Hier werden ähnliche Argumente wie im Strafvollzug vorgebracht, wobei das Thema ähnlich komplex ist. Das Argument ist häufig, dass Behindertenwerkstätten große Gewinne einfahren würden und deshalb auch die Menschen mit Behinderung besser bezahlen könnten.
Diese Logik hat mehrere Probleme:
Behindertenwerkstätten werden auf vielerlei Arten mit staatlichen Mitteln gefördert. Ohne staatliche Förderungen könnte keine Behindertenwerkstatt auch nur ein annähernd wirtschaftlich positives Ergebnis erzielen. Beispielsweise bekommen Behindertenwerkstätten von den Jobcentern massive Unterstützungen, weil die Menschen mit Behinderung dort oft im Rahmen einer Maßnahme arbeiten, vor allem in der ersten Zeit (sog. „Eingangs- und Berufsbildungsbereich“). Den Großteil der Einnahmen bekommen die Werkstätten aber tatsächlich von den Pflegekassen. Diese Förderungen sind natürlich auch Querfinanzierungen. Dazu sind die Werkstätten als gemeinnützig anerkannt und deshalb von der Gewerbe- und Körperschaftssteuer befreit, was auch eine Subventionierung darstellt.
Würde der Staat diese Werkstätten daher als „normale Unternehmen“ behandeln, wäre es nicht einmal möglich, die aktuellen Löhne zu zahlen, geschweige denn, den Menschen mit Behinderung noch mehr Lohn zu zahlen (von den dort arbeitenden Sozialarbeitern, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten usw. mal ganz abgesehen…).
Fakt ist einfach, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung sehr teuer ist und ohne diese ganzen Subventionierungen nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich wäre. Dadurch haben wir hier die gleiche Situation wie im Strafvollzug: Es ist letztlich eine politische Entscheidung, wie gut man die Menschen mit Behinderung entlohnen möchte. Natürlich kann man regeln, dass sie den Mindestlohn erhalten müssen, aber dann ist halt klar, dass der Staat dieses Geld wiederum zuschießen muss, sonst wird keine einzige Werkstatt das überleben.
Behindertenwerkstätten dienen eher der Beschäftigungstherapie als der Gewinnerzielung. Das gilt übrigens auch für den Strafvollzug (man würde sich wundern, wie viele Gefangene klar sagen, dass die Arbeit im Strafvollzug ein extremer Gewinn an Lebensqualität im reizarmen Umfeld des Strafvollzugs ist…).
Mal ein paar Zitate aus dem Jahresabschluss für 2020 der „Freckenhorster Werkstätten“ (bei denen im damals vor’m Studium mal ein Praktikum gemacht hatte), öffentlich einzusehen beim Bundesanzeiger:
Die Werkstatt erwirtschaftet 30 % der Erlöse durch wirtschaftliche Tätigkeiten und 70% der Erlöse über die Betreuungsleistungen für Beschäftigte (Pflegesatzentgelte).
Bedeutet: Der Großteil der Einnahmen kommt aus der Pflegekasse.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Personalbestand geringfügig auf 283,73 Vollzeitstellen (Vorjahr 286,69 Vollzeitstellen) vermindert. Die Anzahl der Beschäftigten, die in einem arbeitsähnlichen Rechtsverhältnis beschäftigt sind, betrug zum gleichen Zeitpunkt 1.507 Personen
Bedeutet: Auf fünf Menschen mit Behinderung kommt ein Vollzeitangestellter, was massive Kosten verursacht.
Laut Gewinn- und Verlustrechnung betrugen die Erlöse (einschließlich der Gelder aus der Pflegekasse) etwas unter 50 Mio Euro, die Löhne und Gehälter etwa 32 Mio Euro und der Jahresüberschuss unter einer Million Euro. Bedeutet: Selbst wenn man diesen Überschuss komplett an die Menschen mit Behinderung auszahlen würde, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.