Ja, das sehe ich auch so. Es reicht nicht, dass der Brauch, i.e. geduldete und gefeierte geschlechtsspezifische Gewalt eingesetzt als Symbol für patriarchale Unterdrückung, jetzt auf öffentlichen Druck eingestellt wird und das das Ende vom Lied ist, es muss juristische Konsequenzen geben.
Wie kann es sein, dass der Bürgermeister und die lokale Polizei es zugelassen haben, dass faktisch einmal im Jahr ein rechtsfreier Raum entsteht, in dem vom GG gesicherte grundlegende Rechte verletzt werden? Diese Praktik steht verschiedenen fundamentalen Werten unserer Rechtsordnung entgegen bzw. verletzt sie und das wird im aktuellen Diskurs einfach nicht benannt! Wie kann das sein?
Art. 1 GG: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Art. 2.2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Art. 3 GG: „(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Aber auch grundlegende menschenrechtliche Verpflichtungen Deutschlands, die sich z.B. aus der EMRK ergeben, sind potenziell verletzt. Politikwissenschaftlich kann man wohl von einem „Law-Norm-Gap“ sprechen, wenn also die Gesellschaft bzw. Teile davon die Werte geltender Gesetze/ Menschenrechte nicht mittragen. Hier durch Traditionen gewachsene patriarchale Gewalt.
Es würde mich wirklich sehr interessieren, das einmal durch euch aufgearbeitet zu hören. Vor allem auch, weil es in Bayern wohl noch ähnliche Praktiken gibt, bei denen anstatt von der Heimwehr von dem Wahlfang, wie auf Borkum, Hexenverbrennungen nachgespielt werden. Dort werden auch Frauen gejagt und dann wird symbolisch eine Puppe verbrannt, hat mir eine andere Studentin aus der Region berichtet. Es scheint einfach kein Problembewusstsein dafür zu geben?! Menschenrechte gelten unabhängig davon, ob deren Verletzung durch Traditionen begründet wird. Das Problem dabei scheint auch zu sein, dass es bei diesen Bräuchen nie einen wirklichen Bruch mit der gewaltvollen Vergangenheit gab. Hexenverbrennungen waren nunmal ein systematischer Femizid über Jahrhunderte hinweg und es gibt anscheinend in manchen Gemeinden keinen historischen Bruch damit. Ich denke, dass dieser Brauch auf Borkum nun publik geworden ist, sollte dazu führen, dass wir uns in der BRD mal ganz grundlegend fragen, ob es noch mehr solcher unbekannter gewaltvoller Praktiken gibt und darauf hinzuwirken, sie der Öffentlichkeit publik zu machen, um dann eine gesellschaftliche Diskussion einzuleiten und Lösungen zu finden, um mit solchen Praktiken in Deutschland umzugehen.
Um dann wirklich auch Gerechtigkeit zu schaffen, muss auch dem Vergessen entgegengewirkt werden, bisher „geheime“ Bräuche sollten publik gemacht werden, Verantwortlichkeit muss klar benannt werden und das Leid Betroffener muss anerkannt werden. Anscheinend sind auf Borkum über Generationen hinweg Mädchen und Frauen damit aufgewachsen, dass es ganz normal ist, wenn sie einmal im Jahr geschlagen werden. Eine Betroffene hat ja auch berichtet, dass das schon auf dem Spielplatz zwei Wochen vor dem eigentlichen Fest anfängt, dass Jungen Mädchen jagen und schlagen. Ich finde das zeigt ganz gut, warum ein einfaches „jaja, wir hören damit aufgrund des öffentlichen Drucks jetzt dann mal auf, sorry Leute“ nicht ausreicht.