Liebes Team der Lage der Nation und liebe Forumsmitglieder:innen,
ein Problem, was des Öfteren benannt wurde, aber meiner Meinung nach immer noch zu wenig thematisiert wird, wurde gestern Abend wieder sichtbar und könnte gerne nochmals in der Lage thematisiert werden.
Und zwar war Jens Spahn bei Markus Lanz zu Gast, Thema (wie so oft (leider)) Migration. Und in einem Satz sprach er davon, dass die Systemfrage gestellt würde, wenn man sich die Umfragen und die „Radikalisierung nach links und nach rechts“ ansieht (ab Minute 11:40). Was hier wieder geschieht, ist doch, dass Links- und Rechtsextremismus auf eine Stufe gestellt wird. Dies ist, laut meiner Kenntnis, nicht mit Zahlen belegbar und zeigt ein großes Problem der CDU.
Ähnlich sieht es ja auch im Unvereinbarkeitsbeschluss aus, wo die Linke mit der AfD auf eine Stufe gestellt wird.
Wäre voll schön, wenn ihr darüber nochmal berichten könntet. Ist in meinen Augen total wichtig!
Liebe Grüße und Danke euch
Das zu Grunde liegende Problem ist hier, dass die Union der sogenannten „Hufeisentheorie“ folgt, nach der die extremen Ränder des politischen Spektrums nicht wie auf einer Geraden maximal auseinander liegen, sondern wie bei einem Hufeisen näher zueinander liegen würden, als sie zur Mitte sind.
Das halte ich auch für problematisch, aber da kommen wir wieder ganz tief in Definitionsfragen.
Generell würde ich sagen, dass „Extremismus“ in diesem Kontext ein problematischer Begriff ist. Nach der üblichen Definition der Verfassungsschutzbehörden unterscheiden sich Radikalismus und Extremismus dadurch, dass der Radikale zwar das System an der Wurzel (lat. „Radix“; daher das Wort) ändern will, dazu aber die Mittel der Demokratie nutzt, während der Extremist unzulässige Mittel („aggressiv-kämpferisch“) nutzen will, z.B. einen Putsch. Dabei wird schon klar, dass „Extremismus“ inhaltlich deshalb nicht weiter gehen muss als „Radikalismus“, weil der Unterschied nicht auf der Inhaltlichen Ebene („Was wollen wir erreichen“), sondern auf der Methodenebene („Wie wollen wir es erreichen?“) liegt.
Wenn wir dieses Verständnis zu Grunde legen, also „Extremismus“ bedeutet, dass eine Gruppe ihre Überzeugungen mit (im Zweifel tödlicher) Gewalt durchsetzen will, kann man die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus ein Stück weit nachvollziehen (anders gesagt: die RAF war nicht wirklich „weniger Schlimm“ als der versuchte Reus-Putsch, wenn er denn ausgeführt worden wäre).
Wenn wir hingegen auf die inhaltliche Ebene schauen, würde ich auch ganz klar sagen, dass man Rechtsextremismus (eine chauvinistische Ideologie, deren Ziele nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist) nicht mit Linksextremismusmus (eine egalitäre Ideologie, die eine Utopie anstrebt, die durchaus innerhalb des Grundgesetzes realisierbar wäre) vergleichen kann.
Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen und auf die Ebene der tatsächlichen Opfer schauen, die diese Ideologien in der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung verursacht haben, wird sehr deutlich, dass die Qualität der Gefahren durch Rechtsextremismus (je nach Zählweise 113 bis 311 Todesopfer und tausende Schwerverletzte!) in einer ganz anderen Liga spielt als die Qualität der Gefahren durch Linksextremismus (keine Todesopfer, sehr wenige Schwerverletzte). Vor diesem Hintergrund verbittet sich natürlich eine Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremer Gewalt.
Was ich hier zeigen will ist, dass man diesen Sachverhalt je nach Perspektive sehr unterschiedlich betrachten kann. Aus Sicht der Hufeisentheorie, welche die Union vertritt, abzielend auf die Definition des Verfassungsschutzes, wäre eine Gleichsetzung von Rechts- und Links vertretbar, aus jeder anderen Sicht ist sie ein No-Go. Ich persönlich lehne die Hufeisentheorie klar ab, gehe aber insofern mit, dass wir natürlich jedem, der unser System mit Gewalt überwinden will, unabhängig davon ob rechts, links oder religiös motiviert, die rote Karte zeigen müssen, wir also kein falsches Verständnis für klaren Extremismus haben sollten.