Moin,
im Rahmen der aktuellen Versuche, aus den breiten Protesten gegen Rechtsextremismus und für Demokratie noch mehr „Zählbares“ zu machen, hab ich nochmal neu über die 5%-Hürde nachgedacht.
Vorab: Ich bin allgemein kein Fan, denn die 5%-Hürde greift in die Gleichheit der Wahl ein, behindert damit demokratische Teilhabe, schwächt die Legitimation des Parlaments und vergeudet Innovationschancen, die kleine Parteien der Demokratie bieten, verengt den Blick. Je mehr Menschen kleinere Parteien wählen, was eine langjährige Tendenz zu sein scheint, desto gravierender die Effekte. Dass die „Zersplitterung“ des Parlaments ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Nazis gewesen sei, gilt mW in der historischen Forschung als überholt. Die Kanalisierungsfunktion und Arbeitsfähigkeit des Parlaments ließe sich mit einer geringeren Hürde (zB 3%) gewährleisten.
In der aktuellen Situation möchte ich aber ganz strategisch und mathematisch argumentieren: Die einzige verfassungsfeindliche Partei von Relevanz wird an der 5%-Hürde in nächster Zeit nicht scheitern, sie ist mittlerweile zu groß. Dafür aber demokratische Parteien wie FDP, die Linke und andere. Mit jedem Stimmenanteil, der wegfällt, wird der Anteil an Sitzen der Parteien, die ins Parlament einziehen, größer. Stark vereinfachtes Rechenbeispiel:
Alle Stimmen zählen:
Stimmenanteil 20% → Sitzanteil 20%
10% der Stimmen fallen weg:
Stimmenanteil 20% → Sitzanteil 20%*(10/9) = 22,2%
Wer möchte, kann das Ganze auch zB mit der jüngsten Umfrage für Sachsen durchrechnen (FDP und FW bei 5% draußen, bei 3% drin). Gerade dort, wo die AfD eine Sperrminorität für Entscheidungen mit 2/3-Mehrheit zu drohen kriegt, zählt jeder Sitz.*
Damit wäre die Senkung der Hürde, insb. mit Blick auf die Lage der FDP und Linken, eine Win-Win-Angelegenheit, demokratisch wie strategisch (deshalb der Thread-Titel: es scheint zu schön, um wahr zu sein).
Die Ampel könnte damit zudem den Eindruck korrigieren, sich mit der ansonsten gelungenen Wahlrechtsreform Konkurrenz vom Leib gehalten zu haben (Abschaffung der Grundmandatsklausel).
*Habe nicht geprüft, ob eine Änderung in den Ländern vor den Wahlen zeitlich rechtskonform möglich wäre.