Covid, Klima, Krieg: Wohin mit Angst und Ratlosigkeit?

Mir graut es, ich beobachte und frage mich, und weil ich nicht weiterkomme frage ich Euch.

Jetzt haben wir diesen furchtbaren Krieg - oh weh, gerade hatten wir Klima, und dann noch Trump, Nine-Eleven usw.

Ich erlebe mich in einer sich immer schneller drehenden Spirale die kurz vorm oder schon im Kollaps steckt. Um 1900 war die Menschheit schon über das zu hohe Tempo entsetzt, woran wir durch Kunst und Literatur des Expressionismus erinnert werden.
Und jetzt haben wir erst etwa 20 Jahre Internet und 10 Jahre Smartphones…

Ich frage mich tatsächlich, ob es vielleicht so ist, dass unser gesamtes mehr oder weniger globales Wertesystem nicht mehr funktioniert. In der Zeitung ist gleichzeitig von der nuklearen Bedrohung und davon zu lesen, dass die Welt vielleicht unbewohnbar wird, wenn die Erderwärmung nicht aufgehalten wird.

Nun bemerke ich, wenn ich O. Scholz, andere Politikerinnen, Kommentatorinnen in z.B. der Tagesschau zuhöre , dass sie eine große Einigkeit über den „richtigen“ Weg vermitteln wollen und - ich zweifle trotzdem.

Die Katastrophenmeldungen nehmen zu, apokalyptische Szenarien hier wie da. Also bleibt für mich nur der Schluss, dass das saugefährliche Säugetier Mensch auf dem Weg ist, Charles Darwin mit der These „Survival of the Fittest“ zu widerlegen.


Welche altbekannten Werte gelten denn noch? Werte wie Ehre, Solidarität.

Und ich bitte um Verständnis, einzufügen, dass auch ich selbstverständlich Putins Taten verabscheue, um Missverständnissen vorzubeugen.

Putin ist böse und macht Fehler aber daraus können wir nicht nicht rückschließen, die westliche Welt mache alles richtig und ist also gut. Das zeigt mir die Klimakriese, in die wir trotz der Mahnungen seit über 50 Jahren von wissenschaftlicher Seite geraten sind.

Diese Rechnung ging für mich schon beim Mauerfall nicht auf, den ich von Westberlin aus miterlebt habe.

Und damals wie heute war ich politisch ungebunden, fühle mich einer Ethik nahe, die Sozialdemokratie (im Wortsinne), grüne Politik, Pazifismus, Ökomene vereint und den Kapitalismus kritisch sieht.

Ihr seht, ich bin etwas verzweifelt und würde mich freuen, wenn ich Euer Interesse geweckt habe, die Welt einmal mit einer wenn auch naiv wirkenden „Barrierefreiheit“ zu betrachten.
Herzlich S. M.

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Mir geht es ähnlich. Die Richtung wäre mir aber schon klar, und ich bin seit 20 Jahren in dieser Richtung unterwegs, sowohl in meinem persönlichen Verhalten wie politisch, so weit ich halt eine minimale Wirkung entfalten kann.

Der Markt regelt viel, aber leider nicht alles. Demzufolge hat es besonders seit 1990 (dem „Ende der Geschichte“, grösster Blödsinn eines klugen Menschen in Buchform) katastrophale Fehlentwicklung gegeben. Vor allem die „Globalisierung“ wie wir sie nun kennen hat ihre Dynamik aus der Konkurrenz und der daraus entspringenden Raffgier von Akteueren, die auch noch von den jeweiligen nationalen Politikern und deren Gesetzgebung angefeuert werden, um sozusagen den „Platz an der Sonne 2.0“ zu erobern. Ein kluger Markt hätte mit dem rapiden Anstieg des Welthandels zumindest alle Begleitkosten (Ressourcenverbrauch, Emissionen) auf den Verkaufswert aufschlagen müssen. Aber der Markt ist nicht klug, er ist eine Maschine, die so funktioniert wie sie gebaut ist. Wenn der Ingenieur eine fehlerhafte Logik einbaut, funktioniert sie halt an dieser Stelle fehlerhaft.

Es gibt viele Verlierer und wenige Profiteure. Die Profiteure behaupten immer noch, das System funktioniere. Es funktioniert insoweit, als die Welt noch nicht untergegangen ist. (Der Frosch im langsam heisser werdenden Wasser).

Leider macht der Markt auch keinen Unterschied zwischen sinnvollen Produkten (lebensnotwendige im weitesten Sinn) und überflüssigen (kurzlebige, Luxusgüter). Wenn es Nachfrage nach Luxusgütern gibt, bietet sie der Markt an. Er fragt nicht, ob es in Bezug auf die Ressourcen eine Konkurrenz zu den lebensnotwendigen Gütern gibt, oder wie lange die Ressourcen noch reichen.

Die wilden Äste des wuchernden Marktes müssten gekappt werden. Das wäre auch nicht neu, nur die Befürworter eines „freien“ Marktes (die Profiteure) tun so, als wäre es das Ende (naja, ihres speziellen Geschäftes vielleicht schon).

Ich bin Mitglied der Grünen und habe auch Sympathien für die Sozialdemokratie. Aber wenn ich aus beiden Parteien direkt oder etwas verklausuliert höre, wir müssten unseren Wohlstand erhalten und verteidigen, dann wird mir ehrlich gesagt schlecht. Denn das steht im kompletten Widerspruch zum Fortbestehen eines lebenswerten Lebens. Insofern bin ich auch ein wenig ratlos, aber immer noch hoffnungsvoll. Habeck hat kürzlich in einem Interview das Wort „Deglobalisierung“ gebraucht, habe ich selbst nicht gehört, aber mein Bruder hat es mir freudig erzählt. Hoffnung also!"

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Lieber rlinner,
ich habe mich sehr über Ihre Reaktion gefreut und es wäre schön, wenn wir jetzt irgendwo sitzen und plaudern könnten. Deglobalisierung gefällt mir!

Die eigene Biographie erklärt vieles. Mein Vater hat mir den Nonkonformismus weitergegeben, meine Mutter das Trauma der NS-Verfolgung, das nach heutigem Kenntnisstand filterfrei über viele Generationen weitergegeben wird. Und dies wird durch ein kunstschaffendes Elternhaus mit einer guten Portion neurologischer Diversität meinerseits (bekannter unter dem bescheuerten Attribut AD(H)S) angereichert . Das erzähle ich, weil ich mir aus diesem Cocktail einiges zusammenreime, vor allem eine gewisse Barrierefreiheit im Denken, oder anders gesagt: so weit ich mich zurückerinnere, habe ich die Dinge kaum in „Schhulfächern“ unabhängig von einander gesehen, sondern ich kann gar nicht vermeiden, alles als einen Eintopf zu betrachten, in dem alles miteinander zusammenhängt - eben barrierefrei.
Und das führt dazu, dass ich mich aktuell zwar sehr vor dem Krieg fürchte und der fast alles andere zurückdrängt, aber schon meldet sich auch mein Unverständnis dafür, wie einige es schaffen, so sichere doktrinäre Statements abzugeben und das ängstigt mich fast mehr oder genauso oder weniger?! -egal; weil ich dahinter eine spezielle Dummheit vermute, die ich nicht verstehen kann, wirklich nicht. Die Erkenntnis, dass andere dumm sind heißt dabei überhaupt nicht, dass ich mich für besonders schlau halte, ich bestehe gefühlt ja auch mehr aus Fragen als aus Antworten.
In diesem Sinn kann ich nur nicht sie plötzliche Sicherheit verstehen, die für andere besteht, z. B. den Münchener Dirigenten zu entlassen, die Paralympics für bestimmte Sportler zu sperren, zu applaudieren, wenn der von mir oft sehr geschätzte Gysi über seine Parteigenossin herfällt, noch nicht mal, dass man überlegt, Schröder aus der SPD zu schmeißen.
Bei all dem kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob man sich nicht wichtige Chancen vergibt, Kontakte zu erhalten, die in der Zukunft wichtig sind. Mir erscheinen diese Aktionen wie Handgriffe, die den Eisernen Vorhang hochziehen. Und dies hat meinem Fühlen und Denken nach etwas mit einer pervertierten Umsetzung alter Werte wie Solidarität, Stolz, Ehre, Mut … zu tun. Komisch, dass mir in den letzten Tagen immer Gedichte einfallen - ich glaube, das passiert mir eher selten -, die ich nun aber anfüge, weil sie wohl mit einer gewissen Berechtigung nach oben ploppen. Gestern war es Weltende von Jacob von Hoddis und jetzt gerade ist es „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Brecht. „U-Boote“ die gerade aus meiner Schulzeit auftauchen. Ich bedanke mich noch einmal und wünsche Ihnen das Allerbeste. S. M.
P.S. Ich bin in diesem Forum selten tätig und kapier nicht, ob dies nur an Sie geht oder auch für andere zu lesen ist, ist aber auch egal.

Jakob van Hoddis:

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
und an den Küsten - liest man - steigt die Flut

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Bertolt Brecht: Fragen eines lesenden Arbeiters

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
Siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.
So viele Fragen.

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Es gab in den letzten zehn Jahren etwas zu viele Jahrhundertereignisse.

Das ist, was ich wahrnehme. Ich bin 1993 geboren, habe in meinem verhältnismässig kurzen Leben verschiedenste Themen mitbekommen. Die Scheidung meiner Eltern (wie es vielen Menschen heute geht), Einführung des Euro, mit der sich nach meinem Gefühl die Preise ganz krass erhöht haben, diverse Hochwasser, Krieg in Osteuropa, ein Orkan (Lothar), der Aufstieg Chinas zur Weltmacht, 9/11, Krieg in Afghanistan, Hitzewelle 2003 („Jahrhundertsommer“), Tsunami mit 300000 Toten, Krieg im Kaukasus, Annexion der Krim, Finanzkrise, Inflation, ständige Waffentests von DIktatoren, Ausbeutung auf der Welt, Hunger, rasanter Anstieg der Erdbevölkerung, Bürgerkriege, Massensuizide bei indischen Bauern, Überfischung, Müllinsel, Erderhitzung, Drohender Anstieg des Meeresspiegels, Erstarkung des Rechtsextremismus, Verwüstung von Landstrichen in meiner unmittelbaren Heimatumgebung. Und dann natürlich die Corona-Pandemie und jetzt dieser neue Konflikt.

Vielleicht täuscht es und es war früher schon genauso, vielleicht weiss man es einfach nicht, weil hier in Europa nicht von damals als „unwichtig“ empfundenen Teilen der Welt wie Afrika und Südamerika berichtet wurde.

Mein Eindruck ist aber, dass sich mit der Globalisierung insbesondere die Wirtschaft immer mehr in eine Richtung entwickelt hat, die genau solche Krisen befeuert. In meinem kurzen Leben erlebe ich Deutschland plötzlich als heruntergewirtschaftetes Ex-Industrieland (Internet, Arbeitslosigkeit, Hartz 4). Ich weiss, dass das nicht ganz so ist, dennoch hat sich irgendwie diese ganze Gesamtsituation nicht unbedingt in die richtige Richtung entwickelt. Insbesondere finde ich es schwierig, dass ehemals vor Ort erbrachte Arbeit immer mehr in Billiglohnländer ausgelagert wird. Das schädigt die Kaufkraft im Inland, sorgt nämlich dafür, dass immer mehr prekäre Beschäftigung entsteht.

Ich erlebe das also ähnlich wie du.

Aber: Wir haben es letztlich in der Hand und genau aus den besagten Gründen müssen wir uns alle dafür Einsetzen, dass unsere Demokratie lebendig wird. Der aktuelle Konflikt zeigt, dass wir Europäer - trotz Streit und nationalistischen Tendenzen - eben auch zusammenstehen können. Wir haben die Chance, Dinge besser zu machen und ich glaube fest daran, dass das auch gelingen wird. Werte definieren wir als Gesellschaft und wir werden immer weiter verhandeln müssen, um unsere Werte zu prägen…

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