DAX als Wirtschaftsindikator ungeeignet?

In der aktuellen Lage-Folge argumentiert Ihr, dass eigentlich alles ganz gut ist und die schlechte Stimmung nahezu ausschließlich an der schlechten Kommunikation der Ampel liegt. Als Argument wird u.a. genannt, dass der DAX kürzlich einen neuen Rekordwert erreicht hat.
Meiner Meinung nach ist der DAX ziemlich ungeeignet um die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu beurteilen.

Zum einen sind nahezu alle DAX-Konzerne im großen Stil international tätig. Dies gilt für erzielte Umsätze wie auch für Arbeitsplätze. So machen z.B. die beiden größten DAX-Unternehmen SAP und Siemens nur ca. 15% ihres Umsatzes in Deutschland. Und wenn die Bedingungen in Deutschland nicht mehr passen, verschieben diese Unternehmen ihre Arbeitsplätze eben von Deutschland in Richtung USA oder China (siehe z.B. BASF)

Zum anderen sind viele Branchen und Wirtschaftszweige in Deutschland kaum bis überhaupt nicht an der Börse repräsentiert (und damit auch nicht im DAX). Dazu gehört z.B. Gastronomie, Agrarwirtschaft, Touristik, Einzelhandel, Speditionswesen, etc. (alles übrigens Branchen, die in den letzten Jahren nicht ganz unproblematisch waren)

Wenn man z.B. den SDAX mit seinen deutlich kleineren Unternehmen betrachtet (der trotzdem noch stark verzerrt ist), steht der Kurs gerade mal 5% über dem Vor-Corona-Wert von 2020. Wenn man das um die satten Inflationsraten der letzten Jahre bereinigt, steht da ein deutliches reales Minus.

Ich stimme Euch zu, dass ein Jahr mit negativen Wirtschaftswachstum kein Untergang ist. Wir sollten aber nicht vergessen, dass allen anderen entwickelten Ländern ein positives Wachstum gelungen ist.

Der ifo Geschäftsklimaindex weißt seit 2021 zumindest einen deutlichen Abwärtstrend vor:

(ifo Geschäftsklimaindex gefallen (Januar 2024) | Fakten | ifo Institut)

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Das ist eigentlich der wesentliche Punkt, warum „der DAX“ oder „die Börse“ überhaupt nicht repräsentativ für „die deutsche Wirtschaft“ ist. Ich hatte da mal recherchiert und auch hier im Forum gepostet, aber ich habe die Zahlen nicht mehr im Kopf.

Aber man sollte sich immer wieder klar machen: Ca. 80-90% der Arbeitplätze in Deutschland werden durch KMUs (Klein- und mittelständische) Unternehmen, das sind Personengesellschaften bis hin zu GmbH & Co. KG und Gmbhs, die durch einzelne oder wenige Gesellschafter, manchmal auch von Familien (mehrerer Generationen) getragen werden und schon seit Jahrzehnten in der überwiegenden Menge bezüglich der Eigenkapitalausstattung und Ergebnisrendite relativ schwachbrüstig sind. Und daher besonders für schwaches und noch mehr für negatives Wirtschaftswachstum anfällig sind.

Ich bin in genau diesem Klientel unterwegs (wobei Prinzip-bedingt eine klare Selbstselektion stattfindet: Die Unternehmer, deren Betriebe es sehr gut geht, wenden sich eher weniger an mich). Diese Unternehmer sind derzeit ganz mies drauf, haben Angst um ihre Existenz, sind pessimistisch über und wütend auf die Politik (wobei sie das kritisieren, war für viele Vorgängerregierungen schon gegolten hat).

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Ja, der DAX ist kein guter Indikator, wenn er singulär betrachtet wird.
Der IFO Geschäftsklima Index ist aber auch sehr mit vorsicht zu geniesen, da auch hier ein Gefühl, eine Erwartung, durch eine Umfrage abgefragt wird. Und die beteiligten Unternehmen sind ebenfalls nicht wirklich representativ.

Fakt ist, dass Deutschland drei Grundlegende Wirtschaftliche Herausforderungen hat; Energiepreise, Fachkräftemangel und Bürokratie. Für alle drei Herausforderungen werden von Seiten der Politik (von wirklich keiner Partei) gesamtheitliche Lösungsvorschläge angeboten. Die Parteien und auch viele Wirtschaftsinstitute kommen immer noch mit alten Vorschlägen; Steuern senken, Sozialabgaben senken, Bürokratieabbau.
Darum würde ich auch empfehlen sich mal von dem einen Jahr negativen Wachstum nicht verunsichern zu lassen, weil das BIP immer noch auf hohem Niveau ist, im Vergleich zu anderen Ländern, die jetzt etwas Wachstum haben.

Der Einzig mir bekannte Staat, der wirklich alle drei Herausforderungen angeht, sind die USA, mit Climate Reduction Act. Gut hier muss man sagen, dass Bürokratie eher eine Untergeordnete Rolle spielt, dafür ist der Fachkräftemangel extremer.

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Zustimmung! Das zeigt ja exemplarisch, dass sich die Interessen der DAX-Konzerne und die vieler mittelständischer Unternehmen sogar diametral entgegenstehen können (nicht zwangsläufig müssen, aber doch können). Würden beispielsweise reihenweise mittelständische, nicht börsennotierte Unternehmen eines Geschäftszweiges schließen, weil deren Business von einem oder wenigen großen Konzernen übernommen wurde (diese Art der Zentralisierung ist ja durchaus zu beobachten) findet der DAX das super. Ob das der Wirtschaft allgemein oder dem Bürger als Angestellten und Verbraucher allerdings zugutekommt, steht auf einem anderen Blatt.
Insofern fand ich dieses Argument (DAX hoch = insgesamt gute wirtschaftliche Lage bei den Menschen) auch merkwürdig, es folgt ja auch eher dieser trickle-down Logik, auch wenn es so nicht gemeint gewesen sein wird.

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