Alexej Nawalny gestorben

Russlands vermutlich prominentester Kreml-Kritiker Nawalny ist im Straflager gestorben. Natürlich liegt ein politischer Mord nahe - gerade aufgrund der anstehenden Wahl, selbst wenn er vmtl. kaum eine Bedrohung für Putin dargestellt hätte.
Es gibt durchaus ein paar kleine Proteste im Land, die aber wie üblich sehr schnell beendet werden. Interessant fände ich: hat der Tod Nawalnys (der leider nur eine Frage der Zeit war) ggf. das Potenzial in Russland noch einmal die Opposition und die mit dem Krieg unzufriedenen zu mobilisieren, oder stehen da die Chancen weiter praktisch bei Null?

Erstmal muss man anmerken, dass die Angehörigen Nawalnys die Nachrichten über seinen Tod noch bestreiten. Ob das bloße Verdrängung ist, kann man natürlich diskutieren. Ich wüsste jedenfalls nicht, warum Russland den Tod inszenieren sollte.

Ob es zu größeren Demonstrationen kommen wird kann man aktuell wohl bezweifeln. Aktuell nutzt der Kreml den Ukraine-Krieg (nach Kreml-Framing „den Krieg gegen die gesamte NATO“), um das Volk zu einen und jeden, der es wagt, Soldaten oder den Krieg zu kritisieren, als Vaterlandsverräter zu diskreditieren. Das klappt in Autokratien leider relativ gut. Ich habe daher wenig Hoffnung darauf, dass es zu großen Protesten kommt - wobei sich das ganz schnell ändern kann, wenn ein relevanter Teil der russischen Eliten das Vertrauen in Putin und die Kreml-Führung verliert. Aus der Zivilgesellschaft heraus erwarte ich leider keine große Revolution, dazu hat Russland die Zivilgesellschaft seit Jahren schon Stück für Stück zerlegt und dafür gesorgt, dass dort zu viel Angst herrscht, wie Nawalny zu enden.

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Danke für den Hinweis. Ist das noch aktuell? In einem Medienbericht (s.u.) heißt es:
„Das Team des Kremlgegners Alexej Nawalny hat dessen Tod bestätigt. Das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch am Samstag bei X (vormals Twitter) unter Berufung auf Nawalnys Mutter Ljudmila Nawalnaja mit.“
Ansonsten würde ich das im Titel anmerken, falls wir denken, dass noch ernsthafte Zweifel am Tod bestehen.
Edit: Rechtschreibung

Ich hab schon damals nicht verstanden, warum Nawalny nach dem so gerade noch gescheiterten ersten Mordanschlag und seiner Behandlung in Deutschland wieder zurück gegangen ist. War es Todessehnsucht? Der Wunsch endlich zum echten Märtyrer zu werden und die unrealistische Erwartung, das wäre dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, und das russische Volk würde sich erheben? Oder hat er seine eigene Person einfach überschätzt und geglaubt, er wäre in irgendeiner Art unangreifbar, und Putin würde es nicht wagen ihm ein weiteres Mal nach dem Leben zu trachten?

Man weiß es nicht, aber vielleicht war es einfach nur Dummheit.

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Wenn man wirklich an einer Antwort interessiert ist, warum Nawalny das getan hat, könnte man ja schauen, was er selbst dazu gesagt hat, etwa hier:

Auch wenn ich das selber nicht unbedingt nachvollziehen kann, finde ich es noch etwas befremdlich, ihm vom bequemen Sofa aus „Dummheit“ zu attestieren. Das impliziert aus meine Sicht auch immer ein Stück weit, dass das Gebaren des Kreml wie eine Art unveränderliche Naturgewalt ist, der man sich nur beugen kann.

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Es mag dem einen oder anderen schwer fallen das nachzuvollziehen, aber es gibt tatsächlich Menschen, denen Überzeugungen wichtiger sind, als das eigene Leben.
Seltsamerweise findet man es hierzulande nachvollziehbarer, wenn man sich vor laufendem Verkehr festklebt und damit - natürlich auf einem anderen Level - seine Gesundheit aufs Spiel setzt, als sein Leben dafür einzusetzen, gegen ein Terrorregime aufzustehen.

Ich kann Nawalny Beweggründe verstehen, auch wenn ich sicherlich niemals den Mut dazu aufbringen würde, mich so zu verhalten wie er.

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Ich höre LdN jede Woche, habe bis jetzt aber nie etwas hier geschrieben. Ich weiß nicht, was ich noch tun kann, um meine Trauer auszudrücken. Es ist seltsam, um jemanden zu trauern, den man nie persönlich getroffen hat. Um Navalny zu verstehen, abseits von „Held“ oder „Rassist“ (wie Martin Sonneborn ihn in seinem letzten Buch titulierte), war er für viele Russinnen und Russen etwas ganz Besonderes. Ich möchte mit euch einen kleinen Text teilen, den ich gestern nach den ersten Nachrichten über seinen Tod geschrieben habe. Wie die Kommentare von meinen Freunden und Fremden im Internet zeigen: Ich bin nicht allein mit diesen Gefühlen.

Freitag nachmittag. Ich entlasse die Kinder ins Wochenende, öffne den Ordner mit den Einträgen, die ich noch fertig machen soll, gieße mir einen Tee ein. In der Zwischenzeit schaue ich kurz auf mein Handy. Es ist viel los. Ich öffne den ersten Beitrag. Meine Augen lesen den Text, den ich nicht sofort verstehe. Alexei Navalny, FSIN, umgefallen. Ich scrolle nach oben. Immer und immer wieder. Ist er tot? Er ist tot. Alexei Navalny, der Leader der russischen Opposition ist nicht mehr am Leben.

Ich muss mich kurz setzen, schnappe nach der Luft. Die Tränen schiessen mir aus den Augen. Meine Kollegin fragt besorgt, ob alles in Ordnung ist. „Alexei Navalny ist tot“ schaffe ich zu sagen. Ich muss erst mit meiner Mutter telefonieren. Sie wartet auf mich zu Hause und ich mache mir Sorgen, dass diese Nachricht sie unvorbereitet trifft. Ich rufe an, meine Mutter geht dran. An ihrer Stimme erkenne ich, dass sie bereits weiß. Sie weint. Wir weinen zusammen.

Der Ordner wird wieder zugemacht. Ich kann mich auf nichts konzentrieren. Ich verabschiede mich und fahre nach Hause. Man wundert sich wie sehr man von dem Tod eines Menschen bewegt werden kann, den man nie getroffen hat. Mein Kopf ist leer und voll zugleich. Um mich aus diesem Zustand herauszuholen, versuche ich mich daran zu erinnern, wann ich mit Navalny zum ersten Mal in Berührung kam. Das war ein Foto im LifeJournal. Auf dem Foto war ein lächelnder Mann und eine lächelnde Frau zu sehen. Die Unterschrift lautete „ Der zukünftiger Präsident der Russischen Föderation mit der First Lady“. Es war so absurd, dass ich an diesem Foto hängen blieb. 2010 war klar, dass es nur einen Präsidenten geben kann und er muss nicht mal Präsident dafür sein. Ich googelte Navalny und kam schnell auf seinen Blog. In den nächsten paar Tagen las ich in jeder freien Minute seine Posts. Sie waren frisch und menschlich, gut recherchiert und witzig. Dabei ging es um nicht gut verdauliche Kost wie Korruption. Seine Stärke war, dass er schwierige Inhalte für seine Leserschaft verständlich aufbereiten konnte. Man las ihn und spürte eine enorme Begeisterung. Und ich war kein Einzelfall. Seine Anhängerschaft wuchs stetig.

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Navalny begleitet mich seit 15 Jahren. Jeden Tag schaute ich erst in seinem Blog vorbei, dann auf seiner Webseite, seinen Social-Media-Kanälen und schließlich auf YouTube. Als ich ihn entdeckte, lebte ich nicht mehr in Russland, aber er verband mich mit meinem Herkunftsland. Er wurde schnell zum Symbol der Unbiegsamkeit. Mit fast übernatürlichen Kräften Widerstand er jedem Druck. Er kam nach einem Tag aus dem Gefängnis und kandidierte für das Bürgermeisteramt mit einer Wahlkampagne, die meine Generation noch nie gesehen hat. Er überlebte einen Vergiftungsanschlag und fand seine Assasinen. Er kehrte nach Russland zurück, wurde verhaftet und wurde zum internationalen Symbol. Der letzte Kampf zwischen dem Guten und der Gleichgültigkeit. Russland wird frei sein. Das schöne Russland der Zukunft. Ich wollte daran glauben. Und ich habe vor allem an ihn geglaubt.

Am 24. Februar 2022, als russische Bomben ukrainische Städte zerstörten, waren die Live Streams auf seinen Kanälen für mich ein Schluck Trost. Ich habe mich einer Gemeinschaft verbunden gefüllt, die sich wie ich zwischen Ohnmacht, Tatendrang und Scham bewegte. Und als mich abends die unendliche Traurigkeit überrollte, habe ich alte Navalny-Videos angeschaltet. Und die Traurigkeit ging etwas zurück.

Nun ist er tot. Ich kann und will nicht darüber schreiben, was sein Tod für Russland, die russische Gesellschaft, die Zukunft der Opposition oder seinen Mörder konkret bedeutet. Ich weiss es nicht. Ich kann nur hoffen, dass mein eigener privater Alexej Navalny mich weiterhin begleitet, mir Trost spendet und mich zum Weitermachen animiert.

„Alexej, für den Fall, dass sie verhaftet und verurteilt werden, oder das unvorstellbare geschieht und Sie ermordet werden, welche Message wollen Sie dem russische Volk hinterlassen?“
„Die Message für den Fall, dass ich ermordet werde ist ganz einfach: Gebt nicht auf.“

Ich hoffe, ich kriege das morgen hin.

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