Fehlender Punkt beim Beherbergungsverbot: Kollektive Phänomene

Liebe Lageristen,
zuallererst vielen Dank für viele viele Stunden voll toller Debatten und wertvoller Informationen. Ich bin ein großer Fan!

In der aktuellen Debatte um das Beherbergungsverbot vermisse ich allerdings in eurer Diskussion einen entscheidenden Punkt:
Es geht mMn nicht so sehr um das individuelle Infektionsrisiko. Natürlich habe ich als Dortmunder in München oder Berlin kein per se höheres Risiko, mich oder andere anzustecken. Das Entscheidende ist aber die deutlich stärkere, überregionale Vernetzung. Man hat im Frühjahr gesehen, wie gut es durch Reiseeinschränkungen gelungen ist, die Ausbreitung einzudämmen. Und jedes statistische Modell setzt die „Durchmischung“ der infizierbaren Bevölkerung als einen entscheidenden Parameter. Dazu gehört eben nicht nur eine Einschränkung der sozialen Durchmischung, sondern auch der geographischen. Auch für das Prinzip der Perkolation (das Verbinden kleinerer Cluster zu großen, z.B. besprochen von Prof. Drosten in Folge 54 seines Podcasts oder von Prof. Schneider in seinem Artikel in der Zeit) spielt die „Reichweite“ des Einzelnen eine entscheidende Rolle.

Die Frage ist also meiner Meinung nach nicht so sehr, ob es klar nachweisbare Infektionsketten durch Hotelbesuche gibt, sondern inwiefern ein größerer Radius Einzelner zu einer stärkeren Durchmischung der Bevölkerung und dadurch zu einer statistisch höheren Ausbreitung führt.

Liebe Grüße!

Ich glaube das ist ein Missverständnis: Radius meint in diesem Kontext nicht unbedingt den geographischen Radius, sondern den Radius sozialer Interaktionen. Es hängt also sehr davon ab, wie man seine Reise gestaltet. Wenn man natürlich aus Hintertupfingen zu einem illegalen Rave nach Berlin fährt, dann ist das eine blöde Idee. Wenn man aber aus Berlin mit dem Auto in die Ferienwohnung im Hochschwarzwald fährt und dabei fast niemandem begegnet, dann hat man damit aus infektiologischer Sicht nicht seinen Radius erweitert, auch wenn man viele 100 km zurückgelegt hat.

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Ich würde aber denken, dass der eine den anderen Radius bedingt. Es geht ja auch um Zufallsbegegnungen auf der Straße, in der Bahn, im Hotelrestaurant. Wenn nun im Berliner Hotel X Leute aus ganz Deutschland zu Abend essen, sorgt das eben doch für eine andere Durchmischung, als wenn das nur Leute aus Berlin tun.

Ja, das könnte man denken, aber genau das lässt sich eben empirisch nicht stützen. Die Hygieneregeln für zum Beispiel Restaurants haben ja gerade den Zweck, eine Ansteckung auch dann zu verhindern, wenn tatsächlich jemand Viren verbreitet. Und ganz offensichtlich funktioniert das auch.

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Hinzu kommt doch, dass man ja nicht das Reisen verbietet (also die Entfernung vom eigenen Wohnort) sondern das Übernachten im Hotel. Wenn ich bei Freunden/Familie/in der eigenen Zweitwohnung unterkomme, betrifft mich das Beherbergungsverbot nicht. Genausowenig, wenn ich einen Tagesausflug mache.
Zumal ich jemandem, in dessen Gästezimmer ich schlafe, vermutlich deutlich näher komme, als dem Hotelrezeptionisten.
Natürlich kann man argumentieren, wenn niemand im Hotel übernachten darf, reisen insgesamt weniger Leute, es kommt also insgesamt zu weniger Durchmischung, aber nach meinem Rechtsverständnis (und ich bin da nicht irgendwie qualifiziert, höre nur regelmäßig die Lage) kann man nicht willkürlich eine Gruppe Leute (Hotelgäste) herausgreifen und die einschränken, um die Lage insgesamt zu verbessern, wenn von dieser Gruppe gar keine besondere Gefahr ausgeht.

Regionale Eindämmung kann bestimmt sinnvoll sein, aber dieses Beherbergungsverbot erfüllt diesen Zweck eben gar nicht.

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Ja, da ist wohl was dran. Mein Punkt wäre genau gewesen, die generelle „Grunddurchmischung“ einzuschränken, aber es stimmt wohl, dass die Hotelgäste da nur ein kleiner, willkürlicher Anteil wären.

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Ich finde es seltsam, wenn Grundrechte, welche ja bewusst Rechte des einzelnen sind, mit einer kollektiven Begründung eingeschränkt werden.

Nazis, Linksextreme oder Fußballhuligans dürfen auch erst einmal frei reisen.
Auch hier wäre ein pauschales Reiseverbot viel einfacher. Beispielsweise reisen in den Dannenröder Forst könnten verboten werden. Dann gäbe es dort keine Probleme mit potentiell gewaltsamen Demonstrationen.

Jedoch kann es dem einzelnen nur verboten werden, wenn davor klar ist, dass ein Vergehen geplant wird bzw. auf Grund von Vergehen in der Vergangenheit davon auszugehen ist.

Im Zweifel muss der Staat erst einmal davon ausgehen, dass der Bürger vorhat sich gut zu verhalten.

Wenn Reisen nur gefährlich sind, wenn man essen geht oder zu einer Geburtstagsfeier, sollte eben genau das verboten werden und die pauschal die Reise.

Beispielsweise könnte das Essen-gehen in Restaurants die weiter als 100 km vom Wohnsitz entfernt sind verboten werden.

Einen Aspekt würde ich noch hinzufügen: Wenn ich es richtig verstanden habe, dann steckt man sich auch nur an, wenn die Virenlast der man ausgesetzt ist, entsprechend hoch ist. Und die Virenlast steigt, umso länger der Kontakt ist.

In der Praxis würde das für mich bedeuten: Wenn ich mit dem Auto durch die Republik zu meinen Eltern fahre, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in den 5 Minuten an der Raststätte, jemanden anstecke, relativ gering. Wenn ich dann aber bei meinen Eltern mit Freunden 2h zusammen zuhause am Essenstisch sitze, dann kann es gut sein, dass ich da ggf. andere anstecke.

Ebenso wäre es eher unwahrscheinlich, dass ich im Hotel den/die RezeptionistIn anstecke. Auch ist die Gefahr im Restaurant oder beim Frühstücken im Hotel eher gering, insofern da ordentlich gelüftet wird.