Betreuungsrecht in Deutschland (bei Demenz, Krankheit, Patientenverfügungen, etc.)

Ich musste mich in den letzten Wochen aufgrund eines Krankheitsfalls in der Familie (Schlaganfall, ohne Betreuungsvollmacht/Patientenverfügung, keine Möglichkeit, den eigenen Willen mitzuteilen) mit dem Betreuungsrecht in Deutschland auseinandersetzen.

Dabei habe ich gemerkt, wie wenig ich zu dem Thema vorher wusste, und habe mir dabei das ein oder andere Mal gewünscht, Ulf und Philip könnten mir das erklären. Es gibt da aus meiner Sicht viele Punkte, über eigentlich jeder Bescheid wissen sollte, wenn man überlegt, wie viele Menschen mit diesem Thema (z.B. Schlaganfall oder Demenz eines Angehörigen) irgendwann einmal in Kontakt kommen werden. Im kann mir vorstellen, dass sich viele nach dem ersten Schock, wenn ein Verwandter oder Freund hilfe braucht, ganz selbstverständlich die gesetzliche Betreuung übernehmen, ohne sich der Verantwortung im Einzelnen bewusst zu sein. Mit ist auch klar geworden, wie wichtig es ist, zu klären, wer im Zweifel die gesetzliche Betreuung übernimmt, wenn man bspw. einen Unfall haben sollte (und die Person auch darüber aufzuklären).

Das wären so Fragen wie:

Wann ist eine Patientenverfügung, was ist der Unterschied zu einer Betreuungsvollmacht? Braucht man das? Wie und wo setzt man sowas auf?

Was macht das Betreuungsgericht? Welche Interessen (z.B. des Betreutem, der Angehörigen, des Krankenhauses, etc.) spielen in die Entscheidung, wer gesetzlicher Betreuer wird, hinein?

Wie umfassend ist die Rolle eines ehrenamtlichen Betreuers? Was muss man bedenken, bevor man die ehrenamtliche Betreuung für einen Verwandten übernimmt? Wie viel Verantwortung ist das im Ernstfall, wenn der Verwandte z.B. Schulden oder Suchtkranheiten hat?

Wann sollte man sich die Arbeit mit einem beruflichen Betreuer teilen, bzw. was sind berufliche Betreuer? usw. …

Fände ich ein interessantes und wichtiges Thema

1 „Gefällt mir“

Da ich einige Jahre als gesetzlicher Betreuer gearbeitet habe, kann ich das meiste ganz gut beantworten.

Beides ist systematisch ähnlich, bezieht sich aber auf andere Lebenssachverhalte.
In einer Patientenverfügung kannst du genaue Angaben machen, welche Maßnahmen in welchen Fällen z.B. nicht mehr gemacht werden sollen (z.B. wenn du in ein Koma fällst…), bei einer Betreuungsvollmacht kannst du das auch festlegen (bindet dann eben das Betreuungsgericht und den Betreuer bei der Einwilligung in die Behandlung, während die Patientenverfügung direkt die Ärzte bindet…), aber Kern der Betreuungsvollmacht ist eigentlich meist wer Betreuer werden soll, manchmal auch z.B. den Wunsch den Betreuten, während der Betreuung an einem bestimmten Wohnort zu bleiben, also es können dem zukünftigen Betreuer auch (in vertretbaren Grenzen!) Schranken gesetzt werden.

Wer Betreuer wird richtet sich in allererster Linie nach dem Wunsch des Betreuten (und natürlich der Zustimmung des Betreuers!). Wer für einen konkreten Fall als Betreuer vorgeschlagen wird entscheidet in der Regel die Betreuungsstelle der Kommune, das Gericht prüft dann nur, ob das dem (oft mutmaßlichen) Willen des Betreuten entspricht und die Person geeignet ist (wobei da auch die Betreuungsstellen schon vorarbeiten). Die Interessen von Pflegeheimen oder Krankenhäusern sind irrelevant. Das Betreuungsgericht kontrolliert letztlich den Betreuer, der Betreuer muss z.B. jährliche Berichte (über den Fortgang der Betreuung, aber auch die finanziellen Verhältnisse, vor allem, wenn Vermögen vorhanden ist) abgeben (wobei ehrenamtliche Betreuer davon glaube ich weitestgehend befreit sind!)

Wie umfassend sie ist, hängt von den Aufgabenkreisen ab, was wieder davon abhängt, wie viel Betreuung notwendig ist. Bedenken muss man als ehrenamtlicher Betreuer nicht allzu viel, während Berufsbetreuer eine Berufshaftpflichtversicherung benötigen, sind ehrenamtliche Betreuer i.d.R. über Sammelhaftpflichtversicherungen, welche die Länder abgeschlossen haben (z.B. hier in NRW oder Bayern) versichert. Wie viel Verantwortung im Ernstfall mit der Betreuung einher geht hängt von der Situation ab. Aber wirkliche Life-or-Death-Entscheidungen erfordern ohnehin immer die Zustimmung des Betreuungsgerichts und die Betreuungsbehörden (und Betreuungsvereine) sind auch immer ansprechbar, wenn man als ehrenamtlicher Betreuer mal überfordert ist. Kurzum: Es wird schon wirklich versucht, die ehrenamtlichen Betreuer abzusichern und nicht zu überfordern, wir wollen letztlich als Gesellschaft, dass so viele Betreuungen wie möglich von Angehörigen übernommen werden, die Berufsbetreuung sollte schon immer die Ausnahme sein.

Was Schulden angeht ist meine Erfahrung als Berufsbetreuer gewesen: In dem Moment, in dem man dem Gläubiger die Betreuungsurkunde vorlegt und man versichert, dass der Betreute nix hat und es ausgesprochen unwahrscheinlich ist, dass er jemals wieder ein Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenze haben wird, sind viele Gläubiger bereit, die Schulden zu erlassen - einfach weil es tatsächlich so ist, dass in dem Moment, in dem eine Betreuung vorliegt, in der Regel nichts mehr zu holen gibt.

Was Drogen angeht - tja, da muss man ein dickes Fell haben, aber das gilt für Angehörige wohl ohnehin. Grundsätzlich bei schweren Erkrankungen muss man dann auch mal unschöne Entscheidungen (u.U. zusammen mit dem Betreuungsgericht) treffen, das muss man aushalten können.

Wenn man sich wegen der Komplexität des Falles oder weil man selbst z.B. öfters nicht vor Ort ist nicht vollumfänglich selbst um den Fall kümmern will, den Fall aber auch nicht ganz in die Hände eines Berufsbetreuers geben will. Das ist aber auch eher die Ausnahme.

Berufsbetreuer machen im Prinzip das, das ehrenamtliche Betreuer tun, aber eben professionell für eine große Zahl an Betreuten, oft 40 bis 60. Berufsbetreuer sind aber auch stärkerer Bürokratie unterworfen, eben um Missbrauch zu vermeiden. Die meisten Berufsbetreuer sind Sozialarbeiter, manche auch Juristen. Theoretisch ist das keine zwingende Voraussetzung, praktisch sind Ausnahmen aber selten. Das ganze System wurde aber kürzlich erst reformiert, daher mag das heute schon wieder anders sein.

Als Rechtspflegerin kann ich noch Informationen über die Stellung eines ehrenamtlichen Betreuers beisteuern.
Es ist zwar über 20 Jahre her, dass ich in dem Beruf (und tatsächlich in Betreuungssachen) gearbeitet habe, aber es wird sich nicht geändert haben,

  • dass nahe Angehörige normalerweise nicht allen Kontrollen durch das Gericht unterliegen. Als Ehegatte, Eltern oder Kind muss man z.B. nur dann beim Amtsgericht Rechnung legen, wenn das Gericht dies anordnet. Allerdings sollte man privat trotzdem Buch führen und alle Belege aufheben, um jederzeit die Rechtmäßigkeit des eigenen Handels nachweisen zu können.
  • dass ein ehrenamtlicher Betreuer dieselben Pflichten wie ein Berufsbetreuer hat.
  • dass die Aufwandsentschädigung gewöhnlich einmal im Jahr zur Zeit der Rechnungslegung (Aufstellung Einnahmen/Ausgaben nebst Belegen, wenn Vermögensangelegenheiten mit zum Aufgabenkreis gehören) gewährt wird. Der Betreuer kann auch eine kleine Vergütung zugestanden bekommen, wenn der Betreute über Vermögen verfügt.

Genaue Informationen findest du hier:
https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschueren/Betreuungsrecht.html
Dort kann man ein PDF mit Informationen herunterladen und auch Formulierungsvorschläge für Vollmachten etc.

Wichtig: Viele Menschen erteilen eine Vorsorgevollmacht, um die Einrichtung einer Betreuung zu umgehen. Letztlich ist das für viele Familien gut und richtig. Es ist aber wichtig, dass derjenige, der die Vollmacht gibt, dieser Person, der er Vollmacht gibt, absolut vertraut. Bei Vorsorgevollmachten gibt es sonst Spielraum für Betrug.
Außerdem sollte man so etwas am besten mit der ganzen Familie besprechen, wenn möglich. Denn es kommt leider auch manchmal zu Streitigkeiten.

Das stimmt nicht ganz. Jährliche Berichte muss jeder Betreuer abliefern. Manche kamen dazu bei mir früher (zusätzlich zum schriftlichen Bericht) persönlich vorbei. :slightly_smiling_face:
Und von der Rechnungslegung (=Buchführung) gegenüber dem Gericht sind nur nahe Angehörige befreit, solange keine angeordnet wurde. Es gibt auch weitläufige Verwandte oder sogar engagierte Fremde (Nachbarn etc), die als Betreuer dieselben Verpflichtungen haben wie ein Berufsbetreuer.

Wichtige Verträge (Hausverkauf etc.) müssen immer genehmigt werden.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die sich ehrenamtlich engagieren.