Artenschutz

Liebes Lageteam,
ich bin seit Jahren begeisterter Zuhörer. Ich wundere mich aber ein bisschen, dass das Thema Artenschutz, trotz der weltweiten Biodiversitätskrise und des Artenschwundes in Deutschland, so gut wie nie Thema ist. Ich kann mich zumindest an keine Folge erinnern, mit Ausnahme des Windkraftausbaus. Gründe könnten vielleicht die überwiegende Regionalität des Themas und fehlende Aufmerksamkeit in den überregionalen Medien sein.

Neulich gab es einen Erfolg für den Artenschutz, gefühlt etwas ganz Seltenes. Am Pankower Tor in Berlin haben der Investor und die Behörden (Senat und Bezirk) seit Jahren versucht, die in Berlin vom Aussterben bedrohte Kreuzkröte (wegen der hohen Individuenzahl ein bundesweit bedeutendes Vorkommen und das einzige in Berlin) nach Brandenburg umzusiedeln. Nach langem Hinundher wird die Art aber nun durch eine Anassung der Bauprojektplanung erhalten bleiben.

Gleichzeitig wurde die Bundesregierung erst im September aber auch vom EuGH ermahnt, nicht genug für die Ausweisung von Schutzgebieten zu tun.

Ich würde mich riesig darüber freuen, wenn das Thema Artenschutz in Zukunft mehr Aufmerksamkeit bei euch bekäme - auch wenn dies wegen der Regionalität vielleicht schwierig ist. Disclaimer: Ich arbeite natürlich in dem Gebiet. :wink:

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Liebes Lage-Team,

ihr betont in der aktuellen Folge die Notwendigkeit der Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsverfahren für Windenergieanlagen. In diesem Punkt stimme ich euch zu. Diese Notwendigkeit erwächst aus den Herausforderungen des Klimawandels, die mittlerweile, und das ist gut so, medial sehr präsent sind. Es gibt noch eine weitere globale Krise, die eng mit dem Klimawandel verzahnt ist und diesem in seinen (negativen) Auswirkungen in nichts nach steht, nach Ansicht einiger Wissenschaftler sogar schwerwiegendere Folgen haben könnte: das Artensterben bzw. die Biodiversitätskrise. Während die Auswirkungen des Klimawandels in gewissen Grenzen (und über entsprechende Zeiträume) wieder rückgängig gemacht werden können, ist eine ausgestorbene Art unwiederbringlich ausgestorben.

Ich bin nun seit fast zwei Jahren begeisterter LdN-Hörer, vermisse jedoch, dass diesem Thema genügend Raum geboten wird. Damit unterscheidet ihr euch jedoch leider nicht von anderen Formaten, vom explizit naturwissenschaftlich ausgerichtetem Journalismus abgesehen. Das Thema ist medial viel weniger präsent obwohl es mindestens das gleiche Gewicht wie der Klimawandel hat.

Ich arbeite in einer Fachbehörde des Naturschutzes auf Landesebene und kann aus meiner Erfahrung aus den letzten Monaten heraus sagen, dass große Verunsicherung darüber besteht, wie mit dem neu gestalteten Rechtsrahmen rechtssicher geplant werden kann. Es gibt in den Behörden und Ministerien in meinem Umfeld nicht wenige, die der Meinung sind, das mit dieser Gesetzgebung die Energiewende zu Lasten des Naturschutzes um jeden Preis durchgeboxt werden soll. Mit Aussagen wie „Ein Tod muss gestorben werden“ oder „die Verfahren müssen vereinfacht werden“ stimmt ihr dieser Auslegung zu und haltet, so mein Verständnis, es für legitim, dass auf Kosten eines (des schwächsten) Gliedes in der Planungskette die EE ausgebaut werden, ohne wirklich darauf zu schauen, was das im Kontext der beiden großen Umweltkrisen bedeutet. Der Verschlimmerung der Biodiversitätskrise wird damit ein weiteres Tor geöffnet.

Gleichzeitig muss man bedenken, dass auf der 15. UN-Biodiversitätskonferenz im Dezember 2022 beschlossen wurde (darüber hattet ihr ja auch berichtet), dass 30% der Fläche der Erde unter Schutz gestellt werden sollen. Weiterhin hat jüngst das, wenn auch mittlerweile abgeschwächte, Nature Restoration Law der EU eine weitere Hürde in Richtung Beschlussfassung genommen. Demnach sollen in einem ersten Schritt 20% aller geschädigten Habitate bis 2030 wiederhergestellt werden. Für all diese mehr oder weniger ambitionierten Vorhaben wird Fläche benötigt, die nur ein mal vorhanden ist.

Fazit: Beide großen Umweltkrisen müssen immer zusammen gedacht werden. Anders geht es nicht. Das tut ihr bisher meiner Meinung nach nicht genug, und die aktuelle Folge verfestigt dieses Bild. Eine zukünftig intensivere Betrachtung und Würdigung dieser komplexen Thematik wäre wünschenswert.

Viele Grüße,
Robinio

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In der Lage (oder war es im Buch??) wurde ziemlich deutlich dargestellt, dass die Lösung des Zielkonflikts Windkraft - Artenschutz darin liegen könnte, die Art als Gruppe zu schützen.

An Windkraft führt kein Weg vorbei.

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Bezüglich Windkraft:

In der absoluten Aussage stimmt diese nicht. Jedoch ist alles andere entweder teuer, nicht Nachhaltig, dauert noch lange, ist nixht in Deutschland Umsetzbar oder ist nicht im Rahmen des Umweltschutzes. Andere Wege gibt es grundsätzlich trotzdem.

Aber übersieht man da nicht, wie die Arten alleine durch unsere Lebensweise gefährdet sind?
Wo wird Landwirtschaft diversifiziert, wo werden Innenstädte begrünt (stattdessen soll in Deggendorf ein Sonnensegel gespannt werden), wer redet ernsthaft über Reduzierung von Abgasen, Insektennistkästen und Forstwirtschaft dem Artenschutz unterzuordnen?
Finde es schon makaber, wenn jahrzehntelang Autobahnen durch Wildwechselwege gebaut werden, die dort fahrenden Autos bedrohte Arten auf der Windschutzscheibe sammeln und man bei erneuerbaren Energien plötzlich den Umweltschutz entdeckt.

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Das Thema Biodiversität braucht dringend mehr Aufmerksamkeit, den Eindruck habe ich auch. Es herrscht anscheinend häufig immer noch der Eindruck, das sei hauptsächlich ein Thema für tierliebe Ökonerds (oder Leute, die einen Vorwand brauchen um Windkraft auszubremsen). Dabei bedroht der Biodiversitätsverlust, wie Robinio schon schrieb, die menschliche Existenz mindestens eben so sehr wie der Klimawandel.

Vor einer Weile, anlässlich des Biodiversitätsgipfels der Vereinten Nationen in Montreal, gab es über das Thema einen Beitrag bei The Daily. Dort wird die Antwort der Klima(!)-Wissenschaftlerin Katharine Hayhoe widergegeben auf die Frage, welches Problem dringender sei, Klimakatastrophe oder Biodiversitätsverlust:

„She said, climate change presents a near-term threat to the future of human civilization. The biodiversity crisis presents a longer term threat to the viability of the human species. […] In other words, our continued existence.“

Also ungefähr: Die Klimakrise bedrohe mittelfristig die Strukturen der Zivilisation, der Biodiversitätsverlust dagegen unsere langfristige Lebensgrundlage. Wir müssen uns schließlich ernähren, und wenn das Ökosystem kollabiert, dann wird das schwierig. Es gibt den Vergleich mit einem Jenga-Turm. Das Aussterben einiger Arten kann das Ökosystem verkraften, aber mit jeder aussterbenden Art verliert es an Stabilität.

Als Hauptursachen für die Biodiversitätskrise werden in dem verlinkten Beitrag genannt:

  1. Menschliche Veränderung von Lebensräumen („Change in land and sea use“).
  2. Direkte Ausbeutung (Jagen, Fischen o.ä.)
  3. Klimawandel

Dass dem Thema so wenig Raum gegeben wird, ist auch aus dem Grund schade, dass die Erhaltung und Förderung der Biodiversität natürlich auch gerade bei lokalen Themen eine wichtige Rolle spielen könnte und sollte. Z.B. Flächenversiegelung wie A100 und Bebauung des Tempelhofer Felds, grünere Innenstädte, Orte wie Lützerath in Mondlandschaften verwandeln, …

Eine spannende Interview-Partnerin zu dem Thema Biodiversität könnte Dr Kim Mortega vom Naturkundemuseum Berlin sein.

Die Themen Klimaschutz und Schutz von Biodiversität gegeneinander auszuspielen ist natürlich Quatsch, das schien ja in den anderen Beiträgen schon durch. Das muss natürlich beides passieren.

@Margarete
Vor Kurzem kam schon einmal ein ähnlicher Themenvorschlag. Vielleicht zusammenfassen?

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Liebe Margarete,

könntest du genauer erläutern, was damit gemeint ist, die Art als Gruppe zu schützen? Das Buch habe ich leider (noch) nicht gelesen.

Viele Grüße,
Robinio

Soweit ich verstanden habe, ist es wohl aktuell so, dass im Genehmigungsverfahren durch die Naturschutzbehörde für ein Windrad - ich zitiere - „buchstäblich das Wohlergehen jedes einzelnen Vogels im Zentrum der Begutachtung steht und nicht der gesamte Bestand der Art.“ Dass also die Sichtung eines einzigen Tieres jedes Windrad verhindern kann. Sinnvoller wäre es, die Gesamtpopulation ggf. an anderen Stellen zu unterstützen.

… ganz konkret: Wenn einzelne Tiere durch eine Vorhaben gefährten sind, kann die Anlagen doch genehmig werden, wenn der Betreiber an anderer Stelle 10 zusätzliche Tiere ansiedelt.

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Spannend ist in dem Zusammenhang vielleicht auch, dass die Windkraftanlagen regelmäßig als Gefahr für Vögel und Fledermäuse diskutiert werden, während andere menschgemachte Gefahren nie ein Thema sind (Hochhäuser bzw. Glasscheiben, Stromleitungen, Verkehr, … ).

„An Glasscheiben sterben europaweit nach Schätzungen 240.000 Vögel pro Tag, im Jahr wären das knapp 90 Millionen Tiere“, schreibt Klimareporter mit Bezug auf das Bundesamt für Naturschutz. Und wie viele tote Vögel sind bei jeder Fahrt über eine Autobahn am Fahrbahnrand zu sehen?

Dass dieses Thema immer nur im Zusammenhang mit dem Windkraftausbau aufkommt, ist daher wohl – im Lagejargon – eine Nebelkerze.

Der angesprochene Pupulationsschutz anstelle von Individuellem Schutz scheint ja schon mal ein guter Ansatz zu sein?

Generell ist es wahrscheinlich auch keine schlechte Idee, der Tierwelt ein paar Schutzräume zu lassen, und da sind industrielle Land- und Forstwirtschaft sowie andere flächenintensive Industrie, dichtes Verkehrsnetz, enge Besiedelung usw. viel größere Faktoren als Windparks, oder nicht?

Und wie gesagt: alles nicht aus Liebhaberei, sondern um einem Zusammenbuch des Ökosystems entgegenzuwirken, dessen Teil wir ja sind und auf dessen Existenz wir nicht verzichten können. (Ich höre schon die Stimmen: „ Das ist ja schön und gut, aber zu viel Naturschutz würde unseren Wohlstand gefährden.“) Ich halte es für sehr dringend, dass das Thema Biodiversität ebenso aus der Ököecke herauskommt und als lebenswichtige Notwendigkeit erkannt und mitbedacht wird, wie das Thema Klimawandel auch.

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ich habe schon einmal vorgeschlagen Dr. Mark Benecke zum Thema Biodiversität einzuladen. Er ist ein guter Gesprächspartner und kann seine Fachkompetenz wirklich jedem unterhaltsam erklären.

Zumal hat er mit seinem Vortrag Time is up schon auf das Thema Artensterben aufmerksam gemacht. Nachzuschauen auf YouTube.

Das wäre ein gutes Interview :)!

Um das Thema „Medienpräsenz von Biodiversität“ auch nochmal mit Daten zu unterfüttern, lohnt ein Blick auf diese Studie der Malisa-Stiftung.

Demnach widmen sich nur 0,2% der Sendeminuten (Fernsehen) dem Thema Biodiversität. Beim Klimawandel sieht es mit 1,8% leider auch nicht viel besser aus. Nur 18% der Befragten nehmen das Thema Biodiversität als präsent war. Bei der Frage, ob die Themen Klimawandel und Biodiversität präsenter sein sollten, unterscheiden sich die Themen so gut wie gar nicht. Auch bei der Biodiversität wollen knapp die Hälfte, dass es präsenter im Hauptprogramm wird.

Im Hinblick auf die Vielfalt der Habitate sollte man aber schon sehen, dass Windräder in anderen Habitaten stehen als Fenster. Man kann zB. die Gefährdung vom Rotmilan nicht gegen den besseren Schutz von Spatzen aufrechnen.

Hallo,

ich würde das Thema aus aktuellem Anlass gerne wieder aufgreifen: Der Gesetzesentwurf der EU-Kommission zur Halbierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft bis 2030 ist nun endgültig vom Tisch. Anfang Februar hat die Kommission diesen zurückgezogen nach dem das Parlament diesen bereits im November, dank entsprechender Lobbyarbeit, aufgehalten hatte: EU-Kommission zieht Gesetz für Pestizid-Verringerung zurück | MDR.DE

Diese Maßnahme wäre ein Schritt zu einem deutlich verantwortungsbewussteren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln gewesen, der den Biodiversitätsverlust in Agrarökosystemen (u. a.) gesenkt hätte. Zu den negativen Auswirkungen von Pestiziden auf die Lebensgrundlage Biodiversität gibt etliche wissenschaftliche Arbeiten und Zusammenstellungen. Eine gute Grundlage bietet diese Seite der Heinrich-Böll-Stiftung, inklusive Link zum Pestizidatlas 2022: Pestizide bedrohen die Biodiversität in Deutschland: Bedrohte Vielfalt | Heinrich-Böll-Stiftung

Eine knappe Zusammenfassung zum aktuellen Wissensstand im Kontext der rechtlichen Lage bietet diese Seite des Umweltbundesamts: Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft | Umweltbundesamt

Außerdem wurde für 2024, wie auch schon in den Jahren zuvor, die Pflicht zur Stilllegung von 4% der landwirtschaftlichen Flächen (=Gewinn für die Biodiversität) ausgesetzt.

Als Referenz zu meinem ursprünglichen Beitrag in diesem Thema (Klima- und Biodiversitätskrise zusammendenken, s. o.) möchte ich diese Publikation aus Science von 2023 nachreichen und empfehlen: https://doi.org/10.1126/science.abl4881 Der Artikel beruht auf der Zusammenarbeit des ‚Weltklimarats‘ (IPCC) und des ‚Weltbiodiversitätsrats‘ (IPBES), beides UN-Organisationen.

Es gibt diverse wissenschaftsjournalistische Artikel, die diese Publikation in einer Meldung aufgegriffen haben, z. B. hier vom Karlsruher Institut für Technologie: KIT - Das KIT - Medien - Presseinformationen - Archiv Presseinformationen - PI 2023 - Klima- und Biodiversitätskrise dürfen nicht isoliert betrachtet werden

Also nochmal mein Appell: Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen ohne die Biodiversitätskrise mitzudenken funktioniert nicht. Dies sollte sich auch in der medialen Berichterstattung niederschlagen. Die Lage könnte hier ein gutes Beispiel setzen. Denkbar wäre, finde ich, auch eine Sonderfolge mit entsprechendem Interviewpartner dazu, in Kombination mit einer ‚Beschau‘ des kranken Systems Landwirtschaft.

Viele Grüße

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