Antwort auf Flyer der IDB "Lehrer hassen diese Fragen"

Ich bin Lehrerin und bisher sind die Flyer der Identitären Bewegung Deutschland bei uns nicht im Umlauf. (Rechtsextreme Identitäre verteilen Flugblätter an Schulen - Südwest - Badische Zeitung)
Ich möchte aber proaktiv auf die Schüler*/innen zugehen (können), da Rechtsextremismus an unserer Schule durchaus ein Thema ist. Dafür hätte ich gerne die richtigen Daten/Sites etc. schwarz auf weiß, um den im Flyer getätigten Aussagen entgegentreten zu können. (Hier ist auch die Rückseite abgedruckt: „Lehrer hassen diese Fragen“: Neue IB-Kampagne sorgt für Wirbel)
Viel zu viele Kolleg*innen antworten vermutlich mit einer Art Bauchgefühl oder moralischer Verantwortung, was meines Erachtens nicht dem Erscheinungsbild des Flyers gerecht wird, das harte Fakten zu präsentieren scheint.
Wenn ich die Recherche starte, bin ich damit aber so lange beschäftigt, dass einige andere Pflichten liegen bleiben und ich wäre so dankbar, wenn mir jemand möglichst schnell helfen könnte.

Ich hoffe, dass ich damit hier an der richtigen Stelle bin…? Ansonsten bin ich auch dankbar für Tipps.

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Hallo
Ich finde deine Idee richtig gut. Um proaktiv mit dem Thema umzugehen würde ich die Fehler in dem Flyer an abstrakten Themen lehren, zum Beispiel im Rahmen eine Philosophieworkshops.
Sehr empfehlenswert finde ich dazu ein paar Folgen von Mai ThinkX explizit die über Populismus, da dort mit Scheinargumenten aufgeräumt wird. Ebenso wichtig ist es das Verständnis für Statistik zu lehren (Signifikanz ist nicht immer Kausal z.B. gibt es einen starken statistischen Zusammenhang zwischen Piraterie in der Karibik und der globalen Temperatur, das heißt aber nicht dass wir Piraterie fördern sollten um die Klimakatastrophe zu verhindern).

Wenn das Verständnis für Scheinargumente und verfälschten Statistiken vorhanden ist sobald der Flyer bei euch ankommt, kannst du dir das Ding nehmen und die Schülerinnen auffordern selbstständig die Lügen zu erkennen. Das erhöht die Akzeptanz. Zum Anderen muss man sich, wenn man so etwas erst macht wenn der Flyer schon im Umlauf ist, immer dem Vorwurf stellen, man mache das ja nur weil man was gegen die AFD hätte.
(Edit: Satzbau)

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Das sollte Lehrkräften leicht fallen. Wir haben einen Eid abgelegt und aus dem ergibt sich zwingend die Gegnerschaft zum Rechtsextremismus.

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Die Krux ist, dass die blanken Daten manchmal nicht reichen.

Nehmen wir uns beispielhaft den ersten Satz des Flyers:

Durch die Masseneinwanderung ist die Gewalt gegen Frauen stark gestiegen.

Bei Statista, die als Quelle die Polizeiliche Kriminalstatistik nenne, findet sich:

Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 256.000 Opfer von häuslicher Gewalt polizeilich erfasst. Damit stieg ihre Zahl das zweite Jahr in Folge und auf einen erneuten Höchststand. Circa 71 Prozent der Opfer waren Frauen.

Heißt: Plump kann man erstmal behaupten, dass die Gewalt gegen Frauen gestiegen ist, ohne dass dies falsch ist. Was man diskutieren muss ist die Prämisse „Durch die Masseneinwanderung“. Man müsste betrachten: wie sind die Zahlen pro Kopf? (Wenn die Bevölkerung steigt steigt auch die absolute Anzahl der Straftaten, ohne dass das Land relativ sicherer oder unsicherer wird). Welchen Hintergründe haben Täter und Opfer bei häuslicher Gewalt? Was sind die Einflussfaktoren? Liegt es vielleicht daran, dass Strataten häufiger angezeigt werden als früher, also dass die Dunkelziffer kleiner wird? Oder dass nicht-deutsch-aussehende Bürgerinnen und Bürger häufiger „Aufmerksamkeit“ von Polizei und Strafverflgung bekommen (selection bias)?.

Auch aus der PKS:

Bei nichtdeutschen Kindern und Jugendlichen können einige Risikofaktoren, unter anderem Armutsrisiko sowie psychische Belastung, vergleichsweise häufiger auftreten. Das gilt insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung (dazu ausführlicher siehe „Fokus: Nichtdeutsche Tatverdächtige“)
[…]

  • Herkunftsunabhängig ist die Kriminalitätsbelastung bei jungen Menschen und bei Männern deutlich überdurchschnittlich. Das bedeutet: Eine Bevölkerungsgruppe mit einem höheren Anteil an Männern und an jüngeren Menschen – wie es bei der nichtdeutschen Bevölkerung der Fall ist – weist alleine dadurch erwartbar eine höhere Kriminalitätsbelastung auf.
  • Die höhere Kriminalitätsbelastung ist auch aus einem weiteren Grund plausibel: Es ist bekannt, dass Personen mit Migrationsgeschichte tendenziell stärker von Risikofaktoren betroffen sind, die eine Begehung bestimmter Straftaten (beispielsweise Gewalt- und Eigentumsdelikte) herkunftsunabhängig wahrscheinlicher machen. Dazu zählen neben einer nachteiligen räumlichen und ökonomischen Lebenssituation auch psychische Belastungen, eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit sowie positive Einstellungen gegenüber Gewalt.
  • Die PKS erfasst nur Straftaten, von denen die Polizei Kenntnis erlangt hat. Unterschiede in der Belastungszahl deutscher und nichtdeutscher Tatverdächtiger sind daher nicht unmittelbar mit einer tatsächlich unterschiedlichen Kriminalitätsbelastung dieser Bevölkerungsgruppen gleichzusetzen. Insbesondere die Anzeigequote kann hier eine Rolle spielen: Wenn etwa Straftaten unter Beteiligung nichtdeutscher Tatverdächtiger mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zur Anzeige gebracht werden als Straftaten mit deutschen Tatverdächtigen, kann dies ebenfalls zu höheren Belastungszahlen in der PKS führen. Tatsächlich gibt es Forschungsbefunde, die zeigen, dass Straftaten, an denen Personen beteiligt sind, die als „migrantisch“ oder „fremd“ wahrgenommenen werden (u.a. Nichtdeutsche), merklich häufiger angezeigt werden.

Will heißen: Es reicht nicht einfach nur Fakten hinzuknallen, sondern es muss diskutiert werden, wie die Ersteller solche Flyer mit beleglosen Behauptungen, die auf den ersten Blick irgendwie Sinn ergeben, Hass schüren.

Edit, weils mir grade noch einfällt: in höheren Klassen könnte man dann sogar noch auf die Meta-Ebene gehen: so eine populistische Aussage ist in 1 Sekunde gelesen und erzeugt erstmal ein Bauchgefühl. Das ganze vernünftig aufzubereiten und zu verargumentieren und auch zu verstehen dauert dann mindestens einige Minuten, eher eine Stunde. Da kann man diskutieren, warum der Populismus für viele Menschen so attraktiv ist: vermeinlich einfache Lösungen für komplizierte Probleme, ich muss selbst nicht nachdenken, dem eigenen Bauchgefühl zu widerstehen ist schwierig usw.

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@thunfischtoast
Danke für deinen Beitrag, genau in die Richtung ziele ich ab. Und ja, Strategien von rechts und wie man diesen entgegenwirken kann sind natürlich auch Inhalte des Bildungsplans und in diversen Fachschaften vertreten. Die didaktische Umsetzung überlasse ich diesen dann auch gerne.
Wenn nicht die Zahlen zu entkräften sind, würde ich gerne anderweitig etwas entgegensetzen. Ich bin mir noch nicht sicher, wie das aussehen könnte. Es sollte durchaus inhaltlich Bezug auf die Punkte des Flyers nehmen. Vielleicht in Form anderer Zahlen aus der Gewaltstatistik (um beim Beispiel zu bleiben). Aber dafür muss ich dann wohl doch selbst in die tiefere Recherche eintreten… Im Grunde schwebt mir eine Art Gegenflyer zur Verteidigung unserer Demokratie vor.

Die Leute von Volksverpetzter arbeiten sowas auch immer gut auf:

Sehr interessant ist es wenn man die PKS aus Österreich nimmt und auf Deutsche anwendet. Demnach scheinen Deutsche in Österreich überproportional kriminell zu sein. Ob das wohl am Aussehen, der Sprache oder Kultur liegen könnte :thinking:

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