Anzahl Geflüchteter ohne Arbeitserlaubnis

Hallo zusammen,

ich habe eine Frage zu einem Punkt, den Ulf in der letzten Folge kurz besprochen hat, nämlich Geflüchtete in Deutschland ohne Arbeitserlaubnis. Meine Frage ist: wie viele gibt es denn genau?

Als ich (Syrer) 2015 Asyl beantragt habe, habe ich Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AufenthG) bekommen. Mit der Aufenthaltserlaubnis durfte ich dann sofort auch arbeiten, ohne Wenn und Aber von der Ausländerbehörde. Die meisten in meiner Familie haben auch die gleiche Aufenthaltserlaubnis bekommen oder alternativ subsidiärer Schutz (§ 25 Abs. 2 Satz 1, Alternative 2 AufenthG), mit dem sie auch arbeiten dürfen (ich rede hier von ca. 70 Leuten, die ich kenne (I know, I know, sehr große Familie, danke fürs neue Leben, love you xoxo))

Natürlich haben nicht alle Geflüchteten hohe Schutzquoten [1,2]. Ich habe aber keine Zahlen gefunden, die die Anzahl in Deutschland lebender Menschen ohne Arbeitserlaubnis zeigen. Die einzige relevante Zahl ist die Anzahl anhängiger Asylverfahren; das sind rund 245k Menschen, die sicher ohne eine Zusage von der Ausländerbehörde nicht arbeiten dürfen.

Warum frage ich nach dieser Zahl? Weil ich das Argument, dass man Fachkräftemangel damit bekämpfen kann, indem man mehr (alle?) Geflüchtete arbeiten lässt, schwach finde.
Erstens, es basiert auf keinen Fakten.
Zweitens (noch wichtiger), das Argument ignoriert die Realität von Menschen mit Fluchterfahrung. Nach mehr fast neuen Jahren seit der Flüchtlingswelle 2015 haben heute lediglich ca. 55 % der Geflüchteten eine Vollzeitbeschäftigung [3,4]. Und das nach neuen Jahren Sprachkurse, Arbeitsmaßnahmen und Ausbildungen.

Jetzt zu behaupten, dass Geflüchtete den Fachkräftemangel bekämpfen könnten, ist einfach falsch. Alle diese Menschen haben eine Arbeitserlaubnis, arbeiten aber trotzdem nicht.
Warum? Viele Gründe: fehlende Sprachkenntnisse, fehlende Qualifikationen, Unterdrückung von Frauen (Frau darf nicht arbeiten, weil … Frau), fehlender Zugang zu Informationen und Angeboten. Das sind alle Probleme, die man bekämpfen und lösen sollte.

Ich will hier Geflüchtete nicht bashen, das sind meine Freunde und Familie. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass man diese Menschen nicht instrumentalisieren sollte, nur weil es gerade ins Bild passt.
Das Argument, wir sollten Geflüchtete arbeiten lassen und somit lösen wir unseren Fachkräftemangel, zieht nicht und ist meiner Meinung nach so schwach wie wenn die Rechte behaupten, dass wir alle Problem im Lande lösen könnten, wenn wir Ausländer loswerden könnten.

Wenn ihr anders denkt (oder eine Antwort auf meine Ausgangsfrage habt), dann bitte her damit. Wenn ich falsch liege, dann wäre ich dankbar, wenn ihr mich darauf hinweist, damit ich keinen Bullshit weitererzähle :slight_smile:

PS: Hier ist ein Satz im syrischen Dialekt (تشكل آسي و تمشي على قبري حافي) nur weil es mich nervt, dass ich online für die Rechte kein echter Deutscher und für die Linken kein echter Ausländer bin. xoxo

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Quellen:
[1] Aktuelle Zahlen (01/2023) BAMF: BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Aktuelle Zahlen - Aktuelle Zahlen (01/2023)
[2] Aktuelle Zahlen (01/2024) BAMF: BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Aktuelle Zahlen - Aktuelle Zahlen (01/2024)
[3] Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich - IAB-KURZBERICHT: https://doku.iab.de/kurzber/2023/kb2023-13.pdf
[4] #Faktenfuchs: Gut die Hälfte der Geflüchteten von 2015 arbeitet - BR: #Faktenfuchs: Gut die Hälfte der Geflüchteten von 2015 arbeitet | BR24

Danke für die gut argumentierte Nachfrage. Im Ergebnis ist das meines Erachtens nicht zutreffend. Ich kann nur ein paar Indizien anführen, warum:

Die Erwerbstätigenquote in der Gesamtbevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren liegt auch „nur“ bei ca. 76% (Quelle) - und das umfasst Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte. (Am Rande zwei Korrekturen: 1. Geht es in deiner Quelle [4] um die Geflüchteten, die in 2015, nicht seit 2015 kamen.; 2. geht daraus nicht hervor, dass diese 55% in Vollzeit arbeiten, oder übersehe ich was?)

Ulf und Philip haben ja eben für eine bessere Integrationspolitik argumentiert. Die müsste und würde ja gerade diese Dinge angehen. Ich würde es so formulieren: 55% der Geflüchteten in 2015 arbeiten heute trotz mangelnder Integrationsangebote.
Ein weiteres Indiz dafür ist die geringe Erwerbstätigkeit der Ukrainer:innen in Deutschland, die hierzulande weniger oft arbeiten. Das gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass in anderen Ländern niedrigere Sozialhilfe geleistet wird oder dass die Sprache für ukrainische und russische Muttersprachler:innen leichter zu lernen ist: Deutschland macht Ukrainern das Arbeiten schwer – Dänemark meldet Traum-Zahlen

Ist auch ne ganze Menge. Es gibt weitere rechtliche Hürden, die faktisch die Arbeitsaufnahme auch über die Menschen in anhängigen Asylverfahren hinaus erschweren oder bis vor nicht allzu langer Zeit erschwert haben, z.B. die „Vorrangprüfung“ (s. hier), die seit 2019 anscheinend aber (endlich) ausgesetzt ist.

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Ich habe jetzt noch die Zsf. der Quelle [3] in Stichpunkten gelesen. Daraus ergeben sich noch folgende Ergänzungen, die das im Ausgangspost gezeichnete Bild infrage stellen, dass Geflüchtete nicht wesentlich zum Erwerbspersonenptenzial beitragen könnten:

  • Dort steht, dass von den 55% in Erwerbstätigkeit ca. 2/3 in Vollzeit arbeiten (zum Vergleich, die Vollzeitquote liegt nach Destatis höchtens leicht unter der in der Gesamtbevölkerung: „Im Jahr 2022 arbeiteten 30 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande in Teilzeit.“).
  • Die Quelle (aus Juli 2023) bezieht sich auf die Erwerbstätigkeit nach 6, nicht nach 9 Jahren - damit war die festgestellte Erwerbstätigenquote von 55% anderthalb mal so schnell erreicht wie im Ausgangspost suggeriert
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Ich muss auch sagen dass ich 55% Berufstätigkeit, davon 2/3 Vollzeit, nach 6 Jahren Aufenthaltsdauer sehr ermutigend finde und nicht – wie medial und gesellschaftlich oft dargestellt – als Grundlage für Kritik an der Migrationspolitik.

Oder um mal einen etwas polemischen Vergleich anzustellen: wenn Kinder in der 5. oder 6. Klasse in die weiterführende Schule kommen, dann sprechen Sie besser Deutsch und verfügen über einen höheren anerkannten Schulabschluss als die meisten Geflüchteten. Trotzdem gönnen wir den kleinen Bratzen (von denen ich auch zwei bei mir im Haus rumspringen habe) nochmal zwischen 8 und 16 Jahren Zeit für Bildung, Ausbildung und Studium, bis wir von ihnen einen Beitrag zum Bruttosozialprodukt erwarten.

Geflüchtete sind bei der Einreise zu über 50% zwischen 0 und 24 Jahre alt. Ein unglaubliches Potenzial für uns als Gesellschaft, die ansonsten ziemlich überaltert. Entsprechend wünsche ich mir mehr „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ – irgendwer muss die ja in 15 Jahren noch finanzieren und meine Kinder werden das alleine kaum stemmen können :wink: .