Die Wahl von Sören Benn (Linke) mit Stimmen der AfD

Gestern (am 04.11.) wurde der bisherige Bezirksbürgermeister der Linken in Berlin-Pankow wiedergewählt. Eigentlich wollten die Grünen ihre Kandidatin Cordelia Koch wählen lassen, da diese bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 26.09. stärkste Fraktion geworden sind. Jedoch scheiterten die Verhandlungen zwischen Grünen, SPD und Linken und Rot-Rot hat daraufhin beschlossen Sören Benn erneut vorzuschlagen.

Problem ist, dass SPD und Linke zusammen nur 23 Stimmen haben. Bei 55 Sitzen in der BVV sind aber 28 Stimmen für eine Mehrheit notwendig. CDU, FDP und Grüne hatten angekündigt Benn nicht zu wählen. Er hat letztendlich 29 Stimmen bekommen und der Fraktionsvorsitzende der AfD (5 Stimmen) hat bekannt gegeben, dass seine Fraktion für Benn gestimmt hat. Ohne diese stimmen wäre Benn nicht gewählt worden. Die Wahlen waren geheim, also lässt sich das letztendlich nicht beweisen. Jedoch hat sich Benn von vorneherein in die Situation gebracht, indem er sich überhaupt zur Wahl gestellt hat ohne eine feste demokratische Mehrheit zu haben. Und er hat die Wahl trotz dieser Unklarheiten angenommen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die AfD das ausgenutzt hat. Ich kann keinen Unterschied zur Wahl von Thomas Kemmerich in Thüringen erkennen.

Hier der Artikel, in dem die AfD zugibt Benn gewählt zu haben: Pankower AfD: Sören Benn wurde mit unseren Stimmen zum Bürgermeister gewählt

Hier ein lesenswerter Thread von Stefan Gelbhaar, dem direkt gewählten MdB der Grünen in Pankow: https://twitter.com/StefanGelbhaar/status/1456553736428470273

Und hier ein Thread der Berlin-Korrespondentin Katja Bauer von StN/StZ: https://twitter.com/lebenundlassen/status/1456519892589482014

Ich sehe den einen Unterschied, dass Lokalpolitik noch sehr personenbezogen ist und Partei da oft in den Hintergrund rückt.
Lokal ist es durchaus üblich, dass mit AFDlern Themen ausgearbeitet werden oder auch CDUler mit Linken zusammenarbeiten.
In manchen Gemeinden sitzen Lokalpolitiker, da wirkt die AFD wie die Mitte.

In diesem Fall können Umstände, wie der, dass die AFD wohl geschlossen als Partei für den Linken gestimmt hat, möglicherweise aber dafür sorgen, dass der Fall anders zu bewerten ist.

Hier die B.Z. dazu:

https://www.bz-berlin.de/landespolitik/linken-buergermeister-soeren-benn-mit-afd-stimmen-gewaehlt

aber im Artikel steht dann:

In einem späteren Wahlgang, in dem eine einfache Mehrheit ausreichend gewesen wäre, hätten Benn die 23 Stimmen der Zählgemeinschaft [Anm. SPD + Linke] ausgereicht.

Also im Ergebnis wäre er auch ohne die AFD gewählt worden. Damit ist für mich alles in Ordnung. Nur ein weiterer Versuch der AFD den parlamentarischen Betrieb zu stören.

Es sei denn, die CDU hätte die Grünen unterstützt. Dann hätte die grüne Kandidatin mit 24 Stimmen die einfache Mehrheit erhalten.

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Ich sehe tatsächlich einen Unterschied, ob es um eine Ministerpräsidentenwahl auf Landesebene geht, wo bis zum Bundesvorsitzenden der entsprechenden Partei alle auf die eine oder andere Art involviert waren, oder ob irgendein Orts- oder Kreisverband irgendwas dreht.

Vom Prinzip her ist es jedoch exakt dasselbe wie bei Kemmerich. Auch die Pankower Sektion der Partei Die Linke täte daher gut daran, die Maßstäbe, die ihre Partei bei anderen ansetzt, auch bei sich selber gelten zu lassen und das kann nur bedeuten, dass der Mann zurücktritt.

Wenn jetzt irgendwelche FDPler und CDUler sich da heuchlerisch drauf stürzen und genau dieselbe Konsequenz wie bei Kemmerich einfordern, ist das allerdings eher lachhaft, denn auf kommunaler Ebene sind bei diesen beiden Parteien insbesondere im Osten die Dämme zur AfD schon vielerorts komplett eingerissen und offizielle oder inoffzielle Deals mit dieser faschistischen Partei gang und gäbe.

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Da bin ich nicht bei dir. Zunächst Leben im Bezirk Pankow über 400.000 Menschen, das sind z.B. doppelt so viele, wie in der Landeshauptstadt Potsdam. Aber davon abgesehen, finde ich es, gerade als jemand, der der Linkspartei gegenüber positiv eingestellt ist, sehr ärgerlich wenn mit solchen Aktionen denen, die einem z.B. immer die „Hufeisen-Theorie“ vorwerfen, recht gegeben wird.

Zu mal die Linke in der Bezirksverordnetenwahl in Pankow auch nur zweitstärkste Kraft geworden ist. Die meisten Stimmen bei der Bezirksverordneten-Wahl haben die Grünen bekommen (Quelle). Daher stünde das Amt der Bezirksbürgermeisterin auch eigentlich Cordelia Koch zu.

In sofern muss ich meinen Beitrag oben auch zurückziehen, es ist tatsächlich nicht nur ein plumpes AfD-Manöver. Natürlich brüstet sich die AfD jetzt damit, dass sich Benn von ihnen hat wählen lassen. Aber der Fehler liegt meiner Meinung nach hier bei Ihm. Man darf die AfD einfach nicht durch solche Aktionen legitimieren. Es ist einfach eine Partei die nicht auf dem Boden der Verfassung und demokratischen Grundordnung steht.

Der Grund warum Sören Benn das gemacht hat, ist, meiner Meinung nach, leider auch sehr augenscheinlich. Als normales Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bekommt er lediglich eine Aufwandsentschädigung um die 1000 Euro pro Monat (Quelle) aber der Bezirksbürgermeister bekommt nach Besoldungsgruppe B6 ca 10.000 Euro brutto pro Monat (Quelle, Quelle).

Man kann als Links-Partei aber nicht in Thüringen Thomas Kemmerich zu recht den Blumenstrauß vor die Füße werfen und dann in Berlin seinen eigenen, unterlegener Kandidat von der AfD wählen lassen. Ich hoffe da greift die Linkspartei von oben her ein.

Und? Trotzdem nicht so viele wie in einem Bundesland wie Thüringen. Außerdem steht der Bezirksbürgermeister von Pankow keiner Regierung vor, die regelmäßig Gesetzesänderungen in eine gesetzgebende Versammlung einbringt und dafür auf eine dauerhafte Mehrheit angewiesen ist. Sören Benn hat auch vermutlich nicht vor der Wahl mit Hennig-Wellsow telefoniert und über das Thema beraten, und es gibt noch diverse weitere Unterschiede.

Genau das hab ich doch auch geschrieben. Hast du bloß merkwürdigerweise im Zitat weggesnippt.

Sören Benn behauptet zumindest, er habe vor der Wahl eine Mehrheit ohne die AfD organisiert. Die Vehemenz, mit der er die Kritik an seiner Wahl für unzulässig erklärt, ist allerdings schon bemerkenswert.

Naja Thüringen hat 2,1 Millionen Einwohner, das ist jetzt auch nicht so weit von 400.000 entfernt. Aber okay bei dem Punkt Befugnisse hast du Recht, da ist ein Ministerpräsident eine andere Nummer als ein Bezirksbürgermeister, speziell da er ja z.B: als Mitglied des Bundesrates auch die Bundespolitik beeinflussen kann.

Mag sein, aber dieser Tweet hier, liest sich eher so, als würde sie seiner Argumentation folgen:

Ich sehe in der Aktion eben eine grundsätzliche Legitimation der AfD. Außerdem sind in der Vergangenheit verschiedene Parteien z.B. die CDU zu Recht öffentlich kritisiert worden, wenn ihre Mitglieder teilweise auf untersten kommunalen Ebenen NPD-Vertreter gewählt haben.

Stimmt, der Teil meines Beitrages, war auch nicht als Gegenrede zu deinem Beitrag gemeint. Das die Situation in Pankow und Thüringen im Kern das Gleiche Problem sind, sehe ich auch so.

Ich verstehe den Vergleich mit Kemmerich nicht. Kemmerich hatte weder die absolute noch die relative Mehrheit. Wären die AFD Abgeordneten nicht da, wäre Ramelow mit einfacher Mehrheit gewählt worden. Kemmerich hat sich aber aufgestellt, in der Hoffnung, mithilfe der AFD gewählt zu werden, und damit durch zu kommen. Die CDU hat das unterstützt.

In diesem Fall hat rot-rot die relative Mehrheit, es gibt keinen Gegenkandidaten mit mehr Stimmen. Würde die AFD Abgeordneten nicht mitstimmen, kämmen rot-rot trotzdem durch. Das wäre vergleichbar, wenn die AFD damals im ersten oder zweiten Wahlgang Ramelow gewählt hätte.

Hier wurde nicht mithilfe der AFD jemand in ein Amt gewählt, sondern die AFD hat den Wahlvorgang um einen Wahlgang verkürzt, vermutlich um zu trollen.

Wenn sie geheim ist weiß man doch gar nicht ob die Stimmen der AFD den Unterschied gemacht haben? Sagen kann man viel :wink:

Mir nimmt in diesem Thread der „Vergleich mit Kemmerich“ zu viel Raum ein. Ob die Situation ähnlich zu der in Thüringen ist, oder nicht, ist doch gar nicht das Wesentliche.

Was diskutiert werden sollte, ist, inwieweit es legitim ist, sich als Bezirksbürgermeister mit Stimmen einer Partei wählen zu lassen, deren Ansichten man nicht mal im Ansatz vertritt, erst recht, wenn es sich dabei um demokratiefeindliche Ansichten handelt.

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Was ich mich hier Frage ist, was ist das Problem? Hatz er vorher mit der AFD gesprochen und sich die Stimmen gesichert? Hat er Ihnen irgendwas versprochen? Oder wurde er gegen einfach auch von denen gewählt um hier zu stören aber es hat keine Auswirkungen auf den Prozess. Ist es dann nicht egal und das beste was man machen könnte währe sie zu ignorieren? So wie ich das sehe wäre er doch so oder so gewählt worden im zweiten Wahlgang. Insofern wurde nur Zeit gespart. 55 Sitze, 24 Stimmen ohne AFD ist übrigens eine feste demokratische Mehrheit, wenn auch eine knappe :wink:

  1. Die Wahl zur BVV haben die Grünen gewohnen (Quelle habe ich oben verlinkt). Gemäß demokratischen Geflogenheiten in Deutschland hätte daher die grüne Kandidatin am ehesten ein Anrecht auf das Bezirksbürgermeister-Amt.
  2. Die bisherige Zählgemeinschaft (quasi die Koalition) ist zwischen der Wahl zur BVV (26.09.) und der Bezirksbürgermeisterwahl-Wahl (04.11.) zerbrochen (Quelle: Tagesspiegel) weil die SPD nicht mehr mit den Grünen wollte.
  3. Dadurch wären Grünen und Linken aber immer noch eine absolute Mehrheit von 1 Stimme geblieben.
  4. Dazu hat dann aber die Linken gesagt:(Quelle wie bei Punkt 2):
    „Wir haben von Anfang an gesagt, dass uns diese denkbar knappste Mehrheit über die gesamte Legislatur nicht ausreicht“, erklärte Linken-Fraktionschef Matthias Zarbock dem Tagesspiegel.
    und die Zusammenarbeit mit den Grünen ebenfalls beendet.
  5. Dann hat sich die Linke mit der SPD zusammengetan, um so zumindest eine einfache Mehrheit für Sören Benn zu organisieren (Linke + SPD > Grüne)
  6. Grüne, FDP und CDU haben jedoch vor der Wahl am 04.11. erklärt, nicht für Sören Benn stimmen zu wollen. Die Grünen wollten wahrscheinlich nicht, weil sie sich in der Zählgemeinschaft zerstritten haben und bei FDP und CDU ist das aus politischen Gründen naheliegend.

Mit dieser Vorgeschichte sind Linke und SPD in die Wahl am 4.11. gegangen. So weit ich weiß gibt es insgesamt drei Wahlgänge. (Da habe ich keine Quelle also korrigiert mich da gerne, am besten mit Quelle). Bei den ersten beiden Wahlgängen braucht man die absolute Mehrheit (>50%) und beim dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit, wie gesagt ist nur meine Vermutung, da ich keine Quelle habe aber es bei der Wahl des reg. Bürgermeisters so abläuft.

Benn ist also nur mit den Stimmen von Linke und SPD im Rücken in die Wahl gegangen. Besonders vor dem Hintergrund des Zitates von Matthias Zarbock oben aus Punkt 4 kommt man außerdem leicht zu dem Schluß, dass sich Sören Benn hier mit Partei-politischen Gewurschtel als unterlegener Kandidat erneut zum Bezirksbürgermeister machen wollte.

Er selbst sagt, er hat auf geheime Stimmen der anderen Parteien gehofft oder auf deren Enthaltung. Dieses Szenario muss man aber nach den Äußerungen von Grüne, FDP und CDU aus Punkt 6 für unwahrscheinlich halten.

Auf der anderen Seite kann er eben nicht ausschließen, dass die AfD ihn nicht auch mitwählen wird. Und unter diesen Vorzeichen, ist es für die AfD auch logisch ihn zu wählen und passt zu ihrem allgemeinen Vorgehen. Spätestens seit der Causa Kemmerich in Thüringen weiß die AfD, was für ein scharfes Schwert sie hat, wenn sie es so hinbiegen kann, dass sie (zumindest sehr wahrscheinlich) einen demokratischen Kandidaten mitwählt, der ohne Sie so nicht ins Amt gekommen wäre. Man kann heutzutage also nicht mehr unter diesen Vorzeichen in eine geheime Wahl gehen und dann sagen: „Worum sollte mich denn die AfD wählen?“.

Wenn man als Linke Partei seine (absolut berechtigte) fundamentale Ablehnung der AfD demonstrieren will, dann hätte man die Wahl nach diesem ersten Wahlgang schlicht nicht annehmen dürfen. Das wäre glaubhaft gewesen. Sören Benn sagt ja selbst, er hätte z.B. auf Enthaltungen der CDU gehofft. Diese gab es in dem ersten Wahlgang meines Wissens aber nicht. Hätte es Enthaltungen gegeben läge der Fall anders, gab es aber nicht. Und es ist auch nicht sicher, das einzelne Stimmen von FDP und CDU nicht auch zur grünen Kandidatin gegangen währen, falls diese sich zur Wahl gestellt hätte.

Gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Linke nur ganz knapp in den Bundestag gekommen ist, kann ich nicht nachvollziehen warum sie diese Gelegenheit ihr anti-faschistisches Profil zu schärfen nicht war nimmt.

2019 ist in Altenstadt ein NDP Ortsvorsteher mit Stimmen von CDU, FDP und SPD gewählt worden (Quelle). Das hat großes öffentliches Interesse generiert und ist auch von der Linken damals zurecht kritisiert worden (Quelle). Der Ortsvorsteher wurde dann wieder abgewählt (Quelle). Und das Alles, obwohl es sich um eines der kleinsten Ämter handelt, die es in Deutschland gibt.

Meine Ausführungen oben mögen nach Wahl-technischer Haarspalterei klingen, aber beim Umgang mit anti-demokratischen Kräften kann der Teufel nun mal auch im Detail stecken und die AfD muss nun mal auf allen Ebenen politisch bekämpft werden, wie das Beispiel Altenstadt zeigt.

Oder, um im sprachlichen Bild von Kästner zu bleiben: Wenn Sören Benn so wie er am 04.11. gewählt wurde, im Amt bleibt, ist der Schneeball wieder etwas größer geworden.

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