3 Monate Lockdown - Justiz auf Linie - Zeit für einen Paradigmenwechsel bei den Corona-Hilfen?

Liebes Lage - Team und Forum,

Josef Franz Lindner stellt in der aktuellen Zeit in seinem Beitrag „Justiz auf Linie“ die Frage, ob sich die Justiz in dieser 2. Welle der Pandemie um die Antwort zu der entscheidenden Frage drückt, wo die roten Linien der aktuellen Corona-Politik liegen. Während Lindner sich damit beschäftigt, wie weit die Corona-Politik bei Grundrechtseingriffen (noch) gehen darf, würde ich gerne eure Meinung zur wirtschaftlichen Schattenseite der Schließungsanordnungen wissen und dabei einfach mal unterstellen wollen, die gegenwärtigen Eingriffe seien rechtmäßig: Verzweifelte Gewerbetreibende aus dem Gastgewerbe, der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft, dem Einzelhandel und andere Selbstständige, die von den Schließungsanordnungen direkt oder mittelbar betroffen sind, treibt nämlich immer mehr die Frage um, wie lange man Ihnen diese Sonderopfer eigentlich noch entschädigungslos abverlangen kann. Bislang gibt es ja in der 2. Welle Ausgleichszahlungen des Staates nur in Form von (freiwilligen?) Hilfen, nämlich die November und Dezemberhilfen, die indes im Januar 2021

  1. ganz überwiegend immer noch nicht angekommen sind
  2. den Kreis der Berechtigten derart beschränken, dass mittelbar Betroffene Hilfen oft nicht beantragen können
  3. und die bereits bei der Antragstellung hohe Hürden aufweisen

und die Überbrückungshilfen II und III, die

  1. nur die Fixkosten abdecken
  2. keinen Unternehmerlohn vorsehen
  3. und die für die Grundsicherung auf Hartz IV verweisen.

Die Betroffenen quält nicht nur, warum einige Wirtschaftsbranchen existenzielle Sonderopfer zu tragen haben und andere gänzlich verschont bleiben, obgleich nach RKI inzwischen gesichert ist, dass es auch am Arbeitsplatz und damit in anderen Wirtschaftsbereichen zu relativ vielen Ansteckungen kommt; viel mehr beschäftigt sie, wo eigentlich die Grenze dessen liegt, was eine Gemeinschaft dem oder der Einzelnen entschädigungslos zumuten kann und ob nach 3 Monaten des 2. Lockdowns und dessen drohender Verlängerung nicht endlich die Zeit gekommen ist, Ansprüche auf Entschädigung oder Ausgleich für alle unmittelbar oder mittelbar Betroffenen anzuerkennen.

Soweit ich es recherchieren konnte, haben die Zivilgerichte bislang Entschädigungsansprüche der von den Schließungsanordnungen betroffenen Gewerbetreibenden schon dem Grunde nach abgelehnt, weil es an einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage nach dem IfSG und/oder den Polizeigesetzen der jeweiligen Länder fehle und auch ein enteignender oder enteignungsgleicher Eingriff nicht vorliege, da die Schließungsanordnungen nicht nur einzelne Gewerbetreibende, sondern sämtliche Betriebe bestimmter Wirtschaftsbranchen betreffen. Gestützt wird die Ablehnung eines enteignungsgleichen Eingriffs mit dem Verweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1987, wonach die öffentliche Hand nicht für neuartige (emittenenferne) Waldschäden haftet. Schließlich werden Entschädigungsansprüche auch aus fiskalischen Gründen verneint, das LG Hannover verweist in seiner Entscheidung vom 20. November 20, 8 0 4/20, auf die zitierte Entscheidung des BGH, wonach „…die Zubilligung von Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüchen gegen den Staat für massenhaft aufgetretene Eigentumsbeschränkungen weitreichende Folgen für die Staatsfinanzen haben könnte, was nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorzubehalten sei.“

Lindner gibt in seinem Beitrag eine Erklärung zu seiner These, die Justiz sei „auf Linie“: Er verweist u.a. (als dritten Grund) auf das Kalkül der Politik, sich durch das Versprechen von Entschädigungen die Verhältnismäßigkeit zu erkaufen und gerichtsfest zu machen; da diese Hilfen zum Teil bis heute nicht geflossen sind, müssten die Gerichte dies seiner Meinung nach zumindest in den Hauptsacheentscheidungen thematisieren.

M.E. könnte die Zuerkennung von Entschädigungsansprüchen ein wichtiger Schritt zu mehr Akzeptanz für einen fortdauernden Lockdown sein, er könnte den Druck aus dem Kessel nehmen, der jetzt bei den lauter werdenden Lockerungsforderungen spürbar steigt. Protestaktionen wie #wirmachenauf sind zumeist der existentiellen Notlage der Betroffenen geschuldet. Dass wirtschaftliche Absicherung ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung der Pandemie ist, zeigt auch die immer noch hohe Akzeptanz für die Lockdown-Maßnahmen in der sozialversicherungspflichtig arbeitenden Bevölkerung (33,3 Mill. der 44,6 Mill. Erwerbstätigen laut statistischen Bundesamt); diese sind im Falle der Kurzarbeit nämlich über das Kurzarbeitergeld weitgehend finanziell abgesichert, gesetzlich versicherte Eltern werden in der Corona-Zeit zudem durch eine erweitertes Kinderkrankengeld finanziell unterstützt.

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