Demokratische Verantwortung der Öffentlich-Rechtlichen - Anspruch an Meinungsbildungsformate

Der Video-Podcaster Tilo Jung hat kürzlich zum zweiten Mal - in bewusster Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Diskursformaten - eine Debatte im Oxford Style durchgeführt:

Diese Art, Pro- und Kontra-Diskussionen zu führen, kennt man ansonsten nur aus Debattierclubs, die in Deutschland nach wie vor selten sind.

Die Polittalk-Formate der Öffentlich-Rechtlichen wurden in der jüngeren und auch schon länger zurückliegenden Vergangenheit etwas diversifiziert, als Beispiele nenne ich mal „Markus Lanz“, „maischberger“, „Hart aber Fair“, „Die 100“, „13 Fragen“, nur „maybrit illner“ und die „phoenix runde“ sind wie eh und je.

Meines Erachtens sind die Ergebnisse alle mehr oder weniger unbefriedigend.

Dabei hätten die Öffentlich-Rechtlichen - jenseits von Parallelöffentlichkeiten im Netz - doch die Aufgabe, an der politischen Willensbildung auf verantwortliche Art und Weise mitzuwirken.

Hier gab es ja bereits die Diskussion, ob man Rechtsextreme im Interview factchecken müsste. Im Nachgang der Präsidentschaftsdebatte zwischen Trump und Biden wurde Kritik laut, dass niemand die Lügen Trumps widerlegt habe. Usw.

Mir fehlt in politischen Diskussionen zumeist generell eine Schwerpunktsetzung auf faktenunterfütterte Sachargumente.

Stattdessen geht es immer wieder um irgendwas „Zwischenmenschliches“ (Streit, vermeintliche Intrigen, Taktiken, wer mit und wer gegen wen usw.), was für die politische Meinungsbildung bezogen auf Sachfragen erst einmal völlig unerheblich ist.

Auch fließt meines Erachtens viel zu selten Expertise in solche Auseinandersetzungen ein. Dadurch wirkt dann ein Pseudoargument - in der Wahrnehmung vieler Zuschauender - so gut wie ein faktenunterlegtes wirkliches Argument.

Das kann es doch nun wirklich nicht sein - zumal so dem Informationsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen nicht hinreichend nachgekommen wird und sich Teilnehmende oftmals mit Argumentationstricks durchmogeln können.

Zwar ist die direkte Breitenwirkung der öffentlich-rechtlichen Talkformate - gemessen an klassischen Einschaltquoten und Abrufraten - erst einmal nicht so hoch, aber über die nachlaufende Berichterstattungen über spezielle Sendungen im Netz werden manchmal dann doch eine ganze Menge Menschen erreicht, was das Ganze schon wieder relevant machen würde.

Persönlich fiele mir jetzt zunächst nur eine Art von modifizierter Oxford-Debatte ein, wo die Kontrahenten nach einer Runde mit diversen Expertinnen- und Experten-Einschätzungen konfrontiert würden, sodass Argumentationstricks in der Mehrzahl aufflögen. Dies würde dann auf mittlere Sicht zu mehr Sachbezogenheit und Sachlichkeit führen.

Außerdem unterläge die Diskussion dann nicht mehr einseitigen Suggestivfragen, wie Lanz sie beispielsweise regelmäßig nutzt.

Oxford-Debatten haben als mehr oder minder strikte Pro- und Kontra-Anordnungen natürlich auch gewisse Nachteile, weil Zwischenpositionen dadurch leicht unter die Räder kommen. Und seit den „Triggerpunkte[n]“ von Mau et al. 2023 wissen wir ja, dass gesellschaftliche Positionierungen mehrheitlich irgendwie mittig sind.

Die Frage ist also, wie können die Öffentlich-Rechtlichen Sendeformate gestalten, die tatsächlich zum Etablieren einer sachorientierten Debattenkultur beitragen können und so dann hoffentlich auch auf gesellschaftliche Diskussionen ausstrahlen.

Über konstruktive Beiträge freue ich mich.

Bitte nicht als Erstes das Totschlagargument, dass die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin nur noch alte Menschen erreichen. Über Online-Ausspielkanäle könnte man schließlich auch Jüngere erreichen. Einige Kanäle von Funk werden beispielsweise schon jetzt - gemessen an der demografiebedingt zahlenmäßig ohnehin kleinen Zielgruppe - recht gut frequentiert.

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ZEIT: Obwohl Sie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind. In dem Video zur Europawahl sagen Sie: Ich finde, die EU ist eine super Sache. Aber danach sagt keiner, das ist ja Indoktrination durch den Staatsfunk.
Krell: So was passiert wirklich selten. Wir haben eine Sendung gemacht zum Thema Islam. Da gab es einzelne Zuschriften, in denen es hieß, wir islamisieren die Kinder. Sonst bekomme ich nicht viel von dieser üblichen Kritik ab, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk bekommt. Kann aber auch daran liegen, dass einige Leute glauben, ich sei YouTuber. Viele gucken unsere Sendung ja nur dort.
Zeit Nr30/2024

Es klappt schon.

Du hast jetzt Bezug genommen auf meine Bemerkung mit den Ausspielkanälen im Netz, ja?

Aber wie siehst du die Notwendigkeit anderer Diskursformate?

Fände ich im örr eine gute Sache. Vlt noch gespickt mit Experteninput, aber dies Talkshows die es aktuell gibt schaue ich mir nicht mehr.

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Mir wurde mal versichert, dass das mit den Diskussionsforen mit Politikern schon immer so war. Anscheinend sind Politiker nicht daran interessiert, ernsthafte Debatten in der Öffentlichkeit zu führen und ich kann das nachvollziehen.
Danach könnte man sie auf diese Aussagen festnageln, was den Parteikollegen vielleicht gar nicht recht wäre.
Insofern: ja, ich würde das befürworten. Aber ich sehe da wenig Potential.
Stattdessen eben mehr informative Sendungen. Zu denen kann man dann Politiker einladen und diese dann offener reden.
Oder Talksendungen mit einem Gast, die in möglichst entspannter Atmosphäre vielleicht etwas herauslocken, was sie so nicht sagen wollten. Der WDR hatte mit „Zimmer frei“ da mal ein gutes Konzept. In Inas Nacht gelingt das heute auch immer wieder.

Mir geht es gar nicht darum, etwas herauszulocken.

Mir geht es eher darum, themenzentrierte politische Diskussion von manipulativer Rhetorik, Gaslighting und Oberflächlichkeit weitestgehend frei zu halten, sodass für die Zuschauenden Meinungsbildung bezogen aufs Sachthema aufgrund von Erkenntnisgewinn möglich wird.

Unsere politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten verhandeln ja die Sachthemen gewissermaßen stellvertretend fürs Elektorat.

Themenbezogene Dokumentationen, Reportagen und Magazinbeiträge - so wichtig sie sind - erreichen da, glaube ich, ein anderes Publikum, nämlich jenes, das schon an und für sich ein besonderes Themeninteresse mitbringt.

Diskursformate wie Polittalks sind anders geartet, da geht es auch immer darum, wie sich Politiktreibende für ihre jeweilige Partei positionieren.

Letztlich sollte es meines Erachtens auch darum gehen, ob denn die jeweiligen Positionen auch plausibel begründet sind.

Das lässt sich nach meinem Dafürhalten nur dann einigermaßen sicherstellen, wenn es eine Überprüfung anhand von Expertise gibt.

Dass das Detailprobleme nicht ausschließt, ist mir auch klar.

Aber das derzeitige Niveau ist doch mehr als bescheiden, finde ich.

Muss gestehen, dass ich solche Talkformate noch manchmal schaue, aber eigentlich nicht mit dem Ziel irgendeines inhaltlichen Erkenntnisgewinns, sondern vielmehr, um zu checken, welche Informationen überhaupt eine Chance hatten, diskutiert zu werden, und wie viel „alternative Fakten“ und rhetorische Tricks zugelassen wurden.

Letztlich ärgere ich mich dann häufig - wegen inhaltlicher Leere/Niveaulosigkeit, problematischer Moderation/Themenaufbereitung, aus meiner Sicht falscher Schwerpunktsetzung, dem sachfremden Inszenieren von „Nebenkriegsschauplätzen“ usw. usf.

Das gab den Anstoß zu diesem Threadthema.

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Eine vielleicht zunächst etwas abseitig erscheinende Idee wäre noch, Deepfakes einzusetzen.

Das liest sich vielleicht weirder, als es ist.

Ausgangsüberlegung wäre, eine Art „The Masked Singer“-Szenario herzustellen. Die Idee dahinter ist ja, dass man die Akteurinnen und Akteure nach ihren Fähigkeiten beurteilt und nicht nach Äußerlichkeiten oder Sympathie.

Es wäre doch mittlerweile möglich, dass die Äußerungen und Diskussionsbeiträge der Politikerinnen und Politiker als halbwegs lippensynchrone Avatare mit veränderter Stimme übertragen werden. Am besten noch ohne Angabe der zugehörigen politischen Partei.

So könnten sich die Zuschauenden ganz auf die Argumente und deren Stichhaltigkeit konzentrieren.

Die Diskutierenden bekämen dann einfach Nummern und neutrale Fakenamen.

Das erleichterte eine weniger voreingenommene Meinungsbildung beim Publikum.

Nach jeder Runde dann zunächst der Expertencheck.

Danach dann die Möglichkeit zum Voting per Telefon, Smartphone oder online.

Ergebnisse werden nicht veröffentlicht, können aber individuell abgerufen bzw. eingesehen werden.

Nach der letzten Runde gäbe es dann noch mal eine Zusammenfassung der einzelnen Positionen.

Währenddessen können alle, die am Voting teilgenommen haben, ihre individuelle Voting-Historie abrufen.

Erst danach würde dann enthüllt, wer zu welcher Partei gehört und wer sich hinter welchem Avartar verbirgt.