Verharmlosung rechtsextremer Gewalt durch Sicherheitsbehörden (in Ostdeutschland)

[Starte hier einen neuen Thread, weil es m.M.n. nicht ganz ins Thema Offene Gewalt gegen Politiker in Deutschland passt.]

Es ist ein wenig irritierend, dass die vier Angreifer auf mehrere Wahlplakatier-Teams bereits jetzt durch den zuständigen Innenminister als Einzeltäter bezeichnet werden, von deren Verhalten man bitte nicht auf eine „klar definierte“ Gruppe von Rechtsextremen schließen solle.

Dresden: Drei weitere Tatverdächtige nach Angriff auf Matthias Ecke (SPD) ermittelt - DER SPIEGEL

Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) […] sprach sich für eine harte Bestrafung von Tätern aus, die Wahlkämpfer attackieren. Das müsse »maximal geahndet« werden. »Ich glaube, viele der Übergriffe sind nicht geplant, sondern spontane Aktionen«, sagte Schuster. Mit den Zuständen in der Weimarer Republik wollte er die aktuelle Situation nicht vergleichen. »Das hat dann nichts mit Weimar zu tun, wo sich klar definierte Gruppen gegenüberstanden. Ich glaube, es ist vielmehr eine allgemeine Verrohung, die solche Angriffe leicht und jederzeit möglich macht. Diese latente Bedrohung ist polizeilich allerdings schwieriger zu beherrschen, als wenn wir eine harte Rechts-links-Front hätten.«

Der gleiche Innenminister äußerte sich zuvor über die "Bauern"proteste:

Demonstration: Innenminister Schuster verteidigt Proteste der Landwirte | ZEIT ONLINE

Sachsens Innenministerin Armin Schuster (CDU) hat die Proteste der Landwirte gegen die geplanten Kürzungen der Subventionen verteidigt. Es gebe eine gute Kooperation, sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Dresden. Es handele sich um «Demokratie pur», so der Minister. Es sei auch nicht so, dass die Proteste der Bauern «permanent» von rechten Gruppierungen unterwandert würden.

Währenddessen bemüht Schuster sich, Klimaprotest als kriminelle Vereinigung zu deuten:

Nachdenken über … Armin Schuster und seine Verachtung für Klimaaktivisten · Leipziger Zeitung

Aber hinter dem „sogenannte Aktivisten“ steckt eben auch schon der Versuch der Umdeutung. Den zumeist jungen Demonstrierenden wird das – durch das Grundgesetz gewährte – Recht aberkannt, für ihre Anliegen öffentlichkeitswirksam zu demonstrierten, ihnen also den Status als Aktivisten abzusprechen. Stattdessen versucht auch Schuster, Teile der Klimabewegung zu kriminalisieren.

Das formulierte er auf der Seite des Innenministeriums so: „Es gilt nun vor allem auch zu ermitteln, ob netzwerkartige Strukturen vorliegen und wenn ja, in welcher Dimension. Zudem muss ermittelt werden, ob es Bezüge zur linksextremen Szene gibt. Auch auf die Initiative Sachsens hin wurden die Sicherheitsbehörden des Bundes nun um Erstellung eines Lagebildes gebeten.“

Man möchte also nur zu gern eine kriminelle Vereinigung konstruieren.

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Ist doch logisch, denn Die Union hat enormen Anteil an der Gewalt (Rest durch Mod gelöscht)

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Die Weimarer Republik ist nun schon ein Weilchen her und nur eine Minderheit im Forum wird sich aktiv erinnern. Also geht es um Symbolik und die heißt, es gab Rot- und Braunhemden die sich gegenseitig, geplant überfallen haben und wo auch Tote in Kauf genommen wurden. Gesteuert wurden sie von gefestigten Strukturen. Und es kam eher selten vor, dass ein Täter von Mutti zu Polizei gezerrt wurde.

Klar, das Bild stammt aus der Endzeit der Weimarer Republik und sicher hat es klein angefangen und noch hinkt der Vergleich. Ich erinnere mich an einen Angriff beim Plakatieren, das war vor fast 20 Jahren. Da war ein Hilfskoch mit dem Baseballschläger unterwegs. Am Ende hat seine Freundin Schlimmeres verhindert. Es gibt immer Idioten.

Nur scheinen sie gerade zuzunehmen.
In Dresden gab es einen weiteren Angriff auf eine Grüne, die Plakate hängte und Giffey wurde gerade angegriffen.
Von der Dunkelziffer will man gar nicht reden - und wie hoch die in der Vergangenheit war, weiß man auch nicht.
So machte die AFD immer öffentlich, wenn ein Büro beschmiert wurde oder angegriffen. Von den anderen Parteien kommt erst langsam raus, dass das wohl auch öfters vorkam. Man hat es aber selten angezeigt, um keine Nachahmer auf den Plan zu rufen.

Vor allem hat es bisher niemanden interessiert. Jetzt haben die Typen halt einmal Pech gehabt, und der Plakatierer, dem sie aufs Maul gehauen haben, weil man das ja so macht in diesen Kreisen, war zufällig der Spitzenkandidat, und dann landet das in allen Medien und die Polizei ist gezwungen auch mal was zu tun.

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Naja, bei diesem Absatz bei der bpb läuft es einem schon etwas kalt den Rücken runter:

Die Wirtschaft der Weimarer Republik war von schwerwiegenden Strukturproblemen gekennzeichnet. Dies betraf zum einen die vielfach veraltete Landwirtschaft. Obwohl sie in der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung bereits vor 1914 von der Industrie überflügelt worden war, stellte sie immer noch einen wichtigen Sektor des Wirtschaftslebens dar. Die unter globalem Konkurrenzdruck stehenden und mit fallenden Preisen für Agrarprodukte konfrontierten Landwirte erwarteten Hilfen vom Staat, die dieser angesichts seiner schwierigen Finanzlage kaum gewähren konnte. Ende der 1920er Jahre, bereits Interner Link: vor Beginn der Weltwirtschaftskrise, führte die Agrarkrise in manchen Regionen zu heftigen bäuerlichen Protesten und zu einer Radikalisierung der Wählerschaft.

Aber es stimmt natürlich, noch herrschen in Deutschland lange nicht „Weimarer Verhältnisse“, die man hier gut nachlesen kann. Da wurde geputscht und gegengeputscht, mit tausenden Toten, vielen Mordanschlägen und einer extrem politisierten Armee, Polizei und Justiz.

Was aber Leute wie Armin Schuster meiner Ansicht nach übersehen, ist dass die politische Gewalt in Weimar zu einem erheblichen Teil auch unstrukturiert und spontan war; Das damals wie heute Sprache und Erzählungen erst den Raum für physische Gewalt geöffnet haben; Und das die Existenzielle Gefahr für die deutsche Demokratie und Gesellschaft erneut von Rechts kommt, also auch aus ihrem eigenen, als „bürgerlich“ verstandenem Lager.

Jeder der Angriffe auf die Wahlkämpfer der Grünen und SPD der letzten Tage hätte tödlich ausgehen können. Da reicht es, dass jemand aufgrund eines Schubsers oder Schlags ins Gesicht unglücklich fällt. Mal ganz davon abgesehen, dass die Eskalationen der letzten Jahre sicher auch Menschen hervorgebracht hat, die unter den „richtigen“ Umständen sehr bewusst den Tod ihrer politischen „Gegner“ in Kauf nehmen oder sogar begrüßen werden.

Insofern sollten Schuster und Co. sich nichts vormachen: hier geht es um alles und wie der Mord an Walter Lübcke gezeigt hat, schützt am Ende auch ein CDU-Parteibuch nichtt vor den Gewaltphantasien rechter Extremisten.

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Ich würde die Geschehnisse unter dem Begriff „stochastischer Terrorismus“ einordnen und wundere mich einfach, dass ein Innenminister das nicht ebenfalls tut.