Deutschlands Platz in der Welt

Ich bin gerade über einen Artikel gestossen, der mich besonders getroffen hat. Nicht wundern, es geht zwar grundsätzlich nicht um Deutschland, aber es fallen darin einige Zitate, die mich aufhorchen lassen. Hier der Link zum Artikel.

Es geht um die Aufrüstung Polens, eigentlich ein Thema, das nicht unbedingt Nähe zu Deutschland zeigt. - es fallen darin aber Sätze wie:

«Berlins Zögern, die Untätigkeit, stellt den Wert des Bündnisses mit Deutschland ernsthaft infrage. Und das sagen nicht nur wir», beschwerte sich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im «Spiegel». Er höre auch Klagen von anderen europäischen Regierungschefs.

Das alleine ist schon etwas verstörend, da es sich mit meiner persönlichen Wahrnehmung deckt. Deutschland verliert international massiv an Einfluss und Attraktivität. Nicht nur das Rüstungsthema, auch wirtschaftspolitisch machen wir seit einigen Jahren aus meiner Sicht gar keine gute Figur.

Jetzt geht’s aber weiter:

Auch die USA sollen zunehmend gereizt von der Bundesregierung sein, der verlässlichere Verbündete für die US-Regierung sitzt mittlerweile in Warschau. «Polen ist zu unserem wichtigsten Partner in Kontinentaleuropa geworden», zitierte das Nachrichtenportal «Politico» zuletzt einen hochrangigen US-Vertreter.

Ich finde diese Aussagen zutiefst problematisch und fühle mich in meiner Wahrnehmung stark bestätigt. Deutschland verliert massiv Einfluss und hat durch schlechte - und teilweise auch einfach dumme - Entscheidungen seine Reputation und Standortvorteile zunichte gemacht. Zudem lacht teilweise die Welt über Deutschland, weil wir unsere Probleme einfach so gar nicht in den Griff kriegen. Man nehme nur mal die Infrastruktur oder Netzempfang. Da sind wir weit abgeschlagen und das verhindert Wettbewerbsfähigkeit.

Wie würdet ihr sagen, dass wir das wieder „in den Griff“ kriegen? Was brauchen wir um mittelfristig wieder besser aufgestellt zu sein?

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Ich finde du machst hier 2 Sachen auf.
Zum einen Deutschland außenpolitische Rolle in der Welt.
Du führst hier in erster Linie die militärische Rolle auf. Hier kann ich wenig zu sagen, da mir hier einfach einiges an Wissen fehlt. Eine Meinung (!) dazu:
Ich bin der Meinung Deutschland sollte das 2% BIP Ziel bei militärischen Ausgaben einhalten um eine vernünftige Bündnisverteidigung zu gewährleisten. Ansonsten würde ich mir von Deutschland eine passive militärische Rolle wünschen. Auf Dauer sollte man aber darauf hinarbeiten die Rüstungsziele zu senken mithilfe von internationalen Abrüstungsverträgen. Scheint zwar gerade Utopisch, aber auf lange Sicht ist Aufrüstung von allen Seiten einfach kein Fortschritt, sondern Rückschritt.
Hier auch gerne widersprechen.

Zum anderen führst du innenpolitische Probleme auf( schlechte Infrastruktur, Mangelnde Digitalisierung usw.)
Hier triffst du einen Punkt. Lange Zeit hatten wir den Fall, dass wir uns auf unserem großen alten Industrien, wie z.B Chemie, Maschinenbau, Autos etc., ausruhen konnten. Das lag daran, dass wir lange Zeit ein großen Technologischen Vorsprung ggü. dem globalen Süden hatten. Dieser Vorsprung wird immer geringer. Zudem sind einfach noch neue Industrie Zweige aufgekommen in welchen wir fast gar keine Aktien haben. So z.b die alles was mit IT zutun hat. Da werden wir abgehängt.

Infrastrukturmäßig sind wir, was gängige Infrastrukturen angeht ( Straßen, Energienetze) gar nicht so schlecht aufgestellt. (Also alles was unsere großen alten Industrien brauchen). Dann aber auch hier: Digitalinfrastruktur ist eher nicht so unser Ding….

Was könnte man meiner Meinung nach tun:

  1. Bildungsausgaben erhöhen und Bildung verbessern. Also wirklich massiv investieren. (Ausgaben mind. verdoppeln). Das macht sich vielleicht erst in ein paar Jahren bemerkbar, aber Bildungsinvestition sind i.d.R immer sinnvoll angelegtes Kapital.
  2. Die EE-Industrie massiv stärken. Und zwar so, dass wir diese Produkte exportieren können. Hier auch bitte Geld locker machen für Forschung. Es wird sich lohnen.
  3. Soziale Ungleichheit reduzieren und finanziell besserer Auffang von vermeintlich gescheiterten Personen. Das Bedarf einer kurzen Erklärung: Erstmal ist das moralisch geboten. Zum Zweiten ist es so, dass wenn ich weiß, dass ich vernünftig aufgefangen werden, ich eher dazu neige finanzielle Risiken einzugehen und innovativ zu sein und Innovativ sein ist das woran es Deutschland leider fehlt…

Das wird sehr viel Geld kosten, also die unsägliche schwarze Null ist damit nicht möglich. Das müssen einige Parteien noch verstehen.

Das fällt mir gerade dazu ein :slight_smile:

Gruß
David

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Deutschland ist, gerade nach dem EU-Ausstieg von UK, zu groß, um eine passive Rolle einzunehmen und die anderen mal machen zu lassen. Wenn Deutschland sich auf einem zentralen Politikfeld passiv verhält, dann ist es der Rest der EU gezwungenermaßen auch. Sprich: es ist z. B. Deutschlands Aufgabe, die europäische Antwort auf die russische Agression maßgeblich mitzubestimmen. Wir sind nicht Belgien oder Portugal, sondern der entscheidende Player. Ob diese Rolle der deutschen Politik und Öffentlichkeit genehm ist oder nicht. Auch die deutsche Passivität ist eine Handlung, die für uns schwerwiegende Konsequenzen haben kann.

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Um das zu klären müssten wir die Ziele bzw. wie wollen wir in der Welt da stehen und wirken definieren. So lange wir hier auf keinen gemeinsamen Nenner kommen ist es müßig über die Maßnahmen die zum Ziel führen sollen zu diskutieren.

Edit

  • ist es unser Anspruch in Zeiten der Klimaveränderung „Exportweltmeister“ zu sein
  • können wir ein verlässlicher Partner (der USA) sein wenn die Ziele und Massnahmen nicht unseren Werten entsprechen.
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Es ist vielleicht etwas zu pessimistisch, aber Deutschland ist ein Land in Abwicklung. Die Altersstruktur wird die Immobilienblase platzen lassen und abfließende Investitionen die Wirtschaft auf Ramschniveau drücken. Aufgekauft und ausgeblutet, bleiben Industriebrachen übrig. Die Treuhand 2.0 wickelt diesmal nicht nur Ostdeutschland ab, sondern ganz Deutschland.
Alles was in die Rubriken fällt: „Trocken, Sicher, Sauber und Satt.“ bleibt übrig und finanziert sich aus einer explodierenden Verschuldung. Wer halbwegs mobil ist, hat das Land verlassen. Sicher überleben auch noch ein paar touristisch interessante Plätze für Bustouren durch das alte Europa.

Die EE Industrie erlebt vielleicht einen kurzen Aufschwung, wird aber von der industriellen Kraft Chinas in kürzester Zeit absorbiert.

Die Frage nach „Deutschlands Platz in der Welt“ beantworten eher China und vielleicht noch Indien für uns.

EDIT: sprachliche Korrektur

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Das würde ich nicht so düster sehen. Systeme wie das in China müssen erst noch zeigen, ob sie das Volk mittels ideologischen und technologischen Zwang dauerhaft klein halten können. Indien hat seine eigenen Problem nach Innen und nach außen. Dafür muss man nur die indischen Nachrichten schauen. Mir würde der Gedanke des Wechsels einer konkurrierenden globalen Welt zu einer kooperierenden globalen Welt sehr gefallen. Das wird vermutlich eine ebenfalls globale Bedrohung voraussetzen, die noch konkreter ist als die Klimakrise, da gesunder Menschenverstand ganz offensichtlich noch nie ausgereicht hat. :wink:

Naja, der Artikel spricht von der militärischen Seite, in meinem Beitrag habe ich ja eben einige andere Themengebiete eröffnet, beispielsweise generell Aussenpolitik, Wirtschaft und Infrastruktur.

Das ist für mich persönlich eher der Punkt. Wir haben ja durch die Expansion in den chinesischen Markt sogar noch Wettbewerbsvorteile „verschenkt“. Wer den chinesischen Markt kennt, weiss, dass nach China verlagerte Sparten immer mit der protektionistischen chinesischen Wirtschaftsordnung klarkommen müssen. Was meine ich damit? Mercedes - und später auch VW - haben ihre Elektromobilitäts-Programme zumindest in Teilen nach China verlagert und dabei wertvolles technologisches Know-How praktisch der Konkurrenz überlassen. Heute kommen zahlreiche durchaus konkurrenzfähige Autos aus China. Ich möchte da nur mal Aiways, MG, Genesis, JAC erwähnen, weitere werden folgen.

Unsere Wettbewerbsvorteile waren bislang Bildungsstand, Infrastruktur, technologischer Vorsprung („KnowHow“) - durch die zunehmende Verlagerung der Produktionsstandorte weg von Deutschland z. B. nach Tschechien (VW), Polen und China wird der Standort Deutschland zunehmend geschwächt.

Die innenpolitischen Themen wie soziale Gerechtigkeit, Infrastruktur und so weiter gar nicht mal eingerechnet droht aus meiner Sicht eine neue Situation in der Deutschland zunehmend die eigene Führungsrolle, vor Allem aber den Führungsanspruch verliert. Mutmasslich ist zum Beispiel die deutsche Autoindustrie in 10 Jahren ein Schatten ihrer selbst. Auch die Zulieferer geraten immer mehr unter Druck, was dann wiederum negative Konsequenzen auf die Volkswirtschaft und die Gesellschaft hat.

Das ist ein zweiter Punkt, der für mich mit dem Zitat aus den USA in meinem Urspurngspost mitschwingt. Deutschland ist aus meiner Sicht aussenpolitisch teilweise zu schwammig, zu wenig entschlossen. Das ärgert wiederum unsere „Freunde“ auf der Welt.

Der nachfolgende Absatz fasst das für mich ganz gut zusammen:

Leider habe ich die Wahrnehmung, dass unsere Bundesregierung diese Verantwortung nicht wahrnimmt und damit die politische Stellung Deutschlands in der Aussenpolitik zusätzlich schwächt. Man muss dabei ja nicht zum Kriegstreiber werden, ich denke einfach, wir sollten mit unseren Partnern deutlich enger zusammenarbeiten und auch mal klare Worte finden.

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Ich glaube der oben zitierte Beitrag von @Guenter fasst das ganz gut zusammen: Die Ziele sind keine, die wir selbst definieren müssen, sondern solche, die von Aussen an uns geraten. Wir wissen, dass wir mit unseren Verbündeten - oder wenigstens der EU - zusammenspannen müssen. Die Probleme sind innen wie aussen zu offensichtlich und zu zahlreich. Ich halte das für eine gefährliche Situation für unseren Standort.

Verlässlichkeit ist zudem nicht davon abhängig, ob Ziele und Massnahmen den Vorstellungen der internationalen Partner entsprechen. Man kann auch mit einer klaren Kante „nein“ sagen - auch das wäre verlässlich. Ich behaupte die Problematik ist, dass wir aktuell halt so mit uns selbst beschäftigt sind, dass wir unsere Verantwortungen nicht wahrnehmen. Auch das Thema Exportweltmeister ist für mich eine Nebelkerze - ich spreche in keiner Weise davon Exportweltmeister sein zu müssen, wir müssen uns aber halt was überlegen, was wir stattdessen machen. Exportweltmeister war bisher unser Vorteil, dieser schwindet aus meiner Sicht immer mehr, während keine anderen / neuen Wettbewerbsvorteile nachrücken. Stattdessen tauen jetzt die im Keller gebunkerten Leichen auf und machen es uns zunehmend schwer (hier sind wir wieder bei der Infrastruktur, sowie Sozial- und Bildungspolitik).

Das ist genau meine Befürchtung, zumindest längerfristig.

Genau hier würde ich einsteigen - brauchen wir nicht eine sinnvolle Antwort auf diese neuen Global Player? Wenn ja, wie könnte die aussehen? China bewegt sich mit all ihrer Macht trotz allem auf dünnem finanziellen Eis, Indien wird sich auch aber nicht ausschliesslich durch ihre IT-Kompetenz bald immer stärker auf dem Weltmarkt etablieren.

Momentan gäbe es aus meiner Sicht noch Instrumente um gegenzusteuern, aber die entgleiten uns zunehmend.

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