jetzt mal keinen Pappkameraden abbrennen hier. Ich hab nicht behauptet, dass die Schweiz illiberal wäre oder weil du dich auf die Grundrechte beziehst ein ethnokratischer Staat sei. Ich würde auch bei der Frage der Abwägung zwischen positiven und negativen Effekten einer Reform des demokratischen Systems die Schwelle um einiges höher ansetzen als die Frage, ob die deutschen direkt ihre Verfassung abschaffen würden. Die Frage der Beteiligung von Minderheiten bleibt bei solchen Verfahren halt ein Problem und die Schweiz zeigt in eine Richtung.
das Beispiel der Schweiz taugt aber auch einfach nicht für Deutschland. Die Schweiz ist historisch ein pluralerer Staat mit verschiedenen Sprachen und einer viel extremeren föderalen Strukturen als der deutsche Nationalstaat es je hatte. Die Regierung besteht aus allen Parteien, welche in das Parlament gewählt wurden, das ist nicht wie in Deutschland eine Mehrheitsregierung. Die haben eine viel ausgeprägtere Konkordanz- und damit Konsensdemokratie als Deutschland. Auf diesem ganzen Kram fußen die Volksentscheide und trotzdem wurde ein Verbot des Minarettbaus in die Verfassung aufgenommen. Egal wie man dazu steht aber Verfassungsrang ist doch etwas absurd…
Da fragt man sich was dann in einem Land mit solchen Instrumente passiert, dass diese ganze demokratische Kultur/Historie nicht hat.
Hinzu kommt, dass sich trotz zweier Kriege und zweier Demokratien Deutschland doch immer noch sehr schwer tut eine (stabile) partizipative demokratische Kultur aufzubauen. Durch direkt demokratische Elemente soll sich diese Entwicklung jetzt plötzlich verbessern ? Ich halte das gelinde gesagt für eine steile These. Aber vor allem diese Instrumente gehen ja nicht in eine Richtung, selbst zum jetzigen Zeitpunkt würden wahrscheinlich viele Entscheidungen nicht nur nicht den Fortschritt in Klimapolitik den man gern hätte, bringen, sondern es kämen ebenfalls so problematischen Gesetze, wie dieses komische Minarettverbot. Was passiert aber, wenn es mit der politischen Kultur doch wieder schlimmer wird (ich mein Querdenker, Faschos etc. deuten ja jetzt nicht gerade auf eine Verbesserung hin).
Auch frage ich mich wie lange man dann warten muss bis sich die politische Kultur dann endlich verbessert…
Na die deutschen freuen sich über ihr wiedererstarken, ich glaube einige Staaten (Griechenland) in Europa finden es weniger witzig ein ökonomisch so starkes, wie unsolidarisches Land, als größten Machtfaktor in der EU zu haben.
Besatzung nicht Kolonialverwaltung, ich weiß etwas spitzfindig, aber ehemalige Kolonialstaaten als (mögliche) Kolonie zu bezeichnen ist doch etwas schwierig.
Ich finde die These auch etwas befremdlich, schließlich nenne ich nur die basalsten Probleme von Massendemokratien, direkt demokratischen Instrumenten und Volkssouveränität, welche schon zur Gründung der USA diskutiert wurden. Auch der Punkt zu der Schweiz und der deutschen politischen Kultur sind nicht mehr als einfache empirische Erkenntnisse. Wir sind noch nicht mal bei der Frage/Problematik des deutschen Nationalverständnisses an sich.
ich kann ja verstehen, dass das alles zynisch klingt aber ich weiß nicht so ganz was man nach der deutschen Historie erwartet. Man kann doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass in Deutschland nach 45 innerhalb von wenigen Jahrzehnten plötzlich ein vollständig multikultureller Staat mit vollständig republikanischem Nationalstaatsverständnis und einer vollständigen partizipativen politische Kultur entstehen würde. Ich will hier nicht das Gegenteil implizieren, sondern darauf verweisen dass es die historisch problematischen Strömungen halt immer noch gibt und man sich mit denen nie beschäftigt hat. Das zeigt schon der Rechtsextremismus der seit Gründung fester Teil der Geschichte der BRD ist und auch das ist völlig unstrittig.
Vor diesem Hintergrund graut es mir vor Volksentscheiden.
ich weiß auch nicht so ganz auf welchen Erkenntnissen, der positive Effekt von Volksentscheiden in der BRD beruhen soll. Mir kommt es eher so vor als beruhe sie auf einer etwas einseitigen normativen Vorstellung (Wahlen, Entscheidungen) was Demokratie sei oder als würden sich die Probleme des demokratischen Systems, insbesondere solcher Phänomene, wie AFD und Querdenker auf einmal lösen lassen, wenn man die Leute auf einmal direkt entscheiden lassen würde. Wo findet sich für Fakten die das plausibel erscheinen lassen, historisch, empirisch, wie theoretisch sehe ich diese eben nicht.
Mehr politische Selbstverwaltung gerne, aber Volksentscheide sind das eben nicht.