Gesellschafts-Vision für eine digitale Zukunft

Liebes Lage-Team,

ich möchte euch ein, wie ich finde, hervorragendes Buch von Richard David Precht empfehlen: Jäger, Hirten, Kritiker. Darin greift Precht die zunehmende Digitalisierung und damit einhergehende gesellschaftliche Umbrüche auf und entwirft das Bild einer wünschenswerten Zukunft.

Precht entwickelt Gedanken über das Menschenbild insgesamt, bleibt aber nicht vage philosophisch, sondern zeigt konkrete Ansätze auf, diese Gesellschafts-Vision anzusteuern; zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, Regeln für Datenschutz.

Gerade die laufende Sondierungsphase einer neuen Bundesregierung bietet Gelegenheit, von weitreichenden und visionären politischen Ansätzen zu träumen; dieses Buch hat mich dazu angeregt.

Ich würde mich freuen, wenn ich euer Interesse geweckt habe, euch mit Prechts Gedanken auseinanderzusetzen und vielleicht einige Anstöße in einer der nächsten Folgen zu thematisieren.

Viele Grüße

Felix

Ich habe ehrlich gesagt selbst noch nichts von ihm gehört oder gelesen. Einige Freunde von mir halten ihn allerdings für einen furchtbaren Schwätzer. Und nun hat er in einem Podcast neulich alle möglichen Schwurblerthesen zum Thema Impfen vertreten:

Für mich hat er sich damit intellektuell disqualifiziert. Daher glaube ich nicht, dass ein Buch über die Digitalisierung aus seiner Feder mir etwas bieten kann.

Aber vielleicht hat ja jemand Lust, einige zentrale Thesen aus dem Buch hier aufzuschreiben? Das wäre dann ggf ein Anlass, meine Position noch mal zu überdenken.

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Das Verrückte an der Sache finde ich, dass Precht in vielen Themen bis vor etwa 3-4 Jahren echt gute Perspektiven hatte.

Ich habe mich eine ganze Zeit lang intensiv mit seinen Thesen befasst, einige seiner Bücher gelesen und finde noch heute, dass viele seiner Überlegungen gut sind. Das erste Mal als mich seine Einstellungen wirklich gestört haben, waren die Unwahrheiten, die er über Batterie-Elektroautos erzählt hat. Trotz anderslautender Faktenlage stellte er sich hin und propagierte offen eine unkorrekte Faktenlage.

Sein eigener Selbstanspruch ist es, die Inseln aus Expertise zu verbinden und damit ein stimmiges Gesamtbild zu erstellen. Dies gelingt ihm aus meiner Perspektive seit einigen Jahren nicht (mehr). Ich frage mich, ob er einfach ein Problem mit seinen Quellen hat und daraus falsche Rückschlüsse zieht. Precht begründet seine Thesen praktisch immer, kommt aber irgendwie seit dem besagten Zeitraum zum „falschen“ Ergebnis. Im Falle des Elektroautos ist es klar, dass seine Ausgangslage, also die Zahlen, die er für seine Schlussfolgerung verwendet hat, falsch waren. Schlimm ist insbesondere, dass er so unsouverän ist, dass er trotz Hinweise auf seine Fehleinschätzung seine Meinung nicht korrigiert.

Vereinfacht gesagt ist meine Wahrnehmung: Er spricht mittlerweile von Dingen, von denen er zu wenig versteht und redet dann einfach mal eine These heraus, die dann aber so sein muss, weil er ja lange darüber nachgedacht hat.

Da der Artikel im Spiegel hinter der Paywall liegt, hier ein Zitat von Wikipedia:

Im Podcast mit Markus Lanz vom 29. Oktober 2021 kritisierte Precht bisherige staatliche Coronamaßnahmen. Er würde Kinder niemals mit den neuartigen Imfpstoffen impfen lassen, weil ihr sich „im Aufbau begriffenes Immunsystem“ nicht „manipuliert“ werden dürfe. Es gehe nicht darum, „dass jeder Deutsche geimpft ist und das Corona-Virus im nächsten Jahr aus der Welt ist“. Er sehe keine rechtliche Basis, die Impfung einzufordern. Jeder Einzelne müsse „mit sich selbst frei entscheiden können, ohne dass da ein gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird“. Precht sprach sich für einen vorsichtigen Umgang mit den „gentechnischen“ Impfstoffen aus, da Wirkungen, die nach längerer Zeit sichtbar würden, noch nicht bekannt sein könnten. „Die Nebenwirkungen einer Impfung können wir genauso wenig abschätzen wie die Gefährlichkeit oder die Wirkung des Coronavirus“. Seine Sicht der Maßnahmen belegte Precht teilweise mit eigenen Erfahrungen. Nach der Zweitimpfung habe es ihn „für eine Woche umgehauen“. Precht forderte, die Pandemie politisch zu beenden und den Gesundheitsschutz wieder in die Verantwortung der Bürger zu stellen. Er behauptete, in der Grippesaison 2017/18 wären mehr Menschen gestorben als an COVID-19 und zog damit indirekt die offiziellen Zahlen zu den Todesfällen in Zweifel

Um mal einfach meine Argumentatsionskette sichtbar zu machen:

  1. mrna-Imfpstoffe basieren auf Gentechnik, machen aber nichts mit den eigenen Genen.

  2. Anekdotische Beweisführung ist keine Quellenlage

  3. das Argument mit der Grippesaison ist wissenschaftlich wiederlegt.Zudem sind ja eben viele Menschen auch nicht an Grippe gestorben, weil es einen Lockdown gab.
    Coronavirus - Tägliche Todesfälle im Vergleich zur Grippe | Statista

Es scheint also, dass Herr Precht sich (mittlerweile?) mehr auf sein Bauchgefühl, als Fakten verlässt, was ihn eigentlich ein Bisschen zu einem typischen „Boomer“ macht.

Ich möchte jedoch @fsmaus recht geben, es gibt gute und faktenbasierte Argumente, die er gerade in gesellschaftlichen Themen vorbringt und über die man mal nachdenken kann. Es gibt aber durchaus auch andere, eventuell besser geeignete Vordenker in den betreffenden Bereichen.

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Danke für euer schnelles Feedback. Die jüngeren Äußerungen von Herrn Precht hatte ich nicht auf dem Schirm… ich stimme in Bezug auf Corona absolut mit der Haltung der Lage überein.

Das von mir angesprochene Buch wurde 2018 – vor Corona – veröffentlicht. Daher möchte ich in Grundzügen darstellen, welche Gedanken mich bewegt haben.

Precht entwickelt in seinem Buch eine positive Gesellschafts-Vision (sog. Utopie): bereits heute zeichnet sich eine zunehmende Überforderung durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Roboter ab, bei der viele bestehende Formen von Lohn- und Erwerbsarbeit überflüssig werden. Precht plädiert dafür, durch ein bedingungsloses Grundeinkommen neue sinnstiftende Tätigkeiten als Alternativform von Arbeit zu ermöglichen.

Im Zusammenhang digitaler Technik nennt Precht auch den Schutz persönlicher Daten und informationeller Selbstbestimmung als dringliche Aufgaben des Staates.

Beide skizzierten Motive prägen häufig Beiträge der Lage: soziale Gerechtigkeit, Umgang mit Daten. Daher denke ich, dass euch das Buch durchaus auch ansprechen könnte. Es bietet keine einfache Lösung für große Themen, sondern liefert Denk-Anstöße. Genau das macht für mich den Reiz bei diesem Buch aus.

@Justjaythings: welche anderen, eventuell besser geeigneten Vordenker in den betreffenden Bereichen kannst du uns empfehlen?