Arbeitgeber- vs. gewerkschaftsnahe Wirtschaftsinstitute

Hallo Ulf und Philip,
ich habe eine grundsätzliche Frage zu eurer Verwendung/Referenzierung von wissenschaftlichen Arbeiten aus sogenannten arbeitgeber- vs. gewerkschaftsnahen Wirtschaftsinstituten (bspw. IW Köln oder IMK).

Wie soll ich die Zuschreibung arbeitgeber- vs. gewerkschaftsnah in diesem Kontext verstehen? Mein Eindruck ist, dass ihr diese Adjektive auf zwei Arten verwendet:

a) Verstärkung eures Arguments, bspw. wenn ein arbeitgebernahes Institut eine Forschungsergebnis veröffentlicht, dass inhaltlich eher arbeitnehmerfreundliche Politik unterstützt; nach dem Motto, wenn ein arbeitgebernahes Institut das schon so sieht, dann ist das auch so. (Ausgedachtes Beispiel: IW Köln sagt Mindestlohnerhöhung vernichtet keine Jobs.)

b) Abschwächung von Gegenargumenten zu der von euch vorgetragenen Argumentation, bspw. wenn die Gegenargumente von einer Seite kommen, bei der evtl. der Anschein aufkommen könnte, dass die ideologische Grundausrichtung das Forschungsergebnis beinflusst hat. (Ausgedachtes Beispiel: Ihr wollt argumentieren, dass Streiks teuer sind für die Gesellschaft. Eine gewerkschaftsnahe Studie findet das Gegenteil. Ihr ordnet diese Studie aber als weniger relevant oder biased ein aufgrund ihrer instutionellen Herkunft.)

Ich nutze absichtlich ausgedachte Beispiele. Mir geht es hier rein ums Grundsätzliche: Qualifizieren wir nicht per se die Arbeit dieser Institute ab wenn wir diese Adjektive voran setzen? Damit betrachten wir deren Ergebnisse doch gleich durch eine ideologische Brille statt evtl. die Aussagekraft der Studie rein an methodischen Gesichtspunkten zu messen.
Wenn ihr jedoch der Meinung seid, dass die Methodik dieser Studien per se nicht aussreicht und alle Ergebnisse ideologisch gefärbt sind, dann müsste man auch konsequenterweise vollständig auf deren Referenzierung verzichten. Wie seht ihr das?

In diesem Kontext hätte ich auch noch die Frage, welche Wirtschaftsinstitute ihr als ideologisch neutral sieht? Gibt es dies überhaupt in Deutschland? Sachverständigenrat?

Viele Grüsse
Iv

Interessante Fragestellung. Meines Erachtens sind Deine Punkte a) und b) aber nur die zwei Seiten der selben Medaille.

Bei der Frage nach dem Standpunkt der „Auftraggeber“ muss es meines Erachtens in erster Linie nicht um methodische Unzulänglichkeiten oder gar ein Verbiegen der Ergebnisse gehen. Dennoch hat man bei den Prämissen und Szenarien die man Studien zugrundelegt eine Schwankungsbreite, die Ergebnisse insbesondere die Interpretation der Ergebnisse in die eine oder andere Richtung beeinflussen kann.
Wenn man die Prämissen offenlegt, kann an der Studie selbst methodisch alles korrekt sein.

Und wenn eine Studie trotz mutmaßlicher Ausnutzung aller Freiräume zugunsten des ideologisch erwünschten Ergebnisses, die ideologische „Gegenseite“ stärkt, muss die Evidenz offenbar stärker gewesen sein als wenn ich diese Freiräume in die andere Richtung ausgeschöpft worden wären.

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Danke für die interessante Antwort. In der Tat sehe ich die zwei Seiten auch als das Resultat des einen Phänomens, nämlich das Lesen von Forschungsergebnissen durch eine ideologische Brille.

Wenn wir dies aber zu Ende denken, kommen wir nicht zum Schluss, dass eine ForscherIn in einem gewerkschaftsnahen Institut nur dann glaubwürdige Ergebnisse produzieren kann, wenn diese gegen die institutionelle Ideologie gehen (oder ihr zumindest neutral gegenüber stehen)? Ansonsten lassen sich die Ergebnisse ja eben auf Basis der ideologischen Färbung des Instituts ablehnen.

Ich habe fast ein Jahrzehnt geforscht und sicher habe ich in dieser Zeit Forscher „mit einer Mission“ erlebt, die ihre Forschung nach Institutsmeinung ausgerichtet und Ergebnisse so geframed haben.

Ich halte solche Forscher für sehr schlechte Forscher und zum Glück war dieses Verhalten in meiner Erfahrung die krasse Minderheit.

Selbst bei wirtschaftsgeförderter Forschung wurden Ergebnisse bei uns nicht verschwiegen oder umgedeutet, selbst wenn die finanzierende Firma das nicht gut fand. Maximal wurden Ergebnisse generalisiert wenn sonst intellectual property preisgegeben worden wäre.

Daher halte ich solche Zuschreibungen von Studien nach der Nähe der Auftraggeber zwar für nachvollziehbar, aber wissenschaftsfremd. Nicht der Auftraggeber bestimmt das Ergebnis einer Studie, sondern die Einstellung der Forscher zu einem Sachverhalt. Ich bin mir sicher, das Ergebnis einer Auftragsarbeit durch Frau Kemfert wäre in der Quintessenz identisch, egal ob sie fürs UBA arbeitet oder fürs industrienahe KIT. Gleiches darf man von Herrn Fuest erwarten, auch wenn er für die Friedrich-Ebert Stiftung arbeiten würde.

Daher haben diese Zuschreibungen eigentlich keine Bedeutung außer zur versuchten pauschalen Diskreditierung/Bestärkung eines Ergebnisses wie vom TE beschrieben. Ich halte davon extrem wenig. Viel wichtiger ist das Ergebnis zu prüfen bzw. auf das Review der Fach-Community zu achten, falls die eigene Expertise nicht ausreicht. Alles andere ist fahrlässig.

Ganz so weit würde ich nicht gehen, sondern es Transparenz nennen.
Man sucht sich ja seinen Arbeitgeber nach persönlicher Einstellung aus.
So wird eine Frau Kemfert überall gleich forschen, aber bei einer gewerkschaftsnahen Stiftung zum Beispiel könnte ich sie mir wesentlich schlechter vorstellen.
Shell wird jetzt auch nicht unbedingt zu Agora Energiewende gehen, wenn sie eine Studie zu Treibstoffen der Zukunft in Auftrag geben wollen und das liegt bestimmt nicht daran, dass sie die Leute dort für weniger fähig halten würden.

Es geht wohl weniger darum, dass da einzelne Forscher ihr Fähnchen nach dem Wind drehen sondern dass das ganze Institut mit einer Ausrichtung assoziiert ist, die mutmaßlich auch selektiv auf potentielle Bewerber und im Auswahlverfahren für Neueinstellungen wirkt.

Meine Einlassungen wurzeln genau aus Reaktionen der Fach-Community auf wirtschaftswissenschaftliche Gutachten insbesondere des entsprechend „anderen Lager“.
Und da hört man immer wieder: Methodisch ist alles gut, die Modelle sind top, man hat halt andere Annahmen getroffen. (und die werden dann im Detail hinterfragt)

Zu dem Thema habe ich folgende Quellen gefunden.

Ideologie und Dissens unter Ökonomen:
Die Gemeinschaftsdiagnose der deutschen
Wirtschaftsforschungsinstitutes

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Danke für die Schilderungen.

Aber welches Fazit hätten wir für Journalisten wie Ulf und Philipp? Weiterhin diese Labels arbeitgeber-/gewerkschaftsnah nutzen?
Ich vernehme hier das Argument, dass dies schon ok ist weil es Transparenz schafft. Das gegenteilige Argument ist, von dem ich hier mehr überzeugt bin, dass die wissenschaftliche Arbeit hinter diesen Studien damit zu pauschal entwertet wird.

Friedolino hat den interessanten Kommentar gemacht, dass es nicht so sehr die Ergebnisse sind, die biased sind, sondern die Annahmen. Das finde ich einen spannenden Punkt, wo Journalisten auch ansetzen können. Statt über gewerkschaftsnahe Institute zu sprechen, könnte man ja die kritischen (im Sinne von ergebnisentscheidenden) Annahmen hervorheben.

Allerdings sind Journalisten auch einem bias unterworfen.
Und auch hier gehe ich soweit, manche Zeitungen eher arbeitgebernah und manche eher arbeitnehmernah einzuordnen, völlig unabhängig von der journalistischen Leistung des einzelnen Redakteurs.