Abstimmungen ohne Fraktionsdisziplin

Guten Tag liebe Community,

ich bin auf der Suche nach einer Quelle, welche Abstimmung im Bundestag auflistet, bei denen die Fraktionsdisziplin aufgehoben wurde.

Was habe ich vor?

Ich studiere Politikwissenschaft und will eine Masterarbeit zu dem Thema schreiben. Thema und Fragestellung stehen noch nicht genau fest. Zunächst will ich mir einen Überblick verschaffen und auf dieser Basis das Thema weiter eingrenzen. Da ich bei meiner Recherche bisher nicht fündig geworden bin und in der LdN-Community viele kluge, politisch interessierte und hilfsbereite Menschen vermute, setzte ich nun auf Schwarmintelligenz, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Weshalb gestaltet sich die Recherche so schwierig?

Ich habe Kontakt mit dem Bundestag aufgenommen und mir wurde mitgeteilt, dass keine diesbezüglich keine Datenbank existiert. Dies hat einen einfachen Grund: Bei der Fraktionsdisziplin handelt es sich um eine informelle Regelung. Wird die Fraktionsdisziplin ausgesetzt, so handelt es sich auch hierbei um eine Absprache, welche ohne formelle Regelung auskommt. Es gibt hierfür somit kein festgelegtes Verfahren. Offenbar gibt es auch wenig Forschung zu diesem Thema. Ich konnte bei meiner Online-Recherche und mit Hilfe des Bibliothekssuchmaschine zumindest keine empirischen Untersuchungen oder Auflistungen solcher Abstimmungen finden.

Was hat es mit der Fraktionsdisziplin auf sich?

Fraktionsdisziplin (alternative Formulierung: Fraktionszwang) beschreibt das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten in deutschen Parlamenten. Diese stimmen in der Regel geschlossen als Fraktion ab. Es kommt nur selten vor, dass einzelne Abgeordnete sich bei Abstimmungen gegen ihre eigene Fraktion stellen.

Gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gilt der Grundsatz des freien Mandates. Demnach sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Jegliche Maßnahmen, durch die Abgeordnete zu einer bestimmten Entscheidung gezwungen werden, sind demnach unzulässig. Ein „Fraktionszwang“ in diesem Sinne besteht somit nicht.

Es existiert jedoch die sogenannte Fraktionsdisziplin, welche die freiwillige Entscheidung der Abgeordneten, sich dem Mehrheitswillen der Fraktion unterzuordnen darstellt. Diese ist zulässig und auch notwendig, um eine effektive Durchsetzung der politischen Zielsetzung der Fraktion zu gewährleisten. Bei ethnisch-moralisch schwierigen oder politisch grundsätzlichen Fragen oder Entscheidungen kommt es allerdings vor, dass die Fraktionsdisziplin aufgehoben wird, etwa beim Hauptstadtbeschluss 1991, bei der bei dem Gesetz über die Patientenverfügung 2009 oder der Abstimmung über die Ehe für alle 2017.

I Need You!

Kennst Du eine Quelle, wo derartige Abstimmungen aufgelistet sind oder Forschung zu dem Thema? Hast Du eine Idee, wie ich bei meiner Recherche fündig werden könnte? Über Hinweise und Tipps bin ich sehr dankbar!

Liebe Grüße,
Paul Jakob

Spannendes Thema.
Wie ist das denn mit Abstimmungen? Findet die offen oder anonym statt?
Falls offen: Was hat ein Abgeordneter zu befürchten, wenn er sich nicht an die Fraktionsmeinung hält?

Die normalen Abstimmungen sind nicht anonym, aber es wird nicht registriert, wie die Abgeordneten sich entschieden haben. Dies geschieht nur bei namentlichen Abstimmungen. Geheime Abstimmungen gibt es nur bei Personalentscheidungen.
Die Hälfte der Abgeordneten im Bundestag zieht über Fraktionslisten ein. Wenn Abgeordnete nicht mit ihrer Fraktion abstimmen, können sie ihren guten Listenplatz verlieren und bei der nächsten Wahl nicht mehr in den Bundestag einziehen. Das ist das am häufigsten genannte Druckmittel. Mit Sicherheit gibt es aber noch weitere.

Etwas ausführlichere Informationen zu den Abstimmungen sind auf der Seite des Bundestages zu finden:
„In der Regel wird im Plenum per Handzeichen abgestimmt. Bei der Schlussabstimmung über Gesetze zeigen die Abgeordneten ihr Votum durch Aufstehen oder Sitzen bleiben an. Bestehen Zweifel über das Ergebnis wird die Abstimmung per Hammelsprung wiederholt: Die Abgeordneten verlassen dann den Saal und werden bei der Rückkehr durch eine von drei Türen (Ja - Nein - Enthaltung) gezählt. Geheime Abstimmungen sind nur bei Personalentscheidungen wie der Wahl des Bundeskanzlers vorgesehen.“
Quelle: Deutscher Bundestag - Abstimmungen

„Namentliche Abstimmungen per Stimmkarte sind bei besonders bedeutsamen oder umstrittenen Entscheidungen üblich. Eine namentliche Abstimmung findet statt, wenn dies von einer Fraktion oder von mindestens fünf Prozent der Abgeordneten verlangt wird. Sie ist bei bedeutsamen oder umstrittenen Entscheidungen üblich. Dafür haben alle Parlamentarier drei verschiedenfarbige Stimmkarten, auf denen Name und Fraktion des jeweiligen Abgeordneten und die Erklärung „Ja“ (blau), „Nein“ (rot) oder „Enthalte mich“ (weiß) gedruckt sind. Die Karten werden von den Parlamentariern in die im Plenarsaal aufgestellten Urnen geworfen und danach von den Schriftführern gezählt. Das Ergebnis gibt der Sitzungspräsident bekannt.“
Quelle: Deutscher Bundestag - Namentliche Abstimmung

@Dave
Geheime Wahl gibts im Bundestag üblicherweise nicht, ich glaube nur bei Personalentscheidungen (sagt zumindest die Homepage des Bundestages (Deutscher Bundestag - Abstimmungen)

Konsequenzen hat das für die Abgeordenten in erster Linie, dass die Fraktion sie - insbesondere wenn sie das oft machen - nicht mehr so cool finden, insbesondere wenn es sich um Mitglieder der Regierungsfraktionen handelt. Das kann dann Probleme bei Besetzungen von Ausschüssen, Sprecherposten sowie einfach innerfraktionellen Druck bedeuten.
Für das Standing in der Partei hingegen muss das (so habe ich neulich gelesen) nicht unbedingt negativ sein, hier kann das druchaus von Vorteil, bsplsw. bei kommenden Listenaufstellungen, sein.