Die Architektur des deutschen Sicherheitsapparats

Das oben genannte Thema wurde schon in diversen Folgen von LdN angeschnitten und problematisiert. Eine Übersicht über die Kompetenzverteilung zwischen BND, Verfassungsschutz usw. wäre mal sehr interessant.

Auf dieses Thema bin ich durch dieses Dokumentar-Hörspiel gestoßen:

Es gibt einen guten Eindruck an welchen Stellen die Rolle des Verfassungsschutz im NSU-komplex zumindest fragwürdig war. Ein Problem scheint der Föderalismus innerhalb des Verfassungsschutzes und dessen fehlende Kontrolle zu sein. Auch wenn der NSU-Komplex viel Aufmerksamkeit erfahren hat, sollte dieses Problem immer wieder aufgegriffen werden, sodass der Druck die problematischen Strukturen im deutschen Sicherheitsapparat zu reformieren entsteht/erhalten bleibt(???).

Das Hörspiel ist noch aus anderen Gründen sehr Hörenswert. Bei dem atypischen Format werden viele Aspekte des Falls ersichtlich, die in einem redaktionell gestrafftem Bericht über das Gerichtsverfahren unter den Tisch fallen. Beispielsweise das Leben der Angeklagten während des Untergetauchtseins. Es gibt außerdem einen guten Eindruck von der versuchten Aufklärung des NSU-Komplexes vor Gericht.

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Nach einer gewissen Zeit finde ich mal die Zeit, auf diesen Themenvorschlag bzgl. der Frage einer Übersicht über die Kompetenzverteilung zwischen den drei Einheiten an Nachrichtendienste in Deutschland einzugehen.

Verfassungsschutz
Die Ämter für Verfassungsschutz nehmen diejenigen Aufgaben aus dem Kreis der Verfassungsschutzfunktionen iSd Art. 87 I 2 GG wahr, welche nicht anderen Behörden übertragen sind. Sie sind förderalistisch differenziert zwischen einem Bundesamt (BfV) und 16 Landesämtern (LfV). Der Bundesanteil ist dem BfV in seiner Rolle als Bundesoberbehörde (§ 2 I 2 BVerfSchG) zugewiesen. Der Länderanteil ist von den einzelnen Bundesländern in eigener Verantwortung zu regeln und auszuführen (§ 2 II BVerfSchG).

Das BfV ist gesetzlich doppelfunktional als Bundesoberbehörde angelegt und demnach nach § 2 I 2 BVerfSchG dem Bundesinnenministerium des Inneren unterstellt. Auch intern ist es grds. nach dem Hierarchieprinzip aufgebaut. Der Präsident ist ggü. allen MitarbeiterInnen weisungsberechtigt. Die Eigenschaft als Bundesoberbehörde begründet deren Zuständigkeit für die gesamte Bundesrepublik. Der Auftrag bezieht sich auf Informationen über das Inland; die Informationserhebung erstreckt sich dabei ausschließlich auf das Inland (vgl. § 5 II BVerfSchG). Die prinzipiellen Aufgaben des BfV erstrecken ist zweigeteilt: Einerseits Spionageabwehr u.ä., andererseits die Aufklärung sonstiger Bestrebungen, welche nicht mit den Mitteln der Spionage arbeiten (Extremismus, Terrorismus etc.). Aufgrund des hohen Eingriffscharakters der Extremismusaufklärung setzt diese Tätigkeit ein hohes Maß an Rechtfertigungsbedürfnis der Ämter voraus.

Aufbau und Organisation der Landesämter richten sich grds. nach Landesrecht. Jedes Bundesland hat ein eigenes LfV eingerichtet, und zwar als eigene Landesoberbehörde oder aber als Abteilung im jeweiligen Innenministerium. Er erfüllen damit Landesaufgaben auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes für das gesamte Landesgebiet und arbeiten mit dem BfV zusammen. Die Aufgaben von Bundes- und Landesbehörden sind nach § 3 BVerfSchG im Kern gleich. Die Länder sind im Wesentlichen über die Bundesregelungen insoweit hinausgegangen, als einige von ihnen die Aufklärung der organisierten Kriminalität explizit auch als Aufgabe ihrer LfV formuliert haben (so etwa Bayern, Saarland und Hessen).Die Länder sind verpflichtet, die zur Erfüllung der eigenen Verfassungsschutzaufgaben und der vorgeschriebenen Kooperation mit dem Bund und den anderen Ländern erforderlichen organisatorischen, personellen und finanziellen Ressourcen bereit zu stellen. Das Handeln der Landesbehörden richtet sich grds. nach Landesrecht. Nur soweit dieses bundesgesetzlich überformt ist, sind dies anwendbar.

Militärischer Abschirmdienst (MAD)
Der MAD nimmt weitgehend dem Verfassungsschutz vergleichbare Aufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr (§ 1 MADG). Als „Verfassungsschutz der Bundeswehr“ steht er an der Schnittstelle von Verteidigungs- und Verfassungsaufgaben. Der MAD schützt die Sicherheit der Bundeswehr als Teil des Verfassungsstaates; und er schützt sie gegen Bestrebungen aus diesem Bereich selbst (§ 1 I 1 MADG). Der Bundeswehrbezug ergibt sich insb. aus der zuletzt genannten Dimension. Dies sich zeigt sich namentlich darin, dass auch die Aufklärung von Aktivitäten von Angehörigen des Verteidigungsbereichs gegen sonstige (zivile) Schutzgüter des Verfassungsschutzes in seinen Aufgabenbereich fällt (§ 1 I 2 MADG).

Der MAD dient der Aufklärung von Bestrebungen aus dem Kreis der Streitkräfte durch Angehörige der Streitkräfte selbst. Insoweit ist der militärische Bereich aus den Aufgaben der sonstigen Nachrichtendienste ausgegliedert: Die Bundeswehr soll nicht von anderen deutschen Diensten aufgeklärt werden; vielmehr soll dies gerade durch die Bundeswehr selbst geschehen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die spezifischen Aufgaben des MAD keinen Einsatz spezifisch militärischer Mittel voraussetzen.

Die Nähe zum Militär und seinem Verteidigungsauftrag, das militärische Denken in den Kategorien von Freund und Feind, Sieg und Niederlage, das gemeinsame Bewusstsein der Truppen von der Möglichkeit eines Angriffs von außen sowie der Notwendigkeit eigener Vorbereitung darauf, die schon traditionelle und trotzdem immer noch zunehmende Bedeutung von Intelligenz für Konfliktvorbereitung und -führung erscheinen als Legitimationsgrundlagen für die Dienste. Insoweit ähneln die hier anzutreffenden Aufgaben weitgehend der Logik der Spionageabwehr.

Die steigende Zahl von Auslandseinsätzen führt zu verstärkter Präsenz des MAD auch außerhalb der Grenzen der BRD. Dort ist er als Abschirmdienst ebenfalls für die Sicherheit der Truppen gegen Bestrebungen iSd § 1 MADG zuständig (§ 14 MADG). Dabei unterscheiden sich die Sicherheitslage und die Anforderungen an den Schutz von Standorten und Einheiten erheblich von demjenigen im Inland. Dies führt zur Aufgabenüberschneidungen und Abgrenzungsnotwendigkeiten insb. im Verhältnis zum BND, dem gleichfalls auch militärbezogene Aufklärungstätigkeit im Ausland obliegt und in dessen Beschaffungs- und Auswertungseinheiten daher auch Bundeswehrangehörige mitwirken.

Bundesnachrichtendienst (BND)
Der ursprünglich aus einer US-amerikanischen Dienststelle hervorgegangene BND hat seine gesetzliche Grundlage erst 1990 (!!) erhalten. Er ist als Bundesoberbehörde (§ 1 BNDG) organisiert und untersteht der Aufsicht des Bundeskanzleramts.

Seine im Gesetz nur ganz allgemein umrissenen Aufgaben werden durch unveröffentlichte Verwaltungsvorschriften näher konkretisiert, begrenzt und im Ausland in Einzelfällen über den gesetzlichen Rahmen hinaus noch erweitert. Prägend ist die Differenzierung zwischen Informationssammlung und -auswertung „über das Inland“ bzw. „das Ausland“ (§ 1 II 1 BNDG). Letztere ist ausschließlich dem BND zugewiesen. Die klassische Agententätigkeit wurde durch technische Überwachung des Fernmeldeverkehrs - zunehmend auch seiner satellitengestützten Anteile - und des Internets in hohem Maße ergänzt. Damit relativierte sich zugleich die Differenzierung zwischen Informationssammlung im Inland und Ausland. Satellitengestützte Aufklärung der Telekommunikation und Infiltration des Internets wurden auch hinsichtlich ausschließlich ausländischer Kommunikationsvorgänge vom Inland her möglich (was aber durch das BVerfG weitgehendst verboten wurde).

Perspektiven
Organisation und Organisationsrecht befinden sich gegenwärtig in mehrfacher Hinsicht in der Krise. Da ist zunächst die Zweckmäßigkeitsfrage: Wie tragfähig ist die Idee, das Nachrichtendienstrecht grundlegend anders zu gestalten als das sonstige Recht der Inneren Sicherheit? Wird dadurch wirklich ihre Handlungsfähigkeit erhöht oder eher gemindert? Da ist weiterhin die Rechtsfrage: Wie wenig Regelungsdichte vertragen Gesetze, die auch zu schwerwiegenden Eingriffen in Grundrechte ermächtigen? Daneben steht die Kontrollfrage: Über welche Kontrollmaßstäbe verfügen Parlamente und Gerichte, wenn die Gesetze keine hinreichend abgrenzungsfähigen Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgenanordnungen enthalten? Und schließlich stellt sich die Legitimationsfrage: Wie kann gesichert werden, dass die Dienste sich nicht aus der Verfassungsordnung entfernen, die zu schützen sie angetreten sind?

Gegenwärtig stellt sich mehr denn je die Frage: Wie kontroll- und wie reformfähig sind die Nachrichtendienste in der BRD? Hier scheinen Innen- und Außenperspektive durchaus unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Der in Parlamenten, Medien und Öffentlichkeit entstandene Eindruck von der Reformbedürftigkeit der Dienste auch durch und aufgrund von Kontrolle scheint jedenfalls nicht in allen Sicherheitsbehörden in gleichem Umfang zu bestehen. Allzu viele Mitarbeiter, aber auch manche Behördenleitung sehen Kontrollen externer Art immer noch eher als Behinderungen denn als Grundlage ihrer Tätigkeit. Dies offenbarte auch die Arbeit des U-Ausschusses des Deutschen Bundestages zum NSU-Affäre.

Argumente auf dieser Ebene beherrschten die Kontrolldiskussion vor 30 Jahren, also in der Bronzezeit des deutschen Nachrichtendienstes. Sie setzten regelmäßig an zwei Stellen an. Da war zunächst das Freund-Feind-Argument, wonach die Sicherheitsbehörden vor ausländischen Nachrichtendiensten, Terroristen, Kriminellen und Verfassungsfeinden schützen. Wer die Behörden in diesem Kampf schwäche, stärke dadurch die Bedrohungen, die doch eigentlich abgewehrt werden wollten - diese Argumentation wird vor allem von der Union und von der AfD verwendet. Hinzu tritt das Vertrauensargument: Wer im Geheimen gegen gleichermaßen geheim operierende Gegner arbeiten müsse und arbeite, handele in Erfüllung dieses Auftrags im Interesse der grundgesetzlichen Ordnung. In dieser Auseinandersetzung dürfen daher beide Seiten nicht einfach gleichgesetzt und gleich behandelt werden. Dies verbiete schon der Grundsatz der streitbaren Demokratie. Für die Sicherheitsbehörden gelten: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist (fast) besser.