Allegorie: Museen als geeignete Protestorte

Hi liebes Lage-Team,
in der aktuellen Folge ist mir erneut aufgefallen, dass eurerseits noch ein gewisses Unverständnis bezüglich der Wahl von Museen und Kunst als Protestorte/-formen der Klimabewegung besteht. Ich kann natürlich nicht für die Gruppierungen sprechen, aber vielleicht können meine Überlegungen diesbezüglich etwas beitragen.
Für mein Verständnis besteht eine sehr schöne Allegorie: Und zwar die der Museen, als Orte des Bewahrens und Austellens, derer Güter, die wir Menschen gemeinschaftlich als wertvoll/bewahrenswert erachten. Gleichzeitig ist die Kunst Symbol unseres (höchsten) zivilisatorischen Standes und war oftmals, je nach Epoche und KünstlerIn, durchaus auch eine historische Protestform. Ich versuche es noch etwas genauer zu fassen, warum ich denke, dass Proteste dort besonders viel Sinn ergeben:
Zum einen, bringen uns diese Orte des Konservierens auch nichts mehr, wenn wir alles zerstören. Dann werden weder Räume für Kunst noch die Kunst selbst bestehen bleiben.
Zum anderen, sollte die Bewahrung unseres Planetens und des Lebens Millionen von Menschen, der größt mögliche zivilisatorische Akt, in den Aufmerksamkeitsfokus rücken, in diese Räume drängen. Die Bedrohung und die sich daraus ergebende Aufgabe gehört sozusagen ausgestellt und verdrängt in ihrer Dringlichkeit alles.
Die angedrohte Zerstörung uns liebgewonnenner, ja sogar heiliger Güter, spiegelt sich in der Bedrohung unserers Planeten wieder und ist daher meiner Meinung nach extrem gut als Protestobjekt gewählt. Außerdem: aus aufmerksamkeitsökonomischer Perspektive ist diese Aktion ebenfalls ein Volltreffer, da ja überhaupt kein dauerhafter Schaden entstanden ist und die Berichterstattung Wellen geschlagen hat. Und was die (negativen) Zustimmungswerte für die Bewegung angeht: hier sollten wir bedenken, dass die Zustimmung zur Gruppierung nicht mit der Zustimmung zur Botschaft zu verwechseln ist, die nach wie vor sehr hoch ist. Die Klimebewegung handelt meiner Einschätzung nach sehr überlegt und entlang des protestempirischem Wissensstands. So viel erstmal dazu :slight_smile: Falls euch das Thema noch eingehender interessiert kann ich sehr die Folgen des „Piratensender Powerplay“-Podcasts dazu empfehlen (Folge 104-106).
Liebe Grüße !

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Diese Argumentation ist in meinen Augen nicht sehr durchdacht gewählt. Es ist quasi ein Blanko-Scheck. Das schreibt u.a. auch Bernd Ulrich in seinem Essay in der Zeit: Was ziviler Ungehorsam nicht tun sollte und was demokratische Mehrheiten nicht tun dürfen.
Hier der relevante Ausschnitt aus dem Essay:
Umgekehrt hantieren allerdings auch viele Klimabewegte bei der Begründung ihrer Aktionen mit viel zu großkalibrigen und daher untauglichen Argumenten, etwa so: „Was ist die Beschädigung eines Kunstwerks gegen die Zerstörung der Welt?“ Die Antwort kann hier nur lauten: Ja, nichts. Allerdings trifft das auch auf fast alles andere zu: Was ist der demokratische Rechtsstaat gegen die Zerstörung der Welt? Ja, nichts. Und so weiter. Mit diesem Argument erteilt man sich selbst einen Blankoscheck, der für einen demokratischen Rechtsstaat so niemals akzeptabel sein kann, weil er die Mehrheitsregel zugunsten einer Minderheitenanmaßung aushebelt.

Diese Erklärung finde ich hingegen super und auch mehr als einleuchtend.

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Danke für deinen Beitrag @LightningMcK und das Anbringen des Artikels. Ich halte ihn für ein sehr gelungenes Beispiel, wo der Diskurs leicht in Schieflage geraten ist. Lass mich das gerne erklären: Besagter Artikel sitzt einem logischen Fehler auf, welcher die Debatte in eine „was-wäre-wenn-Richtung“ lenkt. Denn die oben angeführte Prämisse ist jene, dass kein Schaden angerichtet wurde. Und wenn Herr Urlich schreibt, dass ein Kunstwerk beschädigt wurde, ist das schlichtweg falsch. Von daher würde ich seinem Blankoscheck-Argument, mit dem er sicherlich bewusst ungute Assoziationen an einen brutalen und gewaltvollen Weltkrieg hervorruft, gerne eine Fußnote beifügen. Wenn er folgende Formel als Blankoscheck bezeichnen möchte: niemand wird verletzt, nichts beschädigt mit dem Zweck, die Leute in ihrem Alltag zu erreichen und aus ihrer Komfortzone, beziehungsweise ihren Verdrängungsmechanismen rauszuholen und der kognitiven Dissonanz zwischen eigentlicher innerer Haltung und de facto Situation auszusetzen, dann ja, unterschreibe ich gerne einen solchen Blankoscheck für Klimaproteste.
Zuletzt wird ein weiterer Punkt dadurch sehr deutlich:
Der Selbstbeschäftigungszwang des Feuilletons angesichts einer völlig harmlosen Aktion, zieht leider nur Energie von der Hauptaufgabe, die da lautet: die Lebensgrundlage für uns alle zu sichern, bevor der Planet zu großen Teilen unbewohnbar wird.

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Ich stimme allen Aussagen von @TheresiaM zu!

Mit diesem Zitat hat sich Bernd Ulrich aber gewaltig vergalloppiert: ein anscheinend beliebiges Kunstwerk wäre also genausoviel wert wie der demokratische Rechtsstaat, nämlich NICHTS. Zuviel Kultiviertheit kann schlecht sein für klares Denken. Markus Lanz würde Kunstwerke in den Dolomiten einmauern, um sie vor den Fluten zu schützen.

Man kann sich zur Zeit in der Abwehr der Mahnung der Klimaaktivisten recht bequem als Verteidiger (und Kenner) der unschätzbaren Werte in den Museen mit grosser Selbstgerechtigkeit und Zustimmung heischend hervortun.

Die Ausstellungsstücke in den überquellenden Museen und immer neuen Museen sind keine „unersetzlichen“ Dinge, wie es uns in der westlichen Kultur eingehämmert wird, dass sich auch wirklich niemand etwas dagegen zu sagen traut. Währenddessen ist uns die übrige Menschheit ziemlich egal, die geraubte Kunst aus den Kolonien haben wir allerdings in unseren Kanon einverleibt.

@TheresiaM wird nun nicht mehr einverstanden sein, aber ich wage einmal den Tabubruch. Mir wärs recht, wenn ein „grosses“ Kunstwerk durch einen Banksy-Schredder ginge, wenn die Elite nicht anders zu bewegen ist. Die Menschheit würde nichts verlieren, auch wenn die Kunsthistoriker das behaupteten. 99% der Menschheit gehört schätzungsweise nicht den kunstbeflissenen westlichen oder westlich orientierten Eliten an, denen sind alle diese Kunstwerke ziemlich egal. Aber 100% der Menschheit hat allen Grund, sich um die Bewohnbarkeit der Erde Sorgen zu machen.

Die Museen sind sehr geeignete Protestorte. Ich glaube, Picasso wäre einverstanden mit radikaleren Aktionen, angesichts der Lage.

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Das war eine super Aktion. Alle sprechen über das richtige Thema. Ziel erreicht.

Man brauch das natürlich nicht jede Woche, denn der Effekt nutzt sich ab. Aber hoffentlich finden sie bald das nächste Ziel für einen großen Aufreger. Fand dazu auch das Jung&Naiv Interview mit der letzten Generation sehr interessant.

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Ich bin mit sehr vielem bei @TheresiaM . Die Aufarbeitung vom Piratensender Powerplay fand ich im übrigen auch sehr gut. Allerdings finde ich macht sowohl @TheresiaM als auch der PPP Podcast in weiten Teilen den Fehler die Thematik zu verkopft anzugehen: Kaum jemand wird sich kulturtheoretische Gedanken zu den Aktionen machen. Wenn überhaupt wird mit platter Symbolik argumentiert. Tatsächlich aber funktioniert dieser Protest viel stärker auf einer emotionalen als auf der intellektuellen Ebene. Das kommt im Endeffekt auch beim Piratensender raus, und @TheresiaM fasst das mit dem folgenden Abschnitt ganz gut zusammen:

Nur dass das für mich nicht unter „außerdem“ stehen sollte, sondern unter „in erster Linie“. Oder, wie @pawl133 sagt

Falsch finde ich übrigens auch Argumente der Art: „Das lenkt doch vom eigentlichen Thema ab. Man spricht nur noch von Kartoffelbrei aber nicht vom Klima.“ Als ob die Gesellschaft nicht über mehrere Themen gleichzeitig sprechen könnte. Im Gegenteil bleibt eben dadurch, dass man über den Kartoffelbrei bzw. Van Gogh und seine Bedeutung in dem Zusammenhang redet auch die Klimakatastrophe immer in der Debatte präsent.

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Ja, und das gerne genutzte Argument, die Aktionen würden dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen, kann doch nicht richtig sein. Das würde ja heissen, die Leute die für Klimaschutz sind (mit welchem Engagement auch immer), aber gegen Aktionen sind, würden nach solchen Aktionen den Klimaschutz für weniger wichtig halten als vorher. In welchem Hirn soll das so ablaufen?

Es sagt andererseits etwas aus über die Verbreiter solcher Aussagen, nämlich, dass sie es nicht eilig haben, für den Klimaschutz etwas an ihrem eigenen Verhalten zu ändern bzw. dass sie von der Regierung per Gesetz dazu gezwungen werden.

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Harte Junge Union-Vibes:

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Die Unwucht in der Berichterstattung gerade auch im liberalen Feuilleton ist entlarvend. Beispiel aus der New York Times:

Da werden erst viele Zeichen verbraucht, um von „attacks“ zu sprechen und dem Ergreifen von „measures to protect“. Die Protestierenden werden indirekt mit den Taliban verglichen, denn die Museen wollten ja keine Gepäckskontrollen „like at the airport“ etablieren. Stattdessen erscheinen die Museumsdirektoren als garanten von Freiheit und Offenheit, weil sie solche Maßnahmen auch unter dem „endangerment“ der Aktivist:innen nicht ergreifen. Sie werden auch mit dem unfreiwillig komischen Satz zitiert, die Protestierenden würden „severely underestimate the fragility of these irreplaceable objects“. Das Schreckensszenario wird dann in raunendem Duktus vorgebracht: „But many fear that an accident, or an escalation in the protesters’ tactics, could result in a a masterpiece being destroyed.“

Dann wird der Kulturminister von Giorgia Melonis Regierung, Gennaro Sangiuliano - ein Putin-Biograph und Vertreter einer nationalistischen Kulturpolitik -, mit dem Ausspruch zitiert, dass man die Kosten für mehr Schutzmaßnahmen auf die Museumbesucher:innen umlegen würde. Natürlich ohne dies politisch einzuordnen.

Ganz am Ende kommt dann immerhin einer der Aktivisten zu Wort: Er sei sich sicher gewesen, nichts zu beschädigen: „He practiced the stunt five times at home, he said, and was convinced it would not disfigure the painting.“ Das fällt dem besorgten Feuilletonisten aber natürlich erst zum Schluss ein.

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