Hallo allerseits,
Angeregt durch einen Artikel der Berliner Zeitung [1] möchte ich mal eine Perspektive vorschlagen die ich bisher kaum gehört habe:
Der Supreme Court hat die Immunität des US-Präsidenten sehr weit gefasst und damit Trump voraussichtlich einen riesigen Gefallen getan. Jedoch gilt das Urteil auch für den gegenwärtigen Präsidenten, Joe Biden, und gibt ihm umfassende Immunität für alles mögliche, auch theoretisch strafbare.
Joe Biden könnte Verwaltung, Behörden, Militär oder Geheimdienste gegen Trump einsetzen, auf irgendeine auch illegale oder undemokratische Art. Um die Demokratie zu retten.
Eine stückweit analog zu dem eigentlich undemokratischen Instrument des Parteiverbots, welches eingesetzt werden kann um die Demokratie zu schützen.
Biden ist nun theoretisch wesentlich Mächtiger als vor dem Urteil, aber was kann/soll er mit dieser Macht anfangen?
Leider paywalled. Was steht da drin?
Jedenfalls gab es gerade erst mal einen Dämpfer für ihn:
Es stellt sich also die Frage, wie ein Präsident einen ehemaligen Präsidenten stoppen soll, der sich ja auch auf Immunität berufen kann und trotzdem auf dem Boden der Verfassung zu bleiben.
Da sehe ich null Analogie. Eine Partei zu verbieten, weil sie verfassungsfeindlich eingestellt ist, ist das Gegenteil von Undemokratisch.
Das könnte er tun und seiner Wahlkampagne damit den dritten Sargnagel innerhalb der letzten Tage einhandeln. Denn damit würde er nicht nur die Narrative des Trump’schen Lagers bestätigen, sondern er würde natürlich auch große Teile des eigenen Lagers gegen sich aufbringen.
Ich glaube auch, dass dieses Framing die Sache sehr vereinfacht (davon unabhängig, dass jemand wie Biden natürlich niemals irgendwelche hochriskanten politischen Manöver durchführen würde).
Es ist zwar so, dass das Supreme Court die Immunität des Präsidenten sehr weit ausgelegt hat. Aber das bedeutet ja nur, dass Biden nicht persönlich haftbar gemacht werden könnte, wenn er etwa Trump einsperren lässt. Davon unabhängig können die Amtshandlungen des Präsidenten aber immer noch angefochten werden.
Das würde natürlich sofort passieren, würde Biden gegen Trump vorgehen. Und kein Gericht wird ihm das durchgehen lassen (schon gar nicht, da Trump in den Gerichten viele Konservative eingesetzt hat), also wird die Executive Order nichtig gemacht, auch wenn es keine Folgen für Biden selbst haben wird.
Als ich das geteilt hatte war es noch nicht hinter der Paywall. Ich kann morgen nochmal den ganzen Text teilen.
Hier eine Zusammenfassung:
Der Autor beschreibt das Vorgehen der polnischen Regierung, dass sie formal undemokratische Maßnahmen ergreifen muss (zB das Verfassungsgericht ignorieren) um wieder in demokratische Zustände zu kommen und beschreibt anschaulich die neue Immunität des US Präsident anhand des Vorwurfs der Wahlmanipulation. Dann verdeutlicht der Autor, dass diese umfassende Immunität auch für Joe Biden gilt und dieser damit, wenn es wirklich drauf ankommt Trump zu verhindern, die Möglichkeiten hätte dies auf undemokratische und rechtlich fragwürdige Weise zutun.
Das Dilemma ist, wie mit dieser Macht umgehen? Die Demokratie massiv beschädigen um sie zu schützen oder zulassen, dass Trump diese zerstört.
Das würde erfordern, dass die Demokraten monolithisch hinter Biden stehen. Würde Biden derartiges tun, bin ich mir aber ziemlich sicher, dass es einige Demokraten in beiden Kammern des Senats gäbe, die ihn im Rahmen eines Impeachments absetzen würden.
Dazu wird hier das generelle Problem übersehen:
Einige Experten haben sich zu dem Attentats-Versuch dahingehend geäußert, dass die USA hier nur knapp einem Bürgerkrieg entkommen sind - und dieser Einschätzung würde ich mich anschließen. Wäre das Attentat erfolgreich gewesen, hätten die militanten Trump-Anhänger definitiv nicht die Waffen gestreckt, sondern ganz im Gegenteil, es wäre vermutlich zu großflächigen Gewaltausbrüchen gekommen. Ähnlich sähe es aus, wenn Biden jetzt seine präsidiale Macht und Immunität nutzen würde, um Trump auf klar undemokratische Art (selbst aus neutraler Betrachtung, unzweifelhaft aber aus dem Blickwinkel der Republikaner!) auszuschalten, egal ob durch ein „Politikverbot“, eine Inhaftierung oder gar einen Auftragsmord. Die Republikaner würden das - durchaus nachvollziehbar - als Staatsstreich sehen, der das (aus der Unabhängigkeitserklärung hervorgehende) Widerstandsrecht gegen einen Tyrannen rechtfertigen würde. Auch das würde ganz, ganz schnell in einem Bürgerkrieg enden und ich würde nicht darauf wetten, dass Polizei, Nationalgarden und Militär in diesem Fall auf der Seite der Demokraten wären…
Würde Biden etwas derartiges versuchen, die Konsequenzen wären katastrophal. Und das ist denke ich jedem klar.
Über das Immunitätsurteil des Supreme Court herrscht nach meinem Verständnis ein allgemeiner Irrtum:
Der Supreme Court hat dem Präsidenten keinen Freibrief geliefert. Seine Amtshandlungen können immer noch angefochten werden. Es gibt immer noch das Amtsenthebungsverfahren im Senat. Nur er persönlich kann, wenn er in seiner Aufgabe und Verantwortung als Präsident handelt, kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden (ich bin mir gerade nicht sicher: auch nach Ende seiner Amtszeit?)
Also eine Art Diktatur zum Schutze der Demokratie? Wer über so etwas auch nur nachdenkt, hat aus meiner Sicht jegliches Recht verloren, sich darüber zu empören, wenn die Trumps & Le Pens dieser Welt sich genau solcher Mittel bedienen.