LdN395 Kognitive Ost West Dissonanz

Vielen Dank für diese Folge.
Im Podcast wird bei min44 von Steffen Mau die Wichtigkeit der Output/Input Legitimation hingewiesen. Der Osten tendiert demnach zu Output Legitimation - warum?

These:

Der Westen hat nach dem 2. WK geringe Wohlstandsverluste durch Reparationen erlitten*. Unternehmen haben diese Zeit überstanden**.
Bei Linken und Grünen entwickelte sich der Willen zur Wiedergutmachung identitätsstiftend und bildet eine (entscheidende?) Input Legitimation für politisches Handeln. Anerkennung der internationalen Verantwortung/globalen Gerechtigkeit legitimiert dabei die Externalisierung von Wohlstand. Damit sind Entscheidungen „zu Lasten“ Deutschlands aus der Perspektive der westdeutschen Linken gerechtfertigt.

Der Osten hat 40 Jahre Reparationen gezahlt + wurde gefühlt 2x enteignet. Eine historische Verantwortung Deutschlands wird von der Mehrheit im Osten auch heute akzeptiert***.

Wohlstand konnte im Osten nach der Wende erarbeitet werden, bedingte häufig Umzug, Jobwechsel (downgrade), Verzicht auf soziales Umfeld/Status usw.
Eine signifikante Lücke in der Vermögensverteilung besteht aber trotz aller Anstrengungen fort****. Gibt es eigentlich eine Story, die erklärt, wie das zu Lebzeiten der Betroffenen jemals aufgeholt werden soll?

Wenn die Politik jetzt über Entbehrungen entscheidet, die die gesamtdeutsche Solidargemeinschaft (Sozialabgaben, Steuern, Lebenshaltungskosten, persönliche Entwicklung etc) betreffen und die sich für westdeutsche Linke durch internationale Verantwortung/globale Gerechtigkeit legitimiert, könnte kognitive Dissonanz im Osten die Folge sein.
Zum einen, weil die Entbehrung mit Faktor 4 das Vermögen eines Ostdeutschen beansprucht. Aber auch, weil die Herleitung der Legitimierung anders gebildet wird und in einer ganz anderen Perspektive resultiert.

Gibt es Studien darüber, wie historische Schuld heute von West und Ost interpretiert wird, und welche Pfadabhängigkeit sich für In/Output Legitimierung daraus ergibt?

*siehe heutige DAX Unternehmen mit Gründung vor ‘45

**71 MRD EUR, davon mehr als 50% an Deutsche Reparationen: Deutschland zahlte 71 Milliarden Euro - Politik - SZ.de

*** Ostdeutsche wiegen die Verantwortung für die 24M Toten des “Befreiers” Sowjetunion wohl anders als Westdeutsche (Israel Staatsräson, Befreier war Amerika) - könnte einige Verzerrungen in der hiesigen moralischen Bewertung der Handlungen Amerikas/Russlands/Israels erklären

**** Das durchschnittliche Vermögen der unteren 50% der Haushalte im Westen ist etwa doppelt so hoch wie im Osten.

Soziologe Mau sprach mit Bezug zu Ostdeutschland davon, dass nicht nur die persönliche Lebenszufriedenheit im Allgemeinen inzwischen recht hoch sei, sondern dass „durchaus auch 'ne Zufriedenheit der eigenen wirtschaftlichen Lage“ gegeben sei.

Er hat Output- bzw. Input-Legitimation wie folgt definiert:

Output-Legitimation, also, man findet nur was legitim, was irgendwie die eigenen Interessen trifft oder wo man Nutznießer ist. Oder Input-Legitimation, da ergibt sich Legitimation vor allen Dingen über die Verfahren, also, eine Entscheidung ist demokratisch entsprechend der Spielregeln zustande gekommen.

Weiter führte Mau aus:

Also, da würde ich die Ostdeutschen schon eher auf Seiten der Output-Legitimation verorten, also: Was bringt das jetzt für mich?

@Thomas80, das hat jetzt mit deinen Ausführungen im Grunde nichts zu tun.

Ich glaube Nachkriegszeit in Ostdeutschland ist auch noch sehr entscheidend für den jetzigen Zustand Ostdeutschlands.

Denn hier ist die SED Diktatur zwar viel härter gegen Ex-Nazis vorgegangen, hat den Vorwurf jedoch auch vielfach gegen politische Gegner instrumentalisiert und war in den Verfahren selbst nicht rechtsstaatlich.
Die SED hat viele Elemente des Nazissystem übernommen, die Gestapo hies jetzt eben Stasi, hatte aber immer noch die gleich langen Mäntel. Die Gesellschaft war weiterhin durch Partei und Militär geprägt. Pluralismus gab es nicht.

Die Aufarbeitung der Nazizeit war also sowohl viel weniger Glaubwürdig und kam auch nicht aus der Mitte der Gesellschaft, sondern von oben herab aus der politischen Führung (im Gegensatz zur erkämpften Ausarbeitung durch dir 68-er im Westen).

Etwas ähnliches passierte nach 1990. Zwar wurden einige DDR Verantwortliche bestraft (wenn auch nur sehr mild. Nach einer richtigen Revolution rollen ja eigentlich auch mal Köpfe).

Trotzdem hat es sich nicht gelohnt, in der DDR systemkritisch zu sein.
Stattdessen machen nach der Revolution vor allem Wessis und „die schweigende angepasste Mehrheit“
Karriere:
z.B. Angela Merkel war unauffällig, engagierte sich in der FDJ-Jugendgruppe, Kurt Biedenkopf war Wessi, Stanislaw Tillichs Vater war in der SED, er selbst durfte in der DDR studieren usw.

Die Erfahrung der Leute lautet also:

  • Kritisch sein in der Diktatur lohnt sich nicht, selbst nach einer erfolgreichen Revolution,
  • Keine Solidarität mit den Opfern in der Diktatur, die sind einfach nur zu doff sich anzupassen,
  • Am Ende entscheidet die Entwicklung eh eine Obrigkeit, sei es die SED, Westparteien oder Westunternehmen,
  • Demokratische Prozesse und Wahlen sind eher unbedeutend

Das ganze scheint mir eine toxische Gemengelaage zu sein, aus der ein keinen einfachen Ausweg gibt.

Es bräuchte eine wirklich radikale Maßnahme. Z.B. jedem Ostdeutschen mit 50.000€ die Anschaffung von Wohneigentum fördern und so das fehlende Erbe ausgleichen.

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Danke Bent. Wenn ich die Begriffe nicht ganz trennscharf verwendet habe, bitte ich um Nachsicht.
Es geht mir darum den Fakt, dass Input/Output Legitimation ein wesentlicher Treiber für Akzeptanz ist und diese sich in West und Ost ganz anders entwickelt haben.
Wenn ich eine Entscheidung aus meinem „gesunden Menschenverstand“ ableite, kann ich nicht annehmen, dass diese sich von Personengruppen mit anderer Input/Output Legitimation nachvollziehen lassen - entsprechend steigt der Widerspruch und die Spaltung nimmt eher zu.

Um einen eigenen Bias zu vermeiden, habe ich unseren Austausch von der Google KI kommentieren lassen:
Die gegebene Antwort scheint auf den ersten Blick die These zu widerlegen, indem sie die hohe Zufriedenheit der Ostdeutschen mit ihrer wirtschaftlichen Lage betont und sie eher der Output-Legitimation zuordnet. Allerdings ist eine solche einfache Gegenüberstellung zu kurz gegriffen und bedarf einer differenzierteren Betrachtung.

Gründe für eine differenzierte Bewertung:

  1. Zufriedenheit ≠ Legitimation: Nur weil Ostdeutsche mit ihrer aktuellen wirtschaftlichen Lage zufrieden sind, heißt das nicht automatisch, dass sie alle politischen Entscheidungen, die zu Lasten ihrer persönlichen Interessen gehen könnten, als legitim erachten. Zufriedenheit ist ein momentaner Zustand, Legitimation hingegen eine grundlegende Einstellung gegenüber politischen Prozessen und Entscheidungen.
  2. Output-Legitimation als Teil einer komplexeren Haltung: Die Tatsache, dass Ostdeutsche eine gewisse Output-Orientierung zeigen, schließt nicht aus, dass sie auch Wert auf andere Legitimationskriterien legen. Es ist durchaus denkbar, dass sie eine Kombination aus Output- und Input-Legitimation bevorzugen.
  3. Historische Erfahrungen: Die historischen Erfahrungen der Ostdeutschen (Reparationen, Enteignungen, Wende) haben tiefe Spuren hinterlassen und prägen weiterhin ihre politische Einstellung. Diese Erfahrungen können dazu führen, dass sie bei politischen Entscheidungen besonders sensibel auf Fragen der Gerechtigkeit und Fairness reagieren.
  4. Soziale Ungleichheit: Auch wenn die wirtschaftliche Lage der Ostdeutschen sich verbessert hat, besteht weiterhin eine erhebliche soziale Ungleichheit zwischen Ost und West. Diese Ungleichheit kann dazu führen, dass Ostdeutsche bei politischen Entscheidungen, die diese Ungleichheit verstärken könnten, skeptisch sind.

Um die These besser bewerten zu können, müssten folgende Fragen geklärt werden:

  • Art der Zufriedenheit: Wie genau wurde die Zufriedenheit der Ostdeutschen gemessen? Bezieht sie sich nur auf die aktuelle wirtschaftliche Lage oder auch auf andere Lebensbereiche?
  • Dauerhaftigkeit der Output-Orientierung: Ist die Output-Orientierung der Ostdeutschen eine stabile oder eine vorübergehende Erscheinung?
  • Wahrnehmung von Gerechtigkeit: Wie bewerten Ostdeutsche die Gerechtigkeit der politischen Entscheidungen, die sie betreffen?
  • Vergleich mit dem Westen: Wie unterscheidet sich die Legitimationsorientierung der Ostdeutschen von der der Westdeutschen?

Fazit:

Die gegebene Antwort bietet einen wichtigen Hinweis darauf, dass die Situation komplexer ist, als sie zunächst scheint. Sie zeigt, dass die Ostdeutschen durchaus eine gewisse Zufriedenheit mit ihrer aktuellen Lage empfinden. Allerdings reicht diese Zufriedenheit allein nicht aus, um die These zu widerlegen. Es bedarf einer tiefergehenden Analyse, um die Legitimationsorientierung der Ostdeutschen umfassend zu verstehen.

Ich denke, ein wichtiger Aspekt sind auch die historischen Entwicklungen, die im Ost nicht stattgefunden haben, insbesondere die Liberalisierung der 60er und 70er Jahre.

In der DDR gab es aus heutiger Sicht auch progressive Entwicklungen, wie die hohe Erwerbsquote der Frauen, Kinderbetreuung und ein gut funktionierenden Recyclingsystem.
Aber das war alles aus ökonomischer Not entstanden. Letztendlich war die DDR ein sehr strukturkonservatives Land.

Wenn ich mich mit ostdeutschen „Boomern“ unterhalte (also heute 60-70 Jahre alt), merkt man sehr schnell, dass es dort kein 1968 gegeben hat. Deren Einstellung und Präferenzen ähneln eher der westdeutschen Vorkriegsgeneration (heute 90+ Jahre alt). Man muss sich nur mal anschauen, was auf MDR so läuft.

Entsprechend wurden bestimmte Verhaltensweise an die nachkommenden Generationen kulturell vererbt.

Dadurch hat sich im Osten ein Bild von Männlichkeit, kulturelle Homogenität, Erwartungshaltung an den Staat, Erwartungen an die Strafjustiz etc. erhalten, die der sehr frühen Bundesrepublik oder gar der Weimarer Republik entsprechen.

Natürlich waren auch die Umbrüche der Wendezeit prägend. Wobei die Reaktionen darauf auch wieder durch die Zeit davor beeinflusst waren. Die Reaktion der Bewohner des Ruhrgebiets oder den Strukturwandel und die Deindustrialisierung war eine vollkommende andere (ökonomisch gesehen sich nicht erfolgreicher, aber ohne den tiefsitzenden Groll).

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Wäre interessant zu sehen, ob das denn Wessi dann auf die Straße treibt. Denn die Verteilung von Reichtum ist kein Ost-West-Problem, es sei denn man nimmt den Durchschnitt. Wenn du aber jetzt jedem Ossi 50.000€ gibst, ändert das am Gefälle gar nichts.
Außerdem: wem willst du es geben? Denen, die jetzt dort leben? Auch denen, die aus dem Westen oder dem Ausland zugezogen sind? Allen, die nachweisen, zum Mauerfall dort gelebt zu haben? Was ist dann mit denen, die danach geboren wurden?
Derzeit leben 12,6 Millionen Menschen in den betreffenden Bundesländern, macht 630 Milliarden - die natürlich die Bürger im Westen alleine aufbringen müssten, die anderen sollen ja profitieren.

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Zu überlegen wäre, ob in der aktuellen Legislatur die Output-Legitimitäts-Orientierung Ostdeutschlands ausreichend adressiert wird.

  • Rente
    • Stabilisierung bei 48% des deutschen Durchschnittslohns resultiert in Beitragssatz-Steigerung von 18,6% auf 22,3%
    • Beitragsbemessungsgrenze West steigt um 3,4% auf EUR 7.550
    • Beitragsbemessungsgrenze Ost steigt um 4,9% auf EUR 7.450
    • Betriebsrenten sind in Ostdeutschland gering ausgeprägt
    • Versicherungsfremde Leistungen betragen 130MRD, werden aus Steuern finanziert
  • GEG - Heizungsgesetz
    • 20% der Förderung mit Turbo Bonus (Fertigstellung bis 2025)
    • 30% der Förderung, wenn Haushaltseinkommen unter EUR 40k (EUR 3.3k/Monat)
    • Immobilien in strukturschwachen Regionen erreichen geringere Werte in der Hypothekenbewertung/höhere Zinslast und hohes Risiko der Nichtfinanzierung
  • Krankenkasse
    • Für die Krankenhausreform (50MRD über 10 Jahre) ist geplant, GKV Versicherte mit EUR 2,5MRD/Jahr zu belasten, entspräche 0,5%
    • Annahme, dass in strukturschwachen Regionen weniger PKV Mitglieder leben
    • PKV ist von KKH Reform Finanzierung ausgenommen
    • 2,5MRD/Jahr sollen aus Steuermitteln finanziert werden
    • Bereits kommuniziert wurden steigende Kosten von 14,6% + 1,7% Zusatz auf 14,6%+2,45% = 17,05%
    • Beitragsbemessungsgrenze steigt um 3,7%
  • Mindestlohn/Energiekosten
    • Führt zu Preissteigerungen für Konsumenten, setzt Zahlungsbereitschaft und Fähigkeit der Konsumenten voraus
    • In strukturschwachen Regionen kommt es häufiger zu Marktaustritten
  • CO2 Steuer
    • Gleichmäßige Belastung aller CO2 Produzenten nach Verursacherprinzip (Haushalte)

Sämtliche Maßnahmen enthalten nicht den Faktor der finanziellen Leistungsfähigkeit. Wer hat, der hat :blush:
Individuelles Wohlstandswachstum wird gebremst.
Ich erkenne darin keine Maßnahmen, einen Aufschwung strukturschwacher Regionen zu stimulieren. Output Legitimierung fehlt.

Wenn man einen willkürlichen Maßnahmenkatalog nimmt, der mit der Förderung strukturschwacher Regionen ohnehin nix zu tun hat, kann man es natürlich leicht so hinstellen.

Ich halte mal dagegen und nenne exemplarisch das Wind-an-Land-Gesetz sowie die Förderung von Bürgerenergiegesellschaften.

Ganz ehrlich, viel mehr kann man für strukturschwache Regionen ohnehin nicht tun. Dort wird sich nicht mittels Staatsintervention produzierendes Gewerbe in größerem Umfang ansiedeln. Und die infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen wäre unökonomisch. Die Herausforderung, eine halbwegs brauchbare Gesundheitsversorgung dort sicherzustellen, ist schon mehr als groß.

Alles wird letztlich auf die Verdichtung ohnehin schon attraktiver Siedlungsgebiete hinauslaufen. Und das ist unter vielerlei Gesichtspunkten auch sinnvoll und zweckmäßig.

Das sind Punkte, die Angestellte monatlich auf dem Lohnzettel sehen bzw. Kosten, die jeden reziprok zum Einkommen betreffen.
Bürgerenergiegesellschaften finde ich persönlich gut. Sehe das aber nicht als Maßnahme, die die breite Stimmung merklich beeinflusst.
Das verfügbare Einkommen beeinflusst diese insbesondere bei geringem Vermögen sehr stark.

Input und Output Legitimation führt zu Akzeptanz, Akzeptanz zur Wahl der politischen Mitte.
Meine Annahme war, dass die Legitimation in der Linken Westdeutschlands teilweise auf die nicht gezahlten Reparationen zurückgeführt werden kann. 68er war der Beginn für die moralische Auseinandersetzung in Westdeutschland. Jedoch kam es zu keiner Zeit zu Wohlstandsverlust.
Dass hier noch längst nicht alle Rechnungen beglichen sind, wird im Zweifel umgehend durch Nachbarländer Deutschlands bestätigt.
Ostdeutschland hat objektive Argumente, sich monetär entschuldet zu haben und interpretiert die Schuldverpflichtung anders.
Wohlstandswachstum wäre ein möglicher Weg, um den Bias aufzulösen und so mehr Akzeptanz zu fördern. Politik gegen Wohlstandswachstum (verfügbares Einkommen) verstärkt die Dissonanz wahrscheinlich. Wäre für mich eine Erklärung für die „Aber dafür ist Geld da“ Stimmung.

Es sind alle Rechnungen beglichen, da gibt es genug internationale Verträge zu. Womit die polnische Rechte Propaganda macht ist deren Problem.

Der große Unterschied ist, die Russen haben die DDR als weitere Kolonie betrachtet die sie ausbluten konnten, die Westalliierten (wenn wir ehrlich sind eigentich die Amerikaner) haben den Nutzen darin gesehen, wenn es der BRD gut geht und sie schnell wieder auf die Beine kommt.

Ich denke nicht, dass es Thomas vor allem um Rechnungen gegenüber dem Ausland geht, sondern eher um die innerdeutsche Verrechnung.

Mal ein Versuch einer Argumentation:
These 1: Deutschland hat den zweiten Weltkrieg als Kollektiv zu verantworten, West- und Ostdeutschland tragen gleichermaßen die Schuld.
These 2: Ostdeutschland hat viele Reparationen (an Russland) zahlen müssen und damit die Schulden beglichen.
These 3: Westdeutschland hat kaum Reparationen zahlen müssen, wurde sogar gezielt wirtschaftlich gefördert und wieder aufgebaut.
Daraus folgt: Ostdeutschland hat die gesamte finanzielle Schuld am zweiten Weltkrieg in Form von Reparationen bezahlt. Nach der Wiedervereinigung wäre es daher wichtig gewesen, dass es einen Ausgleich des Westens gibt. Einfach zu sagen: „Tja, Ossis, da habt ihr halt Pech gehabt, dass ihr an die Russen gefallen seid, der Westen war halt netter zu seinen besetzen Gebieten“ ist da nicht wirklich fair. Entweder wir sind „Ein Volk, Ein Land“, dann teilen wir auch die Reparationszahlungen und die wirtschaftliche Förderung durch den Marshallplan gleichmäßig auf, oder eben nicht.

Das, was in Form des Solidaritätszuschlags im Sinne des „Aufbau Ost“ gezahlt wurde, waren letztlich Peanuts, die kaum reichten, den Schaden durch die Wiedervereinigung zu begleichen (und dass die Widervereinigung viele Schäden verursacht hat, weil viele Fehler gemacht wurden, ist glaube ich auch unbestritten).

In diesem Sinne kann man schon sagen, dass da noch Rechnungen offen sind.

Zwei Billionen Euro Netto-Transfers von West- nach Ostdeutschland allein bis 2014 ist nun alles andere als eine Kleinigkeit.

Kann man so sehen, aber zwei Billionen wirken nicht mehr so groß, wenn man 45 Jahre Zins und Zinseszins eines Wirtschaftswunders und der Reparationszahlungen der DDR miteinander aufwiegt.

Also klar, es ist vermutlich schwierig, einen wirklichen „Price Tag“ an die Sache zu kleben und zu sagen: „Jetzt ist es fair“. Das Fairste wäre wohl unbestreitbar, wenn der Lebensstandard im Osten identisch mit dem im Westen wäre - und das war ja auch immer das Ziel. Ob das nun 2 Billionen oder 20 Billionen kostet ist dabei fast nebensächlich. Die Gegenseite sagt: „Ihr Ossis seid halt selbst Schuld, dass ihr den Sozialismus probiert habt“, aber das verkennt halt die politischen Zwänge der Zeit. Es ist nicht so, dass der Osten es anders gekonnt hätte, selbst wenn er es 1945 gewollt hätte.

Viele Ostdeutschen machen den Fehler sich wirtschaftlich nur mit Westdeutschland zu vergleichen, obwohl man doch ganz andere Startbedingungen hatte.

Vor der Wiedervereinigung lag das BIP pro Kopf in Ostdeutschland (je nach Quelle) bei ca. 40%-60% des Westniveaus. Man hatte praktisch keine international Wettbewerbsfähigen Unternehmen im Osten, während der Westen in viele Bereiche internationale Weltmarktführer wie VW, Siemens oder SAP vorweist. Mit den Zahlen von 1990 ergibt sich somit folgendes Bild:

BRD ca. 20.000$
DDR ca. 10.000$
Schweiz. 39.880$
USA: 23.848$
Frankreich: 22.432$
GB: 20.855$
Italien: 20.624$
Spanien: 13.694$
Griechenland: 9.598$
Portugal: 7.957$

Ostdeutschland ist wirtschaftlich also ca. auf dem Niveau von ärmeren südeuropäischen Ländern gestartet.
Dazu kommt erschwerend für Ostdeutschland hinzu, dass man nach 1990 massiv zwangsverstaatlichtes Eigentum zurückgeben musste und die Unternehmen und Arbeiter kaum Erfahrung in der Marktwirtschaft hatten.

Nach 32 Jahren Marktwirschaft ergab sich 2022 / 2023 ergibt sich folgendes Bild:

Deutschland 46.150€
Thüringen 35.911€
Sachsen 38.143€

Frankreich 38.590€
Italien 32.390€
Slowenien 27.980€
Spanien 27.910€
Tschechien 25.830€
Portugal 23.310€
Griechenland 19.670€

Selbst im ärmsten ostdeutschen Bundesland Thüringen ist die Wirtschaft heute stärker, als in Italien und Spanien.
Man hat mittlerweile 154 % der Wirtschaftsleistung von Portugal und 182% von Griechenland, mit dem man 1990 noch ungefähr gleich auf war.
In Sachsen kommt man mittlerweile fast an die wirtschaftskraft Frankreich heran.
Auch im Vergleich mit den reichsten ex Ostblockstaaten Slowenien und Tschechien ist man in Ostdeutschland deutlich reicher.

Diesen Vergleich zieht jedoch leider in Ostdeutschland fast niemand. Stattdessen vergleicht man sich unentwegt mit dem Westen.

Das ist ein wenig so, wie wenn ich mein Gehalt mit dem in der Schweiz vergleiche, da kann man nur verlieren.

Quelle BIP 1990:Liste der Länder nach historischer Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf – Wikipedia

BIP EU 2022:

BIP Bundesländer 2023:

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Naja, das Versprechen der Wiedervereinigung („Blühende Landschaften“) wurde von vielen Ostdeutschen als das Versprechen der Gleichheit der Lebensverhältnisse mit dem Westen betrachtet, an diesem Versprechen halten die Ostdeutschen die Westdeutschen nun fest. Ich kann das durchaus nachvollziehen und denke weiterhin, dass das der Plan sein muss.

Wie schon vorher gesagt: „Die Ostdeutschen“ können ebenso wenig dafür, dass sie von der Sowjetunion besatzt den Sozialismus aufgedrängt bekommen hat, wie „Die Westdeutschen“ etwas dafür können, dass sie von den Alliierten den Marshall-Plan geschenkt bekommen haben. Daraus resultiert für mich, dass im Falle einer Wiedervereinigung alle deutschen Bürger in einer gleichberechtigten Volksgemeinschaft sind, also jeder auch Anspruch auf den gleichen Lebensstandard hat, egal, ob er „Ossi“ oder „Wessi“ ist. Wenn das bis heute noch nicht so ist, dann ist das ein Mangel der Wiedervereinigung, dann hat der Westen noch nicht genug getan, um den Osten auf die gleiche Stufe zu heben. In 34 Jahren hätte man das durchaus erwarten können. Wenn Deutschland „wiedervereinigt“ werden will, muss es für gleiche Lebensverhältnisse sorgen. Drastisch unterschiedliche Lebensverhältnisse innerhalb eines Staates werden immer zu Unzufriedenheit und politischer Instabilität führen.

Vergleiche mit anderen Ostblock-Staaten oder anderen europäischen Staaten sind daher meines Erachtens unpassend, weil dort eben keine „Wiedervereinigung“ stattgefunden hat.

Natürlich stimmt es, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse und eine weitere Angleichung brauchen, aber das ganze wird mir etwas zu einseitig diskutiert.

Die Stadt Greiz in Thüringen war mal eine der reichsten Städten Deutschlands als sie groß im Textilgewerbe war und der Fluss damals von den Abwassern der Färbereien bunt gefärbt war. Heute ist es eine der ärmsten Städte Deutschlands.
Ähnliches gilt für weite Teile des Ruhrgebiets. Die waren mal eine Zeit lang sehr wohlhabenden und heute sieht es da schlecht aus.
Andersherum war Bayern noch Anfang der Bundesrepublik sehr rückständig und arm und heute ist es sehr reich.

Der Grund dafür ist, dass Investitionen in neue Technik, Unternehmensgründungen usw. schwierig sind, wenn sich gerade alle Leute in der Kohleindustrie eine goldene Nase verdienen.

Viele Unternehmen im Süden wurden um 1900 gegründet, weil es damals eben keine andere Arbeit gab.

Ich will damit sagen, dass sich die Dinge immer wieder ändern und die heutige Schwäche auch eine Stärke in der Zukunft bedeuten kann.

Deswegen braucht es natürlich mehr Anstrengungen für gleiche Lebensverhältnisse, aber eben auch die gewisse Portion Optimismus.

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Mir ging es ja ursprünglich um die Output/Input Legitimation. Ich umschreibe den Gedanken mit Blick auf den Umgang mit öffentlichen Geldern. Der Staat entscheidet, wie er diese einsetzt und wie diese eingenommen werden.
Ein erheblicher Anteil finanzieller Ressourcen und der politischen/medialen Aufmerksamkeit wird für internationale Krisen aufgewendet.*

  • Klimakrise
  • Bankenkrisen
  • Griechenland & Euro Krise
  • Flüchtlingskrisen
  • Covid Pandemie
  • Autoherstellerkrisen :wink:

Der durch Medien vermittelte Eindruck ist, dass Deutschlands Teilhabe tendenziell höher ist (überproportional?), als der anderer Staaten - regelmäßig begleitet durch Berichterstattung über “fahrlässige” Zuteilung und unlautere Verwendung.**

Wahrgenommen wird der Eindruck eines altruistischen, omnipotenten Deutschlands (“sind ein reiches Land”). Dies hat möglicherweise auch zum Selbstverständnis geführt, dass Deutschland, wenn es überproportional hilft, auch als moralische Instanz fungieren kann.***

Betrachtet man den gewachsenen Investitionsstau und die implizite Verschuldung, ist von einer erheblichen Mittelverwendung auszugehen, für die andere Themen vernachlässigt wurden.

Politisch war und ist es Konsens, Kapitalbedarf durch höhere Belastungen der Angestellten, Unternehmer und nachkommenden Generation zu decken. Für Personen mit entweder hohem Vermögen oder im Beamtenverhältnis ergab sich eine relativ geringe Teilhabe (außer höheres Pensionsalter).

Bei einem Staat mit anderer Geschichte wäre zu erwarten, dass sich eine rationale Debatte darüber ergeben hätte, ob inländische Bedürfnisse zu sehr vernachlässigt werden.

Die Bereitschaft der Deutschen wird durch die Interpretation der historischen Verantwortung legitimiert. Westdeutsche identifizieren sich damit sehr stark und sehen es inherent auch als finanzielle Verpflichtung, Ostdeutsche sehen den moralischen Aspekt, aber assoziieren die finanzielle Schuld eventuell weniger.

Es ist anzumerken, dass die Auswirkungen dieser Politik ab einem gewissen Einkommens- oder Vermögensniveau kaum spürbar sind, unabhängig von der regionalen Herkunft, egal ob Ossi oder Wessi :wink: Ein Drift von Output zu Input Legitimation mit steigendem Wohlstand ist sehr wahrscheinlich.

*Deutschland ist leider unheimlich ineffizient im Geld verteilen. Ein Euro Hilfe kostet das x-fache an Verwaltung.

**Aufgrund unterschiedlich ausgelegter Faktenlage, Komplexität und Intransparenz ergeben sich bei Finanzierungen oft subjektive Fehlbewertungen in der Ausseneinschätzung.

***In der Griechenland Krise übernahm Deutschland das erste Mal die alleinige Führungsrolle und gerierte sich direkt als Zuchtmeister ohne jegliche Empathie, was vom Ausland sehr verstört wahrgenommen wurde. Angela Merkels Renommee drohte hier kurzzeitig zu kippen. Man hat es immerhin danach geschafft, diesen Eindruck des kalten Deutschen abzumildern.

Beim Sehen der Sternchen dachte ich noch, du würdest jetzt mal irgendeine deiner Behauptungen belegen. Da habe ich mich wohl geirrt.

Ein erheblicher Anteil finanzieller Ressourcen wird für den Rentenzuschuss verwendet (derzeit 23% des Bundeshaushalts). Davon ein guter Teil für nicht gedeckte Rentenansprüche. Natürlich steht die Rente Russlanddeutschen und ehemaligen DDR-Bürgern zu, schließlich haben die auch einbezahlt. Aber das Geld floss nicht in das System der Bundesrepublik und muss nun anderweitig finanziert werden.

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Man kann sehr lange diskutieren, warum die Ostdeutschen so drauf sind.

Sicher hat es mit weniger Wohlstand zu tun.
Sicher kamen mit 1990 alle Veränderung auf einmal, für die der Westen viel länger Zeit hatte.
Und sicher ist auch mit den 2 harten Brüchen 1945 und 1990 mehr Kontinuität in der Kultur, bei Gemeinden, Vereinen, Bräuchen usw. weggebrochen.

Aber das bringt nichts. Wir müssen jetzt nach vorn schauen. Und dafür braucht man Entschlossenheit und Optimismus.
Meiner Meinung nach, hört die Politik stattdessen viel zu viel auf Wutbürger, Jammerossis und mächtige alte Industrien.
Und fördert viel zu wenig die, die mit Mut, Engagement und neuen Ideen voran gehen. Genau das ist meiner Meinung nach die Teufels Spirale.

Beispiel Energie:
Tausende Jobs gehen bei Wind, Solar, Elektroauto- und Ladestationsbranche drauf, Unternehmen gehen hier reihenweise Insolvent.

Dagegen bekommen die Kumpel und Unternehmer in der Braunkohle sehr viel Geld:
Erst sehr viel Geld das Loch aufzubuddeln und massig CO2 in die Atmosphäre zu ballern
und danach dann wieder zuzubuddeln und alles hübsch zu renaturieren.

Hätte man die Milliarden nicht in die Lausitz gesteckt, sondern in Wind, Solar und Elektromobilität, hätte man schon längst große Unternehmen in Ostdeutschland aufbauen können.

Stattdessen gibt man das Geld für Vergangenheitsbewältigung aus.

Als Ingenieur der sich vor 20 Jahren für Kohle entschieden hat und bei der Leag arbeitet, hat man alles richtig gemacht.

Wer hingegen in die Solarindustrie gegangen ist, ist jetzt arbeitslos.

Das ist nur ein Beispiel. Aber zieht sich meiner Meinung mach durch viele Bereiche durch.

Kein wunder, dass die Leute dann allem neuen negativ gegenüberstehen und es ihnen fortwährend nur um Statusangst geht, statt man etwas neues zu waagen.

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