Atomkraftwerke - Verlängerung der Laufzeit 2022?

Ich habe neulich einen Tweet gelesen (den ich leider nicht mehr finde), in dem der Autor behauptet hat, dass bei einer zeitlich begrenzten Verlängerung der Kernkraft z.B. über den energieintensiven Winter kein zusätzlicher Atommüll entstünde. Seine Argumentation war die, dass die bereits in Verwendung befindlichen Brennstände sowieso als Atommüll angefallen wären und man sie daher auch noch länger nutzen könnte. Keine neuen Brennstäbe = Kein zusätzlicher Atommüll.

Trägt diese Argumentation? Sind Brennstände der einzige Atommüll, der anfällt? Im Idealfall düfte bei einem Druckwasserreaktor doch außer den Brennstäben und ggf. ihren Halterungen nichts anderes radioaktiv kontaminiert sein. Bei einem Siedewasserreaktoren (die es in DE eh nicht mehr gibt) kämen natürlich noch andere Bauteile hinzu, die nach der oben erläuterten Argumentation aber auch kein zusätzlicher Atommüll wären.

Nach meinem laienhaften Verständnis gehe ich allerdings auch davon aus, dass die 3 verbleibenden Kernkraftwerke ihre Brennstäbe so konfiguriert haben, dass sie am 31.12.2022 möglichst komplett „abgebrannt“ sind, damit sie 1. ökonomisch komplett ausgeschöpt sind und 2. die geringstmögliche Restradioaktivität haben. Oder kann ein noch nicht komplett abgebrannter Brennstab gar weniger „schlimmer“ Atommüll sein als ein abgebrannter Brennstab? Letzteres kann doch eigentlich nicht sein. Ein abgebrannter Brennstab müsste ökologisch doch immer besser sein als ein noch nicht komplett abgebrannter Brennstab, oder?

Meine Frage blendet natürlich die Verlängerung der Sicherheitsrisiken durch eine Laufzeitverlängerung als Argument aus.

Freue mich auf einen Gedankenaustausch!

Das Handelsblatt schätzt [1] (auf welcher Basis auch immer), dass der Brennstoff noch etwa bis Frühjahr 2023 reichen könnte. Die Energiemenge, die wir dadurch bekommen würden, wäre also sehr überschaubar. Der Preis hingegen wäre enorm, denn Sicherheitsüberprüfung, etc. muss man ja trotzdem machen.

[1]

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Ich halte das ganze auch für ein Ablenkungsmanöver. Oder vielleicht wollen einige Aktuere gerne sagen können:
„Wir können kein russisches Gas/Öl boykottieren, sonst müssten wir wieder die AKW anschalten, das will ja auch keiner“.

Aber auf jeden Fall ist es jetzt zu spät. Es ist bald parlamentarische Sommerpause. Und eine Änderung des Atomgesetztes wäre ja auch keine kleine Nummer, sondern würde sicher einen großen parlamentarischen Streit vom Zaun brechen, darüber was, wo und wie lange verlängert würde. Das würde also nach der Sommerpause auch schon knapp werden.

Und was passiert dann mit den 2,4 Mrd. € Abfindungen, die die Atomkraftwerksbetreiber per Gericht für den Atomausstieg bekommen haben? Müssten die dann nicht zurückgezahlt werden?

Und was ist mit den 24 Mrd. € „Entsorgungsgebühren“ für den atomaren Abfall, den die ehemaligen Betreiber an den Kenfo überweisen mussten. Da kämen ja auch neue Kosten auf die Betreiber zu, wenn die Menge des zu lagernden Mülles durch eine Laufzeitverlängerung größer werden würde.
Und inzwischen haben ja auch einige Experten Zweifel, dass die ursprünglichen 24 Mrd. € ausreichen werden. Ob die Betreiber an dieser Stelle also Lust auf Nachverhandlungen haben, darf man wohl bezweifeln.

Nee ich denke mal das Thema ist in Deutschland durch.

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Da bin ich mir seit gestern nicht mehr so sicher. Söder tönt lauter denn je und - was mich eher überrascht hat: sowohl die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, als
auch der IFO Chef Clemens Fuest haben sich im heute Journal für eine erneute Prüfung der Laufzeit ausgesprochen. Und auch der AKW Branchenverband äußert sich jetzt, dass er eine Laufzeitverlängerung und die rechtzeitige Beschaffung von Brennstäben für machbar hält.
Ich glaube eher, es geht jetzt erst richtig los :slightly_smiling_face:

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Das wir jetzt bzw. demnächst noch eine größere mediale Auseinandersetzung dazu erleben werden, dass glaube ich auch.

Allerdings ist ein Problem z.B., dass die drei noch laufenden AKWs 2019 hätten technisch überprüft werden müssen. Diese Prüfung hat man aber wegen der Abschaltung dieses Jahr ausgesetzt.

Sollten diese AKW also weiterlaufen, z.B. 2 Jahre, wie Söder das gerne hätte, dann müssten diese Prüfungen nachgeholt werden. Dazu sagt Habecks Haus aber:

Dies konfligiert jedoch mit einem Weiterbetrieb der Anlagen mit dem Ziel, ab 2023 einen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Ein Weiterbetrieb wäre nur sinnvoll, wenn diese Sicherheitsprüfung in Umfang und Prüftiefe deutlich reduziert würde und/oder auf weitreichende Nachrüstungsmaßnahmen, die in Zuge der Sicherheitsüberprüfung gegebenenfalls angeordnet würden, verzichtet würde.


Der Gesetzgeber müsste also im Zuge der Laufzeitverlängerung eine beschleunigte und verschlankte Sicherheitsüberprüfung einschließlich eines Verzichts auf eventuelle Nachrüstungen akzeptieren und insofern mit der bisherigen deutschen Sicherheitsphilosophie beim Betrieb der Atomkraftwerke brechen.

Kann man in dieser Stellungnahme des Wirtschafts- und Umweltministeriums nachlesen:

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Falls es hier noch nicht erwähnt wurde, der wiss. Dienst des Bundestages hat zu dem Thema auch noch eine Ausarbeitung angefertigt (Stand: April 22):

Der Europäische Gerichtshof hatte jedoch in seinem Doel-Urteil entschieden, dass aus europarechtlichen Gründen auch bei einer gesetzlichen Laufzeitverlängerung eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich sein kann.

und

Ein Laufzeitverlängerungsgesetz würde aus verfassungsrechtlichen Gründen eine neue Risiko- und Güterabwägung erfordern. Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie als eine normative Grundsatzentscheidung bezeichnet, die weitreichende Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheits- und Gleichheitsbereich, und auf die allgemeinen Lebensverhältnisse habe.

Werde die Grundlage dieser Entscheidung durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt, könne der Gesetzgeber von Verfassungswegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten sei.

Es sind also offenbar hohe Hürden für eine Laufzeitverlängerung zu nehmen.

Frage an die Juristen im Forum:
Ich lese die hier zitierte zweite Passage des wiss. Dienstes so, dass man im Falle eines beschleunigten Verfahrens zur Verlängerung der Laufzeit der AKW ohne die erwähnte Güterabwägung verfassungsrechtliche Schritte ergreifen könnte. Stimmt das?

Quelle:
Kurzinformation: Zum Weiterbetrieb der noch betriebenen Atomkraftwerke in
Deutschland - WD 3 - 3000 - 041/22 (01.04.2022) © 2022 Deutscher Bundestag

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Hab’s gelesen, Moderator kann zumachen. Es ist alles gesagt.:wink:

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Das entscheidest ja glücklicherweise nicht du :wink: Es gab hier schon mal ein Forumsmitglied, das immer in diesem Ton die Threads canceln wollte - oder ist das Deine Art von Ironie?

Meine Art der Ironie. Wobei ich grundsätzlich der Auffassung bin, Atomkraft hat sich in Deutschland erledigt, eignet sich nicht für die jetzige Situation als Lösung und nicht für den Klimaschutz (in Deutschland).

Aber das PDF stellt es sehr übersichtlich dar.

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4 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: AKW-Laufzeit: Güterabwägung im Zusammenhang mit Verlängerung