Netzpolitik.org hat einen schönen Artikel mit der Liste der Anforderungen und gewünschten bundesrechtlichen Änderungen veröffentlicht, auf die sich die Länder geeinigt haben (außer Bayern und MVP): Koalitionsstreit: Diese Gesetze sollen für die Bezahlkarte geändert werden
Derzeit wird im Bund v.a. darüber diskutiert, ob bundesrechtliche Anpassungen, insbesondere im Asylbewerberleistungsgesetz, überhaupt notwendig sind. Tlw. scheinen sie harmlose Modernisierungen zu sein (Streichen des Erfordernisses der „persönlichen Aushändigung“ von Leistungen), tlw. ist zu befürchten, dass die geforderten Änderungen zu einer Verschlechterung der Stellung von Asylbewerber:innen führen (Vorrang der Geldleistung abschaffen).
Ich hab eine tabellarische Auswertung anhand der nummerierten Liste versucht, hier abrufbar. Würde mich freuen, wenn jemand Lust hätte, hier weitere Punkte zu sammeln oder dort zu kommentieren.
Die Liste zeigt, wenn man die Diskussion verfolgt hat, mE bestimmte Zielsetzungen:
Verhinderung von Leistungsmissbrauch durch Menschen mit schlechten Asylaussichten, insb. aus Südosteuropa: Erhalt von Bargeld in D und Verwendung im Heimatland
Verwaltungsmodernisierung und –vereinfachung, da keine persönliche Aushändigung notwendig
Bekämpfung von “Pull-Faktoren", indem Überweisungen ins Heimatland erschwert werden
Bekämpfung von “Schleppern”, indem Überweisungen an solche erschwert werden
Allgemeine Einschränkung von Asylbewerber:innen (PLZ-Beschränkungen, Ausschluss best. Händler- oder Warengruppen – welches legitime Ziel?)
Effektivitätskritik:
und 2. könnten vermutlich in Teilen erreicht werden. Jedenfalls lässt sich ein plausibler Mechanismus erschließen, der nach erster - anekdotischer - Evidenz aus einigen Kommunen funktioniert. 3. und 4. halte ich für reines Migration-Bullshit-Bingo. Eine Auszahlungsmodalität hat darauf keinen Einfluss, ganz zu schweigen davon, dass „Pull-Faktoren“ keine wesentliche Rolle für Migration spielen. (5. hab ich zugegeben etwas schnippisch hinzugefügt.)
Zusammenfassung der wertenden Kritik:
Nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Lebensführung von Asylbewerber:innen sind mind. dort zu besorgen, wo kommunal die möglichen Einschränkungen ausgeschöpft werden (insb. PLZ-Begrenzung, Händler-/Warenbegrenzung, Bargeschäfte fraglich, da wohl immer möglich, nur im Umfang begrenzt).
Es fehlen leider Maßnahmen, um die Menschen zu schützen, z.B. konkrete Voraussetzungen für die Beschränkung des Einsatzes, Garantien für die fortdauernde Funktionalität der Karte oder Datenschutzgesichtspunkte über das Selbstverständliche (Einhaltung geltenden Rechts) hinaus.
zu 1. und 3.
Laut Migrationsforscher Prof. Jochen Oltmer gibt es keinerlei Evidenz für die Existenz dieses Problems. Die meisten überweisen erst Geld in die Heimat sobald sie arbeiten und mehr Geld verdienen.
zu 2.
Dort wo es schon eine Bezahlkarte gibt, geht nur die Hälfte des Geldes auf die Karte (mit persönlicher Aufladung vor Ort). Den Rest gibt es weiterhin bar. Es ist also mehr Bürokratie nicht weniger.
Bei der Wertenden Kritik fehlen mir Aspekte:
Im Rahmen der Einführung wird ein negatives Bild von Einwanderung gezeichnet. Die Diskriminierung vom Amt bestätigt alle anderen in ihrer eigenen Diskriminierungspraxis. Das ist Wasser auf die Mühlen der AFD.
Es wird „das Braune vom Himmel“ versprochen und nicht eingehalten, sodass sich die durch die permanente Problematisierung von Migration „besorgten Bürger“, bestätigt sehen können, dass das von der demokratischen Parteien als dringend bestätigte Problem der Zuwanderung nur von der AFD wirksam angepackt wird.
Für Bayern kündigt Markus Söder schon mal an: die Bezahlkarte kommt schneller und härter.
Ganz zufällig sitzt die ausgebende Firma in Freising und hofft jetzt auf deutschlandweite Aufträge.
Das teile ich alles komplett, hier ging es mir im Speziellen aber weniger um den politischen (im Sinne von politics) Diskurs und mehr um die Bewertung in der Sache (policy), da der Diskurs im ersten Bezahlkartenthread ausführlich kritisiert wurde.
Hast Du dafür Belege? Nach anekdotischer Evidenz (hier) erleichtert es die Behörden. Außerdem soll Pkt. 15 der Standards der Länder per Überweisung durch die Behörde aufgeladen werden.
Sind ja zwei getrennte Dinge, bezieht er sich auf beides? Für 1. gibt es anekdotische Evidenz (s. Link im Ausgangspost), wie groß das Problem ist, kann ich nicht einschätzen.
Es scheint eine „Einigung“ zu geben (letztlich werden problematische Fragen wie die Behandlung von Menschen, die Anspruch auf Analogleistungen - quasi Bürgergeld - haben, vertagt):
Mein größter Kritikpunkt an der Sache ist, dass den Ländern und Kommunen kaum konkrete Vorgaben gemacht werden, um die Asylbewerber:innen zu schützen. Ein politischer Überbietungswettbewerb der „Härte“ ist absehbar (s. Söder-Zitat von @der_Matti), auf dem Rücken von Asylbewerber:innen und zum Nutzen der Rechtsextremisten, die sich darin profilieren werden. Man gibt denen mit den Beschränkungsmöglichkeiten eine Waffe ohne Sicherung in die Hand. Das ist in der aktuellen politischen Lage mehr als fahrlässig.
Ist es vorgesehen, dass Asylbewerber dann nur noch mit der Karte zahlen können?
Nein, davon ist nicht auszugehen. Die Asylbewerber werden wohl auch künftig einen Teil ihrer Leistung in Bar erhalten, ein sogenanntes „Taschengeld“ - oder die Möglichkeit haben, mit der Karte Geld abzuheben (siehe oben). Die Höhe des Bargeldanteils oder der maximalen Abhebesumme ist aber noch nicht klar und darf wohl von jedem Bundesland einzeln festgelegt werden.
Ich meine es kam aber auch in dem verlinkten ZDF-Beitrag vor.
Danke. Daraus ergibt sich nicht, dass das Geld in bar ausgezahlt werden muss, sondern es gibt ja die Alternative, Bargeld mit der Karte abheben zu können. Dann würde sich eine Behörde (Kommune), die weiterhin auch Bargeld ausgibt, selbst in vielen Fällen unnötige Arbeit machen. Ausnahmefälle wären zB Gegenden mit wenigen Möglichkeiten, um Bargeld abzuheben.
Was ich nicht ausschließen würde, ist, dass einzelne Kommunen oder Länder, soweit die das gesetzlich bestimmen, als Teil ihrer politischen Agenda diesen Schuss ins eigene Knie machen, um demonstrativ „hart“ mit Asylbewerber:innen umzugehen. Also Bargeldabhebung mit der Karte stark einschränken und dann weiter aufwändig Bargeld ausgeben (müssen).
So weit, so anekdotisch. Doch es scheinen erwartbare Probleme zu sein, die sich daraus ergeben, dass die Länder nicht hinreichend robust dafür gesorgt haben, dass die Bezahlkarte ein weitgehendes Bargeldäquivalent (Nr. 2 in der Liste der zwischen den Ländern vereinbarten Standards) im Inland ist. Der Fall der Mutter, deren Karte beim Einkaufen nicht akzeptiert wurde, scheint mir darauf hinzudeuten, dass Standard Nr. 8, Anschlussfähigkeit an das Debitkarten-Akzeptanzstellensystem nicht eingehalten wird.
Warum die Behörden Zahlungen der Asylbewerber:innen freigeben müssen, als wären sie unmündig, erschließt sich mir nicht.
Wenn es wirklich nur um die Eingrenzung der Zahlungen an Schleuser und ähnliches gegangen wäre, dann hätten die Innenminister eine Lösung auf Basis bereits existierender und akzeptierter Bezahlstandards gefunden, zum Beispiel EC oder Mastercard. Das hätte man mit den Banken sicherlich entwickeln können. Aber wenn das was der Flüchtlingsrat berichtet auch nur halbwegs stimmt, dann zeigt die Umsetzung in Sachsen das es um reine Gängelung geht:
Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat sagt: „In unsere Beratungsstellen kommen immer mehr Menschen mit Mahnungen wegen der Bezahlkarte“. Der Grund: Jede Überweisung, etwa für Telefonrechnungen oder das Deutschlandticket, muss extra genehmigt werden. Behörden kämen mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. „Einem jungen Herrn wurde deshalb ihr Deutschlandticket gekündigt, das er eigentlich braucht, um zum Sprachkurs zu kommen“, so Schmidtke. Solche Probleme häufen sich laut Flüchtlingsrat sachsenweit. Für einen 12-jährigen Jungen stand beispielsweise wegen der Bezahlkarte das Fußballtraining auf der Kippe. Sein Verein hat kein passendes Kartenlesegerät. Der Fußballverein verzichtet deshalb auf Mitgliedsbeiträge – bis eine Regelung gefunden wird.