Heute hat die AfD ja direkt zwei Verfahren vor dem BVerfG verloren.
Eigentlich ein Grund zum Feiern. Aber irgendwie habe ich bei dem Urteil im Hinblick auf die Besetzung der Bundestags-Vize-Positionen doch arge Bauchschmerzen.
Also, was war passiert…
Ein AfD-Abgeordneter wandte sich an das BVerfG mit dem Begehren, dass auch einzelne Abgeordnete Wahlvorschlägen machen dürfen sollten. Das hat das BVerfG recht klar abgebügelt - und da sehe ich auch keine Probleme. Letztlich bleibt es ja in der Tat den Fraktionen überlassen, Wahlvorschläge zu machen. Die Fraktionen wirken quasi als Filter, denn wenn jeder einzelne Abgeordnete Wahlvorschläge machen könnte, für die er nicht mal in seiner Fraktion die Mehrheit erringen kann, bringt das offensichtlich nur Chaos und wenig produktives. Daher: Beide Daumen hoch für dieses Urteil.
Im zweiten Fall wandte sich die gesamte AfD-Fraktion dagegen, dass die anderen Parteien konsequent ihre Bewerber für die Bundestags-Vizepräsidenten ablehnen. Damit wird die AfD auch aus dem Bundestagspräsidium ferngehalten, welches durchaus relevante Funktionen hat (z.B. die Besetzung der höchsten Beamten in der Bundestagsverwaltung…). Die Geschäftsordnung des Bundestags sieht vor, dass jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellt und die Vizepräsidenten jeweils mit einer Mehrheit gewählt werden.
Die Wahl mit einer Mehrheit ist dabei natürlich extrem anfällig für Missbrauch, denn letztlich könnte die Regierung, die naturgemäß die Mehrheit der Abgeordneten stellt, nur eigene Kandidaten durchwinken und alle Oppositionskandidaten ablehnen. Bisher gab es aber das Gentlemen-Agreement, dass die Kandidaten der anderen Parteien auch gewählt wurden, daher: Die Regierung hat diese theoretische Möglichkeit nie ausgenutzt.
Jetzt ist mit der AfD eine Partei im Bundestag, die - aus gutem Grund - von den anderen Parteien abgelehnt wird. Die anderen Parteien weigern sich entsprechend, den AfD-Kandidaten zu wählen, sodass die AfD-Fraktion effektiv nicht den ihr nach der GO-BT zustehenden Vizepräsidenten-Posten ausfüllen kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage der AfD als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. In der Begründung stellt das BVerfG den Aspekt der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten deutlich über den Aspekt des Rechtsanspruchs der Fraktion darauf, einen Bundestagsvizepräsidenten stellen zu dürfen. Das halte ich wegen der oben angesprochenen Problematik, dass die Regierung letztlich der gesamten Opposition die Vize-Posten verwehren könnte, für sehr problematisch.
Diese Urteil gibt letztlich jeder Bundesregierung das Recht, der Opposition alle Vize-Posten zu verwehren. Was im Hinblick auf den Einfluss dieser Positionen (z.B. Bestimmung der Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages) ziemlich problematisch sein könnte, es wäre jedenfalls ein Schritt weg von der Rechtstaatlichkeit. Würden wir dieses Urteil in diesem Fall auch feiern?
Kurzum:
Ich begrüße das Urteil dahingehend, dass es sich gegen eine problematische Partei richtet, aber würde sich das identische Urteil mit der identischen Begründung gegen eine andere Partei richten (z.B. die PDS oder die GRÜNEN in den frühen 90ern) würde ich diese Urteil extrem unfair finden. Und das sagt mir, dass dieses Urteil problematisch ist - weil die Bewertung eines Urteils auf abstrakter Ebene stattfinden muss, also unabhängig von den eigenen politischen Vorlieben.
Wenn man daher gegen den spezifisch vorgeschlagenen AfD-Kandidaten Argumente findet, warum er dieses hohe Amt nicht ausüben sollte, ist eine Ablehnung okay. Aber eine Ablehnung aller Kandidaten dieser Partei - so wenig ich sie auch mag - halte ich für extrem dünnes Eis.
Abgesehen davon führt das natürlich wieder dazu, dass gerade die radikalen Kräfte in der AfD an Macht gewinnen werden, weil Argumente im Sinne von „War ja klar, dass das BVerfG dem Willen der Regierung folgt…“ natürlich jetzt wieder Hochkonjunktur haben. Der Opfermythos der AfD wird halt wieder gestärkt.