Seit der Wahlrechtsreform mit Streichung der Grundmandatsklausel werden Stimmen lauter, die die Absenkung der 5% Hürde fordern. Die Linke um Gregor Gisy sprechen sich für eine 3,5 % Hürde aus.
Momentan fallen Stimmen für Parteien, die an der Hürde scheitern einfach weg, und die Sitze werden anteilig auf die Parteien, die ins Parlament ziehen verteilt. Bei der Bundestagswahl 2013 sind so 15,7 % der Stimmen nicht berücksichtig worden weswegen die Union mit 41,5 % der Stimmen fast die absolute Mehrheit der Sitze erhalten hat.
Mein Vorschlag zur Aufweichung der starren 5 % Hürde wäre nun, diese nicht auf die Zweitstimmenergebnisse, sondern auf die zu erwartenden Sitze im Parlament anzuwenden und Parteien die daran scheitern nicht alle direkt sondern von klein nach groß sukzessiveauzusortieren.
Am Beispiel der Bundestagswahl 2021:
Zunächst fallen alle Kleinstparteien unter Sonstige weg (3,4 %) ihre Sitze werden aber auf alle anderen Parteien verteilt. Auch die Basis (1,4 %), die Tierschutzpartei (1,5 %) und die Freien Wähler (2,4 %) kommen so nicht ins Parlament, aber die Linke (4,9 %) wäre dann mit 5,3% der Sitze ins Parlament eingezogen.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Bei der Wahl einer kleinen Partei nahe 5 % ist das Risiko geringer, dass die eigene Stimme entwertet wird. Im Parlament wird der Wählerwille besser abgebildet, gleichzeitig leidet die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht.
Ich kann mir zumindest vorstellen, dass es ein Problem wäre, dass der Einzug einer Partei in den Bundestag hier mit Faktoren zu tun hätte, die nicht mit der Menge an Stimmen (oder dem Anteil) zu tun haben, die die Partei gesammelt hat.
Im konkreten Beispiel: Die Linke wäre nach deiner Rechnung dann im Bundestag, aber wenn die Anzahl Stimmen, die auf Kleinstparteien ausfallen, sehr viel niedriger wäre, würde es die Linke nicht schaffen, obwohl sich aus ihrer Sicht nichts geändert hat.
Mit Blick auf die Umfragewerte: Es könnte dann eben auch passieren, dass die Linke weniger Stimmen bekommt als die FDP, aber beide unter die 5%-Hürde fallen. Die Linke wird dann zuerst aussortiert. Es kann also sein, dass ich mit meiner Stimme für die Linke aktiv dazu beitrage, dass die FDP in den Bundestag einzieht. Das scheint mir doch ziemlich problematisch.
Die bessere Regelung erscheint mir, die Möglichkeit für eine Sekundärstimme einzuführen. Also: Wenn meine Primärstimmen-Partei an der Hürde scheitert, dann soll meine Stimme an Partei Y übergehen. Damit lässt sich der Wähler:innenwille sehr viel präziser abbilden.
Wie legst du denn dann fest, welche Parteien noch Sitze erhalten und welche rausfliegen? Bei einem Vorschlag scheint das allein von der relativen Stimmenverteilung abzuhängen. Beispiel: Szenario 1: Partei X bekommt 1,5 Prozent der gültigen Zweitstimmen. Partei Y 1,45 Prozent. Partei X bekommt den letzten zu verteilenden Sitz, Partei Y geht leer aus. Szenario 2: Partei Y holt 1,55 Prozent und bekommt den letzten Sitz. Partei X geht leer aus, obwohl sie genau so viele Stimmen und denselben Stimmanteil haben wie in Szenario 1.
Mit dem Grundgesetz dürfte eine solche Regelung m. E. nicht vereinbar sein, da sie dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl widerspricht.
An der Gleichheit der Wahl ändert sich nichts. Auch jetzt profitiert z.B. die Union davon, wenn sich viele Stimmen auf Kleinstparteien verteilen, die es nicht in den Bundestag schaffen. Ohne eigenes Zutun kam sie dadurch 2013 fast auf die absolute Mehrheit.
Analog würde in deinem Szenario 2 eben Partei Y (obwohl sich zu Szenario 1 nichts an ihrem Stimmanteil verändert hat) profitieren.
Wie oben erwähnt wurden 2013 fast 16 % der Zweitstimmen nicht im Bundestag repräsentiert. Die Sitze blieben jedoch nicht leer, sondern wurden auf die verbleibenden Parteien verteilt. Nach aktuellen Umfragen würden dann 30 % an die Union, 16 % an die SPD usw. gehen. Mit dem neuen System würde dann auch ein kleiner Anteil (unter 5 %) an die FDP gehen.
Die Kritik, dass man mit seiner Wahl zum Erfolg einer anderen Partei beiträgt, ist also nicht falsch, aber das Problem wird im Vergleich zum Status quo sogar etwas abgemildert. Auch das abgeänderte Verfahren bleibt ein Kompromiss aus Arbeitsfähigkeit und exakter Abbildung des Wählerwillens, allerdings gerechter, weil eben nicht nur die großen Parteien davon profitieren.
Der Unterschied ist, dass es bei deinem Vorschlag nicht nur darum geht, wie viele Mandate eine ohnehin im Parlament vertretene Partei bekommt, sondern ob eine Partei überhaupt im Parlament vertreten ist. Auch wenn es keine Sperrklausel gibt, kann man sich ja vorher ausrechnen, wie viele Stimmen (je nach Wahlbeteiligung) erforderlich sind, damit eine Partei einen Sitz im Parlament erhält. Wenn es aber vom Abschneiden anderer Parteien abhängt, ob die Stimmenzahl für einen Parlamentssitz reicht oder nicht, wird es für Wähler völlig unvorhersehbar.
Ich habe die 5% Hürde mit den Jahren zunehmend positiv ins Herz geschlossen. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass eine Partei sich so breit und kompromissfähig aufstellen muss, dass sie 5% der Stimmen gewinnen kann? Finde ich nicht. Jeder Abgeordnete soll theoretisch das ganze Volk vertreten. Wenn man sich die CSU anschaut, kann die glaubwürdig reklamieren, ihre Abgeordenten würde irgendwas außerhalb Bayerns interessieren (vom Länderfinanzausgleich und der Endlagersuche vielleicht mal abgesehen)? Könnte daran liegen, dass sie dank der Grundmandatsklausel nur in Bayern gewinnen müssen und deswegen auch (fast) ausschließlich bayrische Interessen zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen? Wenn ich als Partei/als Wähler nur auf ein Thema setzen will und das so kompromisslos, dass das nur unter 5% überzeugt, sehe ich nicht so wirklich, warum ein so unausgewogener, verengter Politikansatz dringend im Parlament vertreten sein sollte.
Einerseits kann ich deine Kritik nachvollziehen, andererseits wurde doch zum Thema Wahlrecht noch vor kurzem in Karlsruhe geurteilt, es sei kein Kritierium, ob Wählende das überhaupt verstehen können (was einerseits tragisch, aber andererseits entscheidend ist, weil ja schon bei der vergleichsweise banalen Erklärung zum Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme regelmäßig um 2/3 der Wähler:innen überfordert sind).
Wie breit und kompromissfähig eine Partei aufgestellt ist, ist bei der Wahlentscheidung aber ja nur ein kleiner Faktor von vielen.
Nehmen wir an es gäbe 10 Parteien in der Mitte die ein sehr breit aufgestelltes Programm haben und in ihren Positionen so ausgewogen sind, dass diesen Positionen regelmäßig über 50% der Wähler zustimmen würden. Das hieße aber ja weder, dass eine Partei 50% der Stimmen bekommen würde noch, dass diese sich auf diese 10 Parteien aufteilen würden.
Es gibt ja schonmal ganz viele, die wählen ohnehin die Partei, die sie schon immer wählten. Das ist wie bei Fußballfans. Da kann eine Partei oder ein Verein noch so viel Mist machen, man unterstützt ihn trotzdem weiter.
Dann müssen die Leute ja überhaupt erst mal von diesem Programm erfahren. Viele beschäftigen sich jenseits der großen Parteien ja gar nicht mit möglichen Alternativen. Und viele sogar gar nicht mit irgendwelchen Programmen.
Dann müssten sich die Wähler die übrig bleiben und eine dieser Parteien unterstützen würden auch noch auf eine einigen die man auf über 5% heben könnte.
Diese Problematik bestünde natürlich bei z.B. einer 3% Hürde in gewisser Weise weiterhin. Die Hürden wären aber kleiner und somit könnten neue Parteien doch realistischere Chancen haben für mehr Leute eine realistische Alternative sein zu können.
Gar keine Hürde fände ich aber auch unpassend. Trotzdem fände ich es ok die Hürde an die größere Parteienvielfalt was Parteien mit Relevanz angeht anzupassen.
Da ich in den Niederlanden lange Zeit gelebt habe, kann ich nur von einer Absenkung unter 5% warnen.
Dort sind nun dermaßen viele Parteien im Parlament. Bei 3% wären dann 8 Parteien im Parlament. Da es dort gar keine Grenze gibt sind es 15 Parteien.
Die Regierungsbildung ist seit Jahrzehnten ein Drama und zur Zeit gibt es keine neue Regierung seit dem 22.11.2023 (was auch andere Gründe hat).
Die Regierungen die gebildet wurden haben wirklich so große Kompromisse zur Folge, dass im Prinzip das Verfassungsgericht die großen Gesetze vorgibt (Klimaschutz, Landwirtschaft, Wohnraum, Verkehr, Steuern/ Sozialabgaben). Das kann meiner Meinung nach auch nicht im Sinne des Erfinders.
Im Wesentlichen würde das die 5%-Hürde effektiv nur um einen dynamischen aber geringen Wert absenken, je nach Wählerverteilung vielleicht auf 4,5%. Wenn nun aber mehrere Parteien bloß 4% oder 4,2% o.ä. bekämen, wären die trotzdem alle draußen und an den 15% unberücksichtigten Stimmen o.ä. ändert sich nichts.
D.h. wenn „elastische“ 5%-Hürde, dann sollte man das eher so machen, dass man einen maximalen Anteil Stimmen festlegt, der „unter den Tisch fallen“ darf, bspw. 10%. Wenn also die „Sonstigen“ bei der Wahl in Summe auf mehr als 10% kommen, dann darf die stärkste Partei unter 5% eben ausnahmsweise doch rein, evtl. die zweitstärkste auch, usw. bis der verbleibende Stimmenanteil für die „Sonstigen“ unter 10% fällt.
Es wäre keine gigantische Wahlrrechtsrevolution aber die Änderung hätte im Vergleich zur aktuell geltenden Regelung in zwei der letzten drei Wahlen dazu geführt, dass jeweils eine weitere Partei in den Bundestag einzieht.
Das wäre mir zu willkürlich, mir geht es nicht per se darum, dass kleine Parteien stärker vertreten sind, sondern dass die Sitze fair verteilt werden.
Was sollte denn an deinem System „fairer“ sein? Auch da gibt es am Ende eine Grenze, und wer knapp drunter liegt hat Pech gehabt. Außerdem hast du in deinem Eingangsposting darauf hingewiesen, dass 15,7% der Stimmen nicht berücksichtigt wurden. Ich hatte das so verstanden, dass du das kritisierst.
Das würde ich mit Blick auf die erfolgreichste Partei der Bundesrepublik bestreiten. Ist doch auch logisch: Wenn ich viele Leute ansprechen will, wird mir das kaum als 1-Themen-Partei gelingen, die dogmatisch irgendwas zur reinen Lehre erklärt. Ob Menschen Parteien gewohnheitsmäßig wählen, kann im Übrigen kaum eine Grundlage für ein Wahlrecht sein, weil wir doch (wider besseren Wissens?) unser Rechtssystem und insbesondere das Wahlrecht am Glauben ausrichten, Menschen seien halbwegs gut informierte, rationale Entscheider. In einer Zeit, in der man über diverse Medienplattformen direkt mit den Menschen kommunizieren kann, halte ich auch die Position für nicht nachvollziehbar, kleine Parteien könnten mangels Chancen auf Öffentlichkeit keine Chance haben, für einigermaßen unbegründet.
Also das tun, was die Wähler:innen der anderen Parteien auch tun. Zu sehr vielen Themen wirst du unter Grünen, Unionisten, SPDlern oder Liberalen und selbst in der AfD oder Linkspartei stark abweichende Positionen finden, die aber integriert werden, eben um politisch schlagkräftig zu sein.
Ich persönlich würde nicht sagen, dass unsere gegenwärtige Politik daran krankt, dass nicht genug Interessen relativ kleiner Gruppen durchgesetzt werden, von daher hat es für mich wenig Reiz, das noch auszubauen.
Hier hatte ich mich falsch ausgedrückt. Ich bezog das auf neue Parteien. Eine Partei die nicht zu den etablierten gehört zu etablieren ist selbst mit breit aufgestelltem Programm schwer bis gar nicht möglich.
Genau dieses „das kleinste Übel“ wählen führt aber doch aktuell und schon lange zu sehr viel Verdruss.
Dass ausgerechnet zwischen grünen, gelben, roten und schwarzen eine große Lücke klafft, die höchstens geschlossen werden kann wenn sich eine der Parteien in diese bewegt (wie einst Merkel)
Ich rede auch gar nicht von Ein-Themen Parteien. Hättest du verstanden auf was ich hinaus wollte, dann wüsstest du, dass es mir darum ging, dass auch breit aufgestellte Parteien heute kaum eine Chance haben sich gegen die etablierten auf über 5% durchzusetzen. Und deshalb fällt die Wahl beim Großteil der Leute auf eine der großen, egal wie gut oder schlecht die Arbeiten. Hier ließe sich durchaus mehr Druck machen, wenn die Chance es in den Bundestag zu schaffen etwas höher wäre.
Na egal wird es nicht sein, weil man ja zumindest, „das kleinere Übel“ wählen will. Ein nicht kleiner Teil des Verdrusses geht nach meiner Wahrnehmung darauf zurück, dass viele Erwachsene nicht so wirklich akzeptieren wollen oder können, dass ihre persönlichen Präferenzen halt nur ein sehr kleiner Bruchteil der Entscheidungen für 80 Millionen Menschen bleiben müssen. Ich denke, die Schwierigkeit einer neuen Partei besteht sehr viel weniger in der 5%-Hürde, als darin, einerseits einen hinreichend breiten gemeinsamen Nenner zu finden, ohne andererseits einfach ähnliches anzubieten, wie die bereits etablierten Parteien. Deswegen fällt es auch schwer, Begeisterung bei Wähler:innen zu entfachen. Der AfD gelingt das bspw. weil sie als einzige bereit ist, klar rechtsextreme Positionen zu vertreten und weil sie es geschafft hat, das Potential für so eine Partei bei Nichtwählern und den braunen Rändern von SPD, Union und FDP einzusammeln. Auch auf Kosten anderer kleiner Parteien. Den Grünen gelang ähnliches, weil die anderen keine Antworten auf ökologische Probleme hatten bzw. geben wollten. Etwas vergleichbares ist extrem schwierig innerhalb des demokratischen Spektrums, weil - und das ist positiv gemeint - hier schon sehr viele unterschiedliche Problemanalysen und Lösungsvorschläge repräsentiert sind. Daran ist aber am wenigsten die 5%-Hürde Schuld.
Nur eben nicht bei einer Partei. Wenn ich die mir wichtigen Themen ansehe, dann gibt es nicht eine Partei im Parteienspektrum die nicht in einem der wichtigsten Themen eine exakt entgegengesetzte Position hat. Nun habe ich nicht den Anspruch, dass eine Partei in allen Punkten zu 100% mit mir übereinstimmt. Vielleicht habe ich auch Positionen die in der Kombination so selten sind, dass es eh keine Partei gibt die das abbilden würde. Aber dann wäre es doch eh egal. Dann wird diese Partei auch keine 3,5% Hürde schaffen.
Generell würde die 3,5% Hürde ja aktuell sogar weniger neue Parteien in großen Mengen in die Parlamente spülen sondern eher dafür sorgen, dass etablierte Parteien mit höherer Wahrscheinlichkeit auch ins Parlament einziehen.
Perspektivisch sähe ich dadurch auch größere Chancen, dass sich Minderheitenregierungen die sich Themenbezogen einen Partner für eine Mehrheit suchen etablieren könnten. Das gibt es in anderen Ländern ja schon länger. Dass es bei der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich nur darum geht wie die Machtverhältnisse innerhalb einer GroKo aussehen weil es überhaupt keine Alternativen gibt (Grüne werden von der Union ja akutell ziemlich ausgeschlossen) ist ja auch schon wieder ein Punkt. Will ich jetzt die SPD in der GroKo stären, müsste ich die SPD Wählen obwohl ich das gar nicht will. Wähle ich aber die Grünen, dann gebe ich der Union, die ich noch weniger Will innnerhalb der Regierung mehr Macht. Wenn jetzt noch die BSW mit einigen % in den Bundestag kommt, die in meinen Augen ähnlich wenig Koalitionstauglich ist wie die AfD, dann haben wir nunmal fast 25% destruktiver Opposition und nur mehr wenige Optionen für Regierungsbildung
Es würde reichen glaubwürdiger zu sein und in großen Teilen weniger verfilzt zu wirken. Es geht meist nicht um Themen, da versprechen quasi alles für jeden, aber gedient werden eben noch lange nicht jeder, im Gegenteil geht es zu Gunsten derjenigen, die wirklich gar keine Hilfe brauchen. Daher ist deine Aussage