Barrierefreiheit bei der Digitalisierung

Ihr hattet das mal in einer der letzten Folgen, ich meine bei ask me anything angerissen, als ein Leserbeitrag dazu zitiert wurde.

Ich glaube aber, dass das Thema durchaus mal als gro0es Thema Anerkennung verdient, weil es viel zu häufig von verschiedenen Stellen (vor allem staatlichen) missachtet wird, gerade im Bereich der Digitalisierung. Aus meinen Erfahrungen mit bisherigen Justiz-Software-Produkten entsteht für mich der Eindruck, dass Barrierefreiheit als Lippenbekenntnis am Anfang aufgenommen wird, dann während der Entwicklung komplett hinten runter fällt und ganz am Ende man dann ffeststellt: Oh ja, da war ja noch was. Und dann bastelt man mit verschiedenen Workarounds Lösungen und verkauft dem Nutzer angebliche Testungen, die durch den Auftragnehmer selbst durchgeführt wurden, als den heiligen Gral. Und die Endnutzer beschweren sich dann zwar, haben aber keine echte Lobby.

Daher meine Bitte: Geht mal auf dieses Thema ein, gerade bei den aktuellen Digitalisierungsprojekten, wie E-Akten usw. Denn da sind die Entwickler von Barrierefreiheit doch noch weit entfernt…

Mich als nicht Betroffenem würde zuallererst interessieren was man unter „Barrierefreiheit bei der Digitalisierung“ verstehen soll.

Ich befürchte nämlich dass da Unwissen und Unsicherheit extrem weit verbreitet sind.

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Nun ja, ich versuche mal einen kurzen Überblick:
Es gibt diverse rechliche Vorgaben, Barrierefreiheit einzuhalten.

  1. vergabrechtliche Vorschriften, § 121 Abs. 2 GWB + § 127 Abs. 1 S. 4 GWB
    Danach muss die Barrierefreiheit schon in der Leistungsbeschreibung näher erläutert werden.
  2. bezogen zB auf die E-Akte in § 298a Abs. 1a S. 2 ZPO i.V.m. den jeweiligen Länder-E-Akte-Verordnungen.
  3. bzgl. elektronischer Signaturen in § 7 Abs. 1 VDG
  4. im BundesBGG bzw. den LänderBGG (Behindertengleichstellungsgesetze), zB § 12a Abs. 1 Satz 2 BGG-Bund
    Dort sind individuelle Ansprüche behinderter Menschen auf Nutzung auch von barrierefreier IT geregelt. Gilt ggü. den Behörden der Länder bzw. des Bundes.
  5. in § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX wird der Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber allen Arbeitgebern, egal ob Behörde oder Privatwirtschaft.

Das sind mal ganz grob die rechtlichen Rahmen.

Eine Definition von Barrierefreiheit gibt es in dem Sinne nicht. Man kann wohl ganz allgemein auf die UN-Behindertenrechtskonvention, die UN-BRK verweisen, dort Art. 4 lit. a i.V.m. Art. 9 Abs. 1 UN-BRK.

Technisch wird meist auf dei BITV 2.0 verwiesen und diese wiederum auf die WCAG und auf verschiedene DIN bzw. DIN EN ISO Standards. Speziell für Websites gibt es unter

einen Vortrag. Auf dem letzten EDV-Gerichtstag wurden auch Vorträge dazu gehalten. Diese sind aber noch nicht online.

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Das ist ein weites Feld und ebenso wie in der analogen Realität gibt es verschiedene Barrieren je nach Behinderungen.
Für Menschen mit Sehbehinderung sind je nach Grad der Behinderung u.a. Kontrastreiche Darstellung der Texte und Grafiken, Alternativtexte für Bilder und gesprochene Beschreibungen für Videos und Kompatibilität mit Bildschirmlesesoftware wichtig. Dies muss/sollte sowohl bei der Wahl der Technologie als auch der Konzeption von Webinhalten bedacht werden. So sind z.B. Bilder mit Text drauf ungünstig, da sie vom Bildschirmleser nicht erkannt werden.

Für Menschen mit Hörbehinderung sind u.a. Untertitel bei Videos und Alternativtexte für Hörinhalte wichtig.

Für Menschen mit Geistigerbehinderung sind u.a. Wiedererkennbare Symbole (Universal Design), Texte und Inhalte in „Leichter Sprache“* bzw. Leichterer/einfacher Sprache* hilfreich.

*„Leichte Sprache“ ist ein geschützter Begriff und hat eine Zahl an Regeln welche eingehalten werden müssen, „Leichtere Sprache“ oder ähnliches deutet ein Bemühen an um eine vereinfachte Formulierung aber nicht auf dem Niveau der Leichten Sprache

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