Die Frage aller Fragen

Liebe Lage-Community,

dies ist kein Themenvorschlag. Vielmehr hoffe ich auf Sparringspartner, die mir helfen, meine Gedanken zu entwickeln. Vorausgeschickt sei, dass mir bewusst ist, dass es hier nicht die eine Antwort gibt. Trotzdem bin ich gespannt auf differenzierte Positionen.

Man nehme hypothetisch folgende Ausgangslage an:
X ist eine der privilegiertesten Personen. Im Sinne Spidermans glaubt x „aus großer macht folgt große Verantwortung“. X möchte die Welt besser machen und fragt sich wie. Weil x die Antwort nicht kennt, begann x ein Jurastudium, das x mit dem ersten Examen „sehr gut“ abgeschlossen hat.

Wie wirkt x am weitreichendsten?
Es geht hier um rollen:
(1) Lehrer/Mentor im weitesten Sinne (auch für den eigenen Sohn)
(2) Politiker
(3) Richter
(4) Anwalt
(5) Journalist/Reporter

Oder und besonders betont:
(6) ein Job, der selber weder gut noch schlecht ist, aber bei dem 30 Wochenstunden ausreichen, um die 4-Köpfige Familie zu ernähren, dabei als „normales“ Elternteil im Kleinen wirken und die „freie“ Zeit für ein Ehrenamt nutzen.

Ich bin gespannt.
Vorfreudige Grüße aus der schönsten Stadt der Welt

Leon

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Schwere Frage, aber interessant. Lehrer/Mentorin würde ich schon weit vorne sehen. Gegenüber einem Elternteil ist sie schon ein Multiplikator. Zudem ist sie als Vorbild schon auch in der Lebenswirklichkeit eher beobachtbar und somit wirksamer als ein Journalist/Politikerin, die die schönsten Dinge schreiben und sagen können, aber im wirklichen Leben nicht darstellen müssen. Aber sie sprechen das grösste Publikum an.

Elternteil als Vorbild ist unschlagbar, aber für Wenige. Aber schon mehr als nur für die eigenen Kinder, durchaus für Kinder und Eltern in der Umgebung. Und mit Ehrenamt ist die Reichweite noch schön auszudehnen.

Anwalt und Richter sind zu sehr beschränkt auf ihr Berufsfeld. Ich habe noch nie mit einem Richter zu tun gehabt, kenne auch gar keinen. Anwälte, die sich vielleicht zur Hälfte ihrer Arbeitszeit für die Anliegen von Schwachen und gegen gesellschaftliche Missstände einsetzen zu stark ermässigten Stundensätzen oder umsonst haben mehr Wirkung als Richter jedenfalls.

Ich sehe, es ist schwer, da ohne Gegenrede etwas Gescheites zu sagen …

:flushed: das sind ja schon sehr unterschiedliche Aufgaben. Alle diese Sachen können „die Welt ein bisschen besser machen“, sie alleine retten kann wohl auch X nicht :wink:

Ich denke: Wertvolles wird nur dann aus der Tätigkeit von X entstehen, wenn X sich selber in der gewählten Aufgabe wohlfühlt. Die Bedingungen dazu sind

  1. dass X daran glaubt, dass die Aufgabe nach außen positiv wirkt
  2. dass X die Tätigkeit gerne und
  3. gut macht.

1 und 2 sind Ausschlusskriterien. Man schreibt so eine Liste nicht, wenn etwas drauf steht, wo das nicht erfüllt ist. Zu 3: Die persönlichen Voraussetzungen sind für alle 6 doch sehr verschieden. Da wäre mMn eine Analyse des Profils der Aufgaben/Jobs und Abgleich mit eigenen Stärken und Schwächen im Selbst- und Fremdbild angebracht.

Du stellst dann doch noch ein sehr großes weiteres Diskussionsfeld auf: was ist denn deiner Meinung nach die schönste Stadt der Welt?

Viele Grüße aus der schönsten und hässlichsten Stadt Deutschlands^^

Vielleicht wirkt er auch am besten, wenn er in einer Wirtschaftskanzlei ein maximales Einkommen erzielt und möglichst viel davon für die nachgewiesen effektivsten Wohltätigkeitsorganisationen spendet.

Beispiel: Sam Harris | #271 - Earning to Give

Kannst du erklären, was diese Tatsache bei deiner Frage für eine Rolle spielt? Das leuchtet mir irgendwie nicht ein.

Hallo Leon,

was ist denn die schönste Stadt der Welt?

Du bist offenbar in der Berufsfindungsphase. Da bin ich selbst durch, und zwar bis heute fünf mal, und ich habe zwei Söhne, die an diesem Thema dran und noch noch nicht damit fertigt sind, der Studium, der andere fängt jetzt eine Ausbildung an. Mit 30 Jahre Berufserfahrung möchte ich Dir gerne ein paar grundsätzliche Gedanken mit auf den Weg geben:

  1. Das ist keine Entscheidung, die Du nicht nochmal ändern kannst. Gehe daher nicht all zu verspannt an das Thema ran. Aber ohne Frage: Es ist eine sehr wichtige Entscheidung. Die Du Dir hoffentlich Dein ganzes Berufsleben lang immer wieder stellen wirst. Richtig Glück hast Du gehabt, wenn Du Dich immer wieder mit Überzeugung für Deinen Beruf entscheidest, für den Du Dich schon das erste Mal entschieden hast. Aber es ist alles andere als ein Beinbruch, wenn das nicht der Fall ist. Sagt jemand, bei dem es so fünf mal war! Und er nichts bereut.
  2. Zufriedenheit ist wichtiger als Wohlstand. Wenn Du an Deinem Beruf überwiegend Freude hast, lebt es sich ohne Reichtum ganz sicher besser, als wenn Du reich bist, aber Dein Job kotzt sich an.
  3. Eine hinreichende Bedingung für Zufriedenheit ist, dass Du spürst, dass Du gut in Deinem Job bist (was Du natürlich erst nach einer guten Ausbildung / Studium und ein paar Jahren Berufserfahrung sein wirst).
  4. Gut kannst Du in einem Job nur sein, wenn er Dir Spaß macht. Ja, da beißt sich die Katze in der Schwanz.
  5. Für Dich scheint ja eine zweite hinreichende Bedingung für Zufriedenheit zu sein, dass Du etwas bewirkst. Das finde ich gut! Aber ich würde denken: Irgendwie bewirkt fast jeder etwas Gutes mit dem, was er tut. Das Gute ist dann nicht immer so offensichtlich. Frage Dich einmal selbstkritisch, ob es Dir wirklich darum geht, etwas Gutes zu bewirken, selbst wenn das gar nicht so offensichtlich ist (ein guter Gesellschaftsrechtsanwalt ist für Unternehmer eine sehr wichtige, persönliche Stütze und hilft dabei indirekt, viele Arbeitsplätze zu erhalten oder sogar zu schaffen) oder darum, nach außen sichtbar etwas Gutes zu bewirken.
  6. Daher ist es sehr wichtig, herauszufinden, welche Begabungen und Fähigkeiten Du hast und welche Neigungen. Mein jüngerer Sohn hat eine sehr gute Berufsorientierung gemacht, die ihm dabei sehr geholfen hat. Diese hier war in Berlin. Aber so was in der Art gibt es vielleicht auch in der schönsten Stadt der Welt. Das Ergebnis hatten wir überhaupt nicht erwartet, aber es hat uns auch nicht überrascht: Es gibt so viele Ausbildungsberufe, Studiums und Berufsbilder … wir alle kennen nur einen ganz kleinen Ausschnitt!
  7. Wenn Du Dich für eine Ausbildung oder ein Studium o.ä. entschieden hast, wähle einen gutes Ausbildungsbetrieb, eine in Deinem Fach gute Fachhochschule oder Universität aus!

Zu Deinen Rollen, die Du Dir überlegt hast:

  • Lehrer oder Mentor kannst Du in allen Berufen sein. Und natürlich auch für Deinen Sohn
  • Schau Dir den Richter-Beruf sehr genau an. Mein Einruck ist: Entweder, man ist Richter an Gerichten mit hohem Ansehen und Wirkung. Das dauert - sehr lange! Oder man ist bei Gericht in einer ziemlichen Mühle und einfahrenden Abläufe und kann den einzelnen Fällen gar nicht genug Zeit widmen. Richter hat dem Bild, das durch Film und Fernsehen vermittelt wird, nicht viel zu tun. Aber: Da stecke ich zugegebenermaßen selbst nicht tief drin. Ist vielleicht völlig falsch.
  • Als Anwalt kannst Du an der richtigen Stelle durchaus viel bewirken. Ein Anwalt für Insolvenzrecht? Da denkt man zuerst an ein sehr graues, staubiges Thema. Aber ein Insolvenzrechtler kann oft seine Mandanten z.B. vor der Privatinsolvenz retten.
  • Politiker: Wenn Du wirklich was bewegen willst, dann entweder in der Kommunalpolitik (falls Dich die Themen dort ansprechen) oder nur, wenn Du es erfolgreich durch die Partie-Mühle geschafft hast. Wie wenige danach ihre Integrität und Authentizität behalten hatten, kannst Du täglich in den Medien lesen.
  • Journalist: Ist ein toller Beruf. Davon hatte ich auch mal geträumt. Inzwischen bin ich froh, dass ich damals nicht an einer der Journalistenschulen angekommen wurde. Denn nach meiner Überzeugung sollte niemand Journalist werden, der nicht in einem Thema oder Fach wirklich bewandert ist. D.h., eine Fachausbildung und -studium und idealer Weise auch einige Jahre Berufs-und Lebenserfahrung hinter sich hat (und dadurch auch Demut für das herausgebildet hat, was er nicht weiß). Auch wenn das Jura-Studium lange und intensiv ist - ich glaube, ein guter Jurist kann ein sehr guter Journalist werden, wenn er gut kommunizieren (schreiben, sprechen, …) kann.
  • Zu Deiner 6. Option: Auch daran ist überhaupt nichts falsch! Eher im Gegenteil! Das ist allerdings eine Entscheidung, die nur Du mir Dir allein ausmachen kannst.
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Mir ist nicht klar, was die Rollen mit der Ausgangssituation „eine der privilegietesten Personen“ zu tun hat. (1) bis (6) kann im Prinzip jeder normale Mensch machen. Privilegien helfen da natürlich, z. B. wenn man während dem Studium nicht arbeiten muss, sind aber nicht zwingend notwendig. Von daher würde ich sagen, wenn eine möglichst große Wirkreichweite erzielt werden soll, ist der Ausgangpunkt auch diese Privilegien zu verwenden, um diese zu generieren. Oder anderes gesagt, welche der 6 Optionen sollte Spiderman Deiner Meinung nach wählen?
Wenn ich davon ausgehe, dass Privilegiert gleich reich bedeutet, dann sehe ich bei (2) Politiker die größten Vorteile. Sich aufstellen zu lassen ist relativ teuer und zeitintensiv. Das geht wesentlich einfach mit viel Geld in der Hinterhand. Das führt aber auch nicht zwingend zu großer Wirkreichweite oder zum Glücklichsein.

Dem stimme ich zu, möchte aber ergänzen, dass es schon eine Grenze gibt, ab der ein geringes Einkommen zu Unzufriedenheit führt. Wenn im Supermarkt nur das billigste im Angebot drin ist, dann ist vermtulich auch bei einem Superjob, die Gesamtsituation nur so mäßig glücklich.

Lieben Dank an alle,

es tut mir leid, dass ich erst so spät antworte.
Ich hatte die Frage, die mir schon länger auf der Seele brennt, aus einer Laune heraus gepostet, ohne zu bedenken, dass ich danach im Urlaub war.

Ich verstehe, wenn das Gespräch nun abgekühlt ist, freue mich aber über jeden, der nach wie vor teilnimmt.

Zunächst:
Für’s Protokoll: es geht natürlich nicht um mich, ich „frag für einen Freund“, den ich im Folgenden als „ich“ bezeichne. :sweat_smile:

Zum „privilegiert“ sein.
Hierzu habe ich eine andere Position. Ich glaube nicht, dass die angesprochenen Berufe im Prinzip von jedem ausgeübt werden können. Aus meiner Sicht ist es nämlich gerade nicht selbstverständlich, so aufzuwachsen, dass man sich auf seine eigene Ausbildung konzentrieren kann. Dies ist unumgänglich, um eine Abschluss zu erreichen, der ausreicht, diese Berufe zu ergreifen. Privilegierung bedeutet dabei nicht Reichtum, aber ausreichende Versorgung und vor allem: keine wirklichen Negativerfahrungen, etwa früher Tod naher Angehöriger, heftige Scheidung oder Vernachlässigung in wichtigen Phasen. Ganz zu schweigen von strukturellen Diskriminierungen jeder Art.

Zur persönlichen Eignung bzw. Leidenschaft:
Das sehe ich auch als den entscheidenden Faktor an. Das Problem besteht gerade darin, viele Interessen und (bitte nicht arrogant auffassen) Eignungen mitzubringen.

Besonders dankbar bin ich für die Aussage, dass die Entscheidung nicht endgültig ist. Trotzdem denke ich, dass ab jetzt manche Weichenstellungen zumindest nützlich sein werden. Insofern haben speziell Juristen im Referendariat die Chance und Qual zugleich. Aus meiner Sicht muss man für manche Wege „auf’s ganze gehen.“

Auch bin überzeugt, dass weder Geld noch Erfolg allein mich zufrieden stellen werden. Allerdings muss ich derzeit allein für eine vierköpfige Familie sorgen und will nicht nur finanziell sondern auch persönlich für diese da sein. Es kommt für mich nicht in Frage - auch wenn ich das reizvoll fände - lange Reisen, Aushaltsaufenthalte oder Bereitschaft zu leisten.

Deshalb scheidet für mich derzeit die (an sich priorisierte) Richter- und Journalistentätigkeit aus, da ich hier die „Bewährung“ nicht unter meinen Bedingungen bestehen kann.

Insofern denke ich derzeit über das Modell nach in einer größeren Kanzlei mit einer Teilzeitstelle in einem Bereich tätig zu sein, der auf eine Art positiv wirkt. (Hier könnte ich mit 30 Wochenstunden ausreichend verdienen).

Auf den Punkt gebracht Stelle ich mir dabei Frage: Kann ich (mit dem angesprochenen moralischen „Mindset“) in einer Kanzlei tätig sein, wenn diese in anderen Bereichen aus meiner Sicht völlig unvertretbare Dinge tut - z.B. Cum-Ex (nicht Vertretung von einzelnen Mandaten, sondern strukturelle Förderung), Unterlaufen von Wirtschaftssanktionen, etc.?

Beste Grüße
Leon

PS. Die schönste Stadt der Welt sollte eigentlich als solche bekannt sein. Geheime Hinweise sind in meinem Profil versteckt :blush:

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Die Frage kannst letztlich nur Du selbst beantworten. Aber so im Kontext würde ich vermuten, dass Dir sowas auf Dauer eher nicht zusagt.