Überlegungen und Projekten aufgeschrieben, um einen Austausch anzuregen. Wenn ich dazu publizieren wollte, dann würde ich vermutlich auch ein anderes Medium suchen und wesentlich mehr Zeit investieren. Bitte sehr mir aber diese Ungenauigkeit nach.

Ganz liebe Grüße

Ronja

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Es ist in der Tat ein sehr spannendes Thema. Und wie du richtig schreibst, ist das Problem eben auch, eine „bessere“ Lösung zu finden.
Ich selber bin als Mann in zwei Sportarten aktiv. Der eine ist Basketball, hier ist natürlich die binäre Geschlechtertrennung stark vorhanden. Und es fällt mir auch einfach für diesen Sport spezifisch keine besser Lösung ein. In der Breite sind die physischen Niveaus zu krass unterschiedlich. Tatsächlich hätten Transpersonen dessen körper sich zu Anfang biologisch weiblich entwickelt hat, selbst auf unterstem Niveau mitzuspielen.
Der andere Sport ist Ultimate Frisbee - ein tatsächlich kontaktloser Sport in dem zwar auch das unterschiedliche Leistungsniveau zwischen den Geschlechtern auffällt, aber nicht so gravierend ins Gewicht fällt. Allerdings auch, weil es meist Pflicht-Quoten gibt, die erfüllt werden müssen, und daher die Zusammensetzung auf dem Feld auch ähnlich ist. Direkte Matchups sind dann wieder Mann gegen Mann und Frau gegen Frau. Ob also Mixed-Sport eine Lösung ist, bezweifle ich sehr, und könnte es mir höchstens in Individualsportarten unter Profi-Niveau, die nicht ausschließlich auf Athletik konzentriert sind wie Golf oder Tennis vorstellen.

So bin ich entweder einfallslos oder eiskalt, aber ich glaube, für das Trans-„problem“ im Sport gibt es keine gute Lösung. Genauso wie es auch andere Menschen gibt, die einfach „unsportlich“ sind und halt leider nicht im Dorfverein mitkicken können.

Ich frage mich, ist das ganze dann immer noch per se Diskriminierung im politischen Sinne?

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Hallo Klabautermann,
danke für deine Antwort und die Gedanken zu meinem Beitrag.
Besonders deine Anmerkungen zu Ultimate Frisbee finde ich gewinnbringend für meine Überlegungen, weil ich gerade auch an solche Sportarten mit einem „mixed-Modell“ gedacht habe, als mögliche Lösung. Trotzdem scheint auch dieser Sport nicht vor der Falle gewabnet zu sein, wieder in binäre Denkweisen abzudriften.
Vielleicht wäre eine Lösung für die Matchups, dass nicht nach Geschlecht, sondern nach anderen ähnlichen Merkmalen vorgegangen wird. Also kleine dünne Personen, gegen kleine dünne Personen usw. Aber an sich kenne ich den Sport auch zu wenig.

Du hast insgesamt das Problem genau so erkannt, wie ich auch. Sport, sowohl auch Dorf-/ Breitensport, als auch auch Profi-Niveau ist in vielen Fällen einfach nicht tauglich für nichtbinäre / trans*-Personen.

Ich würde allerdings problematisieren, dass „unsportliche“ Personen z.B. nicht im Verein mitspielen dürften. Auch das obligt der Vereinssatzung, die eben diskriminierungsfrei sein muss (so wie auch in dem Fall, der in der Lage besprochen wurde).
Sport ist meiner Ansicht nach ein hochpolitisches Thema. Er hat große wirtschaftliche Bedeutung, ist ein Merkmal, mit dem sich Städte, Länder und vor allem der Bund präsentieren (Weltmeisterschaft, Olympia uvm.) und ein Bereich, in dem Demokratie, soziales Miteinander gelernt werden. Im Vereinssport Gleichbereichtigung groß zu schreiben, auch Minoritäten zu berücksichtigen und eine Teilhabe zu ermöglichen, ist nicht nur ein Beispiel für eine diskriminierungsfreie Praxis, sondern auch auf pädagogischer Ebene sehr relevant, denn im Sportverein finden sich immerhin viele Kinder und Jugendliche wieder und werden hier sozialisiert.

Ich greife schon wieder sehr weit - aber um deine Frage zu beantworten: Ich hablte das auch für eine diskriminierende Form, wenn Personen auch hier aufgrund von Geschlecht oder körperlichen Merkmalen („Unsportlichkeit“, uvm.) per se ausgeschlossen werden.

Trotzdem ist das System nur schwer zu ändern. Schließlich ist der Sport ja so beliebt und in den oben beschriebenen Bereichen wirkmächtig, weil er ist, wie er ist. Es stellt sich die Frage wie vielen Menschen er den Spaß nimmt, wenn so grundlegende Änderungen gemacht werden, wie vielleicht nötig wären, um in allen Bereichen inklusiver zu werden.

Wie in meinem Eingangsbeitrag beschrieben finde ich dafür auch keine Lösung.

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Ich bin gerade durch Zufall auf diesen Thread gestoßen, der schon acht Monate alt ist. Meine späte Antwort mag also etwas seltsam erscheinen, aber ich wollte doch einen kleinen Aspekt ansprechen, und das Thema ist schließlich heute noch genauso aktuell wie damals.

Der Aspekt ist:

Gerade Basketball ist doch eine Sportart, in der es ganz offensichtlich auf eine physische Eigenschaft ankommt, die nur mittelbar mit dem Geschlecht zu tun hat, nämlich die Körpergröße. Da sollte es doch ein leichtes sein, Teams ähnlicher Größe zusammenzustellen, ohne auf das Geschlecht zu schauen. Die Körbe könnte man dann entsprechend höher oder niedriger hängen (müsste man aber nicht).

Boxer werden Gewicht sortiert, in fast allen Sportarten gibt es Altersklassen. Eine geschlechtsunabhängige Klassifizierung halte ich daher nicht für abwegig.

(Ich muss allerdings dazusagen, dass ich nicht im Verein Sport betreibe, also keine Erfahrung damit habe, welche Hürden es in der Praxis gäbe.)

Auch wen der Thread echt alt ist, wollte ich dieses Kommentar von rph nicht einfach stehen lassen.

Es ist schon recht verwegen, den Basketballsport auf die Körpergröße zu reduzieren. In der wohl besten Profiliga, der NBA, spielten Menschen mit Körpergröße unter 1,60m und über 2,30m. Und auf dem Feld sind jeweils völlig unterschiedliche Akteure - nicht jeder ist einfach nur so groß wie möglich. Schnelligkeit, Geschick, Sprungkraft, Technik etc. zählen natürlich ebenso dazu. (Größen-)Homogene Teams würden zudem viel tatkische Elemente eliminieren und der Amateursport ist nicht ausreichend breit aufgestellt, um dann jedem auch Spielmöglichkeiten zu geben. Das gilt wohl für alle Sportarten. Beim Volleyball muss man auch nicht nur groß sein oder beim Hockey nur gut mit dem Schläger umgehen können (da der Ball da ja am Boden bleibt wäre ja sogar die Größe egal…).
Hinzu kommt, dass auch bei gleicher Körpergröße der physische Unterschied zwischen biologischen Männern und Frauen nachwievor enorm ist. In der weiblen US-Profiliga WNBA wurde seit bestehen der Liga bspw. nur 22 mal ein Dunking geschafft. Weniger als bei den Männern in nur einem Spiel vorkommen kann. Selbst männliche, jugendliche Amateure deutlich unter 1,90m schaffen locker Dunkings - im weiblichen semi-profi Sport (Regionalliga) und vermutlich selbst bei den Profis (Bundesliga) in Deutschland fast niemand. Unterschiedliche Schnelligkeit und Kraft kommen hinzu. Das gilt auch für alle Sportarten. Gleich große Männer und Frauen (biologisch) im gleichen Alter sind bei vergleichbarem Trainingsstand völlig unterschiedlich leistungsfähig. Daher wird auch Boxen nicht nur nach Gewicht, sondern auch nach Geschlecht getrennt. In den USA hat zudem, als weiteres Beispiel, eine U15- Jungen Vereinsmannschaft die Profi-Nationalmannschaft im Fußball geschlagen (wenngleich es ein Freundschaftsspiel war)…

All dies verdeutlicht, dass ein gemeinsames Ausüben von Teamsport von biologischen Männern und Frauen nur in den seltensten Fällen kompetetiv funktionieren kann.

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Oh, ja, sorry! Da habe ich mich zumindest recht unglücklich ausgedrückt. Es ist klar, dass ich jemandem zu Nahe treten würde, wenn ich ihm sage „Du bist ja groß, kein Wunder, dass Du gut Basketball spielen kannst!“ Und eine solche Haltung könnte man aus meinem „es kommt auf die Körpergröße an“ herauslesen. Das war aber nicht, was ich gemeint habe. Entschuldigung, wenn das so angekommen ist!

Ich will es mal anders und vorsichtiger formulieren, indem ich es als Frage stelle:
Kann man nicht aus der Tatsache, dass viele Basketballspielys ziemlich groß sind, schließen, dass die Größe eine physische Eigenschaft ist, die womöglich einen größeren Einfluss auf die Spielstärke hat als die typischen physischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Interessant finde ich übrigens folgenden Einwand:

Das könnte man ja eigentlich auch als Argument für gemischtgeschlechtliche Teams, also für eine Aufhebung der Geschlechtertrennung wenigstens bei Mannschaftssportarten anführen.

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Nein. Bin zwar kein Basketballexperte, aber selbst wenn man sich mal sehr kleine Spieler mit 1,60m und sehr große mit 2,20m nimmt, beträgt der Größenunterschied maximal 60cm, während die Sprunghöhe zwischen einem Hobbyspieler und einem NBA-Profi sich in aller Regel vermutlich nochmal mindestens um dasselbe unterscheiden wird.

Und genau da liegt dann auch das (ein) Problem. Die durchschnittliche Körperlänge von (im weiteren Text immer gemeinten) biologischen Männern und Frauen unterscheidet sich gar nicht so sehr, die Muskelkraft bei vergleichbarem Trainingsstand aber schon.

Obwohl z.B. beim Volleyball das Netz bei den Männern fast 20cm höher ist, als bei den Frauen, haben Männer auf vergleichbarem Leistungsniveau trotzdem eine höhere Reichweite über der Netzkante als Frauen, weil sie einfach von Natur aus mehr Sprungkraftpotential haben.

Klar könnte man also überall im Sport die Geschlechtertrennung aufheben, aber in sehr vielen beliebten Sportarten wären Frauen dann eben nie mehr in den Spitzenwettbewerben vertreten und würden sich praktisch ausschließlich in den unteren Ligen tummeln.