Ich persönlich finde, dass der Ethikrat - bzw. ehrlicherweise vor allem seine medial dauerpräsente Vorsitzende - in dieser Frage beharrlich am Problem vorbei argumentiert. Da fehlen genau die präzisen Analysen, die ich mir von Ethik-Profis wünschen würde. Stattdessen werden in populistischer Manier Thesen vertreten, die im Kern darauf hinauslaufen: Alle Gefühle sind valide, und alle haben irgendwie einen Punkt. Das gefällt sicher vielen, aber es hilft leider in einer politischen Debatte überhaupt nicht weiter, wo ja konkrete Entscheidungen getroffen werden müssen.
Vielleicht wird Solidarität auch einfach zu kurz verstanden. Es spricht natürlich nichts dafür Geeimpften ihre Freiheiten vorzuhalten. Aber Solidarität kann auch bedeuten, dass man letztlich dafür zahlt. Das meine ich auch entsprechend monetär. Zahl den Leuten die warten müssen Geld. Es geht nicht mal um Reichtümer, aber es gibt mir zumindest das Gefühl nicht vergessen worden zu sein. Finanzieren kann man das über die Generation. Zum Beispiel eine Sonderabgabe für Ü60. Weil sind wir ehrlich. Der Hauptgrund für die gesamten Einschränkungen lag in deren Schutz. Natürlich nicht nur, aber wer sich ehrlich macht kann das wohl kaum vom der Hand weisen. Niemand hat etwas davon wenn Geeimpfte sich einschränken, aber viele haben davon etwas, wenn Sie sich weiter einschränken müssen aber dafür zumindest eine Anerkennung bekommen.
So im ersten Moment wo man sich über die Ungleichheit Gedanken macht, kommen viele zu dem Schluss, dass auch geimpfte nicht mehr dürfen sollen. Das wird auch in der Lage sehr gut dargestellt, warum das einfach nicht zielführend ist für das Allgemeinwohl.
Daraus jetzt aber zu schließen, dass grundsätzlich keine Solidarität gefordert werden darf finde ich unpassend. Wenn man Leute fragt was die besten Jahre ihres Lebens waren, kommt häufig: Mit 25, da stand ich voll im Saft. Ich bin jetzt 25 und sitze die ganze Zeit in der Bude, weil ja verständlicher Weise die Pandemie bekämpft werden muss. Mein eigenes Risiko ist natürlich gegeben, aber nicht sonderlich hoch schwere Folgen davon zu tragen. Also ist ein großer Teil meiner Handlung Solidarität gegenüber der Gesellschaft.
Ich fühle mich in meinen Bedürfnissen missachtet, wenn die einzige Aussage dann dazu ist: Das ist ja nur Neid, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt.
Ich kann dem letzten Beitrag da auch nur zustimmen. Es gibt einfach keine Anerkennung, ob das jetzt direkt monetär sein muss oder in sinnvolle zukunftsorientierte und die junge Generation fördernde Gesetze gehen sollte, ist dann nochmal eine andere Frage, aber irgendwas wäre echt schon mal hilfreich.
Zum Beispiel bessere Bildungsangebote, mehr Geld für Bildung, Umweltschutz. Irgendwie eine Aussage zu: Wir kümmern uns um die jüngere Generation. Das muss ja wie oben gesagt nicht sein, dass die anderen auch irgendwas nicht dürfen, davon hat man ja nicht wirklich was.
Und wenn man darauf als Politik halt überhaupt nicht eingeht, darf man sich auch nicht wundern, wenn dann Leute sich nicht an Regeln halten.
Ich finde in dieser Debatte nur die reinen mit den Impfungen verbundenen Privilegien zu betrachten greift zu kurz und das hat mir auch in der Lage gefehlt.
Ist es wirklich Populismus, wenn Experten darauf hinweisen, dass die Situation nicht schwarz und weiß ist? Populismus ist doch normalerweise ganz im Gegenteil eher, wenn eine komplexe Situation in eine einfache Form gegossen wird, aus der dann ganz klare politische Entscheidungen resultieren, die keine anderen Optionen zulassen.
Und es folgen ganz pragmatische Dinge aus dieser Position: Konkret wäre z.B. die politische Strategie „Zahlen runter und Freiheitsrechte an alle zurückgeben“ möglich, statt einer Mitigierungsstrategie, die die Ungleichheit in der Bevölkerung forciert, verlängert und Menschenleben als Kollateralschäden sieht.
Ich finde es überraschend dass diese Option nicht einmal mehr zur Diskussion steht nachdem auch die Lage Verfechter dieser Strategie war. Was hat sich in eurer Meinung eigentlich geändert?
Hier eine schöne Kolumne in Spiegel Online die das gesamte Problem der Missachtung der Jugend aufgreift.
Ich kann mich da nur dem Vorredner anschließen. Es bräuchte meiner Meinung nach einfach einer gewissen Anerkennung der Generation, die sich im Verhältnis zum Risiko stärker einschränkte als die ältere Generation. Das heißt nicht das alle zusammen leiden sollen, aber mir würde es auch schon reichen wenn etwa die Politik verstärkt in Interessen der Jungen investieren würde; oder auch etwa Kulturgutscheine oder ähnliches an alle u60 verteilen würde, die dann in der Zukunft wahrgenommen werden könnten.
Allerdings habe ich große Zweifel an einer solchen Politik, da ich einfach nicht sehe das Interessen der Jüngeren gerecht in der Politik vertreten werden.
@vieuxrenard ihr hatte in der letzten Lage ja auch die Solidarität nochmal angesprochen. Hier macht ihr m.E. einfach eine Gesamtrechnung für die Gesellschaft; wenn also das Gemeinwohl steigt sollten sich die anderen damit abfinden, dass Sie weiter eingeschränkt bleiben.
Ich sehe hier das Problem, das Menschen einfach nicht so rational sind wie ihr es in den Raum stellt.
Nehmen wir mal an 2 Personen können sich 10-Güter aufteilen. 1 Person entscheidet wer wieviel bekommt und die andere stimmt zu. Verteilt die Entscheidende Person nun die Güter etwa in einem Verhältnis 10-0 oder auch 9-1 und vielleicht auch 8-2, so wird es keine Einigung geben, da sich ein Teil zu sehr im Nachteil sieht auch wenn er selbst keine Nachteile davon trägt. → Das Gemeinwohl würde aber immer um 10 steigen. Ich finde hieran kann man sehen, dass eure Argumentation in einer realistischen Betrachtung des Menschen als nicht rein rationales Wesen scheitert. Man könnte hier auch von einer Verhandlungszufriedenheit sprechen; unabhängig von der Rationalität einer Entscheidung möchte man Zufrieden aus der Verhandlung gehen, und das scheitert aktuell leider.
Ich finde vor allem den Punkt spannend, wie die Jugendlichen, die noch keine Aussicht auf Impfung haben, auf die Beschlüsse reagieren werden. Ich denke, viele werden sich absichtlich infizieren, das Problem wurde vor einem Jahr in Bezug auf mögliche Corona Partys ausgiebig diskutiert und sich deshalb gegen Lockerungen für Genesene ausgesprochen. Mit kostenlosen Selbsttests und negativem Ergebnis die gleichen Lockerungen zu erfahren, würde das Problem lösen denke ich.
Ich kann mir schwer vorstellen, dass die absichtliche Infektion für viele eine gangbarer oder attraktiver Weg ist, nur um die Beschränkungen zu umgehen. Das ist ein ziemliches Risiko, sowohl was die kurzfristigen Bedingungen wie Quarantäne etc. angeht, als auch Spätfolgen oder der eines schweren Verlaufs.
Es treibt aber die generelle Unzufriedenheit voran, wie dieser Kommentar von Christan Stöcker auf Spiegel Online beschreibt:
Es fehlt ein Konzept und dass sich dies, am mehr oder weniger, absehbaren Ende der Pandemie so deutlich zeigt, ist besonders verheerend. Die Jungen (und da zähle ich mich im weitesten Sinne dazu) wurden zu unglaublichen Anstrengungen angehalten und müssen jetzt noch weiter durchhalten, obwohl die zu Schützenden jetzt bereits ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen können.
Ich befürchte das Konzept heißt: alles für meine Wähler…und das sind eben keine Jugendlichen und Kinder. Das ist schon sehr offensichtlich wer wie in der Pandemie bevorzugt und vernachlässigt wurde. Ebenso erkennbar bei der Lastenverteilung.
Es bedarf dringend einer Wahlrechtsreform, nämlich wählen ab 14 und vorher darf der gesetzliche Vormund im Namen des Kindes wählen. Anders werden Interessen von Kindern nicht wahrgenommen.
Hey Sven,
ich gebe zu, es ist für uns schwer vorstellbar, dass Menschen dieses Risiko eingehen. Aber ich arbeite seit fast 15 Jahren in der offenen Jugendarbeit und viele unserer Jugendzentrumsbesucher werden das machen, da bin ich mir sicher. Wenn deine genesenen Freunde sich wieder abends treffen dürfen und du alleine ohne Impftermin zu Hause sitzen musst, kommst du mit 15 Jahren schnell auf doofe Ideen, zudem wenn deine genesenen Freunde vielleicht auch alle einen sehr milden Verlauf hatten. Außerdem gab es diese Corona Partys leider tatsächlich schon zu häufig… Traurig, aber war.
VG Kilian
Ein Punkt der mir häufig zu noch zu kurz kommt, ist auch von @Hoererin-der-Nation bereits angesprochen worden.
Wir befinden uns gerade in einer Situation in der für viele Menschen ein Ausgangssperre gilt, was ein drastischer Einschnitt in die Grundrechte ist. Auch für mich persönlich als eher Nachtaktiver Mensch (ja ich gehe tatsächlich gerne nach 11 Uhr noch joggen) ist das eine reale starke Einschränkung.
Trotz hoher Inzidenzen wird nun bereits über die nächsten Lockerungen für Geimpfte nachgedacht. Die Geimpften die ins Kino, ins Restaurant, ins Theater, in den Biergarten usw gehen werden aber zwangsläufig zu mehr Kontakten auch von Ungeimpften führen. Irgendwer muss die Leute ja bedienen und Waren anliefern. Da kommen entlang der Wertschöpfungskette einige Kontakte zusammen. Ich denke diesen Wirkungszusammenhang wird keiner bestreiten.
Im Ergebnis führt das zu einer Verlängerung der massiven Einschränkungen von Ungeimpften.
Überspritzt ausgedrückt wird dem Recht der Menschen ins Restaurant zu gehen und dem Recht des Wirtes Geld zu verdienen mehr Gewicht verliehen als dem Recht der Ungeimpften das eigene Haus zu verlassen wann man möchte. Persönlich finde ich diese Entwicklung absolut pervers! Besonders nach Jahres des Aufrufes zur Solidarität.
Als junger (29) und gesunder Mensch aus Nürnberg (aktuelle Inzidenz von 222,2) ohne Priogruppe wird eine Immunisierung für mich vor September schlicht unrealistisch sein.
Natürlich sollten geimpfte schnellstmöglich ihre Freiheiten zurückbekommen. Aber wartet doch bitte mit Öffnungen bis die Inzidenzen überall niedrig genug sind um allen Bürgern zumindest die krassesten Einschränkungen zu ersparen.
Das hat für mich auch überhaupt nichts mit Neid zu tun. Wenn es keine Ausgangsbeschränkungen mehr gibt sollen sich geimpfte gerne von geimpften Dienstleistungen erbringen lassen so schnell es geht. Aber bis dahin wäre Solidarität der Geimpften hier absolut angebracht - auch was private größere Treffen angeht.
Hier können wir die Folgen von blanker Lobby- und Klientelpolitik sehen:
Das passiert, wenn man sich nur um einen Teil der Bevölkerung kümmert wie es SPD und besonders CDU/CSU tun. Es wird Zeit unser Wahlrecht zu ändern. Jugendliche sollten ab 14 wählen und bis zu diesem Alter wählt der gesetzliche Vormund im Namen der Eltern. Dann haben wir vielleicht auch mal irgendwann Politik für jeden Bürger und nicht nur für Wirtschaft, Spender und Senioren.
Hier in Hamburg, wo die meisten „Vordrängler“ erwischt wurden, gibt es weitere Probleme:
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Eine intransparente, schlecht kommunizierte und dem Anschein nach beliebige, politische Priorisierung nach Berufsgruppen, die die bundesweit gültige Stiko-Priorisierung übersteuert (Die Sozialbehörde verkündet an irgendwelchen Tagen, welche Berufsgruppe aufgerufen ist, ohne dass es einen Fahrplan oder sonstige öffentliche Hinweise zu dem zeitlichen Ablauf oder Reihenfolge der Berufsgruppen gibt). Während vorerkrankte Prio3-Patienten warten müssen und am Impfzentrum abgewiesen werden.
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Eine Freigabe von Astra-Zeneca, die aber vollkommen auf die Hausärzte abgewälzt wird. Die HA werden mit dem höheren Aufklärungs- und Verwaltungsaufwand allein gelassen (und Spahn grätscht zusätzlich noch mit dem Wahlkampfmanöver vom nach Wunsch abkürzbaren Zweitimpfungs-Intervall hinein). Für Freiwillige, die AZ sofort nehmen würden, gibt es aber keine zentrale Warteliste. Wodurch jeder Einzelne die Arztpraxen einzeln abklappern muss, was einerseits die Belastung der Praxen weiter erhöht und andererseits die Aussichten der Impfwilligen mindert.
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Eine Ankündigung der Sozialbehörde, daß das Impfzentrum bald geschlossen wird - und diese Ankündigung in einem Moment, wo noch nicht mal alle Priogruppen aufgerufen(!) sind, und die Arztpraxen aus allen Nähten platzen - ohne jeglichen Plan oder Kommunikation, wer die wegfallenden Impfungen denn übernehmen soll. Während die Politik ankündigt, die Priorisierung im Juni komplett aufzuheben, was zu einer weiteren Explosion der Nachfrage führen wird.
Unterm Strich möchte ich die Vordrängler nicht verteidigen oder rechtfertigen - aber hier erntet die Politik genau das, was sie gesät hat.
Es gibt mMn keine „gerechte“ Impfpriorisierung, da schlichtweg nicht alle gleichzeitig geimpft werden können, da kann man genauso gut zufällig impfen. (Randnotiz: interessant ist hier der Ansatz von Bhutan, die wohl dem Vernehmen nach Impfungen gehortet haben und so lange sehr effektive Maßnahmen mit geringen Infektionszahlen hatten bis sie genügend für alle hatten und dann in einem Rutsch so schnell wie möglich durchgeimpft haben, wobei der König als letzter geimpft wurde).
Die einzige Möglichkeit das Konfliktpotenzial der Impfung gering zu halten ist mMn dafür zu sorgen, dass die Infektionszahlen so gering sind, dass das Risiko für alle vertretbar ist, Geimpft oder Ungeimpft. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass es in Neuseeland oder anderen Ländern mit sehr niedrigen Infektionszahlen kaum Debatten um die Impfpriorisierung und den Regeln für Geimpfte vs Ungeimpfte gibt. Es ist dort schlichtweg nicht relevant. Das wurde in Deutschland und beinahe EU-weit trotz aller Warnungen und Konzepte aus der Wissenschaft abgelehnt.
Jetzt ist der Karren im Dreck! Durch Impfung alleine kommt er da nicht raus, außer über die Leichen von tausenden.
Das ist der einzge Punkt dem ich nicht zustimme. Prioritäten beim Impfen machen schon Sinn. Viele Kontakte tragen überproportional zur Ausbreitung bei und machen es uns schwerer die Inzidenzen zu drücken. Leute mit hohem Risiko für Komplikationen und Tod zu impfen macht ebenfalls Sinn - sowohl aus Gründen der Menschlichkeit als auch für das Gesundheitssystem. Da helfen Impfungen allen.
Wenn man das jetzt aber noch wie auch du vorschlägst in ein ebenso sinnvolles Gesamtkonzept einbinden würde und diese Effekte nutzt um die Infektionszahlen / Krankenzahlen wirklich so niedrig zu halten dass man für alle Menschen lockern könnte… Dann wäre in jeder Weise die beste Variante dort gut durchzukommen…
Ich frage mich für ganze Zeit bei dieser Diskussion:
Was ist mit jemanden, der sich nicht impfen lassen will oder kann (Kinder unter 12 zum Beispiel oder einfach ein Impfskeptiker)?
Wie sieht die Perspektive für diese Gruppe aus?
Heißt es immer testen, immer Quarantäne für die nächsten Jahre?
Die Frage ist richtig und wichtig für die, die sich aus medizinischen Gründen nicht testen lassen können. Wer sich nicht testen lassen will, hat eine Entscheidung getroffen, mit deren Konsequenzen er bzw. sie dann leben muss. Ich finde nicht, dass der Rest der Gesellschaft auf diese Rücksicht nehmen muss.