Die unterbezahlte Krankenschwester

Hallo! Danke für die hilfreichen Analyse der aktuellen Lage. Macht weiter so: kritische und dialektische Analyse von Themen und am Ende eine klare eigene Meinung. Auch wenn ich die nicht immer teile, ist euer Weg dahin für alle Hörer hilfreich. Man merkt auch, wie Ihr Euch über die Folgen hinweg selbst weiterentwickelt und auf bereits analysiertem aufbaut. Großes Lob!
Bei einem immer wieder verwendeten Narrativ möchte ich Euch motivieren, einmal differenzierter hinzusehen: die unterbezahlte Krankenschwester.
Dieses Narrativ geistert seit Jahrzehnten durch die Medien und die Politik und keiner wagt hier Widerspruch. Klar: weil wir alle froh sind, dass es diese Menschen gibt. Der Grund warum es aber zu wenige Pflegekräfte gibt, warum Pflegekräfte nicht im Pflegeberuf arbeiten und warum so viele frustriert sind, ist aber nicht das Geld. Gerade in der aktuellen Lage habt ihr wieder mit diesem Narrativ geschlossen. „würde man einen konkurrenzfähigen Lohn bezahlen, dann …“. Schaut Euch mal die Tarife dieses Ausbildungsberufes an und vergleicht sie mit anderen. Schaut Euch mal Artikel und Dokus an, warum Pflegekräfte kapitulieren. Gleiches gilt im übrigen für den Ärztinnenmangel. All diese Menschen haben einen sozialen Beruf gewählt im vollen Bewusstsein, dass man hier nicht reich wird. Auch die Abiturientinnen mit 1,0-Abitur haben sich bewusst dafür entschieden, später im Tariflohnsystem oder im planwirtschaftlichen KV-System zu arbeiten, anstatt an der Börse oder bei Tech-Unternehmen. Die Dinge sind hier eben nicht marktwirtschaftlich zu erklären („konkurrenzfähiger Lohn“), sondern müssen differenzierter analysiert werden. Es ist ein politisch bewusst auf Kostensenkung getrimmtes System, das dazu führt, dass die Menschen sich nicht mehr so um die Mitmenschen kümmern können, wie es ihr eigener Anspruch ist. In den meisten Schichten arbeitet nur 1 examinierte Fachkraft, die die ganze Verantwortung für die qualitativ unterversorgten Patient*innen und die ihr zugeordneten Hilfskräfte aus dem Billiglohnsektor trägt. Hier liegen die eigentlichen Probleme. Und Ihr wisst genau, woher das Geld kommen müsste, um ALLE Pflegekräfte MERKLICH besser zu bezahlen. Lohnebenkosten steigen, Steuersubventionen, usw. Und Ihr wisst auch, wie die Psychologie über Zufriedenheit und finanzielle Entlohnung denkt. Analysiert doch mal dieses Thema und bildet Euch eine Meinung dazu, wo der wirklich Kern des Problems liegt. Das Narrativ der unterbezahlten Krankenschwester ist uralt und hat bis heute keine Probleme gelöst. Im Gegenteil: wenn in jeder Sendung und in jedem Podcast berichtet wird, wie beschissen dieser Beruf ist und wie unterbezahlt, dann sinkt doch die Anerkennung! Dann muss man sich doch denken, wie blöd können diese Menschen nur sein, einen Beruf zu ergreifen, von dem jeder weiß, dass er unterbezahlt ist. Welche Eltern würden Ihren Kindern empfehlen, einen solchen Beruf zu ergreifen, von dem in jeder Sendung berichtet wird, dass man nicht davon leben kann (was aus meiner Sicht so auch nicht stimmt). Ihr macht also genau das Gegenteil von dem, was ihr wollt: ihr vermindert dadurch die notwendige soziale Anerkennung dieses Berufes statt sie zu verbessern. Denkt mal drüber nach! Viele Grüße, Tom

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Zustimmung.
Ich kenne auch von etlichen Menschen in dem Beruf die Rückmeldung: Nicht das Gehalt frustriert, sondern, dass man nicht dazu kommt, so zu arbeiten, wie man gern würde.
Ein effizienz- und renditegetriebenes Gesundheitswesen, das zugleich keinerlei Fehler akzeptiert (Klagewut!, ergo Dokumentationswahnsinn), ist m.E. das Haupt-Problem. Krankenhäuser müssen gemeinwohlorientierte Einrichtungen werden und können nicht Profitgetriebene Einrichtungen sein. Zudem ist es so absurd, dass sie besser verdienen, je mehr technisch komplizierte Diagnosen erstellt werden.

Nach der Ausbildung beginnen Krankenschwestern mit einem Einstiegsgehalt von etwa 2.000 bis 2.400 Euro brutto. Nach 13 Jahren verdienen Klinik -Mitarbeiter dann schon etwa 3.200 Euro brutto. Hinzu kommen Zuschläge für Nachtschicht, Sonn- und Feiertagsdienst
Quelle

Ob das viel oder wenig ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich weiß auch nicht, ob z.B. eine Pflegekraft z.B. auf der Intensiv- oder in der Paleativ-Station nicht entsprechend mehr verdient.

Für ein Lehrberuf scheint mir das ganz o.k. zu sein. Gemessen an der Vertantwortung, die Pflegekräfte tragen, habe ich dann doch so meine Zweifel.

Aber tatsächlich scheint das Problem eher in der „Ausstattung“ der Krankenhäusern mit Pflegepersonal zu liegen. Die Anzahl der Stellen (und deren Besetzung) sind so weit runter gefahren, dass die Pflegenden ihre eigenen beruflichen Ansprüche nicht mehr erfüllen können und früher oder später das Weite suchen. Als Ursache wird häufig das DIG-System genannt, bei dem die Krankenhäuser eine bestimmte Pauschale je Diagnose erhalten, egal, ob der individuelle Patient ganz schnell wieder geheilt oder überdurchschnittlich lange gepflegt werden muss. Ob das tatsächlich ursächlich ist, kann ich nicht beurteilen: Ich kann mir vorstellen, dass man die Pauschalen so hoch ansetzt, um dabei für eine angemessene, menschenwürdige Krankenpflege zu sorgen. (Unabhängig davon erzeugen solche Pauschalen sehr irritierende systemische Verhaltensanreize: Entlassung vor Heilung, Überdiagnostizierung. Und einen ganz erheblichen Dokumentationsaufwand)

Die Kosten für die Pflege sind nun aus den Drg Zahlen herausgenommen und werden „extra“ bezahlt. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Krankenhäuser eben an dem großen Batzen Pflegekosten zu sparen.
Dazu wurden dann Untergrenzen definiert, wie viele Pflegekräfte in verschiedenen Bereichen pro Patient MINDESTENS sein müssen.
Und was machen dann die wirtschaftlich unter Druck stehenden Krankenhäuser? Klar, peilen diese Mindestbesetzung als Normalbesetzung an.
Dass die Pflegekräfte sich da verar*** vorkommen, darf niemanden verwundern und da würden auch 300€ mehr pro Monat nichts dran ändern.

Meiner Meinung nach ist ein Thema, was viele frustriert, dass sie (die Pflegekräfte) erkannt haben, dass die Entscheider auf allen Ebenen ausnutzen, dass die Pflegekräfte eben aus Überzeugung ein intrinsiches Interesse haben, die Patient*innen möglichst gut zu versorgen, auch wenn die Bedingungen schlecht sind. Ein Klassisches Ausnutzen.
In anderen Branchen wäre es leichter, die Arbeit einfach nicht oder schlechter zu machen. Der Konflikt wird systematisch auf die Ebene der Pflegekräfte geschoben.
Gruß Jakob

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Laut diesem Bericht zu Entgelten in Pflegeberufen haben die Entglete in der Altenpflege von 2012 bis 2020 deutlich und überdurchschnittlich zugelegt. Bei Fachkräften in der Altenpflege stieg das durchschnittliche Entgelt z.B. um ca. 33% während bei den Durchschnittsentgelten der Zuwachs bei knapp 20% lag.

Fachkärfte in der Krankenpflege erhalten höhere Entgelte als der Durchschnitt über alle Beschäftigte. Fachkräfte in der Altenpflege erhalten leicht höhere Entgelte als alle Fachkräfte. Helfer in der Krankenpflege erhalten deutlich höhere Entegelte als alle Helfer. Helfer in der Altenpflegen werden unterdurchschnittlich bezahlt.

Dabei beziehen sich die Angaben auf die monatlichen Bruttodurchschnittentgelte der Vollzeitbeschäftigten in den jeweilgen Berufen, wenn ich das richtig gelesen habe.

Hallo Tom,
danke für deinen ausführlichen Beitrag!
Ich stimme dir insofern zu, dass a priori nicht direkt das Gehalt das Problem ist (so sagen es auch viele mit mit befreundete Pflegekräfte), sondern eher die Arbeitsbedingungen und die ständige Personalmangelsituation. Aber, und das finde ich muss man in der Diskussion mit berücksichtigen, selbst wenn man jetzt auf einmal massiv mehr Stellen schaffen würde, wer sollte die besetzen? Wir befinden uns in einem Teufelskreis aus „bei den Bedingungen mache ich die Arbeit nicht“ und „auf freie Stellen gibt es keine Bewerber*innen“. Dadurch können letztlich sowohl freiwerdende als auch neu geschaffene Stellen nicht besetzt werden. Dieses Problem ist nicht dadurch behebbar, dass man mehr Stellen schafft - von einer Stelle, die auf dem Papier existiert sind nämlich noch keine Arbeitsbedingungen besser geworden. Ja, es gibt noch einige andere Punkte, an denen man nachbessern könnte (z.B. überbordender Bürokratiewahn/Dokumentationsaufwand). Insgesamt brauchen wir aber (neben einer Abkehr von Profiten im Gesundheitssystem, aber die setzte ich hier im Forum schon fast als Konsens voraus) meiner Meinung nach ein großes Bündel an Maßnahmen. Hierin enthalten müsste schon auch eine höhere Entlohnung sein - denn irgendwo muss man nun einmal anfangen, Menschen für den Beruf zu interessieren. Außerdem kann ein prinzipiell höherer Lohn auch dazu führen, dass Menschen, die die Pflege sonst demnächst aufgrund der Belastungen verlassen würden bleiben - aber dann in Teilzeit mit trotzdem noch auskömmlichem Gehalt. Letztlich ist eine 40h-Woche (oder auch 38,5h) in der Pflege vermutlich einfach nicht mehr tragbar. Durch eine Steigerung des Lohnes (oder eine Absenkung der Wochenarbeitszeit bei unverändertem Gehalt) können wir hier die Belastungen senken und so mehr Menschen im Pflegeberuf halten. Meiner Meinung nach muss das nämlich unser allererstes und zunächst höchstes Ziel sein - erst wenn wir den „Pflexit“ gestoppt haben, können wir uns Gedanken machen, wie wir die Personaldecke langfristig und nachhaltig erhöhen. Sonst steht bald jeder Neueinstellung ein (oder gar zwei) Kündigungen gegenüber und es ist nichts gewonnen (sondern eher noch verloren, schon allein weil eher erfahrene Kräfte gehen und oft eher unerfahrene Kräfte kommen, was ich absolut nicht negativ sondern beschreibend meine).

Darüber hinaus finde ich es (jetzt nicht nur auf deinen Beitrag bezogen) auch teils schwierig, immer mit Gehaltsvergleichen zu anderen Ausbildungsberufen zu argumentieren. Pflege ist nun einmal ein Beruf, den wir als Gesellschaft gerade mehr als brauchen, und der auch (wenn ich mich an Studien richtig erinnere) im „Anforderungsprofil“ etwa dem einers Ingenieurin entspricht. Jeder*m steht frei, diesen Beruf zu ergreifen (sofern die formalen/schulischen Zugangsvoraussetzungen erfüllt sind). Wer das nicht möchte - völlig in Ordnung. Dann aber zu sagen „Die Pflege verdient aber so viel mehr als ich in meinem Beruf“ halte ich für nicht zielführend.

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Berufe wie die Pflege oder das Handwerk haben in den letzten 30 Jahren massiv an Attraktivität verloren. Das liegt meiner Meinung nach an folgenden Punkten:

  • die Schulausbildung ist eigentlich nicht mehr in diese Richtung ausgelegt.
  • die Interessen der jungen Menschen gehen in ganz andere Richtungen
  • in der Wahrnehmung unserer Gesellschaft haben die oben genannten Berufe eine sehr geringe Wertigkeit.
  • niemand möchte sich noch stark körperlich/psychisch anstrengen. Jeder will sich nur noch in der absoluten Wohlfühlzone bewegen.
  • die Lösungen den Personalmangel zu beheben bestehen meist darin ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Das hilft nur kurzfristig und schafft neue Probleme.
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Ich freue mich, dass es so viele Gleichgesinnte gibt und dass ich den Nerv von einigen getroffen habe. Ich bin auf keinen Fall gegen mehr Gehalt für Pflegende! Ich finde nur, dass sich die Politiker - und eben auch unsere geschätzter Lage-Moderatoren - auf das beliebte Narrativ zurück ziehen, Pflegekräfte müssten endlich besser bezahlt werden. Diese Forderung kommt immer gut an und man kann Applaus ernten. Das suggeriert, als könnte man mit Geld dieses Problem mit einem Schnipp lösen. Und das bezweifle ich stark (viele von Euch offensichtlich auch). Und es lenkt - gezielt - die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Misere ab! Im Idealfall ist das ein phantastischer Beruf: geregelte Arbeitszeiten, arbeiten im Team, Hilfe anderer Menschen, technologisch interessantes Umfeld, starke sinnstiftende Komponente, Flexibilität über Ländergrenzen hinweg, ordentliches Gehalt, hohe Verantwortung, usw. Die Realität ist davon leider weit entfernt. Und natürlich kann man leicht die Pflegekosten aus den DRGs rausnehmen, weil es eh keine Pflegekräfte gibt, die man einstellen könnte. Ich oute mich hier jetzt : ich bin keine Pflegekraft - sondern Arzt. Ich bin also Beobachter in erster Reihe und ich wünsche allen Pflegekräften, dass sie deutlich mehr verdienen, aber viel viel mehr wünsche ich ihnen, dass ihre Anerkennung in der Gesellschaft steigt und dass man sie nicht immer wieder auf ihr schlechtes Gehalt reduziert. Die arme unterbezahlte Krankenschwester ist seit Jahrzehnten das Narrativ der linken Parteien und der Gewerkschaften - es ist aber an der Zeit, dass - ähnlich wie beim Klimaschutz - alle gesellschaftlichen Bereiche erkennen, dass wir in die Krise laufen, wenn wir nicht sofort handeln. Und zwar vollumfänglich, nicht nur finanziell. Die Rahmenbedingungen und die Anreizsysteme müssen geändert werden. Bizarrer Weise steigen die Chefarzthonorare in vielen Bereichen ins unermessliche, weil sich keiner mehr finden lässt, der die Verantwortung für solche Missstände übernehmen will. Die meisten aus meinem Berufsstand ziehen sich in kleine Bereiche zurück, die sie mit gutem Gewissen noch vor sich selbst verantworten können und lassen sich nicht von renditeorientierten Großkonzernen als Marionette einspannen.

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Gute Punkte, das einzige bei dem ich es etwas anders sehe ist dieser hier:

Ich würde nicht sagen dass niemand mehr physisch oder psychisch anstrengen möchte (gefühlt machen z.B. alle Teenager, die ich kenne Sport), sondern sehe die Probleme eher in den anderen Punkten.

Man kann Jugendliche zu außerordentlichen Dingen motivieren aber so lange der Beruf „Krankenpfleger*in“ gleichbedeutend mit „unterbezahlte Bettpfannenwechsler*innen in Schichtarbeit“ ist, ist der Beruf unattraktiver als z.B. Versicherungen zu verkaufen.

Und bleiben wir mal ehrlich, das ist auch kein Phänomen der „Jugend von heute“. Ich arbeite mit genügend älteren Personen zusammen die das Minimum an Arbeit leisten mit der sie nicht sofort rausfliegen. Ich kenne auch Personen die die letzten 5 min ihrer Arbeitszeit fertig angezogen da sitzen und auf die Uhr starren bis sie gehen dürfen. Die Wohlfühlzone nicht verlassen zu wollen ist leider ein universelles Phänomen - um das zu ändern muss es einfach gute Anreize geben. :wink:

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Ich finde diese Aufteilung in
Ausbildungsberufe = weniger Anspruchsvoll = weniger Geld und
Studienberufen = Anspruchsvoll = viel Geld
Veraltet und vor allem nicht der Realität entsprechend.

Bei Fachpflegekräften wird diese Keule gefühlt bei jeder Diskussion rausgeholt und damit zu demonstrieren, dass Fachpflegekräfte ja nur eine Ausbildung haben und dafür schon genug verdienen.
Völlig ignoriert wird dabei allerdings, dass es in Deutschland unzählige Menschen gibt, die mit ihrer Ausbildung deutlich mehr verdienen, als viele eher junge studierte Menschen. Fluglotse ist da wohl das bekannteste Beispiel, eigentlich eine Ausbildung, aber schon in der Ausbildung verdient man leicht mehr als ein Arzt nach Jahren des Studiums. Auch wenn man bei Ford, Mercedes oder Audi am Band steht (und vielleicht Maler und Lackierer oder Mechaniker gelernt hat) verdient man mehr, als als z. B. Innenarchitektin.
Dass wir das nicht kritisieren bzw. als normal ansehen zeigt, dass wir Berufe und die Anforderungen darin werten, ohne sie zu kennen.
In vielen Ländern der Welt, z.B. Schweden und GB, ist Pflege ein Studienberuf, der mindestens mit einem Bachelor abgeschlossen wird. Dagegen wehrt sich Deutschland seit langem, es zeigt aber, welche Anforderung in dem Beruf -abseits des 3-Schichtsystems und des eklatanten Personalmangels - eigentlich bestehen.

Die Anforderungen in Berufen miteinander zu vergleichen ist recht schwierig, Versuche gibt es aber einige, zum Beispiel den „ Comparable Worth Index“, der versucht alle Anforderungen (Wissen, Fähigkeiten, psychosoziale und physische Anforderungen/Belastungen und Verantwortung) zu bewerten/ mit Punkten zu versehen. Bei der Pflege stellte sich heraus, dass vergleichbare Berufe ungefähr doppelt so gut bezahlt werden in Deutschland.

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Wieso hilft das nur kurzfristig? Und welche Probleme soll das schaffen?

Man weiß aus Studien, dass bei Bruttogehältern ab etwa 50.000€ das persönliche Glücksempfinden zu stagnieren beginnt.
D.h., wer darüber hinaus verdient, wird im Mittel nicht unbedingt glücklicher. Und abgesehen davon gehen viele Leute auch nicht deshalb in die Techbranche, weil sie reich werden, sondern weil es Ihnen einfach Spaß macht.
Wenn ich mir aber allein das Jahreseinstiegsgehalt einer Krankenpflegerin anschaue, dann komme ich auf 20.000 - 30.000€. Es gibt ja von David Graeber in „Bullshit Jobs“ die These, dass je gesellschaftlich nützlicher ein Job ist, desto schlechter die Bezahlung ist. Ich als Informatiker hatte z.B. ein Einstiegsgehalt von 50.000€ und das empfinde ich schon deshalb als extrem ungerecht, weil mein sozialer Beitrag, den ich als Informatiker leiste spürbar geringer ist als der des Krankenpflegers. Und von Gehältern von Vertrieblern oder Managern in der IT-Branche reden wir noch gar nicht! In einer besseren Welt müssten die Gehaltsgefüge umgekehrt sein.

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Ich vermute mal, dass es sich in der Regel nicht um Fachkräfte, sondern um sogenanntes Pflegehilfspersonal handelt, das mies bezahlt wird und entsprechend schlecht motiviert und schlecht qualifiziert arbeitet - so habe ich es jedenfalls als Angehöriger erlebt. Und selbst bei Fachkräften bestehen häufig Sprachprobleme und es gibt eine noch höhere Fluktuation als unter hier ausgebildeten Pflegekräften.

Es hilft nur kurzfristig die Personaldecke zu heben und bringt keine allgemeinen Anreize die den Pflegeberuf aufwerten würde und die Ausbildungszahlen erhöhen würde.
Es wird schon lange darauf hin gearbeitet die Ausbildungsinhalte bzw. die Anforderungskriterien zu standardisieren damit die angeworbenen Pflegekräfte die selben Fachkenntnisse haben wie die, die hier ausgebildet werden.

Die Probleme die wir damit schaffen:

  • natürlich wird versucht den ausländischen Pflegekräften weniger zu bezahlen.
  • für die Vermittlung wird mittlerweile eine Kopfprämie gezahlt
  • wir werben gut ausgebildete Menschen ab in deren Ausbildung das Herkunftsland investiert hat und zu Hause ebenfalls dringend gebraucht werden.
  • an den LKW Fahrern in GB sehen wir was der Mangel an eigenen Fachkräften für Probleme aufwerfen kann.

Das ist ja nicht wirklich ein Argument, dass Zuwanderung keinen Beitrag zur Lösung der Pflegeproblematik leisten könnte, sondern „nur“ ein Argument, dass es richtig gemacht werden muss. Ich stimme Dir natürlich zu, dass eine Zuwanderung wie in den 1960ern – vorwiegend Personen ohne Qualifikationen und mit der Erwartung, dass sie nach zwei Jahren oder so durch die nächste „Schicht“ getauscht werden – keine Hilfe ist, egal in welchen Arbeitsmarktsegement.

Da der Pflegebereich hochgradig reguliert ist, sowohl was die Quantität als auch Qualität (aber auch die Abrechnung der Kosten mit Konsequenzen für die Löhne) angeht, ist das Anwerben ungelernter Personen für die Pflege ohnehin keine Lösung. Es dürfen nur gelernte Personen im Rahmen einer „offiziellen“ Einrichtung pflegerisch arbeiten. Dies gilt auch für die von Dir angesprochenen Pfelgehilfskräfte, die eine mindestens einjährige Ausbildung absolviert haben müssen. Darüber hinaus gibt es Höchstgrenzen für den Anteil der Pflegehilfskräfte bzw. Fachkraftmindestquoten. (Die Regelungen sind alle etwas unübersichtlich, aber dies und das findet sich hier, hier, und hier.) Damit ist allein über die diversen Reglierungen, die Lösung über die Zuwanderung von Pflegehilfskräften gar nicht möglich.

Daher gilt es, wenn über Zuwanderung als Lösungsansatz gesprochen wird, tatsächlich Fachkräfte anzuwerben. Da aber der Zugang zum in Deutschland beruffachlich organisierten Arbeitsmarkt primär über zertifizierte Berufsabschlüsse erfolgt, liegt ein großes Hindernis bei der Anwerbung in der Anerkennung dieser Berufsabschlüsse. Dies gilt auf Grund der starken Regulierung noch stärker für den Pflegebereich als in anderen Teilarbeitsmärkten. 2020 stellten die Gesundheits- und Krankenpflegeabschlüsse mit knapp 12.000 laut BIBB mehr als ein Drittel aller auf Bundesebene anerkannten Abschlüsse (Arztberufe waren übrigens mit knapp 6000 die zweitstärkste Gruppe). Bei insgesamt ca. 1,8 Mio. Beschäftigten in Pflegeberufen scheint das eher ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein, bei ca. 40.000 offenen Stellen (Arbeitsmarktbericht „Pflege“ der BA https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFile&v=11) oder einen erwarteten zusätzlichen Bedarf an Pflegekräften von 150.000 bis 2030 (Einschätzung des IW) Status quo und Perspektiven: Fachkräfteengpass in der Altenpflege - Institut der deutschen Wirtschaft ist das aber schon ein ganz ordentlicher Beitrag.

Klar muss aber auch sein, dass Personen, die in den Arbeitsmarkt zuwandern, kommen, um (hoffentlich) zu bleiben. Es muss also Aufwand betrieben werden diese Menschen nicht nur beruflich sondern auch gesellschaftlich zu integrieren. Dazu gehört auch das Erlernen der deutschen Sprache. Dies gilt insbesondere im Pflegebereich, da es ja nicht nur um Lagern, Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, Hilfe bei der Körperpflege usw. geht, sondern auch um emotionalen Zuspruch.

Zuwanderung kann also schon einen Beitrag leisten, ist aber nicht die Lösung. Schon allein, weil es die Lösung nicht gibt. Es müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden: Erhöhung der Arbeitszeiten der vielen Teilzeitbeschäftigten, Digitalisierung zur Entlastung von Verwaltungs- und Dokumentationstätigkeiten, Verlängerung der Lebensarbeitszeit usw. sowie Zuwanderung eben auch.

Nur, wenn Du Dich entschließt, sie wieder rauszuwerfen. Zumal „eigene Fachkräfte“, was immer das auch sein soll, angesichts der demographischen Entwicklung keine Opiton ist.

Ja, und? Die Zahlung von Prämien, wenn es jemanden gelingt eine Fachkraft in den Betrieb zu holen, ist mittlerweile in vielen Betrieben verbreitet. Wo ist das Problem?

Das kann in der Tat ein Problem sein, was aber differenzierter gesehen werden sollte. Zum einen ist zumindest mir nicht klar, ob die Personen tatsächlich im abgebenden Land dringend benötitgt werden. Das müsste wahrscheinlich von Land zu Land betrachtet werden. Zum anderen habe Arbeitsmigranten in der Vergangeheit häufig einen (erheblichen) Teil ihres Einkommens in die Herkunftsländer überwiesen und damit nicht nur das Überleben ihrer Angehörigen gesichert sondern auch dort zum weiteren Aufbau des Landes beigetragen.

Wieso natürlich?

Sowohl Pflegeinrichtung als auch Krankenhäuser werden häufig von staatlichen (kommunalen) oder sozialen Organisationen wie der Cariatas, dem Roten Kreuz oder der AWO getragen. Du wirst doch wohl nicht behaupten wollen, dass diese Einrichtunge Ausländer diskrimnieren. :wink:

Aber ernshaft, der von mir schon zitierten Bericht zu Entgelten von Pflägekräften, weißt folgende unbereinigte Lohnlücke zwischen Ausländern und Deutschen aus:

  • Helfer Altenpflege 1,7%
  • Helfer Krankenpflege 2,9%
  • Fachkraft Altenpflege 0,5%
  • Fachkraft Krankenpflege 7,7%
  • Zum Vergleich alle Fachkraftberufe 17,8%, alle Helferberufe 16,2%

Zumindest bei den ersten dreien kann mann kaum von nennenswerter Lohndiskriminierung sprechen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich um die unbereinigte Lohnlücke handelt und Lohnlücken typischerweise schrumpfen, wenn man solche Dinge wie Betriebszugehörirgkeit, Leitungszulagen, Alter, Betriebsgröße usw. berücksichtigt.

Bleibt nur noch die Lücke bein den Fachkräften in der Krankenpflege, die mit fast 8% dicg etwas höher ausfällt. Was interessante Fragen aufwirft wenn man bedenkt, dass je nach Messgröße fast zwei Drittel (Häuser) oder sogar mehr als 80% (Betten) des Krankenhaussektors in öffentlicher oder freigeminnütziger Trägerschaft sind (Quelle).

Aber auch hier würde ich davon ausgehen, dass eine Bereinigung der Lohndifferenz um persönliche und betrieblich Merkmale zu einer erhelbichen Schrumpfung führen würde.

Zu den 150.000 oben genannten Pflegekräften in der Altenpflege kommt noch einmal die selbe Zahl in der Krankenpflege. Eine wesentliche Kompensation der sich auftuenden Lücke ist durch Einwanderung und Integration in den Arbeitsprozess nicht zu schaffen.
Man sollte dabei auch bedenken, dass in den letzten Jahren viele ausländische Pflegekräfte wieder gegangen sind (z.B. aus Spanien angeworbene) weil das Tätigkeitsprofil einer qualifizierten Pflegekraft in Deutschland nich annähernd das Niveau aufweist, das man in Spanien gewöhnt ist. In vielen Ländern ist der Beruf viel höher professionalisiert und hat den rechtlichen Status eines quasi eigenständigen Heilberufes, der auf Augenhöhe mit den Ärzten zusammen arbeitet. Ähnliche Bestrebungen sind in Deutschland durch (Kassen)Ärztliche und gewerkschaftliche Lobbyarbeit systematisch unterminiert worden.
Das führt zu einer völlig absurden Versorgungsrealität. Zum Beispiel dergestalt, dass in Deutschland ausschließlich Ärzte geimpft haben. Oder das eigenständige arztersetzende Hausbesuche von Pflegekräften, wie in Kanada üblich, in Deutschland nicht möglich wären. Wenn wir nicht dringend etwas an der Professionalität des Berufsbildes Pflege ändern, werden wir niemals mehr genügend Menschen für diesen Beruf gewinnen bzw. diese darin halten. Wir werden auch keine qualifizieren Pflegekräfte haben, die dann in der Lage sind, die Massen an für Grundpflege (Waschen, Betten, Füttern,…) benötigten Hilfspflegekräften strukturiert anzuleiten.

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Ich stimme den vorherigen Diskussionsbeiträgen ebenfalls weitestgehend zu. Ergänzend würde ich noch hinzufügen, dass durch den Applaus zu Beginn der Corona-Pandemie sicherlich eine deutliche Aufwertung des Pflegeberufs (auch im Einzelhandel oder bei Kinderbetreuung) in der Wahrnehmung der Bevölkerung stattgefunden hat. Umso schlimmer war dann die Verachtung der Politik im Jahresverlauf 2020 die Arbeit nicht hinreichend auch finanziell zu würdigen. Hier wurden Prämien versprochen, die dann an zu viele einschränkende Bedingungen geknüpft waren. Das hat letztendlich dann zu einer noch größeren Abwertung geführt, die allein von der Politik verschuldet wurde. Ebenso fragt man sich natürlich, was bei vielen Bundesländern mit SPD-Regierungsbeteiligung abgeht, wo man sich gegen adäquate Lohnerhöhungen stellt, wie bspw. in Berlin (Vivantes und Charite sind im Besitz und Betrieb des Landes; seit Monaten Arbeitskämpfe).

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Stimmt, da war ich zu schlampig. Aber umso wichtiger ist es jeden Beitrag zu mobilisieren, der möglich ist. Also eben auch Zuwanderung.