Folge 394 Ein Brief zum Gastrobesuch

Lieber Ulf, Lieber Philip

Erst mal kurz vorab.

Ich höre Euch seit fünf Jahren und konnte nach gut einem Jahr meinen Vater (mittlerweile 71) für Euren Podcast begeistern.

Wir unterhalten uns oft über Eure Folgen. Ihr gebt mir sehr viele wichtige Informationen, die, die aktuelle politische Lage und der Welt sowie deren Entwicklungen sehr gut beleuchten.

Ich möchte in meiner Email Philips Gastronomiebesuch im Brandenburger Land aufgreifen und die Feststellung des Arbeitskräftemangels in der Branche.

Persönlich komme ich aus einer “Gastrofamilie” und erlernte mit 19 Jahren den Beruf des Kochs und arbeitete auch zeitweise als Kellner.

Ja, natürlich ist mir bekannt, dass die Branche ein hartes Pflaster ist, jedoch hieß es schon in der Ausbildung "Überstunden sind ehrenamtliche Stunden”. Als Zivi bekam ich mehr Sold, als Azubi im dritten Lehrjahr.

Nach Zivi und Fachabitur kam dann die erste Stelle als Jungkoch in einem Restaurant in Münster (Westf.). 850,00€ netto, Gehalt wurde nicht pünktlich überwiesen. Ja, genau man musste den Restaurantleiter anhauen, damit man das Geld bar ausbezahlt wurde. Oftmals Teildienst (Arbeitszeit: 10:00 bis 14:00 Uhr; 4 Stunden Pause; 18:00 bis 22:30 Uhr)

In meiner weiteren zehnjährigen Karriere in der operativen Gastronomie bekam ich nie mehr als 1.100€ netto, oft wurde das Gehalt nicht pünktlich überwiesen, teilweise gab es noch nicht einmal eine Lohnabrechnung, cholerische Chefs, Wertschätzung oftmals nicht gegeben.
Sicherlich sage ich auch, “Gastros sind Idealisten” und in vielen Betrieben darf man während der Schichten kostenfrei Essen. Trinkgeld darf man nicht unterschätzen, aber nicht mit rechnen.

Hinzukommen noch die Arbeitszeiten. dass meistens nicht nach Tarif bezahlt wird, anfangs der Mindestlohn umgangen wurde.

Das sind nur ein paar Beispiele, die ich aus meiner Berufserfahrung wiedergeben möchte und Kolleginnen/Kollegen könnten auch vieles berichten.

Mein Vater ist ebenfalls gelernter Koch und meine Schilderungen gab es schon in den Siebzigern.

Das sind erlebte Fakten, persönlich bin ich ein sehr optimistischer und fröhlicher Mensch.

Ja, es gibt einen Arbeitskräftemangel in Deutschland, jedoch trägt die Gastronomie/Hotellerie einen signifikanten Anteil daran.
Denn es gab über Jahrzehnte keine Weiterentwicklung, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Gehälter, Zulagen, Wertschätzung (Danke, toll gelaufen! So eine Aussage bringt schon viel.), Mitgestaltung, Arbeitsverträge mit geringem Bruttolohn (Rest aufs Wunschnetto wurde “Unter der Hand" ausbezahlt) usw.
Die Corona Pandemie ließ das Fass dann überlaufen, denn durch die schlechten Arbeitsverträge bekamen die Menschen sehr geringes Kurzarbeitergeld, folglich wanderten viele ab. Es war schon lange ein Schwelbrand.

Vor Corona mussten sich in AT manchmal zwei Hotels Personal teilen, damit sie überhaupt öffnen können.

Ich selbst und viele die ich kennenlerne durfte sagten oft, Gastronomie/Hotellerie sehr gerne, aber die Bedingungen stimmen ganz häufig einfach nicht und das schon ewig,

Der allgemeine Arbeitskräftemangel ist dann noch das Plus, aber die Branche trägt auch unheimlich viel selbst Schuld.

Anderen Menschen ein Gastgeber zu sein ist einfach ein tolles Gefühl und macht wirklich Spaß.

Heute arbeite ich als Revenue- und Sales Manager (Remote aus Hamburg, persönlich hat mir Corona in die Hände gespielt) für eine kleine Nürnberger Hotelgruppe, ausgebildeter Hotelbetriebswirt und Resilienztrainer.

Ja, ich bin vom Operativen ins Administrative gewechselt, fühle mich dennoch der operativen Seite sehr verbunden, denn dort liegen meine beruflichen Wurzeln,

Danke Euch fürs Lesen und Euren tollen, informativen, lehrreichen Podcast.

Sven

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Ich glaube, hier liegt das große Problem dieser ganzen Branche.

Durch die Regelung, dass Trinkgeld Steuerfrei ist und ein gesellschaftlicher Druck besteht, Trinkgeld zu geben, haben die Arbeitgeber die Möglichkeit, zu sagen: „Also so schlecht sind die Löhne gar nicht, sie wissen ja gar nicht, wie viel Trinkgeld Köche und Kellner bekommen - und das auch noch steuerfrei!“

Meines Erachtens ist diese ganze Trinkgeld-Kultur ein großes Problem und völlig überflüssig. Warum soll ausgerechnet in den Branchen Gastronomie/Hoteldienstleistungen keine klare Lohnstruktur herrschen, sondern im Prinzip eine völlig willkürliche Entlohnung über Trinkgelder. In Edelrestaurants bekommen die Kellner teilweise steuerfrei tausende Euro pro Monat an „Trinkgeld“, weil bei Essensrechnungen in vierstelliger Höhe eben auch entsprechende Trinkgelder anfallen. Im anderen Extremfall werden Hungerlöhne mit Verweis auf ein angebliches Trinkgeld gezahlt, welches aber eben nicht sicher rein kommt. Dieses ganze System gehört einfach abgeschafft.

Besonders problematisch wird es, weil zu Zeiten von hoher Inflation und Preissteigerungen die Bereitschaft, Trinkgelder zu zahlen, sinkt:

Gerade dieser Zusammenhang ist fatal, weil natürlich vor allem die Geringverdiener im Service-Bereit im aktuellen System in schweren wirtschaftlichen Zeiten auf Trinkgelder angewiesen sind.

Das Trinkgeld war mal als „Bonus“ gedacht, ist aber schon lange zu einem de-fakto-Lohnersatz geworden. Je mehr Trinkgeld gezahlt wird, desto stärker gehen die Arbeitgeber mit dem Lohn runter, weil „das Personal ja schließlich auch noch Trinkgeld bekommt“. Das Trinkgeld gehört daher abgeschafft. Gäbe es statt der Angewiesenheit auf Trinkgeld angemessen hohe Löhne, wäre es vielleicht auch einfacher, Personal für die Gastronomie zu gewinnen. Finanzielle Sicherheit ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor!

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Die Schwierigkeiten der Branche sind größtenteils einfach hausgemacht, denn es wurde sich zu wenig weiterentwickelt.
Das Trinkgeld ist ein Punkt unter vielen.
Das Gesamtbild muss betrachtet werden.
Es wurde durch die Pandemie bedingte Abwanderung auch nur ganz wenig dazu gelernt.