Berichte zum 14.1. in Lützerath

Die Berichterstattung zur Demo in Lützerath wirkt auf mich und andere, die wie ich gestern dort waren verstörend:
1.In einigen Berichten ist explizit die Rede davon, dass Polizeiketten durchbrochen worden seien, um an die (gefährliche) Abbruchkante des Tagebaus zu gelangen.
Es war aber gar keine Polizei da, die versucht hätte, die Abbruchkante zu sichern. Auch ich bin ein Stück nach Ortsausgang Kreyenberg völlig unbehelligt von Polizei schräg über das Feld Richtung Abbruchkante und Lützerath gegangen - einfach zum Gucken. Das Gelände sehr weitläufig und übersichtlich - die fast komplette Polizeipräsenz weit in der Ferne direkt am Bauzaun Lützerath. Viele, die dort über das Feld gegangen sind und die Demo-Strecke verlassen haben, haben irgendwo auf dem Feld/auf Hügeln gestanden, haben sich alles aus der Ferne angeschaut und sind dann Richtung Bühne und zu den Shuttlebussen gegangen. Manche haben darüber geredet, ob sie auch zum Bauzaun gehen sollen. Es war insgesamt eine sehr ruhige und friedliche Stimmung - auch zwischen Bühne und Lützerath/Abbruchkante.
Hätte die Polizei wirklich die Kante schützen wollen, hätte sie direkt an der Demonstrationsstrecke Präsenz zeigen können. Ich bin sicher, dass viele so wie ich nie auf die Idee gekommen wären, dort an der Polizei über das Feld zu gehen. Erst so viele Menschen so nah dran haben das Gefühl vermittelt: Mensch, wir sind so viele - vielleicht können wir doch noch etwas aktiver zeigen: Ihr seid nicht allein da in den Bäumen und im Tunnel. So meine Wahrnehmung.
2. Das Wort „gewaltbereit“: „Gewaltbereite“ wer auch immer- alle gleich: Die zum 1.Mai nach Berlin fahren oder zu Fußballspielen ohne Sinn und Zweck nur zum Kloppen und kaputt machen bekommen das gleiche Wort wie diejenigen gestern, die nur die unterstützen wollen, die vereinbarte und notwendige Ziele durchsetzen wollen. Da wo ich war, habe ich zu keiner Zeit auch nur ansatzweise wahrgenommen, dass jemand zum Kloppen und kaputt machen da hingefahren ist.
Mein Reframing: Die zum Bauzaun gegangen sind, waren bereit, Gewalt entgegen zu nehmen, bei dem Versuch sich solidarisch zu zeigen und diejenigen zu unterstützen, die ihr Leben riskieren, um auf Ungerechtigkeiten, Schräglagen und Notstände aufmerksam zu machen, die uns alle betreffen.
Bei allem was ich schreibe, schließe ich ein, dass es gestern sicher einige Demonstranti gab, die sich nicht korrekt verhalten haben. Dazu ist einiges in der Diskussion um die Polizeigewalt. Ich selbst lehne jede Form der Gewalt oder Gewaltprovokation ab.
Die Berichterstattung zeichnet Bilder vom gestrigen Tag, die ich nicht bestätigen kann. Mich interessiert, ob andere Anwesende es ähnlich erleben, bzw. wie die Berichterstattung auf diejenigen wirkt, die nicht dabei waren.

Leider ist es aber ein Fakt, dass u.a. ein Zivilfahrzeug der Polizei ausgebrannt ist und es in jedem Fall auch einige Steinwürfe gab (davon haben auch unabhängige Medien, z.B. Podcasts vom DLF, berichtet).

Dass der Großteil der Protestierenden keine Gewalttäter sind hat auch die Polizeiführung immer wieder betont. Aber leider führt die Solidarität unter den Lützerath-Besetzern auch dazu, dass Gewalttaten einzelner Akteure und Gruppen gutgeheißen oder zumindest nicht aus der Gruppe heraus kritisiert werden, um den Zusammenhalt nicht zu gefährden. Das ist letztlich ein enormes Problem.

Naja, ich sage es mal so:
Ich habe selbst in der Vergangenheit auf Demonstrationen versucht, Polizeiketten zu durchbrechen (z.B. auf Anti-Nazi-Demos, um die beabsichtigte Route der Nazi-Demo zu blockieren) und habe dafür auch teilweise ordentlich Gewalt kassiert, die ich damals auch als „Polizeigewalt“ wahrgenommen habe.

Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen: Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Wenn ich eine Polizeikette durchbrechen will, kann die Polizei das nicht einfach geschehen lassen. Es wird zu einem Gerangel kommen und so ein Gerangel birgt erfahrungsgemäß ein enormes Eskalationspotential. Wenn der Polizist sich subjektiv bedroht fühlt (weil z.B. eine Überzahl Demonstranten in seinem Bereich herrscht) und Adrenalin und co. dazu kommen, wird es weh tun.

Versetz dich mal in die Polizei - du hast den Auftrag, den Zaun zu sichern. Du weißt, wenn es den Aktivisten gelingt, deine Kette zu durchbrechen und den Zaun niederzureißen, war die ganze Aktion der letzten Tage für’n Arsch, weil alles von Vorne los geht: Dutzende Demonstranten werden sich überall im bereits gesicherten Gebiet wieder festketten und verstecken und es wird wieder Stunden oder gar Tage dauern, diesen Schaden zu beseitigen. Und jede Sekunde könnte es einen weiteren Durchbruch geben, der wieder die Arbeit der vergangenen Stunden und Tage gefährdet.

Ist es hier nicht sehr nachvollziehbar, dass die Polizei alles daran setzen wird, diese Kette geschlossen zu halten und den Zaun zu beschützen? Und das führt dann eben zu erheblicher Gewaltanwendung, wenn eine große Gruppe Demonstranten versucht, auch weitestgehend friedlich durch einfaches Drücken, diese Kette zu durchbrechen.

Die Frage ist doch immer: Was ist die Alternative? Und nein, einfach die Demonstranten durchbrechen lassen und den Versuch, Lützerath zu räumen, aufzugeben, ist keine Alternative in einem Rechtstaat, nicht einmal für einen Grünen Einsatzführer der Polizei…

Also wie soll der Staat hier ohne Gewalt reagieren, wenn ein Gruppe versucht, die Polizeikette mit „sanfter Gewalt“ zu durchbrechen? Das ginge nur mit einer noch größeren Überzahl und einer strikten Verfolgung der Strafgesetze, daher: So viele Polizisten dort stationieren, dass man genug Übermacht hat, jeden festzunehmen und anzuzeigen, der die Kette durchbrechen will. Wäre das besser, wenn es möglich wäre?!?

Wie gesagt, was sind die Alternativen für den Staat?

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Das gehört eigentlich zu dem anderen Themenvorschlag, der hier diskutiert wird, in dem es um die Polizeigewalt geht.

Mir geht es hier um die verstörende Berichterstattung.
Ich kann es nicht besser formulieren, als es ein anderer Demonstrant mir heute geschickt hat: „Es waren sooo viel positive Dinge an der Aktion. Und die kommen nicht wirklich zum Vorschein.“

Ich versuche es nochmal mit diesem Thema - nur einige Beispiele:

  • Es war keine aufgeheizte Stimmung - alles sehr ruhig und friedlich, auch in Momenten, in denen es hätte aufheizen können, nicht mal ein müdes „Buuuh…“ aus der Menge, als z.B. von gewalthaltigen Räumungsaktionen berichtet wurde.
  • Die Bewegungen zur Abbruchkante waren Schlender-Spazierer* über den Acker, keine (zu was auch immer) entschlossenen Gruppen, die sich vom Demo-Zug gelöst haben und durch die Polizeikette gedrungen sind (die nicht da war!!).
    Auch Menschen, die versucht haben, andere zu motivieren, nach Lützerath rein zu gehen - die große Menge ist geblieben, wo sie war und hat keine Anstalten gemacht, noch mehr Menschen sind artig zu ihren Bussen für die Heimreise gegangen, obwohl die Kundgebung noch in vollem Gange war.

ich könnte die Liste endlos fortsetzen. Ich weiß nicht, ob das hier im Einzelnen interessiert…

Was mich daran verstört ist: Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung, die Polizei hätte die Abbruchkante schützen wollen? Da war wirklich niemand. Nicht mal eine Durchsage von der Polizei per Megaphon gab es, um auf die Gefahr hinzuweisen.
Und: Wenn bei einer so riesigen grundsätzlich sehr friedlichen und ruhigen Veranstaltung in den Medien auf die Gewaltszenen fokussiert wird (die es bedauerlicherweise gab), werden doch auch Menschen abgeschreckt, an so etwas teilzunehmen.
Menschen in meinem Bekanntenkreis sprechen mich an und denken wer weiß wie gefährdet ich war.
Wenn man die Bilder in den Medien sieht, kann man es sich eben nicht vorstellen: Ein Riesen-Gelände, Felder, überall Menschenmassen ruhig und friedlich - weit weg in einem kleinen Bereich, die Szenen die jetzt durch die Presse gehen.
Unschönes ist passiert - wohl auch von Demonstranti-Seite aus (ich selbst kann da nichts zu sagen, weil zu weit weg) - aber die Berichterstattung ist eben unverhältnismäßig.

Ich wollte hier fragen, ob das andere, die dabei waren auch so wahrnehmen, bzw. wie die Berichterstattung auf diejenigen wirkt, die nicht dabei waren.

*) Wir selbst sind auch zur Abbruchkante gegangen und haben dort gestanden. Aus purer Naivität und Dämlichkeit (so viel "das muss man mal gesehen haben -Mondlandschaft …hatten wir in den Berichten vorher gehört). Sightseeing! So bescheuert es klingt (wir sind über 50! - Aua!) - zum Glück sind wir schnell wach geworden und wieder gegangen. Die anderen, die da standen, haben genau so paralysiert in die Grube gestarrt. Was soll man da auch sonst wollen?
Ja, ich weiß, es sind Einzelne runter gelaufen - aber Einzelne!!

Da, wie gesagt, das Thema woanders diskutiert wird (–> Unverhältnismäßige Polizeigewalt in / um Lützerath)
hier nur sehr kurz, weil ich es wirklich schwierig finde, das so stehen zu lassen und deinen Beitrag im anderen Thema nicht finde:
Es kann keine Rechtfertigung dafür sein, Menschen ins Krankenhaus zu prügeln, weil ich meine Arbeit der letzten Tage gefährdet sehe und sie im Zweifel nochmal machen muss. Wenn ich so reagieren würde, wenn das in meinem Job geschieht (und sowas geschieht sicher in vielen Jobs mal - ich müsste dann allerdings jemandem mit dem Aktenordner auf den Kopf hauen, weil ich keinen Schlagstock habe) - Ich bin sicher, das bliebe nicht ohne Folgen und man würde von mir erwarten, dass ich da anders mit umgehen kann.
Wie gesagt, wie die Polizei professionell in solchen Situationen handeln sollte, und ob sie das in diesem Fall getan hat, wird in dem anderen Beitrag diskutiert.

In diesem angepinnten Thread soll es eigentlich gerade nicht um Diskussionen gehen, sondern dort wollen Ulf und Philip Berichte von Demonstranten sammeln (und die Berichtenden dann vielleicht anschreiben, um nähere Informationen zu bekommen).

Genau deshalb habe ich dort nichts geschrieben, weil Diskussionen dort vom eigentlichen Inhalt des Threads ablenken und Diskussionen, inwiefern eine polizeiliche Aktion vielleicht gerechtfertigt war, auch explizit nicht gewünscht sind.

Du arbeitest auch nicht im Sicherheitsbereich, der Vergleich passt daher einfach nicht. Die Polizei hat hingegen das Gewaltmonopol und ist auch berechtigt, Gewalt zum Verhindern von Straftaten einzusetzen.

Niemand rechtfertigt nun, wenn ein Polizist jemanden ohne Not „ins Krankenhaus prügelt“, aber man muss die Realitäten solcher Einsätze anerkennen. Angenommen eine friedliche Masse will eine Polizeikette durchbrechen, wie es oft in der Realität passiert, indem sie einfach langsam gegen die Kette drückt. Das ist keine gefährliche Gewalt, aber irgendwann wird die Kette reißen und die Menschen würden durchdringen. Wer die Polizei in diese Situation bringt, muss verstehen, dass die Polizei das Brechen der Kette verhindern muss. Natürlich wird sie versuchen, das mit wenig Gewalteinsatz zu machen (z.B. das klassische „Berieseln“ von Demonstranten mit Wasserwerfern, also nicht in die Menge schießen, sondern künstlichen Regen über der Menge erzeugen), aber wenn der Druck an einzelnen Stellen zu groß wird und Demonstranten versuchen, eine kurzfristige Lücke auszunutzen, um durchzuhuschen, muss die Polizei das verhindern. Und das geht dann oft nur mit Gewalt. Und auch wenn die Polizisten nur angemessene Gewalt anwenden wollen, im Eifer des Gefechts wird es immer zu versehentlicher übermäßiger Gewalt kommen.

Das Problem ist, dass hier der Einsatz der Gewalt durch die Polizei anders bewertet wird, als z.B. beim versuchten Reichtstagssturm durch rechtsextreme Volldeppen. Erinnert ihr euch noch an die Szenen dieser einzelnen Polizeibeamten mit ihren Schlagstöcken, die in Richtung der Demonstranten geschlagen und getreten haben, weil diese immer wieder versuchten, sich zu nähern - und wie dann irgendwann die Verstärkung kam und mit Pfefferspray und Schlagstöcken die Menge zurückgedrängt hat. Auch hier haben die Rechten dann rumgeheult, das sei Polizeigewalt gewesen.

Auch hier gilt, dass die Polizei ihren Auftrag erfüllen muss. Auch wenn der rechte Mob hier keine direkte Gewalt ausgeübt hat, wurde jeder Versuch, die letzte Barriere der Polizisten zu durchbrechen, mit Gewalt beantwortet - und zwar zu Recht. Weil die Alternative gewesen wäre, die Leute durchzulassen, was offensichtlich nicht gut gewesen wäre.

Wenn eine - auch weitestgehend friedliche - Masse daher die Polizei bedrängt, wird die Reaktion immer Gewaltanwendung sein, wenn das die einzige Möglichkeit ist, die Masse davon abzuhalten, weiter vorzudringen. Und wenn dann der eine oder andere Schlag mit dem Baton den Kopf trifft, obwohl er eigentlich auf den gehobenen Arm gezielt war, ist das in solchen Situationen nahezu unvermeidbar. Wenn es dadurch zu Verletzungen kommt, handelt es sich um Unfälle, nicht um Polizeigewalt, so hart das auch klingen mag. Wenn Polizisten natürlich absichtlich und bewusst auf die Köpfe schlagen würden oder am Boden liegende Menschen schlagen, sieht das anders aus, aber davon reden wir hier nicht.

Es bleibt weiter die Frage, wie dieses professionelle Handeln in der Praxis aussehen sollte. Beim Versuch, Polizeiketten durch Menschenmassen zu durchbrechen, sehe ich beim besten Willen keine Alternative. Ob die Aktion an der Abbruchkante korrekt war kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht da war, aber wenn sich Menschen dort in den Gefahrenbereich begeben ist auch die Frage, was die Alternative zu einem beherzten Einsatz (also hin stürmen und die Leute da wegtreiben) gewesen wäre. Sie einfach an die Abbruchkante gehen zu lassen hätte, wenn es dann zu einem Unfall kommt und jemand dabei tödlich verunglückt, jedenfalls nicht besser für die Polizei ausgesehen. Ob man die Abbruchkante hätte mit Polizeiketten sichern können hängt davon ab, wie viele Polizisten dafür gebraucht würden - nach meinem Verständnis ist die Abbruchkante jedenfalls extrem weitläufig und es dürfte kaum möglich sein, diese effizient zu sichern.

Ich will einfach nur, dass die Problematik dieser Situation von beiden Seiten verstanden wird. Es ist leicht, die Polizei hier zu kritisieren, aber wenn man in dieser Situation ist und als Einsatzleitung schnelle Entscheidungen treffen muss, gibt es oft keinen idealen Weg.

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Die Berichterstattung zeigt oft nur die skandalträchtigen Bilder. Leider wird dadurch eine ganze Aktion durch ein paar Chaoten diskreditiert, da die Bilder nicht in den richtigen Kontext gestellt werden. Zudem sehe ich die Entwicklung, dass alle die auf den Klimawandel hinweisen kriminalisiert oder sogar in die Terrorecke gestellt werden.

Bis jetzt klappt es mit der Deutungshoheit ja noch, dass es nur ein paar „linksgünversifffte“ sind, die aus ihrer Blase heraus eine „Klimadiktatur“ errichten wollen.
Siehe hierzu auch

Dazu nur noch sehr kurz und dann wieder zum Thema: Erhebliche Gewaltanwendung wegen Gefährdung der Arbeit der letzten Tage? Wirklich: NEIN!
Genau das meine ich: Es war keine Gefahr im Sinne von kidnappen, ermorden, Bomben zünden oder Ähnliches im Verzug. Nur für ein paar Tage Arbeit nachholen, unverhältnismäßige Gewalt…nun ob Diskussion, oder Informationen sammeln - es gehört in das andere Thema, ob diese Art der Gewalt angemessen war. In jeder Profession - sollte man erwarten können, dass Menschen zwischen ihrem professionellen Auftrag und ihrer persönlichen Frustration unterscheiden können und entsprechende Grenzen wahren.

Danke für deine Schilderung eines besonnenen auftragsgemäßen Polizeieinsatzes bei Einwirken einer grundsätzlich friedlichen Menge mit gewaltlosen Zielen. Diese führt wieder zu meinem Thema: Gehen wir von friedlichen DemonstrantInnen und besonnen, aber entschlossen handelnden PolizeibeamtInnen aus, handelt es sich bei den DemonstrantInnen um Personen, die nicht in der Absicht, Gewalt auszuüben (B… klatschen, Randalieren, etc.) loslaufen, aber wissen dass ihre Absicht ein durch Polizei abgesichertes Gebiet zu betreten dazu führen wird, dass sie vermutlich den ein oder anderen Schlag abbekommen werden. Für diese Personen schlage ich vor, sie von den erstgenannten begriflich zu unterscheiden. Reframe: Sie sind nicht selber bereit, Gewalt auszuüben, aber welche entgegenzunehmen.

Vielen Dank für diesen link. Das ist sehr hilfreich für mein Verständnis!
:pray:

Du hast leider nicht auf die zentrale Frage geantwortet:

Wie sollte die Polizei deiner Meinung nach reagieren, wenn eine friedliche Menge mit „sanfter Gewalt“, also leichtem, aber konstantem, Drängen eine Polizeikette durchbrechen will?

Es geht nicht um „ein paar Tage Arbeit nachholen“, sondern es geht um die grundsätzliche Frage, ob die Polizei ihren Auftrag erfüllen kann oder nicht. Denn wenn wir zu dem Schluss kommen, dass die Polizei einer friedlich-drängenden Menge immer nachgeben muss, weil Gewaltanwendung, um die Menge aufzuhalten, grundsätzlich unverhältnismäßig ist, bedeutet das, dass das Einsatzziel grundsätzlich nicht erfüllt werden kann, da es der Polizei grundsätzlich nicht möglich wäre, eine friedlich-drängende Menge aufzuhalten.

Es ist doch evident, dass das nicht Sinn der Sache sein kann, sondern dass die Polizei die Möglichkeit haben muss, ihren Auftrag zu erreichen. Und wenn das nur mit Anwendung unmittelbaren Zwangs möglich ist, ist dieser unmittelbare Zwang auch zulässig. Die Polizei warnt in solchen Situationen in aller Regel mehrfach und ausdrücklich, dass sie unmittelbaren Zwang anwenden wird.

Ich bitte hier einfach darum, die Situation losgelöst vom Thema „Umweltschutz“ zu betrachten und deshalb nicht den Fehler zu machen, zu sagen: „Aber Umweltschutz ist mir wichtiger als die Frage, wie die Polizei ihren Job machen kann - ist doch nicht mein Problem!“. Denn so kommen wir nicht weiter. Also wenn das nächste Mal auch wieder eine rechtsextreme Demonstration auf den Reichstag zumarschiert, sollen die Polizisten da im Zweifel auch der Menge nachgeben, weil Gewaltanwendung nicht zulässig ist, so lange die Leute keine Bomben zünden, Leute ermorden oder Kidnappen?

Es muss doch wirklich einleuchten, dass das nicht das Ziel sein kann, es muss doch verstanden werden, dass der Staat die Möglichkeit haben muss, einen gesetzeskonformen Auftrag (und das ist die Räumung Lützeraths) auch durchzuführen, sonst ist der Rechtstaat einfach völlig am Ende.

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Ich schließe das Ganze hier mal ab, weil es keinen Sinn ergibt, da wir aneinander vorbei diskutieren. Ich habe deinen Punkt voll verstanden und gehe damit konform. Mein Thema hier ist ein anderes - nämlich das Wording in Berichterstattungen.
Deine erste Antwort ging aber mehr Richtung Verständnis für die persönliche Befindlichkeit der PolizeibeamtInnen und dann eben auch ggf. mehr Gewalt als nötig. Allein diesen Punkt - sollte er von dir wirklich so gemeint gewesen sein - habe ich aufgegriffen.
Nochmal: Mein Thema ist eigentlich die Darstellung in der Berichterstattung. Dafür ist die Antwort von Schlossermeister wirklich hilfreich. Und ich wollte von anderen Teilnehmenden wissen, ob sie da auch so eine große Diskrepanz wahrnehmen.

Ich denke, die Berichterstattung war sehr vielfältig, wie sie in einer Demokratie auch sein sollte. Es gab Berichte, in denen einzelne Gewalttaten der Demonstrierenden im Vordergrund standen, aber selbst in diesen wurde eigentlich immer darauf hingewiesen, dass der absolute Großteil der Demonstranten friedlich waren. Die einzige negative Ausnahme, die mir aufgefallen ist, ist die BLÖD-Zeitung, die krassen Populismus gegen die Lützerath-Besatzer geliefert hat. Vermutlich war die WELT ähnlich einseitig.

Eher linke Zeitungen wie die taz oder Süddeutsche haben hingegen eher einseitig Position für die Demonstranten eingenommen - nicht so krass einseitig, wie die BLÖD-Zeitung, aber doch sehr klar politisch positioniert, teilweise so weit, dass z.B. Statements der Sanis der Aktivisten über mehrere Knochenbrüche und lebensgefährliche Verletzungen unreflektiert und ungeprüft übernommen wurden (und sich im Nachhinein mWn als inkorrekt herausgestellt haben).

Ich sehe in der Berichterstattung eher weniger Probleme, weil je nach Ausrichtung der jeweiligen Zeitungen zwar sehr unterschiedlich, im Gesamtergebnis aber vollumfänglich über alle Aspekte berichtet wurde.

Deine Kritik z.B., dass die Medien auch von „gewaltbereiten“ Demonstranten spricht, ist relativ schwer zu begründen. Es ist ein Fakt, dass dort auch einzelne gewaltbereite Demonstranten waren. Das kann man einfach nicht bestreiten. Das ist eine Minderheit - und das sollte auch so erwähnt werden - aber es gibt sie in jedem Fall. Ob man diese Gewalt gerechtfertigt findet oder nicht sollte nichts daran ändern, auch aus eigener Sicht moralisch gerechtfertigt gewaltbereite Demonstranten sind weiterhin gewaltbereite Demonstranten. Wenn Medien wie die BLÖD-Zeitung den Eindruck erwecken wollen, dass der Großteil der Demonstranten „gewaltbereite Chaoten“ seien, ist Kritik natürlich angebracht. Aber erwarten wir von dieser Zeitung wirklich etwas anderes?

Was die Gewaltvorwürfe generell angeht muss man in jedem Fall konstatieren, dass immer beide Seiten die Zahl ihrer Verletzten sehr… großzügig… angeben. Es ist quasi das Gegenteil wie im Krieg: Im Krieg wird die Zahl der getöteten und verletzten Feinde immer übertrieben und die Zahl der eigenen Verluste klein geredet, weil man das Ziel verfolgt, die Moral hoch zu halten, indem man von Erfolgen berichtet. In solchen Demo-Situationen wird grundsätzlich die Zahl der eigenen Verluste hoch geredet und die Zahl der eigenen Gewalttäter klein geredet, weil beide Seiten versuchen, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass die andere Seite die ist, die (unverhältnismäßige) Gewalt einsetzt.

So haben wir die Situation, dass die Lützerath-Demonstranten von hunderten Verletzten, darunter viele Schwerverletzte berichten und daraus ableiten, die Polizei hätte gezielt gegen Köpfe geschlagen. Aber die Verletzten kommen interessanterweise nicht in Krankenhäusern an. Die Polizei auf der anderen Seite schwadroniert von 102 verletzten Beamten, gibt aber zumindest zu, dass ein großer Teil davon nicht „von Demonstranten“ verletzt wurde, sondern durch die Umstände vor Ort (z.B. ausgerutscht im Matsch). Die Polizei würde vermutlich angeben, wenn es tatsächlich gefährlich verletzte Polizisten gäbe, wenn die Angabe fehlt lese ich daraus grundsätzlich, dass es keine schweren Verletzungen gab. Es wäre natürlich schöner, wenn die Polizei das auch dazu schreiben würde. Stattdessen wird höchstens gesagt, wie viele Beamte „dienstunfähig“ sind, wobei das halt auch durch einen Kreuzbandriss beim Ausrutschen im Schlamm passieren kann.

Was ich damit sagen will:
Wie im Krieg ist auch hier die Zahl der Verletzten und gewaltbereiten Personen eine Propaganda-Schlacht zwischen den Betroffenen. Und wie im Krieg können die Medien hier kaum unabhängig prüfen, wer die Wahrheit spricht.

Wenn man als Demonstrant nach der Demo nach Hause kommt, die Nachrichten einschaltet und sich denkt „Die Darstellung der Medien ist ja total einseitig!“ muss man realisieren, dass es vermutlich ebenso viele Polizisten gibt, die nach Hause kommen, die Nachrichten einschalten und sich darüber echauffieren, dass die Medien so viel über Polizeigewalt berichten und das für einseitig halten…