Liebes Lage der Nation Team,
Vielen Dank für eure Berichterstattung zum Thema Reform des Gesundheitssystems - das ist bitter nötig.
Ich möchte euch auf einen Aspekt aufmerksam machen, den ihr bislang nicht beleuchtet habt: die Geburtshilfe. Hier gibt es eine ganze Reihe an Aspekten, ich beschränke mich auf folgende:
- In der aktuellen S3-Leitlinie (höchste Stufe) wird die 1:1 Betreuung während der Geburt durch eine Hebamme angeraten. Das ist in der Realität aber reines Wunschdenken. Selbstverständlich kann es vorkommen, dass man entweder so viele Komplikationen erlebt oder einfach Glück hat, dass man eine „leere“ Schicht erwischt und man tatsächlich eine Hebamme während der Geburt für sich hat. Das ist aber in keiner Klinik garantiert - so sind die Schichten gar nicht besetzt. Es sind zumeist noch nicht einmal so viele Hebammen im Dienst wie Kreißsäle zur Verfügung stehen und die Hebammen müssen (je nach Klinik) auch noch Schwangere aufnehmen und betreuen, die z.B. wegen Blutungen (also nicht wegen Geburtsbeginn) die Klinik aufsuchen. Es gibt haufenweise Bericht von Frauen, die während der Geburt allein gelassen wurden. Dazu gibt es auch eine Umfrage des Deutschen Hebammenverbandes, in der die weit überwiegende Anzahl der Hebammen angibt, bis zu vier Frauen gleichzeitig betreuen zu müssen. Dies alles, obwohl es genug Studien gibt, die belegen, dass die 1:1 Betreuung durch eine Hebamme die sicherste Form der Geburt ist - klar, die Fachfrau für Geburt kann sich ankündigende Komplikationen nur wahrnehmen, wenn sie auch da ist.
Es gibt übrigens Konstellationen, in denen eine 1:1 Betreuung garantiert ist: Bei Geburtshausgeburten und Hausgeburten. Das ist im Rahmenvertrag der Hebammen mit den gesetzlichen Krankenkassen festgelegt. Würde eine Hebamme gegen diese Auflage verstoßen, würde sie riskieren, vom Vertrag ausgeschlossen zu werden. Die Folge wäre, dass sie keine Leistungen mehr mit den gesetzlichen Kassen abrechnen könnte - also quasi ein Berufsaus.
Vereinzelt gibt es auch (echte) Beleghebammen, die man im Vorfeld kennenlernt, die in Rufbereitschaft warten und die einzelne Frau in die Klinik begleiten. In Bremen haben vor einigen Jahren die letzten aufgegeben, weil die Versicherung zu teuer ist. (Achtung, in Bayern gibt es ein System von „Beleghebammen“, die nicht das oben beschriebene tun, sondern in einer Art Selbstständigkeit einer Klinik zugeordnet sind, das hat mit 1:1 dann wieder nix zu tun.)