CO2-Emissionshandel (aus "Die Anstalt")

Hallo zusammen!

Ich habe im Freundeskreis immer wieder die Diskussion, dass der CO2-Emissionshandel nur dazu gedacht ist:

  • die wirklichen Kosten auf die Bürger zu verteilen
  • eine Art Kontrollmechanismus einzuführen, um im Endeffekt nicht wirklich effektiv die Unternehmen zu zwingen mehr CO2 einzusparen

Hier ist ein Link zu X: x.com

Ich freue mich auf eure Kommentare.

Vielleicht muss man bei der ETS Kritik unterscheiden zwischen:

  • Kritik am grundsätzlichen Prinzip
  • Kritik an der Umsetzung hinsichtlich Ambition
  • Kritik an der Umsetzung hinsichtlich Technik

Nach allem was ich über den ETS in seiner heutigen Form weiß, sehe ich vor allem Kritikpunkte in der zweiten Kategorie. Die wurden ja auch im wesentlichen in der „Anstalt“ genannt. Was die dritte Kategorie angeht, bin ich kein Experte, denke aber dass die Form ab 2026 mit MSR und Preiskorridor die aus heutiger Sicht absehbaren Probleme ganz gut adressiert. Man wird bei so einem System aber sicher permanent nachsteuern müssen. Was ich aktuell nicht sehe ist Kritikpunkte der Kategorie eins. Was natürlich klar sein muss ist, dass das ETS die Dekarbonisierung nicht im Alleingang lösen wird. Es braucht begleitende staatliche Eingriffe z.B. Subventionen und strategische Entscheidungen. Allerdings werden wir für die Feinjustierung um so ein marktwirtschaftliches Instrument m.E. nicht herum kommen. Bei allen Dingen die hier im Detail nicht funktionieren muss man sich ja auch immer fragen: was wäre die Alternative? Viele Dinge die nicht gut laufen liegen m.E. letztlich an Einschränkungen mit denen auch andere Systeme zu kämpfen hätten. Z.B. dass nicht alle Emissionen getrackt werden können und nicht alle Länder weltweit mitmachen.

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Hierzu kann ich die aktuelle Folge des Redispatch Podcast mit Dr. Felix Christian Matthes vom Öko-Institut empfehlen: #84 Nachgehakt - EU-Klimaschutzpolitik

Die Ausschnitt aus der Anstalt habe ich mir gerade angeschaut und kann ihn auf die schnelle nicht gut genug beurteilen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Wirksamkeit von Emissionshandelssystemen (ETS-Systemen) (inkl. EU-ETS), aber nachgewiesen:

Systematic review and meta-analysis of ex-post evaluations on the effectiveness of carbon pricing

  • Analyse von 80 Evaluierungen zu 21 Kohlenstoffpreissystemen mit 483 Effektgrößen.
  • Einführung eines CO₂-Preises führt zu signifikanten Emissionsminderungen von –5 % bis –21 % (korrigiert: –4 % bis –15 %).
  • Reduktionen trotz niedriger Preise bei 17 von 21 Politiken nachgewiesen.

Carbon Taxes and Emission Trading Systems – A Meta-analysis

  • Meta-Analyse von 81 Studien (2011–2022) zu CO₂-Steuern und ETS.
  • Sowohl CO₂-Steuern als auch ETS reduzieren CO₂-Emissionen, wobei CO₂-Steuern eine stärkere Wirkung zeigen.
  • Effektivität variiert:
    • CO₂-Steuern am stärksten in Asien (exkl. Japan).
    • ETS besonders effektiv in den USA.
    • Beide wirksam in CO₂-intensiven Industrien und bei fossilen Brennstoffen.

Vor allem in Bereichen, in denen nur niedrige und mittlere Zertifikatspreise benötigt werden, ist eine CO2-Steuer bzw. ein ETS besonders effizient und wertvoll. Wo hingegen hohe Zertifikatspreise erforderlich sind (z.B. Verkehr, Gebäude und spezielle Industrien wie Zement) und auch generell (z.B. wegen des Mieter-Vermieter-Dilemmas und des internationalen Flugverkehrs), sollte der EU-ETS nicht als alleiniges Instrument eingesetzt werden. Erforderlich ist ein Instrumentenmix mit ordnungspolitischen Vorgaben.

Insgesamt führt jede Maßnahme zu einer Verteilung der Kosten auf die Bürger. Der ETS ist nicht perfekt und allein nicht ausreichend, aber er ist ein zentraler Baustein im Klimaschutz. Ein sinnvoller Instrumentenmix kann seine Wirkung ergänzen und soziale Härten abfedern.

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Ok, auch wenn es für die Wirksamkeit von ETS genug wissenschaftliches Fundament gibt, wieso verfehlt es das Ziel, für weniger Emissionen zu sorgen? Auch in dem Beitrag der „Anstalt“ wurde erwähnt, dass der Handel mit den Zertifikaten relativ lukrativ war (für die Unternehmen), so dass diese zu guten Konditionen (sprich guten Preisen) gehandelt werden konnten.

Ich denke, die Aspekte in dem Video sind genau die Themen und Aspekte, die für eine breite Masse an Bevölkerung eher für Skepsis als Akzeptanz sorgen. Wenn für jede klimafreundliche Aktivität, sei sie auch so effektiv, die Steuerzahler aufkommen müssen, ist das natürlich ein Problem. Gerade die Unternehmen sollen ja gezwungen sein, weniger zu emittieren, es soll sich also nicht lohnen, mehr CO2 in die Luft zu jagen. Stattdessen ändert sich da nicht viel daran und wir Bürger soll das irgendwie finanzieren. Dies führt wiederrum zu den Cleavages, die auch in dem Buch „Triggerpunkte“ erwähnt werden.

Der EU-ETS sorgt nachweislich für weniger Emissionen. Laut der Metaanalyse führt das System zu einer durchschnittlichen Reduktion von –7,3 % [95 % CI = (–10,5 %, –4,0 %)] im Vergleich zu Szenarien ohne ETS. Dies belegt, dass der ETS seine Funktion als wirksames Lenkungsinstrument erfüllt.

Die Unternehmen tragen die Zertifikatskosten und haben die Wahl, diese an die Endkunden weiterzugeben oder durch Investitionen in klimafreundliche Technologien zu vermeiden. Letztlich müssen aber auch diese Transformationskosten von den Endkunden oder dem Staat (durch Steuern oder Neuverschuldung) finanziert werden. Insbesondere in wettbewerbsintensiven Sektoren wie der Energieerzeugung entscheidet der Markt, welche Unternehmen am effizientesten handeln. Dies treibt die Transformation an, insbesondere bei steigenden Zertifikatspreisen, da diese den Einsatz emissionsarmer Technologien wirtschaftlich attraktiv machen.

Die Zuteilung kostenloser Zertifikate wurde deutlich reduziert und wird weiter abgebaut. Gleichzeitig gibt es Schutzmechanismen wie CBAM, um die Wettbewerbsfähigkeit exportorientierter Industrien zu erhalten und Carbon Leakage zu vermeiden.

Letztlich tragen die Verbraucher die Kosten, da die Unternehmen ihre Einnahmen direkt oder indirekt über die Endkunden generieren. Eine Finanzierung, die die Kosten ausschließlich auf die Unternehmen abwälzt, würde zu Insolvenzen führen. Hochprofitable Unternehmen können in Einzelfällen die Kosten für Zertifikate aus ihren Gewinnmargen tragen, ohne sie vollständig an die Endkunden weiterzugeben, was jedoch eher die Ausnahme darstellt und stark von der jeweiligen Branche abhängt.

Eine mögliche Alternative besteht darin, die Transformationskosten stärker über den Staat zu finanzieren, z.B. durch Neuverschuldung oder gezielte Abgaben für Klimaschutz von überreichen Menschen (oder ganz allgemein eine Umverteilung der Lasten im Steuersystem durch die Einführung einer Vermögensteuer und z.B. eine Senkung der Lohnsteuer.). Dies könnte soziale Härten abfedern und die Akzeptanz der Klimapolitik fördern, ist aber gesondert vom EU-ETS zu betrachten.

Woran machst du das fest? Die Emissionen in der EU sinken doch [1].
Wie gesagt: die genannten Kritikpunkte würde ich vor allem darauf zurückzuführen, dass die Umsetzung nicht ambitioniert genug war. Darunter fällt z.B. auch, dass die ersten Zertifikate umsonst vergeben wurden. Das ist allerdings kein systemischer Fehler des ETS. Diese wiederum gab es natürlich. Z.B. dass nach Wirtschaftskrisen zu viele Zertifikate da sind. Da wurde aber - m E. effektiv mit der MSR gegengesteuert.

Den Aspekt verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz. Die Kosten des Klimaschutzes muss am Ende natürlich immer der Bürger tragen. Man kann darüber streiten ob z.B. reiche Bürger sich überproportional beteiligen müssten. Aber dass Unternehmen ihre Mehrkosten an die Bürger weiter reichen ist ja zunächst mal klar. Was dadurch allerdings entsteht ist trotzdem der Anreiz weniger CO2 zu verbrauchen. Denn wenn Unternehmen A durch weniger CO2 ein Produkt günstiger anbieten kann als Unternehmen B, dann hat es einen Wettbewerbsvorteil. Das funktioniert natürlich gerade bei komplexen Industrieprozessen nicht von heute auf morgen. Und natürlich ist ein kostenoptimierter Prozess, bei dem ich Einschränkungen vorgebe naturgemäß erstmal teurer als einer wo ich das nicht tue (durch Forschung und Entwicklung kann man das langfristig ändern). Insofern ist es aus meiner Sicht absolut nachvollziehbar, dass es für den Bürger erstmal teurer wird - zumindest wenn er sein Verhalten nicht ändert.
Der Grund, warum die Industrie hier vielleicht träger reagiert als gewünscht ist m.E., dass staatliche Vorgaben einfach zu volatil sind. Wenn ich als Unternehmen immer im Kopf haben muss, dass sich die Gesetzeslage in der nächsten Legislaturperiode wieder ändern kann (siehe Heizungsgesetz) macht das die langfristige Planung halt schwierig.

[1]

Insofern ist es aus meiner Sicht absolut nachvollziehbar, dass es für den Bürger erstmal teurer wird - zumindest wenn er sein Verhalten nicht ändert.

Das mag aus unternehmerischer und staatlicher Sicht durchaus nachvollziehbar klingen, das wird aber gerade bei den nicht-umweltbewussten Menschen nicht gerade Akzeptanz finden. Und das ist gerade der Punkt, den ich im Freundeskreis immer wieder höre.

Dass gerade diese Transformationskosten von den Endkunden übernommen werden sollen, wenn ohnehin die wirtschaftliche Lage nicht gerade rosig ist, ist schwer zu vermitteln.

Den Aspekt verstehe ich nicht so ganz. Wenn die Unternehmen bei steigenden Zertifikatspreisen die Kosten auf die Endkunden abwälzen, welche Anreize sind denn da, in klimafreundliche Technologien zu investieren?

Ja, das Leben ist manchmal echt ungerecht. Und dann werden auch noch Papiertaschentücher teurer, wenn man vom Schicksal so getroffen wird.

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Diese Kosten existieren. Wer soll deiner Meinung nach diese Kosten tragen? Wie bereits erläutert, können die Unternehmen dies in der Regel nicht, ohne die Preise für die Endkunden zu erhöhen. Das EU-ETS hat den großen Vorteil, dass die Kosten verursachergerecht verteilt werden.

Unabhängig davon wäre ein sozialer Ausgleich z.B. durch ein Klimageld sinnvoll, hat aber nichts mit dem EU-ETS an sich zu tun. Ein Klimageld würde marktwirtschaftliche Preisanreize erhalten und gleichzeitig soziale Härten reduzieren bzw. sozial Schwächere sogar begünstigen.

Ein stark vereinfachtes Beispiel verdeutlicht, wie Investitionsanreize trotz Kostenweitergabe entstehen können: Angenommen, eine CO2-Steuer ((ETS sind weniger gut prognostizierbar und deshalb schlechter als einfaches Beispiel geeignet) beträgt konstant 100 € pro Tonne CO2eq. Zwei Unternehmen, A und B, produzieren Strom. Unternehmen A modernisiert seinen Kraftwerkspark nicht und hat eine CO2-Intensität von 1 Tonne CO2eq/MWh. Es gibt die vollen CO2-Kosten an die Endkunden weiter, wodurch sich der Strompreis um 100 €/MWh erhöht. Unternehmen B hingegen investiert in eine Modernisierung und setzt auf erneuerbare Energien. Dadurch reduziert es die CO2-Intensität auf 0 Tonnen CO2eq/MWh. Die Kosten der Modernisierung belaufen sich auf 90 €/MWh, die ebenfalls an die Kunden weitergegeben werden.

In dieser Situation ist der Strom von Unternehmen B um 10 €/MWh günstiger als der von Unternehmen A, wodurch Endkunden vermehrt auf das Angebot von Unternehmen B ausweichen. Je höher der CO2-Preis, desto größer wird der Wettbewerbsvorteil für emissionsarme Technologien und desto stärker der Anreiz für Unternehmen, ihre Produktionsprozesse zu modernisieren.

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Die Frage ist, wer sie sonst übernehmen sollte.
Die Unternehmen? Die könnten das höchstens im Rahmen ihrer Gewinnmarge von ~7%, die zum einen kaum ausreichen dürfte. Zum anderen würde kaum noch jemand in ein Unternehmen investieren, wenn längerfristig absehbar ist, dass der Gewinn signifikant in den Keller geht.
Der Staat? Der müsste das ja entweder über Steuern weitergeben oder neue Schulden machen. Ersteres trifft dann auch wieder die Bürger. Aber man hätte natürlich einen Stellhebel, wen man wie stark belastet. Letzteres trifft die Bürger der nachfolgenden Generationen.

Vielleicht mal ein erfundenes Beispiel zur Verdeutlichung:
Eine Firma verkauft ein Produkt für 100€. Jetzt wird ein Emissionshandel eingeführt, der dazu führt dass das Unternehmen für jedes Produkt Zertifikate im Wert von 50€ kaufen muss. Zunächst gibt das Unternehmen das an seine Kunden weiter. Das Produkt kostet jetzt also 150€.
Es gibt allerdings ein Verfahren, dass den CO2 Ausstoß halbiert. Das macht den Herstellungsprozess aber 10€ pro Artikel teurer. Vor der CO2 Bepreisung hätte das das Produkt von 100 auf 110€ verteuert. Deshalb hat das bisher auch niemand gemacht. Nach der Bepreisung halbieren sich dadurch die CO2 Kosten auf 25€ und das Produkt verbilligt sich von 150 auf 150 - 25 + 10 = 135€.
Jetzt ist das entscheidende, dass das Ganze in einem Umfeld des Wettbewerbs stattfindet, denn nur wenn ich befürchten muss, dass mein Konkurrent dieses Verfahren einführt und damit das Produkt günstiger anbieten und mir die Kunden wegschnappen kann, werde ich das Risiko eingehen und meine etablierten Prozesse ändern. Sprich: in einem funktionierenden Markt entsteht so ein Druck, die Emissionen zu senken, wenn der Zertifikatspreis hoch genug ist.
Edit: Typos

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Die Anstalt betrachtet die Vergangenheit in diesem Beitrag. Die Einführung ist durchaus fragwürdig, jedoch wird die Wirkung erst noch eintreten und das wird ab 2030 sein. Mit dem ETS II (Verkehr und Gebäude) wird es richtig einschlagen, WENN die Politik die Preissetzung im Markt (nicht mehr Zertifikate ausgeben und Zertifikate einziehen und Preis nicht zu niedrig festsetzen) durchhält. Das ist die wirklich spannende Frage.

Das wurde in der LdN schon mehrfach gut ausgeführt. Am besten sind die Beispiele der Kohlekraftwerke, die Betriebswirtschaftlich nicht länger als 2038 betrieben werden können.

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