Erstmal ein kurzer Artikel über den Fall ohne Paywall
Grundsätzlich reden wir hier über die strafrechtliche Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals, nicht über die steuerverwaltungsrechtliche oder gar zivilrechtliche. Je nach Bereich (Straf- Verwaltungs- oder Zivilrecht) haben Richter jeweils andere Befugnisse. Wir reden hier über das Strafrecht, daher richten sich die Befugnisse und Pflichten nach der Strafprozessordnung (StPO).
Grundsätzlich gilt für den Strafprozess, dass die Ermittlung von Beweismitteln vor Anklage Aufgabe der Staatsanwaltschaft, nicht des im späteren Prozess entscheidenden Richters. Der Richter darf im Prozess dann auch nur für die Dinge Verurteilungen aussprechen, die von der Staatsanwaltschaft angeklagt wurden (§ 155 Abs. 1 StPO: „Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen.“). Es dürfen daher weder zusätzliche Taten, noch zusätzliche Personen verurteilt werden. Für eingriffsintensive Maßnahmen im Ermittlungsstadium (Hausdurchsuchungen, Untersuchungshaft), die eine richterliche Überprüfung benötigen, gibt es eigens Ermittlungsrichter.
Im vorliegenden Fall wurde Anklage bereits erhoben. Der Strafrichter darf - nein, muss sogar - nun auch selbst Beweise erheben bzw. erheben lassen (§ 155 Abs. 2 StPO), wenn er dies für notwendig hält (sog. „Untersuchungsgrundsatz“, dh. im Strafrecht ist der Staat verpflichtet, den Sachverhalt wahrheitsgemäß zu ermitteln, im Gegensatz zum Zivilprozess, wo jede Seite ihre Argumente vorbringen muss und nicht vorgebrachte Argumente auch dann nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn dem Richter klar ist, dass diese Argumente vorliegen und zu einer anderen Entscheidung führen würden…).
Insofern ist es grundsätzlich eher unproblematisch, wenn ein Richter nach Anklage selbst Ermittlungen anstellt. Er muss nur höllisch aufpassen, dass man ihm keinen Verfolgungseifer unterstellen kann (oder umgekehrt einen Eifer, entlastende Beweise zu finden). Im vorliegenden Fall hat der Richter sich Unterlagen aus einem anderen Prozess beschaffen lassen - und zwar scheinbar heimlich. Er hat das nicht aktenkundig gemacht und weder der Verteidigung, noch seinen Kollegialrichtern (also den anderen Richtern in der zuständigen Kammer) mitgeteilt.
Das Problem ist hier u.a., dass das Urteil im Strafprozess nur auf den in der Verhandlung vorgebrachten Beweisen beruhen darf (§ 261 StPO: „aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpft“). Wenn hier bereits eine „Privatakte“ erzeugt wurde und Beweismittel bewusst nicht der mündlichen Verhandlung zugeführt wurden, ist es sehr fraglich, wie der sogenannte Unmittelbarkeitsgrundsatz erfüllt werden soll. Es wirkt viel mehr so, als plane der Richter, sein Urteil auf gerade nicht in die Verhandlung eingebrachten Beweisen stützen zu wollen.
Daher ist in diesem Fall meines Erachtens relativ unstrittig, dass der Richter wegen Befangenheit ausgetauscht werden musste. Denn dafür braucht es keinen Beweis der Befangenheit, alleine der Eindruck, dass der Richter befangen sein könnte, genügt. Und dieser Eindruck besteht hier in jedem Fall.