Hier muss man glaube ich erstmal zwischen der Frage der NATO-Osterweiterung und ihrer Legitimität und der Legitimität des Ukraine-Kriegs als Reaktion darauf trennen.
Streit um Osterweiterung
Nach russsischer Darstellung gab es eine Zusicherung des damaligen US-Verteidigungsministers, der am 9. Februar 1990 zum sowjetischen Staatsoberhaupt Ghorbatchev gesagt haben soll, dass sich die NATO „keinen Zoll nach Osten“ bewegen werden. Dazu kamen nach dieser Darstellung diverse mehr oder weniger informelle Absprachen und Zusagen anderer westlicher Politiker gegenüber der Sowjetrepublik, sowohl im Kontext der deutschen Wiedervereinigung, als auch darüber hinaus.
Hier ist eine Darstellung, die sehr Entlang dieser russischen Sichtweise argumentiert: NATO Expansion: What Gorbachev Heard | National Security Archive
Fakt ist allerdings, dass die NATO-Länder und Russland 1997 einen gemeinsamen Vertrag geschlossen haben, der die zukünftigen Beziehungen regeln sollte, die NATO-Russland-Grundakte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die NATO noch keine osteuropäischen Staaten (außer die ehemalige DDR, wenn man die so sehen will) aufgenommen, deren Wunsch danach war aber auch Russland gut bekannt und wurde von Politikern dieser Länder wiederholt deutlich gemacht.
Diese Grundakte wurde also von Russland vor der ersten Osterweiterung der NATO im Jahr 1999 unterzeichnet. Und in der Grundakte ist keinerlei Rede davon, dass sich die NATO nicht nach Osten erweitern dürfe, obwohl der russischen Regierung entsprechende Bestrebungen zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sein müssen. Es gibt auch keinerlei andere Verträge, in denen die NATO sich zu einer Begrenzung verpflichtet hätte.
Unabhängig von der Diskussion um mündliche Zusagen und vertragliche Vereinbarungen müssen sich Kritiker der Osterweiterung aber auch die grundsätzliche Frage stellen lassen, inwieweit die Mitgliedschaft Polens oder Lettlands „russische Sicherheitsinteressen“ beeinträchtigt.
Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Wo sie offensiv eingegriffen hat (z.B. Kosovo) gab es stets ein UN-Mandat. Dem Angriffskrieg der USA gegen den Irak hatten sich diverse NATO-Mitglieder (z.B. Deutschland) sogar explizit und lautstark widersetzt, sodass dort auf eine „Koalition der Willigen“ zurückgegriffen werden musste. Es hat zu keinem Zeitpunkt vor der Invasion Russlands in der Ukraine auch nur den Hauch eines Anzeichens dafür gegeben, dass die NATO als Vehikel für einen militärischen Angriff auf Russland genutzt werden könnte.
Rechtfertigung für Angriff auf Ukraine
Aber selbst, wenn man Russland das Gefühl einer Bedrohung durch die NATO zugestehen würde (was ich nicht tue), stellt sich die Frage ob sich ein Überfall auf die Ukraine daraus rechtfertigen lässt. Die Antwort darauf ist ganz klar: Nein.
Völkerrechtlich ist die Sache klar: es handelt sich um einen Angriffskrieg. Der ist verboten und ein Kriegsverbrechen (mal abgesehen von der Art und Weise der russischen Kriegsführung).
Außerdem ist völlig unklar, warum die Möglichkeit eines ukrainischen NATO-Beitritts oder eines informellen militärischen Zugangs der NATO in die Ukraine eine Gefahr für Russland dargestellt hat, die sich nur durch einen Invasion beantworten ließ.
Völlig ad absurdum wird die russische Argumentation durch die Realität seit Beginn des Krieges geführt. Der Angriff auf die Ukraine hat direkt zum Beitritt Schwedens und Finnlands geführt und dadurch zu einer um vielfach längeren Grenze zwischen NATO und Russland. Trotzdem und trotz der anhaltenden Eskalation Russlands in der Ukraine gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die NATO in irgendeiner Form direkt gegen Russland militärisch aktiv werden könnte. Selbst die an die Ukraine gelieferten Waffen werden von NATO-Ländern bis heute in ihrer Nutzung eingeschränkt.