Charakterschwache Polit-Fehlerkultur -> Corona-Versagen

Liebe LdN-Community,
ein weiterer für mich wichtiger Punk für das „Immer weiter so…“- in der Corona-Politik ist eine charakterschwache Fehlerkultur. Bisher wurde von den Politiker meist nur gesagt, dass die Hoffnungen auf ein Ausbleiben der nächsten Welle nicht erfüllt wurden.
Kaum einer hat seinen Fehler zu gegeben, bzw. den Fehler im bisherigen Umgang mit Corona (außer Merkel mit der Osterruhe, was leider nur eine symbolische Geste war). Der Grund, warum diese Fehler nicht eingestanden werden ist, dass man sein „Gesicht“ verlieren könnte und die Leute das Vertrauen in die Regierung verlieren, welches sie nun auch so schon verloren haben. Stattdessen, wird weiter auf dem bisherigen Kurs verharrt, eine Änderung wäre nämlich ein indirektes Fehlereingeständnis.
Fehler zu machen ist menschlich und diese einzugestehen und öffentlich zu machen bedarf Charakterstärke.
Dieses Fehlereingeständnis ist nötig, damit man endlich eine neue wirksame Strategie auch glaubhaft kommunizieren und durchsetzen kann. Ohne dieses wird sich m.M.n. nicht viel ändern.

Viele Grüße,
Max

PS: Ein aktuelles Video zu Corona-Stimmung hierzu von WDR-Quarls:

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Ich würde das anders formulieren.
Wie die Fehlerkutlur aussieht, wie viele Politiker:innen das alles einschätzen können wir als Beobachterys nicht so gut einschätzen.
Ich glaube das Problem ist vielmehr ein Problem der politischen Kommunikation von vorne bis hinten: Wo Fehlereingeständnisse und auch komplexe Erklärungen:
→ Von Poltiker:innen kaum kommuniziert werden
→ Von Medienschaffenden gerne auch mal sehr negativ ausgelegt werden.
Ich fände das sehr gut wenn sich das ändern würde.

Den youtube-clip der Quarks Redaktion finde ich ehrlich gesagt ebenso unangemessen simplifizierend. Wir haben doch, auch in diesem Forum, auch im Blick auf europäische Nachbarländer in dem letzten Jahr alle gelernt dass es nicht so ist, dass einfach irgendein Politiker eine Maßnahme treffen müsste und dann fluppt es. Und da mit Einzelnen Zitatschnipseln rumzuwerfen und zu sagen „Wissenschaftler“(sic, nicht gegendert) und Herr Lauterbach hätten es schon immer gewusst ist eine sehr simpler Blick auf die Dinge (Progonose das der Monat Lockdown Light vor Weihnachten „reicht“ kam auch von Herr Drosten und von Herrn Lauterbach, zB) der insbesondere verkennt wie politische und mediale Prozesse ablaufen.
Ja, ich bin auch genervt, ja ich bin auch unzufrieden mit diversen politisch handelnden Akteuren, aber dieses Rant-Video ist m.E. zu billig.

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Eventuell muss man den Kommentar in zwei Sinnrichtungen aufspalten, erstens die Fehlerkultur und zweitens Corona und anderes Staatsversagen.

  1. Ich kann Ihren Standpunkt schon nachvollziehen, dass auch wir Bürger manchmal nicht die Komplexität des gesamten Problems begreifen. Dies sinnvoll und verständlich an die Gemeinschaft zu kommunizieren gehört m.M.n. zu den Aufgaben eines Politikers. Sonst heißt es bloß wieder „die da oben“.
    Diese Kommunikation stimmt nicht erst seit Corona. Man denke bloß an das „übergenaue Dementi“ (o.ä.) wie es Herr Buermeyer beschreibt. Mit dieser Rhetorik versuchen manche Politiker noch den Hals aus der Schlinge zu ziehen, und in den Augen vieler, welche nicht so genau hinschauen, mag es auch so aussehen.
    Was wäre denn so falsch, wenn man als Politiker auch mal seinen Fehler zugibt. Keiner kann alles wissen, doch dafür gibt es Ratgeber (nein, nicht unbedingt die von Deloitte). Es gibt zwei Ausgänge eines solchen Eingeständnisses: entweder man nimmt seinen sprichtwörtlichen Hut und geht, oder bleibt.
    Beides hängt davon ab, wie groß der Fehler war (PKW-Maut), wie viele Fehler man denn schon auf dem Kerbholz hat und ob, es zum damaligen Zeitpunkt der Entscheidung wirklich viel bessere Alternativen gegeben hätte. Rückblickend mag es immer leichter sein. Mit dem Wissen vom Donnerstag hätte ich vergangenen Mittwoch den Lottojackpot geknackt.

Wird ein Fehler zugeben, so kann man einen frischen Neuanfang starten. Andernfalls, kann man ewig weiter Rumwurschteln und versuchen seinen Fehler zu verbergen oder aber man trifft einfach keine Entscheidung, womit sich auch viele aktuelle Probleme erklären lassen. Beispiel: Wenn man zugibt, die Digitalisierung sei im Amt sei dringend notwendig, dann stellt sich die Frage, seit wann denn das System schon marode ist und ob wirklich Corona der Auslöser war. Wenn man als Antwort dann erfährt, dass der ganze Apparat eigentlich schon vor Corona auf dem Zahnfleisch dahergelaufen kommt, dann werden die Fehler offensichtlich, welche besser verborgen bleiben sollten. Stattdessen wird nur langsam nachgebessert, denn dann scheint der Druck nicht so groß zu sein.

  1. In der jetzigen Situation, gibt es keine perfekte Strategie wie man mit Corona umgeht, aber es gibt auf jeden Fall bessere Vorgehensweise die Pandemie in den Begriff zu bekommen. Viele Wissenschaftler haben den aktuellen Anstieg vorhergesehen und wenig ist von deren Ratschlägen wirklich umgesetzt worden. Zudem befürwortet eine Mehrheit der Bevölkerung härtere Maßnahmen. Doch fällt es den meisten schwer sich freiwillig einzuschränken und nicht Bekannte, Familie, Freund’innen oder Mannschaftskolleg’innen zu sehen, vor allem dann wenn es offiziell erlaubt ist. Ein Verbot wäre dagegen kurzfristig leichter hinzunehmen, da es einem schlicht die Wahl nimmt: Verhalte ich mich sinnvoll und bleibe eher isoliert oder nutze ich den gesetzlichen Rahmen bis zum Anschlag aus, sondern alle bleiben daheim.

Man mag gegen die Aussage „es gebe viele Verbesserungsmöglichkeiten in der Coronapolitik“ argumentieren können, es gehe schlechter, z.B. wenn es gar kein Impfstoff gäbe oder man solle nach Frankreich schauen. Doch diese Argumentation sehe ich dann ähnlich, wie wenn ein Schüler seinen Eltern erklärt, eine Note 5 in der Klassenarbeit sei nicht so schlecht, denn er habe ja keine 6 bekommen und sein bester Freund habe auch eine 5.

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Ich halte die Corona-Politik der letzten Monate für das größte politische Versagen in Deutschland in diesem Jahrhundert und eigentlich seit dem 1. WK (das Nazi-Reich war ein Verbrechen und passt nicht in die Kategorie „Fehler“). Ich finde auch, man kann die Verantwortlichen dafür, dass wir seit Monaten sinnlos durch die Pandemie irrlichtern, ohne klaren Kurs und die dadurch entstandenen Schäden klar benennen. Mir stellt sich die Frage, wer dafür politische Verantwortung, über die Abrechnung bei der nächsten Wahl hinaus, übernimmt. Legt man frühere Maßstäbe an, müßten eigentlich alle (Merkel, Spahn, die MPs) nach dem Ende der Pandemie zurücktreten. Das wird natürlich nicht passieren. Aber seien wir ehrlich: auch bei den Wahlen wird eine Abrechnung weitgehend ausbleiben (Laschet wird Kanzler oder nicht, aber das hängt nicht von seiner Pandemiepolitik ab, Scholz wird nicht Kanzler, aber auch das nicht, weil er Mitschuld an der versemmelten Pandemiepolitik trägt, Merkel tritt nicht mehr an). Ich kann nur hoffen, das wenigstens Spahn das Ende seines Weges erreicht hat und dem nächsten Kabinett nicht mehr angehört, aber auch das ist zweifelhaft. Ergebnis: Es gibt niemanden, der - im politischen Sinne - für den größten Schaden den D. jemals abseits von Kriegen erlitten hat, haftet. Auch nicht im Bundestag, der aus meiner Sicht auch weitgehend versagt hat. Für eine Demokratie ist mir das zu wenig! Ich habe seit spätestens Anfang März mit dieser Parteiendemokratie abgeschlossen und würde mir tiefgreifende Änderungen wünschen: zeitliche Begrenzug von Ämtern und Mandanten, viel mehr Rotation, Abschwächung der Rolle der Parteien bei der Willensbildung (sprich: Mandantsvergabe). In die herrschenden Institutionen habe ich jedenfalls kein Vertrauen mehr und ich bin völlig etabliert, Familienvater, Steuerzahler, Häuschenbesitzer, ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie das anderen geht und diese zu den Faschisten treibt (die natürlich nicht nur nicht integer sind, sondern auch keine Lösungen haben). Lange Rede kurzer Sinn: Charakterschwäche vieler ja, aber ich habe gravierende Probleme mit dem politischen System und glaube aus den Coronaerfahrungen schließen zu können, dass diese politische Klasse an der Klimapolitik völlig scheitern wird und das macht mir inzwischen richtig Angst!

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hallo Rosman62,

vermutlich kann ich wenig sagen was das abschwächt was Du fühlst.
Viel von Deinem Frust kann ich auch gut verstehen und Deine Angst bzgl. Klimapolitik teile ich absolut.

Ich würde deine Schlussfolgerung - abkehr von der Parteiendemokratie - aber nicht teilen, und lese aus Deinem Beitrag auch nicht herraus was Du damit genau meinst.
Bspl. zeitliche Begrenzung: Das wir fürs Kanzleramt uns eine Beschränkung auf 2-3 Legislaturen gönnen sollten würde ich eigentlich auch zustimmen, aber bsplsw. Herr Spahn ist ja jetzt noch nicht besonders lange Gesundheitsminister, da hätte uns eine Amszeitbegrenzung auch nicht geholfen.
Abschwächung der Rollend er Partein bei der Willensbildung kann ich mir noch nicht so genau vorstellen.
Bei den Grünen (Disclaimer: Deren Mitglied ich bin) passiert ja schon auch viel in Sachen Willensbildung / Programatik basisdemokratisch auf Ebene der Mitglieder, das birgt aber auch Komplikationen. Gleichzeitig bin ich von Alternativen (Bürgerräte, Volksabstimmungen, Twitterumfragen) jetzt nicht überzeugt dass die in der Pandemie oder grundsätzlich ein deutlich besseres Ergebnis bringen würden.

Ich fände es spannend wenn Du die Sache mit der „Willensbildung(sprich Mandatsvergabe)“ nochml beschreiben könntest was da Deine Vorstellung ist.

Unterm Strich bleibt bei mir nämlich bislang die Meinung die ich seit einigen Jahren hab: Die parlamentarische Demokratie hat viele Probleme und ist überhaupt nicht perfekt, wirkliche Alternativsysteme finde ich aber immer nicht besonders überzeugend.

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Der Beginn des ersten Weltkrieges durch Deutschland war kein Betriebsunfall deutscher Geschichte sondern Produkt des deutschen Nationalstaates…

Man fragt sich bei der derzeitigen Querfront, wie auch gesellschaftlichen Strömungen, wer hier jetzt eigentlich das Problem ist. Die Reduktion gesamtgesellschaftlicher Problematiken auf Frage der politischen Klasse funktioniert auch nur dann, wenn man sich auf Tagespolitik beschränkt und dabei die strukturellen Bedingungen dieser Entscheidungen ausblendet.

Außerdem graut es mir vor jeder strukturellen Veränderung des politischen Systems in Deutschland, welche antiquierte Vorstellungen von Volkssouveränität wieder aufleben lassen würden. Politischer Wandel ohne gesellschaftlichen führt nirgendwo hin.

Das halte ich für schwer übertrieben. Für eine Beurteilung braucht es schon einen deutlichen zeitlichen Abstand. Die Schäden sind gross, aber die Fehler von Verantwortlichen berechnen sich nicht nach den Schäden. Ob ich betrunken in den Graben oder betrunken in ein Juweliergeschäft fahre, der Fehler ist der selbe, die Schäden sind sehr unterschiedlich. Noch in der Krise befindlich kommen selbst Top-Journalisten zu absurden Einschätzungen. Ich war Ohrenzeuge einer Diskussion im österreichischen Rundfunk, mit der damaligen Creme der Journalisten des Landes. Man war einhellig der Meinung (schon gegen Ende der BSE-Krise), dieses Problem werde „die nächsten 10 Jahre“ virulent sein oder gar bestimmend. Diese Kategorie von krasser Fehleinschätzung kluger Leute trage ich in meinem Erfahrungsschatz seither mit mir…

Das wäre zu viel verlangt. Sie haben sich bemüht und haben Fehler gemacht. Aber die Lage war jederzeit sehr komplex und die Verantwortung riesig. Ja, so jemand wie Scheuer hätte absolut und sofort zurücktreten müssen. Sein Fehler war krass (neben vielen anderen Fehlern) und die Sachlage war vergleichsweise klar.

Da machst du es dir zu einfach! Bei deiner Parteienabrechnung erwähnst du nicht einmal die Grünen, die nun genau schon für einen neuen Politikstil und für grosse Reformen stehen. Und dass so viele Wähler anscheinend sich den Grünen zuwenden, ist doch grossartig und hoffnungsvoll. Man darf natürlich nicht die völlige Umkrempelung gleich nach der Wahl erwarten, wäre ja auch ein Fehler, weil die Leute mitgenommen werden müssen, und weil die Institutionen halt nur in einem irgendwie organischem Tempo umgebildet werden können. Pragmatismus und Psychologie ist da mehr gefragt als die Fernziele des Parteiprogramms.

Wenn du ehrliche, ernsthafte Politikarbeit mehr aus der Nähe ansehen willst, dann schau mal vorbei bei Sven Giegolds „Europe calling“ https://sven-giegold.de/europe-calling-working-class/ Das ist die Aufzeichnung des jüngsten Webinars in der Reihe, findet in loser Reihe fast wöchentlich statt.

Deine Resignation finde ich traurig und ehrlich gesagt ein wenig selbstmitleidig. Ich hoffe, dir damit nicht zu nahe zu treten und ich wünsche dir mehr Zuversicht.

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Ich kann diesen Frust leider auch gut nachvollziehen. Ich bin ein großer Verfechter unserer Demokratie, werde es auch nicht müde den dickköpfigsten AFD Wähler nieder zu reden und zu argumentieren, aber diese Pandemie hat deutlich gemacht, wie katastrophal die letzten 16 Jahre waren. Die CDU/CSU unter Merkel hat sich einfach auch einer laufenden Wirtschaft ausgeruht und die sozialen Gräben völlig ignoriert. Die Pandemie hatte für mich genau ein Gutes, nämlich dass sie endlich mal vor der Wahl gezeigt hat, welche Partei hauptsächlich schlechte und teilweise korrupte Politik betreibt, die nur einigen wenigen oft vermögenden Lobbys hilft, die CDU/CSU.

Ich finde es auch gerade sehr beängstigend, dass so viele Menschen sich immer noch dieser Partei zuwenden, da Zweifel ich an allem was ich mal von der Intelligenz deutscher Bürger dachte. Ich glaube Herr Müller ist der einzige Minister dieser Partei, dem ich ein gutes Zeugnis ausstellen würde, da er wirklich an seinem Amt und nicht an den Folgebeziehungen und der eigenen Macht interessiert war. Sonst haben sämtliche Minister dieser Partei durch die Bank weg nichts zu Stande gebracht:

  1. Desolate Wirtschaftspolitik mit verzögernden Auszahlungen der Hilfen
  2. Bildungspolitik entgültig an die Wand gefahren
  3. Digitalisierung ehr wie ein Schwellenland, wenn nicht teilweise Drittweltland
  4. Verkehrsminister unfassbar unfähig und Geld verbrennend
  5. Unser Gesundheitsminister kündigt an ohne was einzuhalten

Das schlimmste bleibt aber Merkel selbst. Sie will nicht führen, sondern lieber mit dem Finger auf andere zeigen. Wieso sonst hat sie solange die ach so bösen Landesminister entscheiden lassen. Ist halt einfacher dann, aber das war schon immer Ihre Taktik, nie Verantwortung zu übernehmen. Und alles was Sie an den Bund gezogen hat wurde völlig verbockt (Impfstoffbestellung wurde Dank ihr an die EU gegeben ohne Aufsicht, Schnelltest-Verfügbarkeit, Auszahlung der Hilfen). Ich bete, dass die Medien bis zur Wahl täglich jeden Bürger mit den Verfehlungen dieser Partei beschallen, damit wir keine Regierung mit deren Beteiligung mehr ertragen müssen.

Was sind denn „antiquierte Vorstellungen von Volkssouveränität“? Meinen Sie direktdemokratische Instrumente wie Volksentscheide?

Ihre Entgegnung auf die Kritik an der „politischen Klasse“ ist ähnlich undurchsichtig. Natürlich sind deren Entscheidungen nicht unabhängig von öffentlicher Meinung und politischen Rahmenbedingungen, aber die „handwerklichen“ Fehler von Politik und Verwaltung, die nicht nur in der Corona-Krise aus meiner Sicht immer gravierender werden, kann man nicht auf ihre Wähler abschieben.

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Deine Resignation finde ich traurig und ehrlich gesagt ein wenig selbstmitleidig. Ich hoffe, dir damit nicht zu nahe zu treten und ich wünsche dir mehr Zuversicht.
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Nein überhaupt nicht, ich will ja Rückmeldungen! Ich werde sicher auch „grün“ wählen. Trotzdem halte ich es mittlerweile für einen Systemfehler, dass wir nicht mehr Einfluß als Bürger haben. „Mein“ Abgeordneter wird über die Landesliste wieder im BT sein, wie so viele, die in der Pandemiepolitik einfach nur die Regierungspolitik abgenickt haben, ohne ein eigenes Profil des Parlaments zu entwickeln, ja offensichtlich ohne das überhaupt versucht zu haben! Diese Leute stellen sich einfach jedesmal wieder selber auf und man kann nur ja oder nein sagen, das führt dann dazu, dass Pfründen für Jahrzehnte geschaffen werden, hat man ja gerade wieder gesehen. „Fehlerkultur“ spielt dort überhaupt keine Rolle!

Was hälst Du denn für das größte Politikversagen in D. seit dem 1. WK (Nazidiktatur außen vor)?

Die tatsächliche Umsetzung einer deliberativen Volkssouveränität mal dahingestellt sind dezessionistische Perspektiven auf die Volksouveränität (Volksentscheide) durchaus problematisch zu sehen. Nicht zuletzt daran zu erkennen, dass auch in der Schweiz Volksentscheide regelmäßig zu Ungunsten von Minderheiten ausfallen. Da stellt sich dann auch die Frage, wie man wohl zwischen dem Konzept der Volkssouveränität und dem eigentlichen Vorrang der Verfassung umgeht, gerade da in Deutschland viele politische Entscheidungen mittlerweile durch das Verfassungsgericht geklärt werden. Auch hier hat der Brexit gezeigt, dass Verfassungsrichter auch schnell mal als Feinde des Volkes gebrandmarkt werden, nur weil sie darauf verweisen, dass das Parlament, das relevante Entscheidungsorgan ist laut Verfassung. Volksentscheide haben eine inhärente Legitimation, welche unabhängig von ihrer tatsächlichen verfassungsrechtlichen Verankerung, durch ihren Bezug auf „das“ Volk eine Eigendynamik entwickeln. Diese kann nützlich sein, für ein pluralistisch deliberatives Konzept von Demokratie ist diese allerdings stets eine Gefahr.

Dass sie sich nur auf die Menschen als Wähler beziehen zeigt das Problem. Ich verweise auf politische Partizipation, auch jenseits von Parteien und auf kleiner Ebene und vor allem jenseits der Idee des Korporatismus, welcher durch aus nicht ganz frei ist von Vorstellungen der nationalen Gemeinschaft. Eine Organisation von Wählern und Helfern, wie dies in Georgia (US) durch eine Demokratin stattfand ist in DT sehr unwahrscheinlich.
Das zeigt auch die Forschung zur politischen Kultur, auch wenn sich Deutschland seit dem Krieg langsam und mühesam von einer Untertanenkultur zu einer einer partizipativen Kultur entwickelt ist man weit davon entfernt diese erreicht zu haben. Oder denken sie, dass die dt politische Kultur plötzlich demokratischer partizipativer wird, wenn man ihnen nur mehr Möglichkeiten gibt?

Aber ich hab mich in dem Kommentar auch nicht nur auf die Sphäre der Politik bezogen, der Einfluss gesellschaftlicher Dynamiken kommt auch aus anderen gesellschaftlichen System, welche sich nicht alle so einfach durch Staatsintervention verändern lassen. Diese Suprematie der Politik gibt es nicht. Für diese Kritik an der Vorstellung gesellschaftlichem Forttschritts durch staatliche Regulation benötigt man weder neoliberale Harmonie Vorstellungen der unsichtbaren Hand noch ökonomisch deterministische Perspektiven aller Marx. Zu mal ausgehend von der Passivität (politisches Subjekt nur als Wähler) und der starken Betonung des Staates als Leistungserbringer (Outputorientierung), welche spezifische Kritieren der Untertanenkultur sind, stellt man sich die frage ob diese Verengung der Kritik auf die politische Klasse nicht der Veränderung der politischen Kultur im Wege steht.

Um die wesentliche Frage zu beantworten: Ja ich glaube, dass größere Teilhaberechte im Sinne von mehr direkter Demokratie eine demokratischere politische Kultur bringen. Ich finde das Schweizer Modell im übrigen vorbildhaft. Und man kann kaum behaupten dass in der Schweiz Minderheiten Grundrechte vorenthalten werden.

Ich bin auch sehr froh, dass die USA nach dem 2. Weltkrieg an die Demokratie auch in Deutschland geglaubt haben. Mit ihrer Einstellung hätten sie Deutschland eine Generation unter Kolonialverwaltung gestellt.

jetzt mal keinen Pappkameraden abbrennen hier. Ich hab nicht behauptet, dass die Schweiz illiberal wäre oder weil du dich auf die Grundrechte beziehst ein ethnokratischer Staat sei. Ich würde auch bei der Frage der Abwägung zwischen positiven und negativen Effekten einer Reform des demokratischen Systems die Schwelle um einiges höher ansetzen als die Frage, ob die deutschen direkt ihre Verfassung abschaffen würden. Die Frage der Beteiligung von Minderheiten bleibt bei solchen Verfahren halt ein Problem und die Schweiz zeigt in eine Richtung.

das Beispiel der Schweiz taugt aber auch einfach nicht für Deutschland. Die Schweiz ist historisch ein pluralerer Staat mit verschiedenen Sprachen und einer viel extremeren föderalen Strukturen als der deutsche Nationalstaat es je hatte. Die Regierung besteht aus allen Parteien, welche in das Parlament gewählt wurden, das ist nicht wie in Deutschland eine Mehrheitsregierung. Die haben eine viel ausgeprägtere Konkordanz- und damit Konsensdemokratie als Deutschland. Auf diesem ganzen Kram fußen die Volksentscheide und trotzdem wurde ein Verbot des Minarettbaus in die Verfassung aufgenommen. Egal wie man dazu steht aber Verfassungsrang ist doch etwas absurd…
Da fragt man sich was dann in einem Land mit solchen Instrumente passiert, dass diese ganze demokratische Kultur/Historie nicht hat.

Hinzu kommt, dass sich trotz zweier Kriege und zweier Demokratien Deutschland doch immer noch sehr schwer tut eine (stabile) partizipative demokratische Kultur aufzubauen. Durch direkt demokratische Elemente soll sich diese Entwicklung jetzt plötzlich verbessern ? Ich halte das gelinde gesagt für eine steile These. Aber vor allem diese Instrumente gehen ja nicht in eine Richtung, selbst zum jetzigen Zeitpunkt würden wahrscheinlich viele Entscheidungen nicht nur nicht den Fortschritt in Klimapolitik den man gern hätte, bringen, sondern es kämen ebenfalls so problematischen Gesetze, wie dieses komische Minarettverbot. Was passiert aber, wenn es mit der politischen Kultur doch wieder schlimmer wird (ich mein Querdenker, Faschos etc. deuten ja jetzt nicht gerade auf eine Verbesserung hin).
Auch frage ich mich wie lange man dann warten muss bis sich die politische Kultur dann endlich verbessert…

Na die deutschen freuen sich über ihr wiedererstarken, ich glaube einige Staaten (Griechenland) in Europa finden es weniger witzig ein ökonomisch so starkes, wie unsolidarisches Land, als größten Machtfaktor in der EU zu haben.
Besatzung nicht Kolonialverwaltung, ich weiß etwas spitzfindig, aber ehemalige Kolonialstaaten als (mögliche) Kolonie zu bezeichnen ist doch etwas schwierig.
Ich finde die These auch etwas befremdlich, schließlich nenne ich nur die basalsten Probleme von Massendemokratien, direkt demokratischen Instrumenten und Volkssouveränität, welche schon zur Gründung der USA diskutiert wurden. Auch der Punkt zu der Schweiz und der deutschen politischen Kultur sind nicht mehr als einfache empirische Erkenntnisse. Wir sind noch nicht mal bei der Frage/Problematik des deutschen Nationalverständnisses an sich.
ich kann ja verstehen, dass das alles zynisch klingt aber ich weiß nicht so ganz was man nach der deutschen Historie erwartet. Man kann doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass in Deutschland nach 45 innerhalb von wenigen Jahrzehnten plötzlich ein vollständig multikultureller Staat mit vollständig republikanischem Nationalstaatsverständnis und einer vollständigen partizipativen politische Kultur entstehen würde. Ich will hier nicht das Gegenteil implizieren, sondern darauf verweisen dass es die historisch problematischen Strömungen halt immer noch gibt und man sich mit denen nie beschäftigt hat. Das zeigt schon der Rechtsextremismus der seit Gründung fester Teil der Geschichte der BRD ist und auch das ist völlig unstrittig.
Vor diesem Hintergrund graut es mir vor Volksentscheiden.

ich weiß auch nicht so ganz auf welchen Erkenntnissen, der positive Effekt von Volksentscheiden in der BRD beruhen soll. Mir kommt es eher so vor als beruhe sie auf einer etwas einseitigen normativen Vorstellung (Wahlen, Entscheidungen) was Demokratie sei oder als würden sich die Probleme des demokratischen Systems, insbesondere solcher Phänomene, wie AFD und Querdenker auf einmal lösen lassen, wenn man die Leute auf einmal direkt entscheiden lassen würde. Wo findet sich für Fakten die das plausibel erscheinen lassen, historisch, empirisch, wie theoretisch sehe ich diese eben nicht.
Mehr politische Selbstverwaltung gerne, aber Volksentscheide sind das eben nicht.

Stimmt natürlich, die Schweiz hat ein völlig anderes politisches System und ich möchte auch andere Elemente wie ihre quasi All-Parteien Regierung nicht in Deutschland haben.
Entscheidungen wie zum Minarettverbot sehe ich aber eher als bizarre Ausnahme, die auch vor dem Hintergrund existierender Probleme mit der Integration muslimischer Einwanderer und islamistischem Terror in der Zeit der Abstimmung bewertet werden muss. Die Religionsfreiheit hat diese Entscheidung aber nicht eingeschränkt und konnte das auch nicht.

Insgesamt finde ich deine Sicht auf die deutsche Gesellschaft und ihre politische Kultur zu negativ. Deutschland ist seit Jahrzehnten eine gefestigte Demokratie, wenn man sich andere Staaten in unserer Nachbarschaft anschaut, geradezu eine Insel der Stabilität (Rechtsnationale Regierungen in Ungarn und Polen, eine Rechtsradikale als ernsthafte Anwärterin auf die französische Präsidentschaft, ein schon traditionelles Chaos italienischer Koalitionsregierungen, der Brexit im UK etc.).
Ich denke, hier kann man den hier lebenden Menschen schon ein gewisses Vertrauen entgegen bringen, das sich auch durch mehr direkte Demokratie äußern kann. Einen gewissen Bodensatz an Rechts-, Links-, und anderen Radikalen und ihren politischen Bewegungen hat leider jedes Land.

Zu quantifizieren sind Fehler ja nicht, zumal in superkomplexen Konstellationen. Trotzdem zähle ich mal ein paar auf, die mE schwerer wiegen in Hinsicht auf Fehlentscheidung (das Unvorhergesehene und Neuartige dieser Pandemie muss man schon als schuldmindernd einrechnen).

  • Festhalten an der Atomkraft, als deren Problematik sich längst abzeichnete.

  • Festhalten an einer Landwirtschaft, deren Widersprüche offensichtlich und atemberaubend sind.

  • Einführung eines Niedriglohnsektors.

  • Stopp des Glasfaserplans durch Helmut Kohl.

  • Verkauf von staatlichen und kommunalen Immobilien.

  • public private partnerships, bei denen das Gemeinwesen immer draufzahlt.

  • Förderung einer wasserköpfigen, verschwenderischen Industrie, die sich an Mode orientiert anstatt an dem offensichtlichen Zweck (Autobau).

  • Verweigerung einer echten Schulreform (Pauken anstatt Entwicklung von sozialer Intelligenz, Konfliktregulation, Lebenskunst usw.)

Da ist noch mehr Fehlentwicklung aufgrund von kurzsichtigen politischen Entscheidungen, deren Folgen ich für dramatischer und viel langfristiger halte als die Folgen der Pandemie.

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