Union und Bürgergeld: Wie hoch ist den der Anteil der Totalverweigerer?

Populismus

Das finde ich zunächst mal eine interessante Argumentation. Nur der schnelle Sprung, dass Differenzierung gegen die Menschenwürde ist, geht mir etwas zu schnell. Wenn wir das stringent weiter denken, müsste das ja auch bedeuten, dass der Staat mit dem Satz für das Existenzminimum durch die Straße laufen muss, und jeden ohne Wohnsitz ebenfalls das Geld aushändigen. Dann wären auch geminderte Sätze für Kinder und Flüchtlinge gegen die Menschenwürde, etc.: streng genommen würde das ja bedeuten, dass das Grundgesetz durch diesen Paragraphen zur Menschenwürde ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert, oder nicht?

Nein, nicht bedingungslos. Aber ja, ein Grundeinkommen.
Das wäre auch der richtige Ansatz.
Lustigerweise gibt es viele Unternehmer, die ein Grundeinkommen unterstützen.
Denn wenn es niedrig genug ist, kann man erst recht Druck auf die arbeitsfähige (und nicht arbeitsfähige) Bevölkerung ausüben.

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„Bedingungsloses Grundeinkommen“ ist in der aktuellen politischen Debatte ein stark belegter Begriff. Auch ist nicht jede Differenzierung gegen die Menschenwürde (was ich auch nicht gesagt habe), aber das zugrundeliegende Menschenbild führt eben schnell zu Schlussfolgerungen, die mit dem Konzept einer „bedingungslosen Menschenwürde“ nicht mehr kompatibel sind.

Was stimmt: Der Staat steht in der Verpflichtung, jedem Bürger (und unter bestimmten Umständen einigen anderen Bevölkerungsgruppen) eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Das hat das Bundesverfassungsgericht auch schon mehrfach festgestellt.

Zu einem „bedingungslosen“ Grundeinkommen passt das nicht direkt, weil der Staat durchaus im zumutbaren Rahmen Mitwirkung verlangen darf. Wenn ein Bürgergeldempfänger einfach aufhört auf Briefe zu reagieren, nicht mehr zu Terminen kommt usw., dann kann die Zahlung auch eingestellt werden. Aber von den Grenzen der Zumutbarkeit hatte das Verfassungsgericht in der Vergangenheit ziemlich andere Vorstellungen, als das CDU-Parteiprogramm.

Das ist längst gültige Rechtslage, nur eben mit erheblich mehr Bürokratie (wegen dem fürchterlichen „Missbrauch“): Ein Obdachloser ohne eigenes Einkommen hat Anspruch auf Wohngeld, bekommt also eine angemessen Wohnung bezahlt. Und Bürgergeld obendrauf. Aber eben nur, wenn er/sie die richtigen Anträge stellt, zu den ganzen Terminen erscheint und sich dann noch selbstständig eine Wohnung sucht. Obdachlose müssen für den Erhalt von Bürgergeld beispielsweise täglich beim Jobcenter vorstellig werden.

Für mich ist absolut unstrittig, dass man den Zielen des Bürgergelds (Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums, Schaffung der Voraussetzungen für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt) deutlich besser gerecht werden würde, wenn man den Regelsatz nur aufgrund einer Einkommens- und Vermögensprüfung auszahlt und mit keinerlei Mitwirkungspflichten verbindet. Die Ressourcen des Jobcenters sollten sich ausschließlich auf die soziale Betreuung und Fördermaßnahmen zur Arbeitsmarktbeteiligung der Empfänger konzentrieren. Konstruktive Mitwirkung sollte belohnt werden, also zum Beispiel Bonuszahlungen bei Teilnahme an kognitiven Verhaltenstherapien, Weiterbildungsmaßnahmen und großzügige Zuverdienstregeln.

Würde das alle Menschen in Arbeit bringen? Sicherlich nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es schlechter läuft als aktuell oder unterm Strich teurer ist und in jedem Fall ist es der Menschlichkeit der Betroffenen gegenüber angemessener.

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Das denke ich auch. Denn die Spitze der Union ist viel zu schlau, um nicht ganz genau zu wissen, dass sie diese Pläne niemals werden umsetzen können. Selbst wenn sie im Bundestag mit der AfD koalieren sollten, gibt es immer noch den Bundesrat, wo SPD und Grüne auch nach der nächsten Wahl mit höchster Wahrscheinlichkeit jede Änderung am Bürgergeld werden verhindern können. Ich halte zwar diese Blockademacht des Bundesrats für eine echte Katastrophe, weil die Mehrheit im Bundestag nicht wirklich gestalten kann, aber in diesem konkreten Fall wirkt sie sich doch einmal positiv aus.

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Das bewirken, was sie in dem Forum geschafft hat.

Ablenken von den weiteren „Reformideen“:
a) keine Karenzzeit bei Prüfung des Vermögens (bereits mit dem ersten Antrag vorgesehen)
b) „vollständiger Datenaustausch“ aller Behörden, Banken und Verwaltungen vorgesehen.
c) Wohnbedarf verkleinern
d) Reduzierung des Schonvermögens auf 40.000€, von der „Zahl der Arbeitsjahre abhängig“

Man findet kaum einen Artikel, der alte Themen bespricht, da immer der „Totalverweigerer“ um die Ecke kommt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

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Und auch hier im Forum hat die Union, wie in der Medienlandschaft, natürlich ein paar Lemminge gefunden, die Ihre Ablenkungsagenda durchziehen um die Diskussion zu torpedieren und zu vergiften.

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Das ist aber dann Schuld der CSDU, die die anderen Themen in den Interviews nicht in den Vordergrund gestellt hat.

Das ist eben das zentrale Problem mit dem Populismus.

Mit sinnvollen Forderungen wie die Zusammenlegung der ganzen ergänzenden Sozialleistungen (Kindergeld, Wohngeld usw.) gewinnt man weder einen Wahlkampf, noch kommt man damit in die Medien. Mit sinnlosen, weil populistischen Forderungen, also Scheinlösungen für stark emotionalisierte Scheinprobleme, schafft man hingegen Kontroversen, über die das ganze Land spricht, die es in jede Nachrichtensendung, jede Zeitung und jeden Stammtisch schaffen.

„CDU will gegen Totalverweigerer vorgehen“ ist eben BLÖD-Schlagzeilentauglich, „CDU will ergänzende Sozialleistungsträger zusammenführen“ wirst du auf keiner BLÖD-Titelseite finden…

Es ist daher nicht nur ein Problem der populistischen Akteure, sondern letztlich auch der Bevölkerung (die diese emotionalisierten Scheinprobleme mit erhöhter Aufmerksamkeit belohnt, während sie komplexe Sachpolitik mit Desinteresse abstraft) und der Medienlandschaft (die letztlich das berichten muss, was die Bevölkerung hören will, um entweder privatwirtschaftlich finanziert werden zu können oder ihre öffentlich-rechtliche Finanzierung damit rechtfertigen muss…).

Einzelne Schuldige zu benennen ist daher in der Tat nicht ganz fair, weil alle Parteien auf die eine oder andere Art Populismus betreiben, eben weil Populismus systembedingt gefördert wird. Aber die Alternative wäre halt, dass nicht die Interessen der Bevölkerung die Medienberichterstattung vorgeben, sondern der Staat. Dann tritt Propaganda an die Stelle von Populismus - definitiv auch nicht besser. Langfristig lässt sich das Populismus-Problem nur durch bessere Bildung und eine Änderung der Mentalität bekämpfen. Das sehe ich aber auf absehbare Zeit nicht eintreten…

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Hinderte die Union nicht, Paus für ihre Kindergrundsicherung zu kritisieren.
Wir brauchen nicht weniger Populismus, sondern mehr Ehrlichkeit und den Willen, einem politischen Gegner auch mal eine gute Idee zuzugestehen.
Letztlich ist ein Papier, das von der Opposition kommt, die Druckerchwärze nicht wert, weil sie es eh nicht durchsetzen kann.
Würde die Regierung nun genau dieses Papier vorschlagen, würde die Union es aus Prinzip ablehnen.
Darum macht es auch Sinn, die Union an ihren Worten zu messen. Im übrigen habe ich nicht in Erinnerung, ähnlichen Populismus ständig lesen zu müssen, als wir eine schwarze Regierung hatten. Wenn das nicht an meinem Bias lag, kann man es durchaus an der Partei und weniger an den Medien fest machen.

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Nein, ist es nicht. Es ist Aufgabe des Journalismus einen Sachverhalt zur Gänze zu berichten - aus meiner bescheidenen Sicht.

Der CDSU spielt es in die Karten, einen kleinen Teil in den Vordergrund zu stellen während mit Umsetzung des Konzepts alle etwas oder deutlich schlechter dastehen.

Naja, in der Opposition gegen Merkel waren halt nur relativ kleine Parteien, die stärkste davon die AfD. Die hat auch massiven Populismus abgeliefert, kam damit aber nicht so sehr in die Medien wie die Union. Die Union als die Partei, die mit großem Abstand am längsten den Kanzler gestellt hat (22 Jahre SPD vs. 52 Jahre CDU) kann man eben als Oppositionsführer nicht so leicht ignorieren wie die AfD.

Dazu kommt, dass die Politik unter Merkel recht gemäßigt war. Also klar, man hätte den relativen Stillstand kritisieren können, aber die wenigen „maßgeblichen“ Entscheidungen der Ära Merkel (Atomausstieg 2011, Grenzöffnung 2015) waren sicherlich keine, gegen die die Opposition von Grünen und Linken allzu scharf schießen würde. Populismus klappt eben am besten, wenn man in Fundamentalopposition zur aktuellen Politik steht, es klappt deutlich weniger gut, wenn man nur geringe Abweichungen der aktuellen Politik vertritt. Auch in der Ära Kohl waren die wirklich großen Entscheidungen (z.B. Wiedervereinigung) nichts, wogegen die SPD generell populistisch hätte argumentieren können.

Das ist doch der Treppenwitz der deutschen Politik. 16 Jahre Stillstand unter CDU-Führung, dann lässt man die SPD etwas reformieren und sorgt dafür, dass die Reformen bloß nicht zu progressiv ausfallen (oder gar komplett im Sinne der Konservativen ausfallen, wie Hartz IV damals). Egal ob es um die Sozialsysteme, die Rente oder das Klima geht, es ist immer das gleiche. So lange das Wahlvolk diesen Unsinn mit macht, wird sich nichts ändern. Ich sehe jetzt schon kommen, dass es nach Scholz wieder 16 Jahre CDU geben wird, eben weil die Union diese Strategie fährt, der SPD all den Mist, all den Reformstau von 16 Jahren CDU-Regierung anzulasten und der Bürger die SPD dann wegen der schmerzhaften Reformen abwählt…

Die populistische Entrüstung über „Totalverweigerer“ ist nur ein Symptom dieser CDU-Strategie, die seit Jahrzehnten funktioniert.

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Zum Effekt des Bürgergelds gibt es jetzt eine erste belastbare Untersuchung von Professor Enzo Weber (IAB).

Im Ergebnis zeigt er, dass es nicht so ist, dass Menschen reihenweise ihren Job gekündigt haben, um von Bürgergeld zu leben. Allerdings kann er aber auch nachweisen, dass weniger Menschen aus dem Bürgergeld herausfinden und einen neuen Job annehmen.

Im Ergebnis hatten beide Seiten recht, Kritiker und Befürworter des Bürgergelds.

Er plädiert daher für einen Mittelweg, positive Anreize zu erhöhen (Lockerung der Zuverdienstregeln), gleichzeitig die Sanktionen etwas zu steigern und natürlich Langzeitarbeitslose intensiv zu betreuen.

https://doku.iab.de/discussionpapers/2024/dp0724.pdf

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Vor allem plädiert er dafür, die Arbeitslosen fortzubilden und gleichzeitig schon in einem Betrieb arbeiten zu lassen, der ihn nach Möglichkeit nach abgeschlossener Fortbildung voll übernimmt. Quasi eine Art Lehre, nur, dass die Arbeitszeit anständig bezahlt und die Schulzeit mit Arbeitslosengeld aufgefüllt wird.
Das hätte für alle Seiten Vorteile, nur dass die Arbeitgeber vor allem darauf herumhacken würden, dass sie keine Arbeitnehmer brauchen können, die nur 2-3 Tage die Woche zur Verfügung stehen.

Warum glaubst du das? Ich halte das für eine nicht belegte Unterstellung. Richtiger wäre, dass ein solches Modell sich für den Unternehmer finanzieren muss. Wenn er die, durch theoretische Lehre ausfallende, Arbeitszeit selbst bezahlen soll und der Lehrling zusätzlich pro Stunde effektiver Arbeitszeit kaum günstiger ist als eine ausgebildete Vollzeitkraft, dann wird er das Model natürlich ablehnen.

Rechnet sich der Business Case hingegen, sehe ich wenig unternehmerische Gründe, ein solches Modell abzulehnen.

Die Aussagen der IHK-Chefs und des Arbeitgeberpräsidenten sind ja öffentlich und lassen gewisse Rückschlüsse zu.
Was sie in meinen Augen auf jeden Fall erklären sollten, warum sie nicht längst mit dem Arbeitsamt einen runden Tisch eingerichtet haben.
Man hat ja die gleichen Ziele. Aber es ist viel schöner von der Seitenlinie Ansprüche zu stellen sie sich ernsthaft den Herausforderungen zu stellen und dann auch zugeben zu müssen, dass nicht alle Forderungen realistisch sind.