zu meiner Person: angestellter Apotheker, seit 10 Jahren berufstätig
Ich finde (sicher berufsbedingt), dass die digitalen Impfzertifikate ein sehr spannendes Thema sind, das auch aufgrund der finanziellen Kosten für die Gesellschaft aufgearbeitet werden sollte.
Zuerst ein paar Zahlen.
204,7 Millionen Impfzertifikate wurden laut der „Neue Osnabrücker Zeitung“ (42,6 Millionen mehr digitale Impfzertifikate ausgestellt als Corona-Impfdosen verabreicht | Presseportal) seit Beginn der Ausstellung bis zum 21.01.2022 ausgestellt bei gleichzeitig 162,1 Millionen Impfungen (zur Diskrepanz siehe unten).
Aspekt 1 - Kosten
Für das Ausstellen eines Zertifikates prüft das beim RKI angesiedelte Portal ob die beantragende Stelle eine authentifizierte Apotheke (Arztpraxis, Impfzentrum) ist, und ob das Datum der Impfung technisch gesehen „Sinn macht“ (nicht vor dem Geburtstag, nicht in der Zukunft). Sonst nichts. Es werden keine Daten gespeichert, selbst für die zweite Impfung, wenn sie direkt nach der ersten eingegeben wird, müssen Name etc erneut eingegeben werden. Das System weiß nicht, ob die Impfung stattgefunden hat. Erst seit einigen Wochen kann man optional die Charge dazu eingeben und das System prüft, ob zum angegeben Zeitpunkt diese Charge überhaupt verimpft wurde.
Das heißt, doppelte Ausstellungen (in verschiedenen Apotheken, durch Impfzentrum und Apotheke, in derselben Apotheke durch Korrektur des Namen, Geburtsdatums o.ä.) werden nicht erkannt und komplett vergütet. Auch Missbrauch durch einzelne schwarze Schafe ist theoretisch denkbar.
Die Summe alldessen dürfte zumindest zum größten Teil die Diskrepanz zwischen ausgestellten Zertifikaten und Impfungen erklären.
Anfangs haben Apotheken pro Erstzertifikat 18 € und pro Folgezertifikat 6 € als Vergütung erhalten. Später wurde die Vergütung (ohne dass dies zu Beginn der Impfkampagne kommuniziert wurde) kurzfristig auf 6 € pro Zertifikat herabgesenkt. Die Bewertung der Vergütung ist extrem komplex, darauf könnte ich bei Interesse noch einmal gesondert eingehen.
Geht man der Einfachheit halber von 6€ pro Zertifikat aus, haben die doppelt oder falsch ausgestellten Zertifikate bis jetzt den Staat min 255,6 Millionen € gekostet.
Aspekt 2 - Bedeutung für den Pandemieverlauf
Die digitalen Impfzertifikate sind das Produkt einer Umwandlung nicht fälschungssicherer Dokumente (gelbes Impfbuch oder „Einlegeblatt für das Impfbuch“) in fälschungssichere Dokumente durch eine authentifizierte Stelle.
Es gibt einen aufgedeckten Fall gefälschter Zertifikate im großen Stil durch eine kriminelle Apotheken-Mitarbeiterin (Apothekenmitarbeiterin fälschte hunderte Impfausweise | APOTHEKE ADHOC) und einen Fall, indem Reporter mit minimalen Aufwand geschafft haben, eine nichtexistierende Apotheke zu authentifizieren (IT-Experten erfinden Fake-Apotheker: DAV stoppt Erstellen von Impfzertifikaten über das Apothekenportal).
Viel gravierender aber ist die Tatsache, dass ein gut gefälschtes Impfbuch nicht von uns zu erkennen ist, da es keinerlei Sicherheitsmerkmale enthält. Da die Zahl der versuchten Zertifikatsbetrüge durch schlecht gefälschte Impfbücher schon sehr hoch ist, ist von vielen erfolgreichen Versuchen auszugehen.
Jedes erschlichene Impfzertifikat ermöglicht dem Besitzer die Teilnahme an Veranstaltungen jeglicher Größenordnungen ohne geimpft zu sein und begünstigt das Auftreten von Superspreading-Events.
Die Bekämpfung der Pandemie auf 2G aufzubauen erscheint in Betrachtung dessen als fahrlässig, da halt nicht überall 2G drin ist, wo 2G draufsteht.
Fazit
Das ist in Kombination mit den Kosten durch die Zertifikate nicht zufriedenstellend.
Im Nachhinein erscheint mir persönlich, dass ein Impfregister, das VOR Beginn der Impfkampagne auf die Beine gestellt werden hätte müssen, die einzig sinnvolle Lösung gewesen wäre. Ein Zugriff auf dieses Register im Moment der Zertifikate-Erstellung (nicht als Excel-Tabelle, nur als JA/NEIN Abfrage hätte uns ermöglicht, die Echtheit der Impfung zweifelsfrei zu bestätigen und Namensfehler aufgedeckt. Eine Spalte im Register „Zertifikat erstellt“ hätte doppelte Vergütung für mehrere Zertifikate derselben Person verhindert (bei verlorenem Zertifikat hätte man die Person selbst zur Kasse bitten können). 2G wäre ein schärferes Schwert gewesen. Und schlussendlich hätte das Register für die potentielle Impfpflicht bereit gestanden.