Allgemeinverfügung: München verbietet Klimaproteste

Hintergrund: Stadt München verbietet Klimaproteste in Form von Straßenblockaden - München - SZ.de
Die Stadt München untersagt per Allgemeinverfügung bis zum 8. Januar das Versammeln in Zusammenhang mit Klimaprotesten und in Form von Straßenblockaden und Festkleben. Die Verfügung zielt auf das Freihalten der Hauptrouten der Einsatz- und Rettungsfahrzeuge im Stadtgebiet. Das halte ich für einen Vorwand. Was ist die rechtliche Grundlage für diese Vorgehen und das damit verbundene Einschränken eines Grundrechts. Kleine Randnotitz: In München führen die Grünen eine Koalition im Stadtrat an. Von anderen Parteien, welche in vielen Kommunen (mit-)regieren, hat man bisher durchaus strengere Töne im Bezug auf diese Form des Klimaprotests gehört. Kann diese Praxis bei anderen Kommunen Schule machen?

Das Thema ist noch sehr neu und medial noch sehr dünn abgebildet. Ich würde mich sehr über eure Einschätzung in der nächsten Folge freuen - besonders über einen Kommentar zum rechtlichen Hintergrund.

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Das ist letztlich eine interessante Frage.

Wichtig finde ich für den Hintergrund folgenden Teil des von dir verlinkten Artikels:

Das bedeutet, dass ich die Allgemeinverfügung in erster Linie als „Zurückrudern“ der Stadtverwaltung betrachte. Daher: Das Kreisverwaltungsreferat hat die eigentlich geltende Rechtslage (die unangemeldete Demonstrationen und das Ankleben generell eher nicht zulässt) quasi mit einer öffentlichen Stellungnahme genehmigt und die Stadtverwaltung versucht nun, über eine Allgemeinverfügung diesen Geist wieder in die Flasche zu bekommen.

Wichtig auch der Wortlaut der Allgemeinverfügung:

Wie gesagt, das gibt eigentlich nur die aktuelle Rechtslage wider - ja, Demonstrationen müssen nicht „genehmigt“ werden, aber unangemeldete Demonstrationen, die nicht als Spontandemonstration qualifiziert sind (und das liegt hier nicht vor, da kein plötzlicher Anlass vorliegt, der eine Anmeldung unmöglich machte), sind eben strafbar (nicht nur ordnungswidrig).

Siehe dazu § 14 Abs. 1 i.V.m. § 26 Nr. 2 Versammlungsgesetz:

Daher sehe ich die Allgemeinverfügung juristisch als unproblematisch an (eine moralische Bewertung kann natürlich ganz anders aussehen). Sie hat lediglich eine klarstellende bzw. eine vorherige staatliche Handlung widerrufende Funktion.

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Hallo @Daniel_K könntest du bitte einmal ausführen was die Voraussetzungen wären, damit eine solche Veranstaltung tatsächlich zu einer Freiheitsstrafe (vermutlich auf Bewährung?!) verhängt würde?

Oder steht das nur für den Fall der Fälle im VersG, um in besonders krassen Fällen eingesetzt zu werden?

Klar.

Grundsätzlich muss man zwischen dem Strafrahmen und der Strafzumessung unterscheiden. Der Strafrahmen ist der Bereich, in dem sich die Strafzumessung bewegen darf.

Grundsätzlich ist „Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe“ der geringsten Strafrahmen, die wir in Deutschland bei einem Strafgesetz haben. Weder gibt es Strafrahmen, die im Maximum unter einem Jahr liegen, noch gibt es Strafrahmen, die nur eine Geldstrafe vorsehen. Als Vergleich: Die einfache Sachbeschädigung hat bereits einen Strafrahmen bis zu zwei Jahren, der einfache Diebstahl und die einfache Körperverletzung bis zu 5 Jahren. Der Strafrahmen, über den wir hier reden, ist identisch mit dem des Hausfriedensbruchs.

Beim Strafrahmen gilt grundsätzlich, dass wenn kein Minimum angegeben ist, das Minimum ein Monat ist, wenn kein Maximum angegeben ist, das Maximum 15 Jahre ist. Ein Strafrahmen „bis zu einem Jahr“ bedeutet daher 1 bis 12 Monate, ein Strafrahmen „nicht unter einem Jahr“ bedeutet somit 1 bis 15 Jahre.

Einige wenige Straftaten haben keinen richtigen Strafrahmen, z.B. Mord, bei dem, wenn keine ganz besonderen Umstände vorliegen, nur lebenslange Haft verhängt werden kann („von“ und „bis“ sind daher identische Punkte)

Nun zur in der Praxis sehr relevanten Strafzumessung:

Der Strafrahmen wird nur in absoluten Ausnahmefällen voll ausgereizt. Bei einer erstmaligen Verurteilung wird er bei geringerwertigen Delikten quasi nie voll ausgereizt (bei wirklich schweren Delikten wie Totschlag hingegen kann das durchaus vorkommen, wenn die Tat selbst für Totschlag-Verhältnisse besonders krass ist…). Relevant für die Strafzumessung soll alleine die Schuld des Täters sein - die Höhe dieser Schuld ist u.a. abhängig davon, ob es sich um eine Wiederholungstat handelt, ob er besonders verwerfliche Beweggründe hatte (z.B. Rassismus), aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse.

Konkret im Fall von Umweltschutzprotesten müsste jeder Richter grundsätzlich von einer relativ geringen Schuld ausgehen, da die Beweggründe gerade nicht verwerflich sind, sondern fast schon im Gegenteil - selbst konservative Richter müssten das anerkennen. Andererseits sind die Aktivisten häufig natürlich extreme Wiederholungstäter, die keinerlei Reue zeigen und klar sagen, dass sie die Tat auch wiederholen würden - das ist eindeutig strafverschärfend.

Dennoch, um für ein Delikt mit einem so niedrigen Strafrahmen tatsächlich eine Gefängnisstrafe zu bekommen, muss man sich schon extrem anstrengen. Bedeutet: Bei der ersten Tat gäbe es in aller Regel eine Geldstrafe, bei der zweiten und vielleicht sogar dritten Tat vermutlich auch noch, irgendwann gibt es dann eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe im Bereich von wenigen Monaten, bei weiteren Wiederholungen oft sogar noch eine zweite Bewährungsstrafe… und wenn man dann immer noch weiter macht, kann es sein, dass der Richter dieses Mal eine Strafe ohne Bewährung verhängen wird.

Denn grundsätzlich werden Haftstrafen unter zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt - aber eben nicht, wenn der Täter schon mehrere Bewährungsstrafen offen hat. Wenn dann in einem weiteren Prozess eine Haftstrafe ohne Bewährung verhängt wird, werden alle alten Bewährungen ebenfalls widerrufen, daher: Der Täter müsste alle bisher verhängten Haftstrafen, deren Bewährungszeit noch nicht abgelaufen ist, verbüßen. So kann dann schnell eine kombinierte Haftzeit von deutlich mehr als dessen, was im konkreten Strafrahmen für die eine Tat angedacht ist, zu Stande kommen (z.B. erste Bewährung 4 Monate, zweite Bewährung 7 Monate, dann Verurteilung zu 10 Monaten ohne Bewährung = 1 Jahr und 9 Monate in Haft!)

Als Praxisbeispiel kann hier die Holocaustleugnung von Ursula Haverbeck genommen werden. Obwohl der Strafrahmen für Holocaustleugnung deutlich höher ist als für die hier besprochenen Delikte (bis 5 Jahre) hat die olle Haverbeck 2004 zuerst nur eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen (also 6 Monate Haft umgewandelt in 180 Tagessätze Geldstrafe) bekommen, 2007 dann nochmal 200 Tagessätze, 2009 noch mal eine Geldstrafe, 2010 beim vierten Anlauf dann erst eine Bewährungsstrafe von 6 Monaten, 2015 dann beim fünften Anlauf eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe von 10 Monaten… (und danach noch vieles mehr, die lernt’s halt nicht…)

Das ist ein Beispiel dafür, wie man letztlich dann doch im Knast landen kann, wenn man es darauf anlegt. Man kann jedenfalls in dieser Situation nicht behaupten, nicht gewarnt worden zu sein :wink:

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Großartig, danke dir @Daniel_K. Praktisch dürfte es damit bei max. Geldstrafen bleiben, denn wenn es langsam ernst wird (x Schuldsprüche mit „Dududu“) meldet man einfach einen anderen Veranstaltung/Leiter, richtig?

Wie sieht das mit den Teilnehmern eigentlich aus? Die Teilnahme an einer nicht angemeldeten Veranstaltung ist ja nur eine Ordnungswidrigkeit, richtig? Oder gibt es dort auch Potenziale bei notorischen Wiederholungstätern?

Vorab, das alles ist natürlich keine Rechtsberatung, daher müssen wir aufpassen, hier nicht zu konkret zu werden.

Tatsächlich ist natürlich immer die Frage, ob man „den Leiter oder Veranstalter“ überhaupt ausfindig machen kann. Wenn ein Aufruf online über Portale wie Indymedia passiert ist es schon grundsätzlich schwierig, überhaupt jemandem nachzuweisen, dass er der Veranstalter ist. Das dürfte auch der Grund sein, warum überraschend selten überhaupt Strafverfahren diesbezüglich zum Erfolg kommen.

Da die „Letzte Generation“ kurz vor Start der Aktion die Behörden informiert, macht sich die Person, die diese Information durchführt, natürlich angreifbar (also der Verdacht liegt nahe, dass diese Person auch der Leiter ist). Das sollte daher wohl niemand tun, der bereits eine einschlägige Verurteilung in diese Richtung kassiert hat.

Überraschenderweise ist es weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit.
Erst wenn die unangemeldete Demonstration offiziell von den Behörden aufgelöst wird und man sich weigert, dieser Auflösung Folge zu leisten, begeht man eine Ordnungswidrigkeit (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 VersG). Bis dahin ist quasi alles safe. Der Hintergrund ist, dass der Teilnehmer an einer Versammlung ja theoretisch gar nicht wissen kann, ob die Versammlung korrekt angemeldet wurde oder nicht - erst wenn diese Versammlung von der Polizei offiziell aufgelöst wird weiß auch jeder Teilnehmer, dass die Versammlung nicht rechtens ist. Ja, Unwissenheit kann durchaus vor Strafe schützen (es sind Dinge wie diese, warum ich den falsch-vereinfachenden Spruch „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ so problematisch finde…)

Nebenbei: Die Polizei wird in aller Regel friedliche, nicht angemeldete Demonstrationen nicht auflösen, die Eingriffsschwelle liegt hier wegen der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit relativ hoch. Als Teilnehmer hat man daher grundsätzlich wenig zu befürchten - wenn die Behörden die Veranstaltung tatsächlich auflösen, bekommt man das mit und hat genug Zeit, zu reagieren (wenn man das möchte). Das gilt natürlich nur, so lange man keine Straftaten begeht - und da kommen wir dann wieder zur umstrittenen Diskussion, ob Anklebeaktionen strafbare Nötigungen sind oder nicht (siehe Verwerflichkeits-Argument).

Auch hier wird das Ordnungswidrigkeitenrecht - zum Glück - nicht mit dem Vorschlaghammer durchgesetzt, auch wenn konservative Elemente das immer wieder fordern. Das ist daher kein Rettungsgassen-spezifisches Thema (just sayin’, SCNR).

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Hervorragende Zusammenfassung, @Daniel_K. Super verständlich und nachvollziehbar! Dankeschön.

Manchmal reicht der Klick auf das Herzchen einfach nicht.

Super Erklärungen, Vielen Dank!

Zunächst kurz der Hinweis, dass das Bayerische VersG Anwendung findet. geben sich die Regelungen aber nichts. §§ 13, 21 Nr. 6 BayVersG entsprechen den §§ 14, 26 Nr. 2 BVersG.

Problematisieren kann man direkt, dass § 15 VersG von dem Verbot einer Versammlung spricht. Allerdings geht die Rspr davon aus, dass auch ein allgemeines Verbot bestimmter (mehrerer) Versammlungen nach § 15 Abs. 1 BayVersG möglich sind (VGH München, Beschluss v. 19.01.2022 – 10 CS 22.162). Bei solchen „Massenverboten“ ist dann aber wichtig, dass ausschließlich solche Versammlungen ins Visier genommen werden, bei denen die öffentliche Sicherheit (sämtliche Rechtsnotmen) gefährdet wird, also irgendwelche Rechtsverstöße in Frage kommen. Ansonsten gelten die extrem hohe Anforderungen des „Polizeilichen Notstands“ (VGH Mannheim, Urteil vom 06.11.2013 - 1 S 1640/12).

Man muss also ganz genau gucken, ob die AV so konkret ist, dass wirklich nur störende Versammlungen verboten werden. Das könnte man schon kritisch sehen, denn das Festkleben könnte zu manchen Zeiten und an manchen Stellen ja völlig unproblematisch sein. Wenn das Verbot nur an Knotenpunkten und nur zu Verkehrszeiten gilt, könnte das durchgehen. Dann gilt nur das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Ob aber ein bayerisches VG ein solch konkretes Versammlungsverbot für unverhältnismäig hält (Art. 8 der Demonstrant*innen gegen Verkehrsinteressen), steht wohl in den Sternen. Ich kenne jetzt den Wortlaut der AV nicht ganz genau, sollte sie aber konkret genug sein (s.o) würde ich eher damit rechnen, das das Verbot jedenfalls im Eilverfahren Bestand hat.

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Gute Ergänzung, als NRWler vergisst man gerne, dass einige wenige Bundesländer eigene Versammlungsgesetze erlassen haben. Als Erklärung für den Rest der Lesenden:

Seit der Föderalismusreform 2006 haben die Bundesländer grundsätzlich die Möglichkeit, in einigen Bereichen eigene Gesetze zu beschließen. Dies betrifft u.a. das Versammlungsgesetz und das Strafvollzugsgesetz.

Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben beim Versammlungsgesetz davon Gebrauch gemacht, sodass in diesen Bundesländern statt des VersG des Bundes das Bayrische VersG Anwendung findet. Inhaltlich scheint es nach erstem Überfliegen keine großen Unterschiede zum VersG des Bundes zu geben, aber - wer hätte es gedacht - die Strafrahmen sind im bayrischen Versammlungsgesetz durch die Bank doppelt so hoch (also zwei Jahre statt einem Jahr).

Das verwundert leider nicht - wenn Länder im Rahmen der Föderalismusreform eigene Gesetze erlassen unterscheiden die sich selten maßgeblich von der Vorlage des Bundes, oft wird nur die Prioritätensetzung verändert. So dreht Bayern beim Strafvollzugsgesetz z.B. die Priorität von „Resozialisierung“ und „Schutz der Allgemeinheit“ um, kurzum: In Bayern wird der Schutz der Allgemeinheit priorisiert, im Bundesstrafvollzugsgesetz die Resozialisierung (vergleiche Bund und Bayern)… solche Dinge und höhere Strafrahmen sind leider typisch für konservative Bundesländer wie Bayern, das ist letztlich Ausfluss der konservativen Bestrafungs-Ideologie.

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