"Endlich weniger Geld für rechtliche Betreuer*innen" - Blockade für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung durch die Neuregelung der Vormünder- und Betreuer*innenvergütung

Die Vergütung von rechtlichen Betreuerinnen soll neugestaltet werden. Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Vormünder- und Betreuervergütung und zur Entlastung von Betreuungsgerichten und Betreuerinnen (https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Neuregelung_Betreuerverguetung.pdf?__blob=publicationFile&v=) veröffentlicht. Die geplante Reform bedroht die Arbeit von rechtlichen Betreuer*innen und Betreuungsvereinen, welche einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung des Betreuungsrechts in der Praxis leisten.

So viel Widerstand und Empörung aller betroffenen Berufsgruppen gegen eine Vergütungsreform in der rechtlichen Betreuung (siehe hierzu diverse Stellungnahmen der Berufsverbände; beispielhaft die Protestaktion der Betreuungsvereine bei der 95. Justizministerkonferenz) gab es bisher noch nie. Das Thema eignet sich um grundsätzlich auf rechtliche Betreuung aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren, da es um grundlegende Selbstbestimmungsrechte geht. Das Thema ist aktuell, es besteht die Möglichkeit der Stellungnahme, bevor die Länder dem Entwurf zustimmen oder ablehnen.

Rechtliche Betreuung dient dazu das Recht auf eine selbstbestimmte Lebensführung zu sichern und zu unterstützen. Eine rechtlicher Betreuer*in kann vom Betreuungsgericht für Menschen eingesetzt werden, die aufgrund von Behinderung oder Krankheit ihre Angelegenheiten nicht mehr selbstständig wahrnehmen können (vgl. §§1814 BGB). Nach Maßstab der Unterstützten Entscheidungsfindung sollen betroffene Personen die erforderliche Unterstützung erhalten, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten.

Die Betreuungsrechtsreform führte zum 01.01.2023 zu einer wesentlichen Verbesserung des Betreuungsrechts. Die Stärkung der Selbstbestimmung (Art. 12 UN-BRK) unterstützungsbedürftiger Menschen ist der Leitgedanke. Rechtliche Betreuung bedeutet Unterstützung zur eigenen Entscheidung (Rechtliche Betreuung von Menschen mit Behinderungen | Institut für Menschenrechte). In Deutschland werden mehr als die Hälfte der rechtlichen Betreuungen ehrenamtlich geführt, von Eltern, Kindern, Geschwistern, anderen Verwandten, Personen aus der Nachbarschaft oder Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Vermutlich kennt jeder im erweiterten Kreis eine Person, die mit dem Thema Berührungspunkte hat. In gesellschaftlichen Debatten ist dieses Thema unterrepräsentiert. Aufgrund eines Unfalls, einer Krankheit oder des fortschreitenden Alters können wir selbst oder enge Familienangehörige jederzeit in eine Situation geraten, in der rechtliche Angelegenheiten plötzlich nicht mehr selbst geregelt werden können. Dann kann eine rechtliche Betreuung erforderlich werden – insbesondere, wenn keine anderen Wege der Vorsorge wie Vorsorgevollmachten, Patientinnen- und Betreuungsverfügungen getroffen wurden.

Die aktuelle Vergütungsreform stellt ein großes Risiko für die Umsetzung der Betreuungsrechtsreform und die damit beabsichtigte Förderung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung dar. Nach einer umfangreichen Evaluierung des Vergütungssystems hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) einen Referentenentwurf zur Neuregelung der Vormünder- und Betreuervergütung und zur Entlastung von Betreuungsgerichten und Betreuern vorgelegt. Mehrere Berufsgruppen, sowie ehrenamtliche Betreuerinnen sollen ab 1.1.2026 eine höhere Vergütung erhalten. Die Vergütungssätze sollen um durchschnittlich 12,7 % erhöht werden. Die Vergütungsreform soll zu einer Erhöhung der Vergütung, zur Vereinfachung zur Entbürokratisierung führen. der Praxis werden die allermeisten Personen dadurch allerdings nicht „mehr Geld“ wie es das BMJ angibt, erhalten. In den meisten Fällen wird es zu einer realen Einkommensminderung führen, die sowohl für Berufsbetreuerinnen als auch für Betreuungsvereine existenzbedrohend sein wird. Zudem sieht der Gesetzesentwurfs keine Dynamisierung der Vergütung vor.

Bei der rechtlichen Betreuung handelt es sich um eine Pflichtaufgabe, die angemessen finanziell ausgestattet werden muss und sich damit einer Deckelung oder Budgetierung entziehen muss. Hier sind die Details zu der geplanten Reform sowie Kritik zu den jeweiligen Änderungen lassen sich hervorragend aus verschiedenen Stellungnahmen entnehmen:

Betreuungsgerichtstag: https://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Stellungnahmen/2024-2026/Stellungnahme_des_BGT_zum_Ref.-Entwurf_VBVG.pdf
Bundesverband der Berufsbetreuer*innen. https://www.berufsbetreuung.de/fileadmin/BdB_Homepage/Der-BdB/Stellungnahmen/2024/BdB-Stellungnahme_Referentenentwurf_15.10.2024.pdf
Aktionsbündnis Vergütung rechtlicher Betreuung: https://www.bi-bv.net/wp-content/uploads/go-x/u/bd23597e-f3b3-49cf-bfd4-de7b1fc4f1c3/AufrufAktionsbundnis20241128_final_1.pdf
Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganistionen: https://www.bagso.de/fileadmin/user_upload/bagso/01_News/Aktuelles/2024/BAGSO_Stellungnahme_Referentenentwurf_Betreuerverguetung_241023.pdf

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Kannst du vielleicht noch darauf eingehen, wieso unterm Strich weniger verdient werden wird, obwohl die Sätze um über 12% steigen?

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Zum einen ist es relativ unklar, woher sich die 12,7% Erhöhung konkret ergeben. Die reale Steigerung der Löhne ist zudem geringer (Gründe dafür sind: Auslaufen des temporärem Inflationsausgleichs, zum 31.12.2025 Verbraucherpreissteigerungen, bereits gestiegene Tarifentgelte, voraussichtlicher Anstieg der Tarifentgelte in 2025). Zudem geht mit der Vergütungsreform einer Reduzierung und Zusammenfassung der Anzahl von Fallpauschalen (60 auf 8) einher, was grundsätzlich begrüßt wird. In den allermeisten Fallkonstellationen (mittellose Personen, die in eigener Wohnung leben, laut Evaluationsbericht des BMJ 52%) werden Betreuerinnen Vergütungseinbußen hinnehmen müssen, da diese Pauschalen im Verhältnis zu Pauschalen für „nicht mittellose“ Personen weniger stark angehoben werden sollen und Zusatzpauschalen gestrichen werden sollen. Das setzt falsche Anreize und führt dazu, dass Betreuerinnen darauf angewiesen sind, grundsätzlich eine höhere Anzahl an Fällen zu übernehmen (trotz bereits bestehender Belastung, zu wenig Zeit für Klientinnen, um den Qualitätsanforderungen gerecht zu werden) oder es fiskalisch attraktiv ist, Menschen in stationären Einrichtungen zu übernehmen. Die ungleiche Verteilung der Mittelsteigerungen zwischen Selbstzahlenden Klientinnen (von 24%) und Mittellosen (10%), deren Kosten die Landesjustizkassen zu übernehmen haben, wirft Fragen auf, warum nicht mittellose Personen, für dieselbe Leistung höhere Preise zahlen müssen als mittellose Personen. Detaillierte Erläuterungen haben die verschiedenen Fachverbände bereits vorgenommen und teils eigene Gutachten zur Vergütungsstruktur erstellt, z.B. der Bundesverband der Berufsbetreuer*innen.

Da ich selbst einige Jahre als gesetzlicher Betreuer gearbeitet habe kann ich nur zustimmen, dass der Großteil der Betreuten eben Mittellos ist.

Aus staatlicher Sicht macht es natürlich Sinn, die Fallpauschalen für „mittellose“ Betreute eher niedrig zu halten (denn die fallen der Staatskasse zur Last) und die Fallpauschalen für vermögende Betreute hoch anzusetzen (zahlt ja nicht der Staat :wink: ). In der Theorie kann man so eine durchschnittliche Erhöhung der Fallpauschalen erzeugen, die in der Praxis aber nicht ankommt.

Grundsätzlich ist die Betreuer-Vergütung seit langer Zeit ein riesiges Hickhack. Bei der Frage, ob die Vergütung ausreicht, kommt es sehr darauf an, was für Anforderungen man an die Betreuer stellt: Wenn wir eine wirkliche „Professionalität“ haben wollen (Unterhalt eines Büros für Klientengespräche usw., am besten mit Bürokraft für dauerhafte Erreichbarkeit; eben wie auch bei Rechtsanwälten und vergleichbaren Berufen) müssten die Pauschalen wesentlich höher angesetzt werden, wenn wir mit dem „Betreuer, der ein Arbeitszimmer in seiner Wohnung unterhält“ zufrieden sind, ist die Vergütung akzeptabel. Viele Betreuungsstellen und Betreuungsgerichte fordern aber eben mittlerweile die „professionelle“ Variante, und wenn das gewünscht ist, muss die Bezahlung auch ausreichen, das zu finanzieren.

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Ich habe vor ein paar Jahren einen mittelosen Mann in einem Pflegeheim ehrenamtlich über 3,5 Jahre betreut. Ich kann es also nur aus dieser Perspektive etwas dazu schreiben.

Als ehrenamtlicher Betreuer konnte ich bzgl. meiner Erfahrungen auf meine Tätigkeit als grüner Herr in einem Pflegeheim zurückgreifen. Dazu gab es einige Schulungen im Umgang mit pflegebedürftigen Menschen. Zusätzlich habe ich meinen Vater über viele Jahre massiv unterstützt und in seinen letzten Lebensjahren gepflegt.

Die Aufwandsentschädigungen waren zu der Zeit noch niedriger und haben nicht einmal ansatzweise die angefallenen Kosten ersetzt. Das lag jedoch auch daran, dass ich mich intensiv um diesen betreuten Herrn gekümmert habe. Für mich heißt Betreuung eben wirklich für den Betreuten so da zu sein, dass die Bedürfnisse tatsächlich gedeckt sind.

Und da sehe ich eine entscheidende Abgrenzung zur Berufsbetreuung. Ich habe reichlich Erfahrung gesammelt in verschiedenen Pflegeheimen, wie sehr sich berufliche und ehrenamtliche Betreuung beim Betreuten unterscheiden. Die Berufsbetreuer, die ich erlebt habe, waren zum allergrößten Teil quasi Verwalter der Rechtsangelegenheiten und Bedürfnisse, aber machten nur sehr kurze Pflichtbesuche in größeren zeitlichen Abständen bei den Betreuten. Somit waren tatsächliche Bedürfnisse der betreuten Menschen oft überhaupt nicht bekannt und wurden daher auch nicht berücksichtigt. Notwendige Maßnahmen wie zb Ersatz für defekte Brillen oder Reparaturen von Rollatoren etc wurden meist sehr zeitverzögert erledigt. Ich habe da heftige Dinge erlebt.

Mir ist klar, dass ein Berufsbetreuer bei einem Dutzend Betreuten und oft mehr nicht die zeitlichen Möglichkeiten hat, genauso intensiv sich um die betreuten Menschen zu kümmern wie ein ehrenamtlicher, aber es sollte schon über den Papierkram hinausgehen.
Ich wiederhole hier nochmals, das sind meine persönlichen Erfahrungen, Beobachtungen und die Erkenntnisse aus Gesprächen mit Betreuten und dem Pflegepersonal aus verschiedenen Pflegeheimen.

Ich kann nicht beurteilen, wie es um die Vergütung steht und ob diese nun zukünftig weniger wird oder nicht. Ich wollte nur einmal einwerfen, wie Betreuung oft aussehen kann. Und je mehr man beruflich betreut, umso weniger Zeit bleibt für die einzelnen Menschen. Wichtig wäre also eine Bezahlung, die eine Balance hält zwischen der Anzahl der betreuten Personen und der notwendigen Zeit, diese auch vernünftig zu betreuen.

Als ehrenamtlicher Betreuer bin ich von diesen Problemen weniger betroffen, da dort ohnehin die Hilfe im Vordergrund steht und nicht eine angemessene Bezahlung.

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Das mag nun hart klingen, aber das ist eben genau das, was ein Berufsbetreuer macht (und weshalb ich die Bezeichnung „Betreuer“ dafür schon immer abgelehnt habe und ich die englische Bezeichnung als „Legal Guardian“ viel passender finde!). Der „gesetzliche Betreuer“ ist für Rechtsangelegenheiten zuständig - er macht keine „Betreuung“ im sozialen Sinne. Gespräche mit dem Betreuten sind daher auch immer mit der Zielsetzung, herauszufinden, welche rechtlichen Angelegenheiten (mit Ämtern, Vermietern, Gläubigern usw.) geregelt werden müssen. Alltagsangelegenheiten sind gerade nicht der Schwerpunkt der Arbeit, sondern die soll der Betreute selbst erledigen (wenn er noch in einer eigenen Wohnung lebt, sollte er das können) oder die werden eben von der Einrichtung, in der er ist, erledigt (Pflegeheim, Betreutes Wohnen). Dazu sollte der Betreuer mit den Einrichtungen geklärt haben, in welchen Angelegenheiten Rücksprache zu halten ist (vor allem, wenn es um Geld geht) und in welchen das Heim ohne Rückfrage tätig sein sollte.

Der Hintergrund ist simpel:
Vor der letzten Betreuungsrechtsreform gab es keine pauschalen Geldbeträge, sondern pauschale Stundensätze, die mit einem pauschalen Stundensatz vergütet wurden. Wie viele Stunden im Monat der Betreuer bezahlt kam, hing wie auch heute von drei Faktoren ab:

  1. Wie lange läuft die Betreuung schon? (neue Betreuungen bekommen für ein paar Monate mehr Stunden)
  2. Ist der Betreute mittellos oder vermögend? (Vermögende Betreute bekommen mehr Stunden)
  3. Lebt der Betreute in der eigenen Wohnung oder in einer Einrichtung? (Eigene Wohnung bedeutet mehr Stunden).

Das bedeutet: Wenn die Betreuung schon länger läuft gab es zwischen zwei Stunden (mittellos, im Heim) und viereinhalb Stunden (vermögend, in eigener Wohnung) im Monat. Nochmal: Im Monat. Heute gibt es keine Stundenvorgaben mehr, sondern Fallpauschalen, aber die Höhe dieser Fallpauschalen basiert noch 1:1 auf den alten Stundenvorgaben, daher: Heute steht den Betreuern ähnlich wenig Zeit zur Verfügung.

Also wie viele persönliche Gespräche und wie viel Regelung von Alltagsangelegenheiten erwartet man bitte bei 2 Stunden im Monat (mittellose Menschen im Pflegeheim machen den Großteil der Betreuten aus!). Gelegentliche Regelungen von Rentenangelegenheiten, Sozialamtsangelegenheiten (Heimkostenübernahme usw.), Konflikte mit dem Pflegeheim und allgemeine Verwaltungsangelegenheiten (Geldzahlungen für diverse Dienste) und der Großteil dieser zwei Stunden im Monat ist weg, wenn das überhaupt reicht. Mehr als ein kurzes Gespräch alle paar Monate ist da einfach nicht drin, man ist quasi darauf angewiesen, dass das Heim hier als Filter wirkt und die wichtigen Dinge an den Betreuer heranträgt, wenn der Betreute selbst es wegen Demenz nicht mehr kann.

Dadurch, dass wir das Ganze aber „Betreuung“ nennen, entsteht genau dieser von dir geschilderte falsche Eindruck, dass damit eine „Betreuung“ im sozialen Sinne gemeint sei. Genau das kann die rechtliche Betreuung aber vor dem Hintergrund dieser Fallpauschalen grundsätzlich nicht leisten (und ist aus Sicht des Gesetzgebers auch nicht ihre Aufgabe).

Ein Dutzend? Von einem Dutzend Betreuter kann kein Betreuer leben, wirklich nicht.

Ein in Vollzeit selbständig tätiger Berufsbetreuer hat 40-60 Betreute und muss dazu noch seinen eigenen enormen Verwaltungsaufwand der Selbständigkeit regeln (also quasi einen Betrieb führen). Wie gesagt: Die Aufgabe des Berufsbetreuers ist in der Tat schwerpunktmäßig der „Papierkram“, es wäre wünschenswert, wenn die Betreuung etwas holistischer gedacht wäre, aber das ist einfach nicht die Realität, die der Gesetzgeber geschaffen hat. Daran tragen nicht die Berufsbetreuer die Schuld.

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