Friedenstruppe zur Hamas-Entwaffnung und Durchsetzung des Waffenstillstands im Gaza-Streifen?

Zwingende Voraussetzung eines Waffenstillstand (geschweige denn ein Frieden) im Gaza-Streifen ist eine Friedenstruppe, die diesen effektiv durchzusetzen vermag.

Ich kann mir das in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen. Mir fehlt einfach die Phantasie ….

Beide Seiten, palästinensische Terroristen (allen voran die Hamas), aber auch Israel (das immer wieder die Waffenstillstandsbedingungen im Libanon bricht), sind derart abgebrüht und skrupellos, dass sie eine rein physische Präsenz einer neutralen Truppe ohne Waffen keineswegs von weiteren Kampfhandlungen abhalten würde. Außerdem müssen wir davon ausgehen, dass etliche palästinensischen Terror-Gruppierungen („bewaffnete Milizen“) außerhalb der effektiven Kontrolle der Hamas stehen, welche selbst auch völlig unberechenbar ist.

Die Friedenstruppe müsste die Hamas - und auch andere palästinensischen Terrorgruppen - entwaffnen. Hamas kontrolliert derzeit mit Billigung von den Amerikanern mit Waffengewalt die Region jenseits der „gelben Linie“.

Eine solche Truppe muss daher zwingend mit einem sog. „robusten“ Mandatausgestattet sein, d.h. bereit und fähig sein, effektiv, d.h. mit Waffengewalt Hamas & Co auf der einen und Israel auf der anderen Seite von Kampfhandlungen abzuhalten. Angesichts der Kampfstärke der israelischen Armee: Ist das überhaupt denkbar?

Aber selbst wenn man davon ausginge, die Friedenstruppe müsse nur in der Lage sein, die palästinensischen Terroristen in Schach zu halten (z.B. nach einem Regierungswechsel in Israel?) und zu entwaffnen:

Welche Länder sollen sie „bestücken“?

  • Die Amerikaner wohl nicht: Die werden im Zweifel „hoch und trocken“ außerhalb des Gaza-Streifens die Kontrolle über diese Truppe ausüben und evtl. deren Training vornehmen.
  • Die Türkei, die sich wohl angeboten und als einer der wenigen Ländern vielleicht die Fähigkeiten hat, wird durch Israel vehement abgelehnt (vgl. Interview mit der israelischen Vizeaußenministerin am 30.10. im FAZ-Podcast), weil die „nicht neutral“ sind.
  • Die Armeen der arabischen Länder (die, wenn es in den letzten Jahrzehnten in der palästinensischen Frage darauf ankam und schmerzhaft wurde, immer lieber den Schwanz eingezogen hatten) haben vermutlich weder die Kompetenz, noch die Bewaffnung, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Ob es darüber hinaus klug wäre, arabische auf israelische Soldaten schießen zu lassen?
  • Deutschland ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sonst im Zweifel deutsche auf israelische Soldaten schießen müssten - undenkbar!
  • Irgendwo habe ich gelesen, Frankreich, Italien und noch ein europäisches Land wären im Gespräch. Wirklich?! Denn:
  • Welchem Land wäre ein Frieden im Gaza-Streifen überhaupt derart wichtig, damit die Politiker es vor ihren Wählern vertreten, die Männer und Frauen in eine derartige Lebensgefahr zu schicken?!

I can‘t get my head wrapped around it …

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Ich finde die Idee im Grundsatz schon komplett irre ehrlich gesagt. Wie soll es jemandem auch nur im Entferntesten zumutbar sein sich dazwischen zu stellen? Das geht einfach nicht. Die Hamas entwaffnen - wie? Damit würde man die IDF doch nur durch eine andere Truppe ersetzen. Und vor allem: wie nachhaltig?

Meiner Meinung nach muss man Israel außenpolitisch mit Sanktionen unter Druck setzen und der palästinensischen Bevölkerung Zugeständnisse in einem Umfang machen, die die Situation zumindest so weit befrieden, dass der Anti-Israel-Radikalismus unter den Palästinensern Gelegenheit bekommt in den nächsten 3-5 Generationen auf ein verträgliches Maß abzuebben.

Ich sehe hier weniger Israel als die palästinensische Zivilgesellschaft in der Bringschuld. Die Mehrheit der Bevölkerung, die wohl keine radikalen Islamisten unterstützt, muss sich gegen die Vereinnahmung durch Hamas und Co. zur Wehr setzen. Terror darf nicht belohnt werden und auf jede Aktion folgt eine Reaktion.
Deutschland kann hier durch finanzielle Aufbauhilfe und Ausbildung von Sicherheitskräften sicherlich einen Teil beitragen, aber wenn sich aus der Gesellschaft keine strukturellen Veränderungen ergeben, wird keine auch noch so gut bewaffnete Friedenstruppe für Veränderung sorgen.

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Die palästinensische Zivilgesellschaft ist dazu aber einfach (noch) nicht in der Lage. Du scheinst eine völlig falsche Vorstellung davon zu haben, was es bedeutet, in den Umständen zu leben, unter denen die Menschen dort leben müssen. “Erst kommt das Fressen, dann die Moral” ist auch hier eine tragende Wahrheit. Die Menschen kämpfen um ihr blankes Überleben, ihnen da irgendwelche Bringschulden aufzuerlegen ist einfach unrealistisch, so funktionieren Menschen einfach nicht.

Insbesondere, wenn Israel aktuell im Westjordanland weiter eskaliert und schon jetzt plant, einen wesentlichen Teil des Gaza-Streifens langfristig militärisch zu besetzen (“Pufferzone”), kann man von den Palästinensern im Gaza-Streifen nicht erwarten, die Füße still zu halten. Diese Menschen sind im Krieg groß geworden und haben Israel ihr Leben lang gehasst - leider im Hinblick auf das Westjordanland aus sehr nachvollziehbaren Gründen. Und ja, die Themen müssen zusammen betrachtet werden, fast jeder im Gaza-Streifen hat Freunde und Verwandte im Westjordanland, man sieht sich als Schicksalsgemeinschaft.

Natürlich wäre es toll, wenn die palästinensische Zivilgesellschaft sich komplett gegen die Hamas stellen und Terrorismus unisono verurteilen würde. Aber das ist unter den aktuellen Umständen absolut unrealistisch, wie gesagt, so funktionieren Menschen nicht. Unter den aktuellen Umständen wird es immer einen signifikanten Anteil der Bevölkerung geben, der sich für den bewaffneten Kampf entscheiden wird, weil er den Status Quo aus nachvollziehbaren Gründen nicht für hinnehmbar hält. Das wiederum wird wegen dem militärischen Ungleichgewicht stets zu Terrorismus führen, weil die militärisch derart unterlegene Seite nicht in der Lage ist, “harte Ziele” erfolgreich anzugreifen. Das muss man in der internationalen Politik einfach berücksichtigen, auch dann, wenn man Terrorismus natürlich völlig ablehnt. Es sind einfach Realitäten, mit denen man arbeiten muss.

Israel ist die strukturell starke, gut ausgebaute Macht in der Region. Israel hat z.B. die Möglichkeit, seine Extremisten effektiv zu kontrollieren, etwas, dass die Palästinenser nicht haben. Statt dessen erlässt die Knesset gerade erst ein Gesetz, dass im Prinzip die komplette Annexion des Westjordanlandes zur Folge hat, stattdessen werden Nägel mit Köpfen gemacht, indem das Westjordanland durch neue Siedlungen quasi komplett zerschnitten wird und gegen israelische Siedler, die im Westjordanland Palästinenser töten, wird nahezu gar nichts unternommen. Deshalb sehe ich die primäre Bringschuld bei Israel - Israel hat die Möglichkeit, eine Situation zu schaffen, in der die Palästinenser in erträglichen Zuständen leben können, wobei Israel die Kosten nicht selbst tragen muss (dafür fänden sich genug andere Staaten). Aber Israel muss aufhören, jede Zukunftsperspektive der Palästinenser pauschal abzulehnen, z.B. dadurch, dass eine Zwei-Staaten-Lösung vollständig und ohne jede Kompromissbereitschaft abgelehnt wird. Israel verfolgt seit Jahrzehnten die Strategie, die Palästinenser “unten zu halten”, langsam wäre es mal an der Zeit, von diesem gescheiterten “Morgenthau-Plan” (der auf “Destabilisierung” des feindlichen Gebietes ausgelegt ist) auf einen “Marschall-Plan” (der auf “Stabilisierung” des feindlichen Gebietes ausgelegt ist) zu wechseln. Das kann aber eben nur Israel, nicht die palästinensische Zivilbevölkerung. Und das wäre mMn der erste wichtige Schritt hin zu langfristigem Frieden in der Region.

Wer stattdessen von den Palästinensern fordert, einfach die Füße still zu halten und jede Gegenwehr gegen Israels zweifellos völkerrechtswidriges Handeln zu unterlassen, während Israel weiter einen Morgenthau-Plan verfolgt, braucht sich nicht wundern, wenn sich dort langfristig rein gar nichts zum Guten wenden wird. Den Palästinensern eine Bringschuld aufzuerlegen, ohne ihnen eine zumutbare Zukunftsperspektive zu eröffnen, halte ich daher für völlig falsch.

TL;DR:

Die Bringschuld liegt bei Israel, weil Israel über die Institutionen verfügt, welche die notwendigen Hebel haben, um eine Veränderung herbeizuführen. Eine Bringschuld einer nicht-organisierten Bevölkerung aufzuerlegen ist zum Scheitern verurteilt.

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Die Zukunftsperspektive gibt es längst. Israel hat mit jedem Land gute Verbindungen (und sicherlich keine kriegerische Auseinandersetzung), sofern es nicht als Staats- und Gesellschaftsziel die Auslöschung Israels verfolgt.

Warum sollte das bei den Palästinensern anders sein. Man kann sich auch allzusehr als Opfer ohne eigene Handlungsoptionen gerieren.

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Warum es mit den Palästinensern anders ist als mit allen anderen Ländern der Region liegt offensichtlich auf der Hand: Weil Israel aus religiösen und historischen Gründen Anspruch auf das Land der Palästinenser erhebt und dieses Land Jahr für Jahr, Stück für Stück weiter annektiert. Und Israel hat auch mit den Staaten ein Problem, bei denen Israel doch Land annektiert hat - z.B. ist die faktische Annexion der Golan-Höhen der zentrale Grund, warum Israel auch mit der neuen syrischen Regierung einen schweren Stand hat. Und die aktuelle Besetzung eines Teiles des Libanons wird Israel auch aufgeben müssen, wenn sie langfristig eine gute Beziehung zum Libanon haben will. Ebenso muss es seine Fantasien von Großisrael aufgeben, wenn es eine friedliche Koexistenz mit Palästina will. Das will Israel aber gerade nicht.

Das Argument “Israel schafft es doch auch, mit anderen arabischen Staaten zu koexistieren, wenn das mit Palästina nicht klappt, ist das die Schuld der Palästinenser” ist daher ein ganz schlechtes Argument, weil es eben gerade israelische Staatsräson (vor allem der ständigen Regierungspartei Likud und ihrer rechtsextremen Verbündeten) ist, keinen palästinensischen Staat zu dulden und alles zu tun, um ein vereintes Palästina zu verhindern (bishin zur finanziellen Unterstützung der Hamas, um sie als Gegenspieler gegen die Fatah im Westjordanland im Spiel zu halten). Israel will daher gerade nicht mit Palästina koexistieren, wie es das mit anderen arabischen Staaten durchaus will, weil es eben das Land für sich beansprucht. Wenn du diesen zentralen Unterschied nicht sieht kann ich dir nicht helfen. Die Frage “Warum sollte das bei den Palästinensern anders sein.” zeugt jedenfalls von massiver Unkenntnis des Nahost-Konfliktes.

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Israel hatte sich komplett aus Gaza zurückgezogen. Sowohl militärisch als auch alle Siedlungen abgebrochen. Über eine Teilautonomie sollte der Weg in eine autonome Zukunft eröffnet werden.

Das ist grandios gescheitert. Der 7. Oktober war das Finale.

Ich kann verstehen, dass Israel sich nicht als Konsequenz von den Golanhöhen zurückzieht.

Wer jetzt in Gaza die „Friedenstruppen“ stellen soll, fällt mir auch nicht ein.

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