Aber es muss doch klar sein, dass der Einzelhandel das nicht akzeptieren wird, aus absolut nachvollziehbaren Gründen:
Bei Armutsbetroffenen, die stehlen, wird in 100% aller Fälle - ohne jede Ausnahme - zivilrechtlich „nichts zu holen“ sein, daher: Der Einzelhandel wird hier nicht nur auf ein unwirksames Mittel verwiesen, sondern auf ein Mittel, das ihm effektiv noch Schaden zufügt, da er die Prozesskosten tragen müsste, weil er auch diese nicht erfolgreich geltend machen kann.
Also du kannst den Einzelhandel nicht auf ein wirklich offensichtlich nicht wirksames Mittel verweisen und gleichzeitig erwarten, dass sich keine Selbstjustiz entwickeln wird. So funktioniert das leider einfach nicht.
Die Tatsache, dass du keinen Staat finden wirst, der diese Probleme zufriedenstellend löst, zeigt, wie komplex und schwierig das Problem ist. In allen Staaten gibt es Obdachlosigkeit und psychisch kranke Menschen. Gegen Obdachlosigkeit scheint ein „Housing First“-Programm wie in Finnland am erfolgversprechendsten, aber in Zeiten, in denen 800.000 Wohnungen in Deutschland fehlen, können wir uns wohl zumindest darauf einigen, dass das Problem nicht „über Nacht“ zu lösen ist, sondern mit weiteren, schwierig zu lösenden Problemen verknüpft ist.
Wir sind hier doch generell auf einer Seite, deshalb verstehe ich die Schärfe nicht, mit der diese Diskussion geführt wird. Ich bin selbst Diplom-Sozialarbeiter (wenn ich auch seit Jahren nicht mehr in dem Bereich arbeite, was auf ein weiteres Problem dieses Sektors hinweist!) und stimme doch absolut zu, dass Strafrecht nicht die Lösung ist. Ich sage nur, dass die Lösung ebenso wenig ist, einfach gar nichts zu tun, was z.B. ganz konkret Diebstähle im Einzelhandel betrifft - und ich denke, dass ich die Argumente dafür gut dargelegt habe.
Die Problematik bleibt, dass wir hier erhebliche Änderungen brauchen, die Jahrzehnte brauchen werden, bis sie wirken - wenn man sie heute starten würde, wozu aber sowohl das Geld (dank Lindners Festhalten an der Schuldenbremse) als auch das Personal fehlt. Wir haben schlicht zu wenig Wohnungen, Sozialarbeiter, Psychotherapeuten usw. um das Problem zu lösen und ich sehe nicht, wie sich diese Situation mit der aktuellen Regierung, geschweige denn in Anbetracht des aktuellen politischen Klimas in den nächsten Regierungen lösen lässt.
Exakt darum geht es mir. Ich bin doch nicht dagegen, dass wir mehr Sozialarbeiter einstellen und die Obdachlosigkeit abschaffen - du scheinst mich hier grundsätzlich misszuverstehen. Es geht mir darum, dass einfache Antworten wie „Der Staat soll halt einfach nichts gegen Diebstähle im Einzelhandel machen“ nicht funktionieren und allgemeine Floskeln wie „Mehr Sozialarbeit“ oder „Obdachlosigkeit abschaffen“ auch nicht weiterhelfen.